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E-Book

Die Montessori-Grundschule

in Theorie und Praxis

AutorBarbara Stein
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783451804960
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Immer öfter stellt die Montessori-Grundschule eine wirkliche Alternative zur Regelgrundschule dar. Diese leichtverständliche Einführung in die Besonderheiten und den Ansatz der Montessori-Grundschulen umreißt die Pädagogik Montessoris in Bezug auf Grundschulen und bietet Eltern und anderen Interessierten einen Leitfaden bei der Schulwahl für ihr Kind.

Barbara Stein war Lehrerin und Rektorin einer Montessori-Grundschule, am Aufbau dieser Schule maßgeblich beteiligt und leitete sie bis zu ihrem Ruhestand. Sie ist als Dozentin für Theorie, Sprache und Mathematik in Montessori-Lehrgängen tätig.

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Leseprobe

1.1 Die Entwicklung zwischen 0 und 6 Jahren


Das Kind ist von Geburt an ein aktives Wesen, das in der Interaktion mit seinen Eltern, anderen Personen und der Umwelt seine Persönlichkeit aufbaut. Darum spricht Maria Montessori vom Kind als Baumeister oder Bildner seiner selbst.

 

»Das Kind ist nicht ein leeres Gefäß, das wir mit unserem Wissen angefüllt haben und das uns so alles verdankt. Nein, das Kind ist der Baumeister des Menschen und es gibt niemanden, der nicht von dem Kind, das er selbst einmal war, gebildet wurde« (Montessori 1972 : 13).

 

Ferner betont sie die Bedeutung einer geglückten Erziehung:

 

»Das Kind ist der Erzeuger des Menschen. Die gesamten Möglichkeiten des Erwachsenen hängen davon ab, inwieweit das Kind diese ihm anvertraute geheime Aufgabe erfüllen konnte« (Montessori 2010b: 269).

 

Der Säugling als »geistiger Embryo«

Das Kind ist von Geburt an ein aktives Wesen, das aufgrund seiner genetischen Anlagen mit bestimmten Begabungen und Charaktereigenschaften ausgestattet ist. Ob und wie sich diese Anlagen entwickeln, hängt vom individuellen Lebensweg eines Kindes und von seiner Erziehung ab. Dies weist sowohl den Eltern als auch der Umgebung, in die das Kind hineingeboren wird, eine besondere Bedeutung zu. Denn das Kind entwickelt seine Fähigkeiten nur im Austausch mit anderen Menschen und mit seiner Umwelt. Deshalb bezeichnet Maria Montessori das neugeborene Kind als »geistigen Embryo«. Das Kind braucht die besonderen Bedingungen einer familiären Umwelt, um die speziell menschlichen Eigenschaften wie Willens- und Handlungsfreiheit, Sprache, Intelligenz und Gefühl richtig entwickeln zu können.

Die Rolle der Eltern

Die Liebe und Geborgenheit, die ein Kind bei seinen Eltern und anderen Erwachsenen findet, ist wie ein Hafen, von dem aus es seine Welteroberung starten und in den es zurückkehren kann, wenn es Mitfreude, Ermutigung, Ruhe oder Trost braucht. Die Erfahrung der Geborgenheit in der Liebe der Eltern gibt dem Kind ein Leben lang Mut und Sicherheit. Aber dort, wo die elterliche Liebe unzuverlässig oder zwiespältig ist, leidet die Entwicklung des Kindes, und die volle Entfaltung seiner potenziellen Möglichkeiten wird sehr erschwert. Deswegen sind später in der Schule die Bemühungen der Pädagogen bei jenen Kindern am fruchtbarsten, die in einer liebevollen und tragfähigen Beziehung zu ihren Eltern leben.

Sensible Perioden

Maria Montessori betont die Wichtigkeit einer zeitgerechten Erziehung. Damit ist gemeint, dass auf die Entwicklungsbedürfnisse des Kindes jeweils in den entsprechenden Entwicklungsphasen und nicht irgendwann später eingegangen werden muss. Die Entwicklungsphasen sind gekennzeichnet durch »sensible Perioden« (Montessori 2010b: 65 f), d. h. Phasen intensiver Lernbereitschaft, in denen das Kind besonders empfänglich für bestimmte Lerninhalte ist.

Sensible Perioden lassen sich nicht von außen hervorrufen; sie kommen von innen, drängen von innen hervor und sind von begrenzter Dauer. Unterschiedliche sensible Perioden bestehen gleichzeitig und wirken auf komplexe Weise ineinander. Ist die spezifische Lernbereitschaft verklungen, so wird das Lernen mühevoll, und der Erfolg ist weniger gesichert oder kann sogar ganz ausbleiben. Für das Phänomen dieser sensiblen Perioden in der Entwicklung eines Lebewesens werden verschiedene Begriffe verwendet wie z. B. »Zeitfenster«, »kritische Perioden« oder »Sensibilitäten«.

In der Entwicklung des Kleinkindes lassen sich folgende Sensibilitäten besonders gut beobachten:

  • die Sensibilität für Bewegung und Sinneseindrücke, verbunden mit dem Verlangen, seinen Willen in Taten umzusetzen,

  • die Sensibilität für Struktur und Ordnung und die Suche nach Orientierung,

  • die Sensibilität für den Erwerb der Sprache und die Anpassung an den geistigen Lebensraum, der durch die Sprache erzeugt wird.

Die Bedeutung der Bewegung und die Erziehung zur Aktivität

Bewegungsdrang

Auffallend bei Säuglingen und Kleinkindern ist vor allem ihr Drang nach Bewegung. Tätig in Bewegung zu sein ist für sie eine Quelle von Freude. Kinder wollen ihren Körper beherrschen und ihre Bewegungen koordinieren lernen, und sie tun dies, indem sie sich aktiv und mit allen Sinnen der Erforschung ihrer Umwelt zuwenden. Aufgabe der Erziehung ist es nun, das Kind in seinen Aktivitäten zu unterstützen, z. B. wenn es selbst laufen oder selbst essen will oder sich ein Spiel oder eine Tätigkeit aus seiner Umgebung auswählt. Dies geschieht vor allem indirekt, indem man Möglichkeiten schafft, wie das Kind seinen Tätigkeitsdrang erfüllen kann. Die Kinder machen dabei Erfahrungen mit angenehmen und unangenehmen Eigenschaften der Dinge, gewinnen räumliche Vorstellungen und erfahren Begrenzungen. Montessori betont den Zusammenhang zwischen der Bewegung und der Entwicklung von Bewusstsein und Intelligenz:

 

»Die Bewegung ist nicht nur Ausdruck des Ichs, sondern ein unerlässlicher Faktor für den Aufbau des Bewusstseins; bildet sie doch das einzige greifbare Mittel zur Herstellung klar bestimmter Beziehungen zwischen Ich und äußerer Realität. Die Bewegung ist somit ein wesentlicher Faktor beim Aufbau der Intelligenz, die zu ihrer Nahrung und Erhaltung der Eindrücke aus der Umwelt bedarf. Sogar die abstrakten Vorstellungen reifen ja aus den Kontakten mit der Wirklichkeit, und die Wirklichkeit kann nur durch Bewegung aufgenommen werden« (Montessori 2010b: 138).

 

Elementare Bewegungen – elementare Handlungen

Bei sehr kleinen Kindern steht die elementare Bewegung im Vordergrund. Für ein Kind z. B., das laufen gelernt hat, ist das Laufen an sich das Ziel. Es kann sich einen ganzen Nachmittag damit beschäftigen, vom Wohnzimmer durch den Garten zur Sandkiste hin- und herzulaufen – nicht weil es in der Sandkiste spielen will, sondern weil diese Strecke der äußere Anreiz für den inneren Impuls zu laufen ist....

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