Um einen etwas breiteren Überblick der gegenwärtigen Situation im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit[101] zu ermöglichen, werde ich im Folgenden in einer kurzen Zusammenschau verschiedene Konzepte von Veranstaltern für Besinnungstage, Tage religiöser Orientierung und Tage der Orientierung hinsichtlich dieser Frage gegenüberstellen.
In Anbetracht einer grundsätzlich anderen Ausgangssituation im Hinblick auf die religiöse Sozialisierung der Zielgruppe für TdO im Osten Deutschlands[103] erklärt sich auch die äußerst zurückhaltende Formulierung der Ziele mit religiösem Inhalt in diesem Konzept:
„[...] kommen [junge Menschen] mit christlich motivierter Jugendarbeit in kirchlicher Trägerschaft in Berührung. Auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes werden Fragen thematisiert, welche Jugendliche beschäftigen. [...] Die Teilnehmer erleben ein Angebot, bei welchem ein Interesse an weiteren Angeboten der christlichen Jugendpastoral geweckt werden kann.“[104]
Bei der Beschreibung des inhaltlichen und methodischen Rahmens sind auch „Meditative Zeiten der Stille und der Besinnung“[105] genannt. Die religiöse Dimension in der Grundlegung dieser Veranstaltung beschränkt sich demnach – im Blick auf die Zielgruppe sinnvollerweise – auf ein „In Kontakt bringen“ und eventuell Interesse wecken einerseits und Erleben von Spiritualität mit nicht zwingend christlichen Inhalten andererseits.
Im Konzept des Schülerinnen- und Schülerreferats Regensburg sind diese Ziele mit religiösem Hintergrund formuliert:
„´Tage der Orientierung´ wollen Raum bieten: [...]
- für religiöse und kirchliche Erfahrungen
- durch Gespräch, Diskussion, Meditation und liturgische Feier
- durch die Begegnung mit ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter/-innen [...]
Wir Christen sind überzeugt: Leben gelingt in der Begegnung zu Gott, zu den Mitmenschen, zur Schöpfung und zu sich selbst. Durch Jesus Christus ist uns gezeigt, wie so ein Mensch-Sein im Sinne Gottes aussieht.“
Neben der Betonung des personalen Angebots und dem Bekenntnis zum christlichen Men-schenbild als eine Grundlage ihrer Arbeit finde ich hier bemerkenswert, dass die gemein-same liturgische Feier als fester Bestandteil der TdO im Konzept verankert ist. Zwar sind die SchülerInnen an bayerischen Schulen damit vertraut, dass gemeinsame Gottesdienste zum Schulleben dazugehören (beispielsweise zu Beginn und am Ende jedes Schuljahres), dennoch sollten wir wachsam sein hinsichtlich der Frage, ob verpflichtende kirchliche Inhalte nicht manchmal auch geeignet sind, vorhandene Ressentiments noch zu verstärken.
Auch im Ablaufplan für Besinnungstage mit dem SchülerInnenreferat Würzburg ist ein Gottesdienst als verbindliches Element vorgesehen. Ebenso klar bekennen die Verfasser dieses Faltblattes, dass die gemeinsame Zeit auch zum „meditieren [und] beten“[108] genutzt werden kann. Etwas kryptischer und für die SchülerInnen, die mit diesem Blatt angesprochen sind, unter Umständen nur teilweise verständlich ist die Antwort auf die Frage formuliert, die sich auch diese Arbeit stellt:
„Besinnung – und was hat das mit Religion zu tun?
Jesus war kein Einsiedler. Er teilte sein Leben mit Menschen. Viele fühlten sich bei ihm verstanden und angenommen. Sie konnten in ihrem Leben wieder einen Sinn entdecken. Jesu Art zu leben hilft, mit mir selber, mit anderen und dieser Welt gut und verantwortlich umzugehen.“[109]
Wir können diesen Absatz vielleicht so verstehen, dass es etwas mit der christlichen Religion zu tun hat, Zeit miteinander zu verbringen, einander zu verstehen und anzunehmen, weil Jesus eben das mit den Menschen getan und ihnen so einen Sinn gegeben hat. Eine solche Sichtweise würde uns sogar von der Pflicht explizit religiöser Inhalte entbinden, weil wir uns allein in der Annahme und im Verständnis für den Nächsten in der Tradition Christi wissen dürften. Vielleicht wäre eine solche Sichtweise eine erste befreiende Spur auf der Suche nach der religiösen Dimension von TdO?
Eine Erklärung zur religiösen Seite von TdO ist in diesem Faltblatt ebenso wenig zu finden wie ein Hinweis auf einen geplanten Gottesdienst. Bemerkenswert erscheint mir auch, dass in den vorgeschlagenen Themenkreisen „Selbstbild-Fremdeinschätzung“, „Freundschaft, Liebe und Sexualität“, „Lebensstil - Lebenssinn“ und „Klassengemeinschaft“[111] alle Themen, die Glaube, Kirche und Religion betreffen, höchstens im Bereich Lebenssinn zu verorten wären, also nicht explizit aufgeführt und angeboten sind. Tatsächlich findet sich der einzige Hinweis auf eine spirituelle Dimension bei der Beschreibung der eingesetzten Methoden:
„Dazu gehören neben Gesprächsrunden in Kleingruppen und der Klasse kreative und besinnliche Elemente, ebenso Übungen aus der Erlebnispädagogik und der Gruppenpädagogik.“[112]
Wir können festhalten, dass dieses Faltblatt, welches mit dem Untertitel Basics überschrieben ist, die Realität von TdO zwar gut erfasst, dennoch aber die Frage offen lässt, was denn nun eigentlich die Kirche dazu prädestiniert, diese Art von Seminar anzubieten.
Dieses Konzept, das sich schon durch den Zusatz pfarreibezogen deutlich von den TdO, wie sie in dieser Arbeit Thema sind, unterscheidet und mit HauptschülerInnen auch eine andere Zielgruppe anspricht, bringt die Nähe zur Kirche und zur Pfarrei in zahlreichen Punkten zum Ausdruck, welche ich aber wegen der inhaltlichen wie organisatorischen Verschiedenheit der Angebote nicht im Einzelnen aufführe. Ich möchte dennoch zwei ganz wesentliche und aktuelle Absätze aus dieser schon älteren Konzeption zitieren, die für die Beantwortung der Frage nach der Religiosität von TdO bedeutsam sein können:
„Wenn die Kirche ihre Aufgabe als Dienst an den Menschen begreift, richtet sie sich nach den tatsächlich vorgefundenen Bedingungen. [...] Im Bewußtsein vieler Jugendlicher bezieht sich Christsein auf Beten, Gottesdienst, Kirche und Religionsunterricht, die oft nicht als Gemeinschaftsform erfahren werden. Gerade durch die Gemeinschaft bei den Besinnungstagen kann erfahren werden, dass Christsein sich im Miteinander verwirklicht.“[114]
Ganz ähnlich, wie es weiter oben schon angedeutet ist, fordert uns dieser Absatz dazu auf, christlichen Glauben unter Akzeptanz der gegebenen Bedingungen anhand der Gemeinschaft erfahrbar zu machen. Auf die heutige Realität bezogen beinhaltet aber auch diese Aufforderung keine Verpflichtung zu Riten, welche der Lebenswelt der SchülerInnen vielleicht gänzlich fremd sind, sondern spornt vielmehr zu Akzeptanz und Verständnis jedes/jeder Einzelnen und seiner/ihrer individuellen Zugangsweise auch zu religiösen Themen an.
Nach ihrem Konzept und der ebenfalls aus Würzburg stammenden Arbeitshilfe Praxis. Tage der Orientierung mit dem Schülerforum Würzburg[116] zu urteilen, sind die vom Schülerforum Würzburg veranstalteten Seminare denjenigen in München außerordentlich ähnlich hinsichtlich Arbeitsprinzipien, Methoden und Organisationsform, obwohl sie eher Haupt- und Realschulen zur Zielgruppe haben. Innerhalb ihres Konzeptes finden wir nur sehr wenig Information über einen Zusammenhang mit Glaube oder Religion. Lediglich die innerkirchliche Legitimation für diese Form von TdO wird dadurch begründet, dass sie gemäß des Synodenbeschlusses von 1975 „Dienst der Kirche an der Jugend überhaupt und an der Jugend der Kirche“[117] seien.
Ein wertvoller Hinweis auf die christlich-religiöse Basis von TdO in dieser Form wird aus dem Vorwort zu diesem Konzept deutlich:
„In den vergangenen Jahren haben sich ‚Tage der Orientierung´ in ihrer Ausgestaltung stark verändert. Wir führen das u.a. auch auf einen Wandel in der religiösen Sozialisation Jugendlicher zurück. Auf ‚Tagen der Orientierung´ findet dies Ausdruck darin, daß traditionelle religiöse Ausdrucksformen wie Gottesdienste oder Gebete selten ausdrücklich angefragt werden.
Daher vermitteln wir christliche Werte wie...