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E-Book

Die Romantik

Blütezeit, Ausbreitung und Verfall

AutorRicarda Huch
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl688 Seiten
ISBN9783688109081
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
«Man hat den Romantikern mit Recht Willkür, Subjektivität, Individualismus vorgeworfen; mit dem Kampfe gegen die Regel hatten sie ja bereits begonnen. Trotzdem lag zügellose Hingabe an das persönliche Belieben im Kunstbetrieb durchaus nicht in dem ursprünglichen romantischen Programm; aber Phantasie wurde gefordert, und es liegt in der menschlichen Natur, daß die phantasiebegabten Künstler gewöhnlich das Gesetz scheuen, Muster nicht achten wollen und dem Einfall des Augenblicks alles zuliebe tun. Der Sucht, sich und seine Eigenheit und seine Stimmungen auszudrücken, hielt die Ehrfurcht vor überlieferten Typen zu wenig das Gleichgewicht, und so blieb vieles fragmentarisch, anderes verlief im Streben nach Originalität in Abgeschmacktheit und Verzerrung.» Ricarda Huch

Ricarda Huch, geboren in Braunschweig am 18.7.1864, gestorben in Schönberg im Taunus am 17.11.1947, Studium und Promotion in Zürich. Sie war dort an der Stadtbibliothek tätig, danach Lehrerin an der Höheren Töchterschule in Bremen. 1933 trat sie aus Protest gegen die Gleichschaltung aus der Preußischen Akademie der Künste aus. Sie war Hauptvertreterin der Neuromantik in Lyrik und Prosa, wandte sich in einer späteren Schaffensperiode geschichtlichen Themen zu; ihr Interesse galt vor allem Zeiten des Umbruchs, z. B. dem Dreißigjährigen Krieg. «Die Romantik» (1899, 1902) war ein wichtiger Beitrag zur Wiederentdeckung der romantischen Bewegung und zur Überwindung des Naturalismus.

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Leseprobe

Karoline


Wenn über einen Verstorbenen das Urteil der Zeitgenossen auseinandergeht, Haß und Liebe wetteifern, sein Bild jedes in seinen Farben auszumalen, dann wünschen wir, alle die widersprechenden Zeugnisse einmal vergessen und anstatt dessen einen Blick in das Antlitz tun und ein Wort aus dem Munde vernehmen zu können, die der Tod ausgelöscht hat, damit wir das Geheimnis der Seele daraus ablesen. Wie war sie denn in Wahrheit, diese Karoline, die der große Schiller Dame Lucifer nannte und die so vielen andern die Einzige, Unvergleichliche war, die unwiderstehlich alle anzog, auf die der warme, kluge Blick ihres liebevollen Auges fiel? Wenn wir sie selber fragen könnten, würde sie gewiß stolz und freimütig und klar über sich Auskunft geben, und vielleicht würde sie mit lieblicher, halb scherzender Wehmut sagen: Seht Ihr es mir denn nicht an, daß mein Herz gut ist?

Sie war nicht eigentlich ein romantischer Charakter mit sonderbaren Mischungen, Dämmerungen, Rätseln, sondern ihr Wesen war die Sicherheit und Ruhe der Harmonie, und es ließe sich auf sie anwenden, was Friedrich Schlegel in seiner »Lucinde« von der kleinen Wilhelmine sagt: »Der stärkste Beweis für ihre innere Vollendung ist ihre heitere Selbstzufriedenheit.«

Sie war die Tochter eines Göttinger Professors Michaelis und, im Jahre 1763 geboren, fast noch ein Kind des ancien régime, aufgeklärt und verständig, in ihrer frühen Jugend sogar ein wenig sentimental. Wie sie in einem Brief an ihre Freundin Luise Gotter ihre Verlobung und Hochzeitsfeier beschreibt, bei welcher Gelegenheit man das junge Paar in bekränzte und mit Versen geschmückte Lauben führte, das mutet wie Klopstock und Wieland an. Aber wenn einmal von Zeit zu Zeit ein heller, starker Naturlaut durchbricht, so spürt man, daß diese Merkmale eines ausgehenden Zeitalters ihr nur angeflogen sind durch Beispiel und Sitte, die auf einen harmonischen Charakter stark zu wirken pflegen. So dichtete ja der junge Goethe seine Anfänge ganz im Geschmacke seiner Zeit und mußte erst von Herder auf revolutionäre Bahnen geführt werden.

Karoline begann ihr Leben als Frau des Bergmedikus Böhmer in Clausthal, eingeengt in Wälder und Berge, zurückgezogen in einen beschränkten Kreis, in dem sie sich niemals heimisch fühlte. Es war nicht, daß sie großartigere Verhältnisse ersehnt hätte; aber ihre starke Natur verlangte unbewußt nach Geschicken, die sie bilden und entwickeln könnten; denn der Genius des Menschen will immer, was ihn fördert, und führt sogar Unglück herbei, wenn der Mensch es braucht und daher Anrecht darauf hat. Sie war nicht dazu angetan, über sich selbst nachzugrübeln und sich durch wirkliche und eingebildete innere Konflikte einen Zeitvertreib zu verschaffen; aber sie fühlte deutlich, daß die Ruhe und Gemächlichkeit ihr nicht gut taten, und leise Angst erwachte in ihr, die »edle Tätigkeit« möchte ganz erlahmen, sie könnte träger und träger werden in ihrer Meeresstille und zuletzt abseits liegen bleiben mit stockenden Kräften. Sie war auch deswegen frei davon, sich der Schwermut hinzugeben, weil die ihr natürliche Weltanschauung war, der Mensch sei bestimmt, zu genießen, mehr als jedes andere Geschöpf, und verfehle seinen Zweck, wenn er es nicht tue. Glücklich zu sein schien ihr, wenn sie es nicht von selbst war, eine Pflicht, und sie versuchte es immer wieder und wieder, wie auch die Umstände es ihr erschweren mochten. Leichtsinn oder Genußsucht war das nicht – wie es sich denn um ein roh materielles Genießen nicht handelte –, vielmehr eine große, seltene Gerechtigkeit: wenn sie unzufrieden war, suchte sie die Schuld niemals anderswo als in sich. Daß die Welt schön sei, voller Gaben und Segen, war ihr unumstößliches Gefühl; wenn ihr Blüte und Frucht nicht zufielen, machte sie es sich zur Aufgabe, an einem Zweiglein oder Blatte froh zu werden. Unter Tränen lächelnd, suchte sie sich heiter zu erhalten zwischen den ernsten, graden, schwarzen und verschneiten Tannen des Harzes, mit denen sie nichts anzufangen wußte, las und las in den Büchern, die die Schwester ihr aus der Göttinger Bibliothek durch die Botenfrau hinüberschickte – Romane, Memoiren, Weltgeschichte, verschollene Philosophie und Lebensweisheit – und stellte sich wohl auch inmitten der drückenden Einsamkeit vor den Spiegel, nickte ihrem betrübten Bilde zu und rief es ermunternd an: Gräme dich nicht allzusehr, Karolinchen!

Ihres Mannes Rechtlichkeit achtete sie, und die blinde Zärtlichkeit, die ihr junges, liebesuchendes Gemüt auf ihn geworfen hatte, hielt sie ängstlich, wie zum Selbstschutz, in ihrem Herzen zusammen. Auch Schwäche mag man es von einem anderen Standpunkte aus nennen, diejenige Schwäche, die ihr eigenstes Wesen ausmachte und zugleich ihre Stärke war, daß sie nämlich ohne Liebe nicht sein konnte. Da er nun einmal ihr Gefährte war, wollte sie nicht wissen und sehen, sondern liebhaben, liebhaben, weil sie ohne das nicht hätte atmen und sein können. Da er aber, wie es scheint, viel weniger Umfang des Wesens hatte, als sie Liebesfülle besaß, überschüttete sie mit allem Überfluß ihres Herzens die Kinder, die sie bekam, so daß man hätte meinen können, die Mutterschaft wäre ihre einzige Bestimmung gewesen.

Überhaupt ist das besonders an ihr zu schätzen, daß sie alle Pflichten, die das Leben mit sich brachte, und alle Gelegenheiten, sich zu betätigen, wenn es auch geringfügige Haushaltsangelegenheiten waren, gründlich ergriff und bei allem, was sie vorhatte, so sehr mit ganzer Seele war, daß man jedesmal hätte meinen können, gerade dies sei für sie die Hauptsache und gerade dafür sei sie geschaffen. Die kleine Auguste freilich war und blieb in Wahrheit die Hauptsache, das seltsame Geschöpfchen, unschön zuerst, aber von immer zunehmendem Liebreiz, wie es bei den Menschen der Fall ist, an deren Schönheit der sich entwickelnde Geist großen Anteil hat, altklug, kindisch, naiv, frühreif, wissensdurstig und vergnügungssüchtig, ein staunenerregendes Durcheinander, mit demselben weichen Gesicht und der blumenhaften Neigung des Kopfes, wie es der Mutter eigentümlich war. Die andern Kinder starben früh, bald nach dem Tode ihres Mannes, mit dem Karoline nur vier Jahre verheiratet war.

So rauh wurde sie aus dem Gefängnis ihrer kindlichen Jugend erlöst, und keinen andern Gebrauch konnte sie zunächst von ihrer Freiheit machen, als daß sie den kleinlichen Kampf mit alltäglichen Familienkümmernissen und überflüssigen Nörgeleien aufnahm; sie kehrte nämlich zu ihrer Familie nach Göttingen zurück. Wie eng und klein die dortigen Verhältnisse auch waren, empfand sie es doch als eine Wonne, frei zu sein und die Flügel weit, so weit sie wollte, ausspannen zu können, und erinnerte sich mit Grauen an die dumpfen Jahre in Clausthal. Jetzt erst gestand sie sich, daß sie sich wie in einen Zwinger eingeschlossen gefühlt hatte. Aber kaum, daß sie es recht inne geworden war, begab sich die Unglückliche freiwillig in neue Sklaverei. Das war eben ihr Fluch – wie vielleicht auch ihr Segen –, daß sie nicht frei sein konnte, daß ihr Herz die Abhängigkeit suchte von etwas Angebetetem. Dieser Hang ihres Herzens konnte, wie sie selbst wohl wußte, sogar für eine Zeitlang ihren hellen, sonst unbestechlichen Geist verblenden, obwohl sie es immer dunkel in sich ahnte, wenn sie auf Irrwegen war.

Der Mann, dem sich ihre Seele nun mit blinder, schrankenloser Hingebung vertraute, scheint ein problematischer Charakter gewesen zu sein. Der starke Instinkt, der sie so sicher machte, fehlte ihm. Er muß sie wohl auf seine Art geliebt haben und war jedenfalls ein Bewunderer ihrer Vorzüge; aber es ist möglich, daß die Stärke ihrer Natur, die er an ihr liebte, ihn zugleich beängstigt hätte; denn er griff nicht zu, um sie festzuhalten, die ihm mit dem ganzen Stolze und der ganzen Freudigkeit ihrer Liebe entgegenkam.

Ob er sich ihr nicht gewachsen fühlte und deshalb den Mut nicht hatte, sie besitzen zu wollen, oder ob er überhaupt unfähig war, zu lieben, und nur als ein schwächlicher Egoist eine Weile mit halbwahren Gefühlen spielte, bange, von sich selbst, seiner Würde und Bequemlichkeit ein Stückchen zu verlieren – kurz, er ließ sich ihre unermüdliche Liebeswilligkeit und Güte gefallen, reizte sie wohl auch gar und blieb dabei doch in einer spröden Zurückhaltung. Mit ihrem vollen Herzen fühlte sie sich fähig, glücklich zu machen, und wollte den, den sie sich erkoren hatte, zu seinem Glücke zwingen. Heiratsanträge, die ihr gemacht wurden, schlug sie um seinetwillen aus.

Damals machte sie die Bekanntschaft des jungen Wilhelm Schlegel, der im Umgange mit Bürger, dem einsamen, vergessenen Greise, seine ersten dichterischen Studien trieb, und es läßt sich denken, daß der regsame, vorurteilsfreie Jüngling eine erquickende Erscheinung für sie war inmitten der dumpfen Herkömmlichkeit oder vorsichtigen Steifheit der Göttinger Honoratioren. Daneben freilich fühlte sie sich ihm gründlich überlegen, und das nicht nur, weil er sechs Jahre jünger als sie war. Für die moderne Richtung in der Literatur mit ihrem, wie man jetzt sagen würde, nervösen, sensitiven Leben hatte sie ohnedies keinen Sinn; der altmodische Gotter, der Mann ihrer Freundin Luise, war für sie, was man nur von einem ordentlichen Dichter verlangen kann. Mit allem Übermut ihrer starken, zuversichtlich das Höchste begehrenden Persönlichkeit wies sie den jungen Schöngeist ab, ja, nicht ohne jene Grausamkeit, die nur Verliebte haben, wenn sie völlig in den geliebten Gegenstand versunken sind.

Man darf sich nun aber nicht vorstellen, sie hätte jemals über einem geliebten Mann wirklich sich und die ganze Welt vergessen. Das brauchte man kaum hervorzuheben und noch weniger zu rühmen. Es...

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