|9|Kapitel 1
Lust auf eine Ressourcen-Expedition?
Einleitung
|10|Wir werben in diesem Buch für eine ressourcenorientierte Psychotherapie! Wir wollen Sie, liebe Kollegin und lieber Kollege, dafür gewinnen, in Ihre psychotherapeutische Arbeit eine bewusste und systematische Ressourcenaktivierung aufzunehmen und damit das Wohlbefinden ihrer Patienten zu stärken. V.a. als erfahrene Psychotherapeuten beachten Sie sicherlich Kraftquellen, Stärken, Erfolge und das Potenzial Ihrer Patienten. Sie werden sich hoffentlich bei der Lektüre dieser Anleitung zur Ressourcenaktivierung in der psychotherapeutischen Praxis bestätigt fühlen! Vielleicht begegnet Ihnen die ein oder andere Intervention, die Sie selbst so oder in abgewandelter Form schon ausprobiert haben. Oder Sie stellen fest, dass Sie persönlich in Ihrem privaten Leben und in Ihrer Arbeit eine ressourcenorientierte Haltung einnehmen: Sie erkennen beispielsweise in jedem Menschen Ressourcen – auch in all Ihren Patienten. Sie beherrschen die störungsbezogene Behandlung routiniert und haben eine positive Einstellung zur Bedeutung der Ressourcen Ihrer Patienten. Was können wir Ihnen mit unserem Buch also noch Gutes tun? Bitte jetzt nicht gleich das Buch weglegen – Sie sind genau unsere Zielgruppe!
Wir fangen bei uns selbst an. Im Zuge der ermutigenden Erkenntnisse der letzten 15 Jahre aus Studien zur Bedeutung von Patientenressourcen für den Therapieerfolg untersuchten wir alkoholabhängige und psychosomatisch erkrankte Patienten, die 2003 in einer stationären Rehabilitationsklinik behandelt wurden, hinsichtlich ihrer Ressourcen. Wir verwendeten dazu das veränderungssensitive Berner Ressourceninventar von Trösken (2002), welches eine Vielzahl von gesundheitspsychologisch relevanten Ressourcen in Form von verhaltensnahen Items nach der Häufigkeit des Verhaltens abfragt. Uns interessierte, mit welchen Ressourcen Patienten „in die Therapie kamen“ und wie sich die Ressourcen der Patienten im Therapieverlauf verändern würden. Entsprechend unserem klinischen Eindruck stellten wir fest, dass tatsächlich im Zuge der stationären Therapie ein deutlicher Zuwachs an Ressourcenrealisierung stattfindet. Das stationäre therapeutische Setting eignet sich demnach, nicht nur Probleme von Patienten zu reduzieren, sondern auch für die Gesundheit relevante Ressourcen der Patienten zu stärken. Interessanterweise waren Patienten, die in der Therapie ein hohes Ausmaß an Ressourcen realisieren konnten, ein Jahr nach der Therapie zufriedener mit ihrem Leben als Patienten mit wenigen Ressourcen. Mehr noch – mit dem Ausmaß an Ressourcenrealisierung ließ sich die Zufriedenheit nach der Therapie vorhersagen: Je mehr Ressourcen Patienten haben, desto zufriedener sind sie mit ihrem Leben nach der Therapie. Bei Alkoholabhängigen erwies sich das Ausmaß an Ressourcenrealisierung zum Zeitpunkt der stationären Therapie als Prädiktor für Abstinenz ein Jahr nach der Behandlung. Die Ergebnisse unserer Studie bestätigen unseren Eindruck aus der psychotherapeutischen Praxis und sie bestätigen auch Theorien, die der Bedeutung von Ressourcen einen hohen Stellenwert für Gesundheit und Wohlbefinden zusprechen. Eine wachsende An|11|zahl von Untersuchungen, v. a. aus der Forschergruppe um Grawe, ermutigten uns, in unserer verhaltenstherapeutischen Praxis neben der Reduktion von Symptomen und dem Aufbau neuer Kompetenzen noch gezielter die Ressourcenpotenziale unserer Patienten zu beachten.
Und so kommen wir zum Thema des vorliegenden Buchs: Wie können wir die Ressourcen unserer Patienten gezielter fördern? Welche Haltung ist angebracht und welche Interventionen sind zielführend? Ressourcenaktivierung als therapeutische Kompetenz beschreibt einerseits, wie es in der Therapie gelingen kann, dass aus schlummernden Ressourcenpotenzialen tatsächlich gelebte Ressourcen werden und wie vorhandene Ressourcen noch weiter gefördert werden können. Ressourcenaktivierung beschreibt auch, wie die vorhandenen Ressourcen von Patienten gezielt für die Problemlöseprozesse genutzt werden können. Warum dieser Aspekt der Ressourcenaktivierung so bedeutsam für gute Therapie ist, lässt sich vereinfacht so formulieren: Problemlöseprozesse sind erfolgreicher, wenn auf bewährte Strategien, Kompetenzen, Strukturen zurückgegriffen werden kann. Dagegen sind neu erworbene Kompetenzen und Strukturen häufig erst nach langer Übung und mit viel Unterstützung so ausgebildet, dass sie selbst wieder als Ressource zur Bewältigung von Herausforderungen zur Verfügung stehen. Es ist also sinnvoll, zunächst zu schauen, was da ist und genutzt werden könnte, ehe neue Kompetenzen trainiert werden.
Wenn wir die Ressourcen unserer Patienten fördern wollen, brauchen wir also auch therapeutische Kompetenzen für die Aktivierung von Patientenressourcen! Das stellten wir uns angesichts unserer langjährigen stationären und ambulanten psychotherapeutischen Erfahrung als nicht besonders herausfordernd vor, wenn sogar problemlösende Interventionen das Potenzial haben, Ressourcen zu aktivieren. Wir schätzten zunächst unser eigenes Therapeutenverhalten in einzelnen Sitzungen ein („In welchem Ausmaß ist es uns gelungen, Ressourcen unserer Patienten in der Sitzung zu aktivieren?“) und werteten anschließend die Videobänder zu diesen Sitzungen aus, um das tatsächliche Ausmaß an ressourcenaktivierenden Interventionen bzw. bei den Patienten beobachtbarer Ressourcenaktivierung wenigstens „Pi mal Daumen“ abzuschätzen. Unsere Erkenntnis war ernüchternd: Unsere eigene ressourcenorientierte Haltung spiegelte sich erschreckend wenig im tatsächlichen Kontakt mit unseren Patienten wieder. Obwohl wir uns selbst als aufgeschlossen für die Ressourcen unserer Patienten wahrnahmen und dies – wo es unserer Meinung nach passte – mit unseren Patienten thematisierten, reichte diese Einstellung für eine erfolgreiche Ressourcenaktivierung von Patienten offenbar nicht aus. In unseren Sitzungen dominierten störungsbezogene Interventionen und eine defizitorientierte Sprache.
|12|Beachte:
Genau dieses Phänomen beschrieben Flückiger und Wüsten in ihrer Studie zum „Ressourcenpriming“. Die Autoren aus der Schweiz verglichen das Ausmaß von Ressourcenaktivierung in Therapiesitzungen von Therapeuten, die unmittelbar vor der Sitzung eine besondere Einstimmung auf die Ressourcen der Patienten erhielten („Ressourcenpriming“), und unvorbereiteten Therapeuten, die grundsätzlich eine positive Einstellung bezüglich der Ressourcen ihrer Patienten hatten. Ergebnis: In Sitzungen mit Ressourcenpriming fand signifikant mehr Ressourcenaktivierung statt als in Sitzungen ohne Ressourcenpriming (Flückiger & Wüsten, 2008a).
Wirklich interessant, oder? Ressourcenaktivierung zu praktizieren benötigt offensichtlich bewusste Informationsverarbeitungsprozesse beim Therapeuten und eine hohe Aufmerksamkeit gegenüber Ressourcen in der auf Störungen und damit eher defizitär ausgerichteten kognitiven Verhaltenstherapie. Uns fällt bei den Rückmeldungen aus unseren Workshops für Psychotherapeuten auf, dass unter Ressourcenförderung oft einzelne Interventionen verstanden werden, die „eingestreut“ werden in den eher problemorientierten Therapieprozess. Typischerweise werden ressourcenfördernde Strategien dann gewählt, wenn in der Therapie gerade etwas Zeit dafür ist und es keine anderen dringlicheren Themen gibt. Ressourcenaktivierung gilt als „Zusatz“, der aus strukturellen Gründen oft vernachlässigt wird, z. B. aufgrund der Rahmenbedingungen der psychotherapeutischen Arbeit. Oder sie kommt dann zum Zug, wenn problembezogene Interventionen scheitern. Von wenigen Kollegen und Kolleginnen werden die Ressourcen ihrer Patienten dagegen systematisch diagnostiziert, gefördert und im Therapieprozess für die Problemlösung gezielt aktiviert. Ausgehend von der mittlerweile empirisch gut belegten Erkenntnis, dass die Problembewältigung effektiver ist gerade bei vorangegangener Ressourcenaktivierung, möchten wir Ihnen eine Anleitung zur systematischen Ressourcenförderung in jeder Therapiephase und in jeder Therapiesitzung geben. Wir verstehen Ressourcenförderung nicht als losgelösten „Baustein“ in der Therapie, sondern als ständig begleitenden Prozess.
Wie sieht die Praxis der ressourcenorientierten Psychotherapie heute nun konkret aus? Nach dem Motto „jede Gelegenheit der Ressourcenaktivierung beim Schopf packen“ versuchen wir, unseren Kontakt mit Patienten grundsätzlich – also vom ersten Kontakt an bis zum Abschied aus der Therapie – effektiv zu gestalten. Grundlage hierfür ist eine persönliche ressourcenorientierte Haltung, die auch in die psychotherapeutische Arbeit mit einfließt. Dazu...