Lisa und der amerikanische Antiintellektualismus Aeon J. Skoble
Die amerikanische Gesellschaft hegt seit jeher eine Hassliebe gegenüber Intellektuellen. Einerseits begegnet sie Professoren oder Wissenschaftlern mit einem gewissen Respekt, lehnt jedoch andererseits intelligente oder studierte Menschen ab, allen voran Elfenbeinturmbewohner mit ihrem angelesenen »Bücherwissen«. Die republikanischen Ideale der Gründerväter setzen zwar eine aufgeklärte Bürgerschaft voraus, doch wird heutzutage schon eine auch nur halbwegs anspruchsvolle Analyse politischer Themen als »elitär« angeprangert. Historiker genießen Respekt, aber ihre Meinung wird leicht übergangen mit der Begründung, sie sei letztlich auch nicht mehr wert als die eines einfachen Arbeiters. Populistische Kommentatoren und Politiker beuten diese Ablehnung von Expertenwissen oft aus, indem sie etwa dem politischen Gegner vorwerfen, er käme von einer Eliteuniversität – wobei sie in Wahrheit einen ähnlichen Bildungshintergrund haben (oder sich auf politische Berater aus diesem Umfeld stützen).
Es ist vergleichbar mit Ärzten in einem Krankenhaus, die einen Bioethiker konsultieren, dessen Rat jedoch in den Wind schlagen, weil er ihnen zu abstrakt erscheint und zu wenig Bezug zur medizinischen Realität hat. Viele Leute stärken ihre Position gern durch Expertenwissen, beschwören dann aber populistische Gefühle, sobald die Experten ihre Sichtweise nicht unterstützen. Ich kann also meine Argumentation mit dem Zitat eines Experten stützen, der mit mir übereinstimmt; ist er jedoch anderer Meinung, tue ich sie mit den Worten ab: »Was weiß der denn schon?« oder »Auch ich habe ein Recht auf meine Meinung«. Seltsamerweise gibt es diesen Antiintellektualismus sogar unter Intellektuellen. An vielen Universitäten haben zum Beispiel unter den Studierenden und Lehrenden die klassischen Studienfächer, und hier vor allem die Geisteswissenschaften, an Bedeutung verloren. Der Trend geht eindeutig dahin, berufsvorbereitende Programme zu entwickeln und die berufliche »Relevanz« zu betonen. Die traditionellen Geisteswissenschaften gelten dagegen nur noch als Luxus oder als Ergänzungsfächer, nicht aber als richtige Ausbildung. Ihr Wert wird höchstens darin gesehen, Fähigkeiten wie strukturelles oder kritisches Denken zu fördern.
Dabei scheint es periodische Schwankungen zu geben: In den Fünfzigern und frühen Sechzigern, als die USA sich bei der Weltraumforschung im Wettbewerb mit der Sowjetunion befanden, genossen Wissenschaftler großen Respekt. Heutzutage schwingt das Pendel zur anderen Seite aus, und der gegenwärtige Zeitgeist hält alle Meinungen für gleichermaßen gültig. Dennoch scheinen die Menschen immer noch an den Meinungen der so genannten Experten interessiert zu sein. Schon ein flüchtiger Blick auf Fernseh-Talkshows oder Leserbriefe in Zeitungen enthüllt diesen Zwiespalt. So lädt eine Talkshow etwa einen Experten ein, weil die Zuschauer vermutlich dessen Meinung hören wollen. Stimmen jedoch die Gesprächsteilnehmer oder Zuschauer dem Experten nicht zu, wird behauptet, ihre Sichtweisen seien genauso viel wert. Eine Zeitung wird vielleicht auf der Meinungsseite einen Spezialisten zu Wort kommen lassen und daraufhin Leserbriefe erhalten, denen die Behauptung zugrunde liegt, dass »keiner wirklich alles weiß« oder letztlich »alles subjektiv« sei. Diese letzte Erklärung ist besonders heimtückisch: Wenn es nämlich stimmt, dass alles nur eine Frage der persönlichen Einstellung ist, dann würde daraus folgen, dass meine Meinung genauso relevant ist wie die des Experten; jegliche fachliche Kompetenz wäre überflüssig.
Man kann also mit gutem Grund behaupten, dass die amerikanische Gesellschaft mit den Intellektuellen im Clinch liegt.1 Respekt vor ihnen scheint Hand in Hand zu gehen mit Vorbehalten. Das ist ein ebenso merkwürdiges wie wichtiges gesellschaftliches Problem: Wir stehen nämlich am Rande eines »neuen Mittelalters«, wo Sachverstand und vernünftiges Denken bedroht sind. Das hat bedeutende gesellschaftliche Folgen. Es mag überraschend sein, dass wir uns dem Phänomen ausgerechnet anhand einer Fernsehsendung nähern, die auf den ersten Blick auf dem Prinzip »Je blöder, desto besser« basiert. Tatsächlich jedoch demonstrieren die Simpsons die amerikanische Ambivalenz gegenüber Expertenwissen und Vernunft ganz wunderbar.
Bei den Simpsons ist Homer das klassische Beispiel eines antiintellektuellen Tölpels, was auch für die meisten seiner Bekannten und seinen Sohn gilt. Seine Tochter Lisa jedoch ist nicht nur prointellektuell, sondern für ihr Alter sehr gewitzt und klug. Sie ist außerordentlich intelligent und differenziert, und sie denkt oft weiter als ihre Mitmenschen. Natürlich machen sich die anderen Kinder in der Schule deshalb über sie lustig, und die Erwachsenen ignorieren sie meistens. Zugleich hat sie dieselbe Lieblingssendung im Fernsehen wie ihr Bruder: einen hirnlosen und gewaltvollen Cartoon. Die Art und Weise, wie sie dargestellt wird, verdeutlicht meiner Meinung nach die Hassliebe, die Amerikaner gegenüber Intellektuellen empfinden.2 Ehe wir uns jedoch der Form widmen, in der das geschieht, wollen wir das eigentliche Problem näher betrachten.
Falsche Autorität und wahrer Sachverstand
Sämtliche einführende Logikkurse lehren, dass es falsch ist, sich »blind auf Autoritäten zu berufen«. Leider wird diese Einsicht nicht selten übertrieben bereitwillig befolgt. In den Begriffen der Logik gesprochen, ist es immer falsch zu sagen, dass eine Aussage zutrifft, nur weil der und der sie gemacht hat. Sich auf eine Autorität zu berufen, soll nicht als Beweis für eine Aussage dienen, sondern zeigen, dass man guten Grund hat, dieser Aussage Glauben zu schenken. Das Problem liegt meistens darin, dass die Autorität auf irrelevante Weise zitiert wird. Bei subjektiven Angelegenheiten zum Beispiel – etwa welche Pizza oder Limonade ich bestellen soll – ist es absolut irrelevant, sich auf jemand anderen zu berufen, da ich vielleicht nicht den gleichen Geschmack wie er oder sie habe.3 In anderen Fällen liegt der Fehler in der Annahme, dass das Expertenwissen eines Menschen ihn bereits für jede beliebige Aussage qualifiziert. So etwa manche Berühmtheiten, die für Produkte werben, die nichts mit ihrem Fach zu tun haben. Wenn sich also Troy McClure für Duff-Bier ausspricht, ist das noch lange keine gültige Aussage einer Autorität, denn Schauspieler zu sein, macht einen ja nicht unbedingt zum Experten für Bier. (Und auch Erfahrung und Expertenwissen sind etwas anderes: Selbst Barney ist kein Experte für Bier.) In anderen Fällen ist die Berufung auf Autoritäten schon deshalb falsch, weil manche Dinge nicht durch Expertenwissen geklärt werden können; und zwar nicht, weil sie subjektiv sind, sondern weil man sie schlicht nicht wissen kann. Das betrifft beispielsweise den wissenschaftlichen Fortschritt. Das klassische Beispiel hierfür ist Einsteins Satz aus dem Jahr 1932, dass »es nicht das geringste Anzeichen dafür gibt, dass [nukleare] Energie je verfügbar sein« wird.4
Doch bei aller Skepsis gegenüber der Berufung auf Autoritäten soll daran erinnert werden, dass manche Menschen tatsächlich mehr über bestimmte Dinge wissen als andere Leute, und in vielen Fällen haben wir guten Grund, Experten Glauben zu schenken. Da ich zum Beispiel kein Wissen aus erster Hand über die Schlacht bei Marathon habe, werde ich mich auf das verlassen müssen, was andere Leute mir darüber berichten. Und dabei wende ich mich eher an einen Historiker als an einen Arzt.5
Viele Menschen mögen es nicht, wenn Wissen auch moralische oder gesellschaftliche Dimensionen bekommt. Sie stimmen wohl zu, dass es so etwas wie einen Experten für die Perserkriege gibt, doch das heißt für sie nicht, dass dieser Experte uns auch über die heutige Weltpolitik informieren kann.6 Jemand mag Experte für die Morallehre von Aristoteles sein, aber deswegen ist er noch lange nicht befähigt, mir zu sagen, wie ich leben soll. Diese Art von Widerstand gegen Expertenwissen resultiert unter anderem aus dem Wesen der demokratischen Regierungsform, und das Problem ist nicht neu, sondern wurde schon sehr früh von Philosophen wie Platon beim Namen genannt. Da in einer Demokratie alle Stimmen zählen, kann das Menschen zu dem Schluss verleiten, alle Stimmen wären gleichwertig. Demokratien legitimieren sich durch die Abgrenzung zu Aristokratien oder Oligarchien. In solchen elitären Gesellschaften nehmen manche Leute an, sie wüssten mehr oder wären gar die besseren Menschen, während wir Demokraten wissen, dass alle gleich sind. Doch natürlich bedeutet politische Gleichheit nicht, dass niemand etwas wissen kann, das andere nicht wissen, und die meisten würden dem etwa beim Gedanken an Fertigkeiten wie der Klempnerei oder Autoreparatur zustimmen. Niemand jedoch, so sagt man, weiß besser als andere, wie man lebt und wie man gerecht ist. Es gibt also einen gewissen Relativismus, der von der Zurückweisung herrschender Eliten, die nicht unbedingt mehr über Gerechtigkeit wissen als andere, bis zur grundsätzlichen Ablehnung objektiver Maßstäbe reicht, die darüber entscheiden, was richtig und falsch ist. Richtig ist, was ich als richtig empfinde. Heutzutage gibt es sogar an den Universitäten den Trend, Objektivität und Expertenwissen in Frage zu stellen. Es soll demnach keine wahre Geschichte geben, sondern nur unterschiedliche Interpretationen von ihr.7 Es gibt keine korrekte Interpretation literarischer Werke, nur unterschiedliche Interpretationsansätze.8 Ironischerweise sind gerade dann, wenn Objektivität und Expertentum innerhalb der Universitäten...