Eine mächtige Dynastie mit großer Vergangenheit
Die geheimnisvolle Herkunft der Merowinger
Meine Forschungen über die Merowingerzeit wurden beim Schreiben meines Buches über das Heiligtum an den Externsteinen angestoßen. Gedanken über den germanischen Volksstamm der Sugambrer, die mit dieser alten Mysterienstätte schon in vorchristlicher Zeit verbunden waren, ließen viele Fragen aufkommen.2
Was blieb erhalten von ihren Kenntnissen und von ihrer spirituellen Beziehung zu dem vorzeitlichen Heiligtum in Westfalen, bis sie vier Jahrhunderte später als Merowingerkönige im nordwestlichen Gallien wieder in die Geschichte eintraten? Was war Mystik, Legende oder Realität, wo lag der Ursprung dieses mutigen Stammes?
Die Herkunft der Sugambrer ist legendenhaft, ihre Lebensart wird als »germanisch« vorausgesetzt, über ihre spirituellen Bräuche gibt es keine Aufzeichnungen. Wo waren ihre heiligen Stätten und Einweihungszentren, nachdem sie sich in den linksrheinischen Gegenden angesiedelt hatten? Wie weit folgten sie in den Wirren der vierhundert Jahre andauernden römischen Herrschaft, der Völkerwanderungszeit und dem aufkommenden Christentum, die das alte Europa völlig verändert hatten, alten geistigen Traditionen? Was zeichnete diesen Stamm unter den keltischen Galliern Frankreichs und den verschiedenen germanischen Stämmen um das Rheingebiet aus?
Als Herrscher vermutet man sie bereits um 400 v. Chr. als Könige der Kimmerer im Gebiet nördlich und westlich des Schwarzen Meeres im Reich der Skythen. Nicht lange danach sollen sie an der Mündung des Rheins angekommen sein.
Um die Zeitenwende nennen sie sich, nach ihrem König Francus (40 - 13 v. Chr.) »Franken«, was im Wortsinn als Synonym für die Freien steht. Francus verbündet die Stämme Germaniens gegen die Invasion der Römer, die unter Julius Caesar über den Rhein vorgedrungen waren. Verschwommene Spuren der Franken führen in die Sagenkreise und Heldenlieder der germanischen Mythologie.
Rückseiten merowingischer Königsmünzen, 6./7. Jh.
Dies hätte meine Fragen nach der Herkunft der Merowinger befriedigen können, wenn in antiken Schriften und in Chroniken nicht behauptet würde, ihre Herkunft sei von dem alten Königsgeschlecht Trojas abzuleiten. Von Historikern seit Jahrhunderten diskutiert, befürwortet oder abgewiesen, wurde diese Abstammungstheorie für unwahrscheinlich gehalten und einzig dem Bedürfnis der Franken, Merowinger und späteren französischen Königen zugeschrieben, sich in einer mythischen Herkunft zu sonnen wie auch andere Königsgeschlechter.
Man sagte den Merowingern auch ein »arkadisches Erbe« nach. Der Name Arkadien leitet sich von arcades ab und heißt soviel wie »Land oder Volk des Bären«. Der Bär bzw. eine Bärin war das schamanische Totemtier der Merowinger. Der Bärenkult verweist nach Arkadien ins antike Griechenland. Mehrere Gebiete wurden aber auch in Ländern Westeuropas Arkadien genannt, zum Beispiel in den Ardennen Frankreichs, wo sich deutliche Spuren der Merowinger finden.
Darüber hinaus begegnen wir in alten wie auch in aktuellen Berichten einer Abstammung der Merowinger von den »Fischerkönigen«, einem »messianischen Geschlecht«, das auf Jesus Christus zurückzuführen sei.
Magische Symbolik auf einer Fibel aus dem 5./6. Jh.
Ebenso werden die Merowinger mit den »Gralskönigen« (siehe Seiten 111, 113, 130f) und mit deren geheimnisvollen Nachkommen in Verbindung gebracht, die sich »Desposynie« nennen; dabei wird von einer erblichen »Blutsheiligkeit« gesprochen. Gestützt auf mittelalterliche Schriften wird auf indirekte Andeutungen Bezug genommen, nach denen sich eine Serpent rouge, eine rote Schlange, als Spur einer besonderen Blutsabstammung seit babylonischen Zeiten bis zu den Gralskönigen und Merowingern hinzieht.
Die »magischen Könige«
Ihre geistigen Traditionen wurden den Merowingern als verwerfliche Magie ausgelegt. Es hieß, die Merowinger pflegten »Umgang mit alten Symbolen und Gegenständen der Zauberei«, sie trugen einen magischen goldenen Reif um den Hals, den »Torques«, sowie kostbare Armringe aus purem Gold. Goldene Bienen sollen ihre Gewänder geschmückt haben, sogar dem Zaumzeug ihrer Pferde wurde ein okkulter Charakter verliehen. Man sagte ihnen nach, magische Kräfte zu besitzen, die sie auf Menschen und auf das Land übertrugen.
Die von ihnen gefundenen Schädel wiesen einen rituellen Einschnitt auf; insbesondere ihrer langen Haartracht schrieb man etwas Magisches zu. Die Könige sollen hellseherische und heilende Fähigkeiten gehabt haben, telepathisch miteinander kommuniziert, das Wetter beeinflußt und mit Tieren und Naturgeistern gesprochen haben. Das alles sind Attribute, die Julius Cäsar bereits den keltischen Druiden zugeschrieben hatte.
So merkwürdig die den Merowingern als magische oder heilige Könige zugeschriebenen Attribute in der Überlieferung auch klingen mögen, bilden sie bei sachlicher Betrachtung die »Brücke« zu einem Sakral-Königtum aus vergangenen Zeitaltern. Daraus entwickelte sich der geheimnisvolle Nimbus einer Königswürde, der auf nichts anderes hindeutet, als auf einen gehobenen spirituellen Stand, den man schon zur Merowingerzeit und in der nachfolgenden christlichen Welt nicht mehr verstehen und dulden wollte.
Die Art ihrer Herrschaft unterschied sich von allen späteren Monarchien. Sie wurden nicht gekrönt und nicht gesalbt, ihre Herrschaftswürde bestand durch Geburt in einer unumstrittenen Autorität. Im Alter von 15 Jahren wurden die Könige in ihr Amt erhoben und für heiratsfähig erklärt. Religiöser Kult und politische Macht wurden als unauflösliche Einheit betrachtet. Für Hofhaltung, Regierungsgeschäfte und Heer wurde eine entsprechende Verwaltung eingesetzt. Der König hatte, was diese Aufgaben betraf, lediglich eine Zuständigkeit für Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Der Status der Könige ging einher mit einem außergewöhnlichen Charisma, das man einem besonderen Verhältnis zum Göttlichen zuschrieb. Ging es um die Heiligkeit der Personen, die aufgrund einer bestimmten Abstammung zu Königen erhoben wurden, oder ging es um die Haltung, eine spezielle hermetisch-esoterische Bildung und Tradition, die von Herrscherfamilien fortgesetzt wurde, wie es in der Alten Welt üblich gewesen ist?
Ein historischer Abriß
Nachdem das Weströmische Reich zusammengebrochen und die römische Militärmacht geschlagen und vertrieben war, nahmen die Merowinger die Geschicke eines Landes in die Hand, das sehr unterschiedliche Strukturen aufwies. Sie übernahmen fast nahtlos den römischen Verwaltungsapparat, knüpften aber kulturell ganz offensichtlich an ältere europäische Traditionen an, die sich in den westlichen und nördlichen Teilen Galliens und in der Rheingegend erhalten hatten.
Vor allem dort richteten die Merowinger ihre Städte an den unzähligen – zwischenzeitlich von Römern in Anspruch genommenen – alten keltischen »Oppidien« (Städte und Siedlungen) ein; dort hatte die keltische Welt in einigen Grundzügen überlebt.
Doch die keltische Welt war nicht die einzige Quelle, aus der die Merowinger schöpften. Die alt-fränkischen Länder in der Rheinmündung und links und rechts des Rheins, die Antiqua Germania bis zur Lippe und Weser, mit ihren gesellschaftlichen und spirituellen Traditionen, waren die Heimat der germanischen Vorfahren. Sie nahmen in der historischen wie auch spirituellen Entwicklung eine Schlüsselrolle ein.
Gallien und Antiqua Germania zur Zeit der Merowinger
Die südliche Hälfte Galliens war römisch geprägt und durchdrungen vom ansässigen Senatorenadel, der seine Privilegien und den römischen Lebensstil erhalten konnte. Diese Gesellschaftsschicht verfügte über unermeßlichen Reichtum, vor allem aufgrund riesiger Ländereien, die hohe Gewinne gewährleisteten. Der Adel beeinflußte weiterhin die Strukturen von Wirtschaft und Politik, daraus gingen die ersten christlichen Bischöfe hervor, die weniger mit seelsorgerischen als vielmehr mit gemeinnützigen und sozialen Aufgaben betraut waren. In den Metropolen Lyon, Vienne und Arles, in Bordeaux, Bourges und Tours, aber auch in der Auvergne, im Limousin und anderwärts, rekrutierte sich der Klerus seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts zunehmend aus den domus infulatea (senatorischen Grundherren), denen die kirchliche Laufbahn einen Ersatz für kaiserliche Ämter und Würden bot. (E. Ewig)
Goldmünzen bester Qualität wurden in königlichen Münzstätten geschlagen. Wald- und...