Das große Rennen
Ende Mai 1967 kehrte Francis Chichester mit seinem Einhandsegler nach Plymouth zu Ruhm und beträchtlichem Vermögen zurück. Die britische Öffentlichkeit hatte überraschenderweise beschlossen, ihn zum Helden zu küren, so wie sie in der Vergangenheit Scott, den Antarktisforscher, Hillary, den Everestbesteiger, und Bannister, den Meilenläufer, zum Gegenstand nationaler Verehrung gemacht hatte. An jenem Abend säumte eine Viertelmillion Menschen den Sund von Plymouth, es bildete sich ein gewaltiges Empfangsgeschwader, dem sich praktisch jedes Boot aus der Umgebung anschloss, im ganzen Land warfen die Fernsehstationen ihre Programme zugunsten stundenlanger Liveübertragungen um, in Greenwich wurde der Held eilig zum Ritter geschlagen – noch einmal: denn er war es schon seit Australien –, und das Buch, das kurz darauf erschien, war jahrelang einer der gewinnbringendsten Bestseller.
Jeder, der mit dem Rennen zu tun hatte – und nicht zuletzt einer seiner Sponsoren, die Tageszeitung Sunday Times –, war überrascht, in welchem Ausmaß Chichesters große Fahrt die Öffentlichkeit in Bann geschlagen hatte. Gewiss, Chichester war schneller und eleganter um die Welt gesegelt als irgendjemand vor ihm und hatte sich auf einen einzigen Zwischenhalt beschränkt. Aber daran war im Grunde nichts Neues: Von 1895 bis 1898 hatte Joshua Slocums erste Einhand-Weltumsegelung gedauert, und seine Leistung war seither mehrmals wiederholt worden – jedes Mal mit mehreren Landungen. Amerikanische Nachrichtenmagazine, denen die Reaktionen der Briten wie immer ein Rätsel waren, versuchten weitschweifig, das Phänomen zu erklären: Das Weltreich verloren und kein Geld, um Männer auf den Mond zu schicken – da hätten die Briten sich zwangsläufig auf das reinere, edlere, unkompliziertere Heldentum besonnen, das in der Bezwingung der Elemente liege. Leider sind, wie wir sehen werden, weder die Motivation der Menschen, die sich auf derlei Abenteuer einlassen, noch die Reaktionsmechanismen der Öffentlichkeit so einfach, wie man es gern hätte.
Die Sunday Times war zunächst recht unschlüssig gewesen, ob sie Chichesters Fahrt unterstützen sollte oder nicht. Die Verantwortlichen hatten den Vorschlag zunächst kategorisch abgelehnt (wie zuvor der Daily Mirror und der Daily Telegraph). Schließlich aber waren sie einverstanden, die Zeitungsrechte an lediglich der halben Route, nämlich bis Australien, zu erwerben: für 2000 Pfund, eine Option auf Verlängerung mit eingeschlossen. In den ersten Monaten war das öffentliche Interesse so gering, dass man den Preis viel zu hoch fand; und in der Tat musste der zweite Geldgeber, die Tageszeitung The Guardian, (im Rahmen einer ihrer regelmäßigen Sparmaßnahmen) aussteigen, als Chichester erst die Hälfte der Strecke hinter sich hatte. Doch die Sunday Times behielt das Sponsoring bei, das Chichester-Fieber begann sich auszubreiten – nicht zuletzt dank seiner regelmäßigen mitreißenden Berichterstattung –, und als die jubelnde Menschenmenge sich an der Hafenpromenade von Plymouth versammelte, war bereits klar, dass die Zeitung ein Jahrhundertgeschäft gemacht hatte. In der Folge stand sie weiteren Seeabenteuern natürlich wohlwollend gegenüber, vor allem, nachdem Harold Evans, der einzige Chefredakteur der Sunday Times, der sich schon früh für Chichesters Unternehmen begeistert hatte, ihr Herausgeber geworden war. Nachdem mit Chichester jedoch auch ein gewisser Sättigungsgrad an Salzwasserabenteuern eingetreten war, bestand das Problem darin, das Thema zu variieren.
Einer fehlte überraschenderweise bei Chichesters Begrüßung. Donald Crowhurst bewunderte den Weltumsegler grenzenlos. Er hatte alle seine Bücher gekauft und studiert und seine Fahrt intensiv mitverfolgt; aber irgendein von Missgunst und Zweifel geprägter innerer Widerstand hielt ihn davon ab, den Augenblick des endgültigen Triumphes mitzuerleben. Statt die kurze Strecke nach Plymouth zu fahren, verbrachte er einen Teil des Tages mit Peter Beard im Bristol-Kanal auf dem Segelboot, bevor er nach Hause zurückkehrte und sich das Ereignis im Fernsehen ansah. Mit Geringschätzung hatten die beiden Männer der stundenlangen Berichterstattung aus dem Bordradio gelauscht. Crowhurst stolzierte höhnisch das Deck auf und ab, parodierte Moderatoren, die Beifall klatschende Menge, das bürgermeisterliche Empfangskomitee. Was solle das Theater, fragte er, Chichester sei schließlich nicht der erste Weltumsegler. Er habe ein wirklich katastrophales Boot. Und er habe lange in Australien haltgemacht, um sich auszuruhen. Das einzig Bemerkenswerte an dieser Fahrt sei sein hohes Alter.
Donald Crowhurst hatte schon damals den Ehrgeiz, einhand und nonstop um die Welt zu segeln – das wäre dann wirklich eine »Premiere«, die seinem Namen Unsterblichkeit verleihen würde. Er trage sich schon seit vier Jahren mit dem Gedanken, sagte er. In dieser Zeit hatte er freilich auch mit anderen Projekten geliebäugelt, ohne je eines davon in die Tat umzusetzen. Zum Beispiel hatte er daran gedacht, Thor Heyerdahls aufsehenerregende Expeditionen auf dem primitiven, steuerlos treibenden Floß zu wiederholen oder, noch lieber, Alain Bombards einsame Überfahrt von den Kanarischen Inseln nach Barbados mit nichts als rohem Fisch und Plankton als Nahrung; das hätte sowohl seinen Hang zum Dramatischen als auch seine Liebe zur Naturwissenschaft befriedigt. Aber seit Chichesters Rückkehr beherrschte ihn zunehmend die Idee einer Nonstop-Weltumsegelung.
Sir Francis’ anhaltende Berühmtheit und der offensichtliche finanzielle Erfolg seines Unterfangens werden Crowhursts Enthusiasmus kaum gedämpft haben. Bei Chichester strömten die Tantiemen, Werbeverpflichtungen, Honorare für Lesungen und Fernsehauftritte ... ganz zu schweigen von den Einkünften aus den Übersetzungen seiner Bücher in ein Dutzend Sprachen und dem Aufschwung, den sein kleines Geschäft nahm, der Handel mit Landkarten und Reiseführern. Die Electron Utilisation stagnierte zu dieser Zeit bereits, und Crowhurst hatte aus mehreren Gründen eine Heldentat nötig.
Seine Reaktion auf Chichesters Fahrt war durchaus nicht einzigartig. Nach einer Möglichkeit Ausschau zu halten, um eine einmal vollbrachte Leistung noch zu verbessern, ist schließlich nur natürlich. Abgesehen von dem Versuch, einfach schneller zu werden (worauf sich zu diesem Zeitpunkt Chichesters frühester Nachahmer, Alec Rose, bereits keine Hoffnungen mehr machen konnte), war die Ruhmestat allenfalls durch eine Weltumsegelung ohne jede Zwischenlandung zu überbieten.
Ende 1967 trafen mindestens vier Segler konkrete Vorbereitungen, um genau dies in die Tat umzusetzen – wahrscheinlich war es bereits zu optimistisch, die Möglichkeit auch nur ins Auge zu fassen. Chichester selbst, das darf man nicht vergessen, hatte trotz seiner großen Erfahrung schon Schwierigkeiten, Australien zu erreichen; Rose war zu einer unvorhergesehenen Landung in Neuseeland gezwungen und musste außerdem in Sydney anlegen. Um erfolgreich zu sein, waren ein Boot, Seemannschaft und persönliche Qualitäten allererster Güte nötig, außerdem eine gute Portion Glück. Aber Chichester hatte bewiesen, dass der Lohn für das Wagnis, der ideelle ebenso wie der materielle, das Risiko bei Weitem überwog.
Der Erste, der ein durchführbares Konzept entwickelte, war ein ehemaliger U-Boot-Kommandant der Marine, Bill Leslie King, der bereits drei Monate nach Chichesters Rückkehr konkrete Pläne schmiedete. Ihm war klar, dass sehr viel vom Boot selbst abhing, und deshalb nahm er mit Colonel »Blondie« Hasler Kontakt auf, dem Mann, der ein paar Jahre zuvor mit seiner Erfindung, einer Selbststeueranlage für alle Segelstellungen, dem Einhandsegeln einen gewaltigen Auftrieb gegeben hatte. Hasler sollte helfen, die perfekte Jacht für eine Weltumsegelung zu entwerfen, die eigens zu diesem Zweck gebaut werden musste; und er war bereit, die Takelung zu konzipieren. Für den Rumpf wählte er Angus Primrose als den seiner Meinung nach besten Architekten. Das Ergebnis, ein Wasserfahrzeug ohne Ecken und Kanten mit flachem, abgerundetem »Schildkröten«-Deck, erinnerte treffenderweise an ein U-Boot – mit Ausnahme freilich des nicht dazu passenden Aufbaus: zwei Masten mit Dschunkensegel. Mit dem Bau des Boots – der Galway Blazer II – begann man Ende des Jahres, und bei der Bootsausstellung im Januar 1968 war bereits bekannt, dass King zwei Zeitungen als Sponsoren hatte gewinnen können, den Daily und den Sunday Express.
Bevor King sein Projekt in die Tat umsetzen konnte, versuchte ein achtundzwanzigjähriger Offizier der Handelsmarine, Robin Knox-Johnston, ebenfalls ein Boot speziell für eine Nonstop-Weltumsegelung bauen zu lassen. Bereits im April – sieben Wochen vor Chichesters Rückkehr – begann er, über mögliche Entwürfe zu diskutieren und hatte bald einen Bootsbauer gefunden. Aber nachdem er monatelang erfolglos Geld aufzutreiben versucht hatte, musste er den Plan aufgeben. Er ließ sich jedoch nicht entmutigen, sondern beschloss noch im selben Jahr, die Fahrt mit der Suhaili zu machen, einer winzigen, zehn Meter langen Ketsch mit Teakholzrumpf, die ihm bereits gehörte. Auf den ersten Blick schien dieses Boot denkbar ungeeignet. Es war zu klein und zu langsam, und beim Anblick des hohen, ungeschützten Deckhauses lief es erfahreneren Seglern kalt über den Rücken. Nur zwei Dinge sprachen für die Ketsch: Sie hatte sich auf der Fahrt von Indien, wo...