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Die Paten des Internets

Zalando, Jamba, Groupon - wie die Samwer-Brüder das größte Internet-Imperium der Welt aufbauen

AutorJoel Kaczmarek
VerlagFinanzBuch Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783862483532
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Sie sind smart. Sie sind intelligent. Sie sind Multimillionäre und absolut skrupellos. Oliver, Marc und Alexander Samwer. Die erfolgreichsten Internetunternehmer Deutschlands. Mit dem eBay-Klon Alando, den sie für 43 Millionen US-Dollar verkauften, und dem Klingeltonanbieter Jamba, der für 273 Millionen Dollar den Besitzer wechselte, legten die Samwers den Grundstein für ihr Imperium. Es umfasst mittlerweile einige der größten Shopping-Websites in Afrika, Lateinamerika, Indien, Russland und Südostasien mit rund 27.000 Mitarbeitern in knapp 50 Ländern. In Europa lehrt der Online-Versandhändler Zalando den stationären Handel das Fürchten und schmiedet Börsenpläne. Doch was ist das Geheimnis der Samwers? Wer ist dieses Trio, das mit seiner Firma Rocket Internet Millionen verdient, an die Börse strebt und wie am Fließband neue Start-ups produziert? Joël Kaczmarek beobachtet die Samwers seit Jahren und hat mit ihnen und vielen ihrer Vertrauten gesprochen. Mit diesem Buch legt er die erste Biografie der Samwer-Brüder vor.

Joel Kaczmarek war von 2009 bis Mai 2013 Chefredakteur des Onlinemagazins Gründerszene. Seither fungiert er als Herausgeber. Gruenderszene.de ist mit 1,8 Millionen Seitenaufrufen im Monat und über 53 000 Fans bei Facebook und Twitter das mit Abstand wichtigste deutsche Portal im Bereich Internet und Entrepreneurship. Kaczmarek hat einen Master of Arts in Europäischer Medienwissenschaft und studierte Design Thinking an der School of Design Thinking des Hasso Plattner Instituts.

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Leseprobe

1. Alles dreht sich um die Familie


Glaubt man Oliver Samwer, begleitete der Traum vom Unternehmertum ihn und seine Brüder bereits seit der frühen Kindheit. Im Alter von acht Jahren bereits begann der 1973 geborene Kölner seinen Vater jeden Samstag in dessen Anwaltskanzlei zu begleiten, um ihn beim Öffnen der Geschäftspost zu unterstützen. Hautnah sollten der heranwachsende Junge, sein drei Jahre älterer Bruder Marc und der zwei Jahre jüngere Alexander so erfahren, was es bedeutete, selbstständig zu sein. Im Kleinformat vermittelte der freiberufliche Vater den Brüdern die Hochs und Tiefs des Unternehmertums, ließ sie gute und schlechte Zeiten mitbekommen. Regelmäßig sollte Vater Samwer das Handelsblatt mit nach Hause bringen und in seinen Söhnen eher das Interesse für Börsenkurse und die Liste der 100 größten Unternehmen der Welt wecken, denn für Mickey Maus oder Kindergeschichten.1

Darauf angesprochen, beschreibt Oliver Samwer seinen Vater als »einen sehr schlauen Mann mit vielen deutschen Tugenden, der stets viel in seinem Leben gearbeitet hat und Herr einer kleinen Anwaltsfirma« sei. In Wirklichkeit handelt es sich bei Vater Sigmar-Jürgen Samwer um niemand Geringeren als einen der bekanntesten Rechtsanwälte Kölns. Ein Presse- und Wettbewerbsrechtler, der Ansehen erlangte, nachdem er Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat oder den späteren Bundespräsidenten Karl Carstens gegen Anschuldigungen im Guillaume-Untersuchungsausschuss verteidigte.2 Beruflich zählt Sigmar-Jürgen Samwer damit zu den wohl erfolgreichsten Vertretern seines Fachs. Der strebsame Familienvater mit bissigem Humor und hoher Intelligenz erzog den eigenen Nachwuchs mit strenger Hand und ausgemachtem Elitedenken konservativer Färbung. Er war es daher wohl auch, der seinen Söhnen jenen Drang nach Wettbewerb, den unbedingten Wunsch zu gewinnen, mit auf den Weg gab – eine Eigenheit, die insbesondere Oliver Samwer in einzigartiger Weise ausmacht. Glaubt man einem Freund der Familie, könnte das Streben nach der Liebe des eigenen Vaters, zumindest den Mittleren der Samwer-Brüder zu seinem unbedingten Siegeswillen angestachelt haben, soll Oliver Samwer demnach in der Jugend wohl oft Ablehnung erfahren haben, während zu Hause das strenge Leistungsregime des eigenen Vaters auf ihn wartete.

Vollständig erklären mag aber selbst die strenge Erziehung von Vater Sigmar-Jürgen den Erfolgshunger der drei Samwer-Brüder nicht, zumal der jüngste Bruder Alexander im Vergleich zu seinem überzogen bissigen Geschwisterkind Oliver ohnehin eher in sich ruhend und gelassen wirkt. Vor allem ist da ja noch Sabine Samwer, eine überfürsorgliche Mutter, die wie Vater Sigmar-Jürgen ebenfalls dem Anwaltsberuf nachging und ihre Söhne umsorgte, wie man es sich von einer Mutter eben vorstellt: Mit ihrer herzlichen und sehr bodenständigen Art sollte sie ihren Söhnen morgens regelmäßig Brote schmieren und ihnen Äpfel zu essen geben. Selbst im Erwachsenenalter soll sie ihren Sohn Oliver noch gemahnt haben, während der gemeinsam verbrachten Urlaube nicht von einem kleinen Felsen ins Wasser zu springen. Die Mitgründer des ersten Unternehmens der Samwers bat sie bei einem Besuch einmal darum, doch bitte darauf zu achten, dass ihre Söhne auch stets genug Joghurt äßen, ihnen von ihrer Bitte aber nach Möglichkeit nichts zu erzählen. Ein behütetes Familienidyll also, das sich schwer ausmalen lässt, hat man den oft gefühllosen, gern einmal cholerischen Oliver Samwer vor Augen, der sich selbst einmal als »aggressivster Mensch im Internetbereich« bezeichnet hat.

Dennoch sollte auch Mutter Sabine Samwer ihren Kindern jenes starke Elitedenken vermitteln, auf das ihr Mann Sigmar-Jürgen so viel Wert legte. Das Elternpaar hielt sich für etwas Besonderes und wiederum war es der mittlere Bruder Oliver, der diese Einstellung in besonderer Weise übernahm. Stets war er auf besten Umgang bedacht. So ging er zu Studienzeiten erst eine ­Liaison mit einer Französin ein, deren Vater im Führungsstab von Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac arbeitete und kam dann mit Valeria Loewe zusammen, deren Familie das traditionsreiche spanische Modeunternehmen Loewe S. A. betrieb. Es sollte Oliver Samwer stets antreiben, zu den »oberen Zehntausend« zu gehören, wobei ihm eben wichtig war, nicht nur der Beste zu sein und das Beste zu haben, sondern auch mit den Besten zu verkehren. In der Öffentlichkeit und gegenüber den Weggefährten der Samwers gab sich der mittlere Bruder gerne cool, locker und jungdynamisch, als Unternehmerpersönlichkeit, die sparsam lebte und auf teure Dinge nichts gab. Immerhin vertrug sich diese Attitüde besser mit dem Leistungsdiktat, das er vielen jungen Menschen vorlebte und die er gerne auch schon mal dazu animierte, wie Braveheart »im Dreck zu leben«.3 In Wirklichkeit war an seinem Lebensstil aber nichts mehr bescheiden, nachdem er sich erst einmal einen gewissen Wohlstand erarbeitet hatte.

Oliver Samwer selbst beschreibt seine Eltern als weder zu konservativ noch zu laisser-faire in ihrer Einstellung. Konservativ trifft es jedoch. Denn ­tatsächlich wachsen er und seine Brüder im Kölner Villenviertel Marienburg auf. In der Lindenallee, Kölns bester Straße, steht das Haus, vor das die Familie ­einen Fahnenmast gebaut hat und an dem sich der Elitedünkel der Samwers wohl am anschaulichsten ablesen lässt. In den 1970ern hatte die Nachbarschaft Polizeischutz aus Angst vor RAF-Entführungen – immerhin waren die unmittelbar angrenzenden Häuser mit Familie Gerling und Freiherr von Oppenheim ja auch potent bestückt. Zum gesetzten Umfeld der Familie gehörte auch, dass die Samwer-Brüder zu Kirchgängern erzogen wurden, weil es wohl zu einer konservativen Erziehung gehörte, weniger aus Überzeugung. Gerade einem Oliver Samwer waren solche Dinge wie Kirche und außerfamiliäre Gemeinschaft egal.

Als Kinder aus gutem Hause dürften er und seine Brüder es ohnehin oft genug schwer gehabt haben, sagen Nahestehende dem Unternehmer doch nach, dass er in seiner Jugend anscheinend keine guten Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht hat. Zum Schulaustausch etwa besuchte Oliver Samwer eine Privatschule in England, die ihren Schülern das Tragen eines Strohhutes auftrug. Trug Oliver Samwer im kleinen Dorf seinen Hut nicht, gab es Ärger mit den Lehrern, trug er ihn doch, gab es Prügel von der Dorfjugend. Ein wenig mochte das Elitedenken aber bereits dem Familienstammbaum der Samwers entspringen. Karl Friedrich Lucian Samwer, der Urgroßvater der Brüder Alexander, Marc und Oliver, war als Ehrenbürger von Gotha ausgezeichnet worden, nachdem er neben seinem Engagement als Armenpfleger die Gothaer Versicherungsbank durch die Kriegswirren geführt und die Gothaer Versicherung gegründet hatte.4 Auch Karl Samwers sieben Kinder bekleideten Gelehrtenämter, waren Bankiers oder hohe Mitglieder der preußischen Militärhierarchie, doch seinen elitären Ursprung nahm die Geschichte der Samwers noch früher. Durch einen Zufall sollte sich die adlige Abstammung der Samwers herausstellen, als Karl Samwers Vater Carl August 1813 die älteste Tochter des Adeligen Simon Carl von Wasmer heiraten wollte. Denn Wasmer offenbarte ihm, dass er im Begriff war, seine Halbschwester zu ehelichen, war Carl August Samwer doch sein außerehelicher Sohn. Um die Verwandtschaft zu verschleiern, war anscheinend der Nachname des Adeligen aus Schleswig-Holstein von »Wasmer« zu »Samwer« umgestellt geworden und Carl August Samwer war damit der erste Samwer, von dem alle Samwers – vielleicht insgesamt ein paar Hundert – abstammen.5

In den Genen der Samwer-Brüder war also ein gewisses Erfolgs- und Gründer-Gen bereits vorhanden. Während andere Kinder Lokomotivführer oder Pilot werden wollten, war ihr Berufswunsch der des Unternehmers. Und wären sie nicht Internetunternehmer geworden, hätte es ein anderes Betätigungsfeld sein können. Sie träumten davon, Lastwagenflotten und Schiffe mit ihrem Familiennamen zu versehen, vom Unternehmertum im großen Stil.6 Zuwider war ihnen hingegen die Vorstellung, zehn Jahre demselben Beruf nachzugehen, um schließlich zum Chef aufzusteigen – ein Berufsweg, den sie als »Lernkurve mit dem grauen Haar« bezeichneten. Es sollte Jahre später das Internet sein, das ihnen den Quereinstieg und die erwünschte steile Lernkurve bot, mit Unternehmern wie den Netscape-Gründern Marc Andreesen und Jim Clarke als Inspiration. Der Anfang des Samwer-Imperium lag jedoch viel früher: Obwohl alle drei Brüder ganz eigene Lebenswege beschreiten sollten, schlossen sie während eines Segeltörns am Vierwaldstätter See an Bord des elterlichen Schiffes einen Pakt: Sie wollten gemeinsam ein Unternehmen gründen – da waren die Samwers gerade 12, 14 und 16 Jahre alt.7

Am notwendigen Fleiß und einer ausgeprägten Intelligenz fehlte es den Dreien dazu jedenfalls nicht. In der Schule galten sie als Überflieger, sie traten trotz ihrer herausragenden Leistungen bescheiden auf, und ausgerechnet Oliver Samwer, der später als Kopierer fremder Geschäftsideen in die Kritik geriet, fiel nicht nur durch seinen Wissensdurst, sondern vor allem durch seine Abneigung gegen Abschreiber auf, die er nicht an »seinen brillanten Gedanken teilhaben lassen« wollte.8 Gemeinsam besuchte das Trio das renommierte Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln und verbrachte die gemeinsame Freizeit im Marienburger Sportclub, wo den eng verbundenen Brüdern die Bedeutung von sportlicher Rivalität, Wettbewerb und ein ausgeprägter Siegeswille nahegebracht wurde. Hockey und Tennis gehörten angeblich zu den favorisierten Sportarten der drei. Auch im Winterurlaub in...

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