II. Die Berufsethik des asketischen Protestantismus.
Inhalt: 1. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese S. 84. – 2. Askese und kapitalistischer Geist S. 163.
1. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese
Die geschichtlichen Träger des asketischen Protestantismus (im hier gebrauchten Sinn des Ausdrucks) sind in der Hauptsache viererlei: 1. der Calvinismus in der Gestalt, welche er in den westeuropäischen Hauptgebieten seiner Herrschaft im Lauf insbesondere des 17. Jahrhunderts annahm; 2. der Pietismus; 3. der Methodismus; 4. die aus der täuferischen Bewegung hervorgewachsenen Sekten86. Keine dieser Bewegungen stand der anderen absolut gesondert gegenüber und auch die Absonderung von den nicht asketischen Reformationskirchen ist keine streng durchgeführte. Der Methodismus ist erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts innerhalb der englischen Staatskirche entstanden, wollte nach der Absicht seiner Begründer nicht sowohl eine neue Kirche, als eine Neuerweckung des asketischen Geistes innerhalb der alten sein, und wurde erst im Lauf seiner Entwicklung, insbesondere beim Uebergreifen nach Amerika, von der anglikanischen Kirche getrennt. Der Pietismus ist auf dem Boden des Calvinismus in England und besonders Holland zuerst erwachsen, blieb durch ganz unmerkliche Uebergänge mit der Orthodoxie verknüpft, und vollzog dann gegen Ende des 17. Jahrhunderts in der Wirksamkeit Speners seinen Eintritt in das Luthertum, teilweise dogmatisch umfundamentiert. Er blieb eine Bewegung innerhalb der Kirche und nur die an Zinzendorf anknüpfende durch Nachklänge hussitischer und calvinistischer Einflüsse in der mährischen Brüdergemeinde mitbestimmte Richtung (»Herrnhuter«) wurde, wie der Methodismus, gegen ihren Willen zu einer eigentümlichen Art von Sektenbildung gedrängt. Calvinismus und Täufertum standen im Anfang ihrer Entwicklung sich schroff getrennt gegenüber, aber im Baptismus des späteren 17. Jahrhunderts berührten sie einander dicht, und schon in den indepedentischen Sekten Englands und Hollands zu Anfang desselben war der Uebergang ein stufenweiser. Wie der Pietismus zeigt, ist auch der Uebergang zum Luthertum ein allmählicher, und ebenso steht es zwischen dem Calvinismus und der in ihrem äußeren Charakter und dem Geist ihrer konsequentesten Bekenner dem Katholizismus verwandten anglikanischen Kirche. Jene asketische Bewegung, welche im weitesten Sinn dieses vieldeutigen Wortes als »Puritanismus« bezeichnet wurde87, griff zwar in der Masse ihrer Anhänger und namentlich in ihren konsequenten Verfechtern die Grundlagen des Anglikanismus an, aber auch hier verschärften sich die Gegensätze erst allmählich im Kampf. Und auch wenn wir die hier zunächst nicht interessierenden Fragen der Verfassung und Organisation vorerst gänzlich beiseite lassen – ja dann erst recht – bleibt der Sachverhalt der gleiche. Die dogmatischen Differenzen, selbst die wichtigsten, wie die über die Prädestinations- und Rechtfertigungslehre, gingen in den mannigfaltigsten Kombinationen ineinander über und hinderten schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Aufrechterhaltung kirchlicher Gemeinschaft zwar regelmäßig, aber doch nicht ausnahmslos. Und vor allem: die für uns wichtigen Erscheinungen der sittlichen Lebensführung finden sich bei den Anhängern der verschiedensten, aus einer der oben verzeichneten vier Quellen oder einer Kombination mehrerer von ihnen hervorgegangenen Denominationen in gleichartiger Weise. Wir werden sehen, daß ähnliche ethische Maximen mit verschiedenen dogmatischen Unterlagen verknüpft sein konnten. Auch die für den Betrieb der Seelsorge bestimmten einflußreichen literarischen Hilfsmittel, vor allem die casuistischen Kompendien der verschiedenen Konfessionen, beeinflußten sich im Lauf der Zeit gegenseitig, und man findet in ihnen große Aehnlichkeiten trotz notorisch sehr verschiedener Praxis der Lebensführung. Es könnte also fast scheinen, als täten wir am besten, die dogmatischen Unterlagen ebenso wie die ethische Theorie ganz zu ignorieren und uns rein an die sittliche Praxis zu halten, soweit sie feststellbar ist. – Allein dem ist eben dennoch nicht so. Die untereinander verschiedenen dogmatischen Wurzeln der asketischen Sittlichkeit starben freilich, nach fürchterlichen Kämpfen, ab. Aber die ursprüngliche Verankerung an jenen Dogmen hat nicht nur in der »undogmatischen« späteren Ethik mächtige Spuren hinterlassen, sondern nur die Kenntnis des ursprünglichen Gedankengehalts lehrt verstehen, wie jene Sittlichkeit mit dem die innerlichsten Menschen jener Zeit absolut beherrschenden Gedanken an das Jenseits verknüpft war, ohne dessen alles überragende Macht damals keinerlei die Lebenspraxis ernstlich beeinflussende sittliche Erneuerung ins Werk gesetzt worden ist. Denn selbstverständlich nicht auf das, was etwa in ethischen Kompendien der Zeit theoretisch und offiziell gelehrt wurde, – so gewiß auch dies durch den Einfluß von Kirchenzucht, Seelsorge und Predigt praktische Bedeutung hatte, – kommt es für uns an88, sondern auf etwas ganz anderes: auf die Ermittelung derjenigen durch den religiösen Glauben und die Praxis des religiösen Lebens geschaffenen psychologischen Antriebe, welche der Lebensführung die Richtung wiesen und das Individuum in ihr festhielten. Diese Antriebe aber entsprangen nun einmal in hohem Maß auch der Eigenart der religiösen Glaubensvorstellungen. Der damalige Mensch grübelte über scheinbar abstrakte Dogmen in einem Maße, welches seinerseits wieder nur verständlich wird, wenn wir deren Zusammenhang mit praktisch-religiösen Interessen durchschauen. Der Weg durch einige dogmatische Betrachtungen89, welcher dem nicht theologischen Leser ebenso mühsam wie dem theologisch Gebildeten hastig und oberflächlich erscheinen muß, ist unvermeidlich. Dabei können wir freilich nur so verfahren, daß wir die religiösen Gedanken in einer »idealtypisch« kompilierten Konsequenz vorführen, wie sie in der historischen Realität nur selten anzutreffen war. Denn gerade wegen der Unmöglichkeit, in der historischen Wirklichkeit scharfe Grenzen zu ziehen, können wir nur bei Untersuchung ihrer konsequentesten Formen hoffen, auf ihre spezifischen Wirkungen zu stoßen. –
Der Glaube90 nun, um welchen in den kapitalistisch höchst entwickelten Kulturländern: den Niederlanden, England, Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert die großen politischen und Kulturkämpfe geführt worden sind und dem wir uns deshalb zuerst zuwenden, war der Calvinismus91. Als sein am meisten charakteristisches Dogma galt damals und gilt im allgemeinen auch heute die Lehre von der Gnadenwahl. Man hat zwar darüber gestritten, ob sie »das wesentlichste« Dogma der reformierten Kirche oder ein »Anhängsel« sei. Urteile über die Wesentlichkeit einer historischen Erscheinung sind nun aber entweder Wert-und Glaubensurteile – dann nämlich, wenn das an ihr allein »Interessierende« oder allein dauernd »Wertvolle« damit gemeint ist. Oder es ist das wegen seines Einflusses auf andere historische Hergänge kausal Bedeutsame gemeint: dann handelt es sich um historische Zurechnungsurteile. Geht man nun, wie dies hier zu geschehen hat, von diesem letzteren Gesichtspunkt aus und fragt also nach der Bedeutung, welche jenem Dogma nach seinen kulturgeschichtlichen Wirkungen zuzumessen ist, so müssen diese sicherlich hoch angeschlagen werden92. Der Kulturkampf, den Oldenbarneveldt führte, zerschellte an ihm, die Spaltung in der englischen Kirche wurde unter Jakob I. unüberbrückbar, seit Krone und Puritanismus auch dogmatisch – eben über diese Lehre – differierten, und überhaupt wurde sie in erster Linie als das Staatsgefährliche am Calvinismus aufgefaßt und obrigkeitlich bekämpft93. Die großen Synoden des 17. Jahrhunderts, vor allem Dordrecht und Westminster, daneben zahlreiche kleinere, stellten ihre Erhebung zu kanonischer Gültigkeit in den Mittelpunkt ihrer Arbeit; unzähligen der Helden der »ecclesia militans« hat sie als fester Halt gedient und im 18. ebenso wie im 19. Jahrhundert hat sie Kirchenspaltungen hervorgerufen und bei großen Neuerweckungen das Schlachtgeschrei abgegeben. Wir können an ihr nicht vorbeigehen und lernen zunächst ihren Inhalt, – da er heute nicht mehr als jedem Gebildeten bekannt gelten darf, – authentisch aus den Sätzen der »Westminster confession« von 1647 kennen, welche in diesem Punkt sowohl von independentischen als von baptistischen Glaubensbekenntnissen einfach wiederholt worden ist94:
Kapitel 9. (Vom freien Willen.) Nr. 3: Der Mensch hat durch seinen Fall in den Stand der Sünde gänzlich alle Fähigkeit seines Willens zu irgend etwas geistlich Gutem und die Seligkeit mit sich Führendem verloren, so sehr, daß ein natürlicher Mensch, als gänzlich abgewandt vom Guten und tot in Sünde, nicht fähig ist sich zu bekehren oder sich auch nur dafür vorzubereiten.
Kapitel 3. (Von Gottes ewigem Ratschluß.) Nr. 3: Gott hat zur Offenbarung seiner Herrlichkeit durch seinen Beschluß einige Menschen..... bestimmt (predestinated) zu ewigem Leben und andere verordnet (foreordained) zu ewigem Tode. Nr. 5: Diejenigen aus dem Menschengeschlecht, welche...