Vorwort
Von der Idee, ein Buch zu schreiben – Meine ganz persönliche Neuromarketing-Geschichte
Dr. Benny B. Briesemeister
Der Grundstein für mein persönliches Interesse an Neuromarketing wurde – ohne dass mir dies damals bewusst gewesen wäre – wahrscheinlich im Spätsommer des Jahres 2009 gelegt. Zumindest behaupte ich das gerne.
Damals, ich arbeitete als Doktorand an der Freien Universität Berlin und entsprechend gehörten unbezahlte Überstunden zu meinem Alltag, kam ich erschöpft von einem langen Arbeitstag nach Hause, in eine kleine Zweizimmerwohnung nahe dem Botanischen Garten. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich am besagten Tag genau gemacht hatte – letzten Endes war es wahrscheinlich ein Feierabend wie jeder andere –, aber ich weiß noch, dass ich mich irgendwann auf die Couch im Wohnzimmer fallen ließ und den Fernseher einschaltete, um mich berieseln zu lassen.
Ein allabendliches Ritual.
Keine Ahnung, welches Programm lief oder auf welchem Kanal ich hängen blieb, aber ich erinnere mich daran, wie ich begann zu entspannen, wegzudämmern und die Welt um mich herum zu vergessen – nur um dann jäh aus den Träumen gerissen zu werden.
Mit einem Mal war ich hellwach. Mein Adrenalin pumpte, meine Aufmerksamkeit fokussierte sich auf die Mattscheibe gut zwei Meter vor mir. Das, was ich sah, packte mich, im wahrsten Sinne des Wortes.
Riesige, sanft vibrierende Lautsprecher.
Ein flaches Becken, gefüllt mit kleinen Metallmurmeln, die langsam im Rhythmus der Bässe zu hüpfen begannen.
Mittendrin ein junger Mann, die Arme ausgebreitet, den Ausdruck tiefster Zufriedenheit ins Gesicht geschrieben.
Ich war elektrisiert.
Das, genau das, was ich da sah, wollte ich auch! – ohne eigentlich zu wissen, was es war.
Ich bin schon immer ein Mensch gewesen, den Werbung fasziniert hat. Ich erinnere mich beispielsweise, wie ich als kleines Kind zum ersten Mal einen Werbespot für Werther’s Original gesehen habe und unbedingt dieses Bonbon probieren wollte. Am besten zusammen mit meinem Opa, so wie im Spot dargestellt.
Obwohl ich wusste, dass ich eigentlich gar kein Karamell mag.
Obwohl die Beziehung zu meinem Großvater gar nicht so eng war.
Ausgelöst durch diesen Spot war es für mich eine Zeitlang das Größte, Karamellbonbons zu lutschen. Ich bin also offensichtlich überaus empfänglich für gut gemachte Werbung.
Aber egal wie weit ich auch zurückdenke, ich kann mich an kein so starkes Verlangen nach dem beworbenen Produkt erinnern, wie es damals entfacht wurde, als ich zum ersten Mal die Werbung für 5Gum sah. Damals wollte ich 5Gum kaufen. Auch ohne zu wissen, dass es sich dabei eigentlich nur um einen Kaugummi handelt. Unbedingt.
Und wäre es an jenem Abend nicht schon so spät gewesen, wahrscheinlich wäre ich sofort aufgestanden und losgegangen.
Zum Leidwesen von Wrigleys bin ich es nicht.
Seit meinem ersten Kontakt mit der 5Gum-Werbung sind etwa sechs Jahre ins Land gegangen. Den Werbespot finde ich noch immer gut, auch wenn er seine Magie mittlerweile verloren hat. Kein Wunder, ich habe ihn bestimmt hundert Mal gesehen. Irgendwann gewöhnt man sich an alles.
Ich habe seit dem „Erstkontakt” in vielen Supermärkten an der Kasse gestanden und die charakteristische schwarz-grüne 5Gum-Verpackung gesehen, sie sogar schon in Händen gehalten, bereit, sie in den Warenkorb zu legen. Und doch: Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wie 5Gum schmeckt.
Ich habe noch nie einen 5Gum gekauft. Habe die Kaugummis stets zurück ins Regal gelegt.
Und vor etwa drei Jahren fragte ich mich das erste Mal: Warum eigentlich?
Was ist auf dem Weg von einem offensichtlich wirkungsvollen Werbespot zur Möglichkeit zum Produkterwerb am Point of Sale schiefgelaufen?
Es hat Jahre gedauert, bis ich eine Antwort auf diese Fragen gefunden habe. Heute möchte ich sie mit Ihnen teilen.
Auf der Suche nach Antworten
Die 5Gum-Geschichte ist kein Märchen, sondern so, wie ich sie aufgeschrieben habe, passiert. Vorausgesetzt meine Erinnerung spielt mir keinen Streich. Ich habe sie vielen Menschen erzählt, die mit Marketing und Werbung ihr Geld verdienen, und ich habe oft gefragt, warum ich ihrer Meinung nach noch nie einen 5Gum gekauft habe.
Keine der Antworten, die ich erhalten habe, konnte mich zufriedenstellen.
Dann kam das Jahr 2011, ein Wendepunkt in meinem Leben. Mein Vertrag als Dozent an der FU Berlin lief aus und ich erhielt das Angebot, einem neuen Forschungsprojekt beizutreten. Es trug den schönen Titel „Forschung für den Markt im Team” und verfolgte das Ziel herauszufinden, in welchen betriebswirtschaftlichen Feldern der sonst nur an Universitäten und in großen Kliniken praktizierte Einsatz neurowissenschaftlicher Methoden ökonomisch nutzbringend sein könnte. Die Forschungsschwerpunkte waren vielfältig, reichten von der neurowissenschaftlich gestützten pharmakologischen Forschung bis hin zur Entwicklung spezifischer Diagnosewerkzeuge für eng umgrenzte Störungsbilder.
Mich aber reizte ein anderes Feld: der Einsatz neurowissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse fürs Marketing und für die Marktforschung. Kurz: Neuromarketing.
Endlich, so glaubte ich, hatte ich eine Möglichkeit gefunden, meine Fragen in Bezug auf 5Gum zu beantworten. Oder den Antworten zumindest ein bisschen näher zu kommen.
Fast zwei Jahre lang studierte ich die Fachliteratur. Ich experimentierte mit verschiedenen Ansätzen und entwickelte eigene Methoden, um zu einem besseren Verständnis davon zu gelangen, warum Menschen das kaufen, was sie kaufen, und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Ich generierte erste Insights, wie man heute so schön sagt. Dann lief das Forschungsprojekt aus.
Und mit ihm unsere Förderung.
Angestachelt von den ersten Erfolgen konnten die Kollegen und ich das Thema Marktentwicklung jedoch nicht auf sich beruhen lassen. Deshalb gründeten wir 2012 das Center for Applied Neuroscience an der FU Berlin, um unsere Arbeit strukturiert weiterführen zu können. Das CAN, wie wir es nennen, ist platziert an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, konzipiert als eine Keimzelle für universitäre Start-ups und Anlaufpunkt für Unternehmen, die sich für innovative Forschung mit wirtschaftlicher Verwertbarkeit interessieren. Drei Unternehmen sind bislang aus dem CAN hervorgegangen. Mir wurde die Leitung des Themenfelds Neuromarketing übertragen und es dauerte nicht lange, bis ich, endlich, die Gelegenheit hatte, den Elfenbeinturm Wissenschaft zu verlassen und meine Arbeiten an konkreten Problemen aus der Praxis zu validieren.
Was soll ich sagen? Es funktionierte erstaunlich gut. Wir konnten echtes Verhalten von Konsumenten am Markt vorhersagen. Besser als traditionelle Befragungsmethoden. Besser als Fokusgruppen und Expertenmeinungen.
Ich begann endlich zu verstehen, warum ich wohl nie auch nur einen Cent für einen 5Gum ausgeben werde, und dass dieses Wissen – hervorgegangen aus der Erforschung der Funktionsweise des menschlichen Gehirns – zu wertvoll ist, um in einer Fachzeitschrift veröffentlicht zu werden und dann in Vergessenheit zu geraten.
Ich, der ich den Großteil meines beruflichen Lebens als Wissenschaftler verbracht hatte, entdeckte ein zweites Herz in meiner Brust. Das Herz des Unternehmers.
Zwischenstopp: Praxis
Wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich der Universität seit mehr als einem Jahr den Rücken gekehrt und mich auf eigene Füße gestellt. Zwar scheue ich mich davor zu sagen, ich sei „in der Praxis angekommen” – dafür habe ich zu wenig Einblick in meinen weiteren Lebensweg und zu viel Respekt vor jenen Menschen, die mit Leib und Seele Unternehmer sind. Ich gehöre meiner Meinung nach (noch?) nicht dazu. Aber: Ich wage zu behaupten, dass mir der Spagat zwischen wissenschaftlich-pedantischer Neugier und unternehmerischem Pragmatismus immer besser gelingt.
Die vergangenen Monate haben mir einen tiefen Einblick in die Marketingpraxis gewährt, den ich aus dem Elfenbeinturm Wissenschaft heraus nie hätte bekommen können. Ich habe Menschen kennen gelernt, die mit Begeisterung ein eigenes Start-up gegründet haben, fest davon überzeugt, dass die Welt nur auf sie gewartet hat. Ich habe Manager getroffen, auf deren Schultern die Verantwortung für weltweit aktive Konzerne liegt, deren Entscheidungen (mit)bestimmen, ob Tausende Angestellter am Ende des Tages beruhigt schlafen gehen können oder sich um ihre berufliche Zukunft sorgen müssen.
Und sie alle beschäftigen sich, ob es ihnen bewusst ist oder nicht, mit einer simplen Frage:
Wie schafft man einen geldwerten Mehrwert für Kunden?
Ich habe mittlerweile meine Antwort auf diese Frage gefunden. Sie ist sehr einfach und doch hochkomplex. Auf den Kern reduziert lässt sie sich in drei Schritten darstellen:
Verstehe, wie das menschliche Gehirn arbeitet. Dann weißt du, welche Möglichkeiten sich dir bieten, potenzielle Kunden zu identifizieren und zu erreichen.
Das Gehirn ist der Schlüssel zum Algorithmus des Handels.
Finde heraus, in welchem Zustand dir deine Kunden begegnen. Welche Bedürfnisse haben sie, welche sind bereits befriedigt?
So identifizierst du die entscheidenden Variablen, die einen Wert schöpfen können.
Konstruiere dein Unternehmen so, dass alles zusammenkommt: der Kunde, der dazu neigt, ein bestimmtes Bedürfnis zu haben, das Marketing, das dieses Bedürfnis anspricht, verstärkt, vielleicht sogar weckt, und das Produkt, das es befriedigt.
Nur wenn diese drei Faktoren zeitgleich zusammenkommen, entsteht im Hirn des Konsumenten die...