A Vögel allgemein
I Vögel
Die Vögel erscheinen in den Liedern und Sagas vor allem als Seelenvögel. Siehe zu diesem Thema die in diesem Buch noch folgenden Betrachtungen über die einzelnen Vogelarten – insbesondere über Adler, Falke, Schwan und Rabe.
I 1. Seelenvögel
Die Seele wird weltweit als Vogel dargestellt, weil man sich bei einem Nahtod-Erlebnis mit seiner Seele (Astralkörper, Lebenskraftkörper) über sich selber schweben sieht („Astralreise“). Dies ist der direkteste Nachweis, daß man mehr ist als nur der physische Körper.
Der Vogel ist das Symbol für das Schweben/Fliegen der Seele.
I 1. a) Felsritzungen
In den frühgermanischen Felsritzungen von Kallsängen bei Bottna in der Provinz Bohuslän in Südschweden sind vier Vogel-Menschen mit Vogelkopf und Flügeln dargestellt worden.
Mindestens zwei von ihnen sind Männer, da sie einen Penis haben. Ein dritter trägt ein Schwert und wird daher auch ein Mann sein. Vermutlich sind alle vier Männer, da der vierte (mit zwei Köpfen) keine angedeuteten Brüste o.ä. hat. Es sind daher wahrscheinlich vier Vogel-Männer.
Diese Männer sind wie so oft in den Felsritzungen ohne Arme dargestellt worden, d.h. sie sind nicht selber aktiv – was gut zu den Seelenvögeln von Verstorbenen paßt.
Eine dieser vier Engel-artigen Gestalten hat einen doppelten Kopf. Der älteste bekannte Doppelkopf-Vogel ist der Doppelkopf-Adler aus Lagash in Mesopotamien aus der Zeit von 2300 v.Chr., der vermutlich schon damals ein Wappentier gewesen ist, also ein Symbol des Königtums – so wie später im Römischen Reich, im Russischen Reich, in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und vielen anderen Staaten.
Da es in den frühen Königreichen viele Doppeltiere gegeben hat, die das Diesseits und das Jenseits symbolisiert haben, wird dies auch für den Doppeladler und allgemein für den Doppelvogel zutreffen.
Da sich diese Symbolik nur im Königtum und daher beim Göttervater findet, liegt der Verdacht nahe, daß der Doppelvogelkopf-Mann der damalige Göttervater Tyr ist. Die drei anderen Vogelkopf-Männer wären dann Tote in dem Tyr-Jenseits.
I 1. b) Sonnenlied
Deutlicher als in den folgenden Versen kann man das Motiv des Seelenvogels eigentlich nicht mehr formulieren:
Nun ist zu sagen, / was ich zuerst ersah
Als ich zu den Qualorten kam:
Versengte Vögel, / die Seelen waren,
Flogen wie Fliegen umher.
Der letzte Vers erweckt den Eindruck, als ob man die Seelen auch als Fliegen auffassen konnte.
I 1. c) Sonnenlied
Der Stern der Hoffnung / in der Stunde der Neugeburt
Entflog der bangen Brust.
Er schwang sich hoch empor / und setzte sich nirgends, Daß er zur Ruhe kommen konnte.
Der „Stern der Hoffnung“ ist die Seele, die hier jedoch wie ein fliegender Vogel beschrieben wird.
I 1. d) Gesta danorum
Ethelred verweigerte ihrem Mann König Gorm nach ihrer Hochzeit die sexuelle Vereinigung, da sie unsicher war, ob sie von ihm Kinder empfangen konnte. Daher wollte sie zunächst ein Orakel befragen – eigentlich ein bißchen spät …
Doch da hatte Gorm einen Traum:
Als sein Geist im Schlummer ruhte, schien ihm, daß zwei Vögel aus der Scham seiner Frau hervorgeglitten kamen – der eine von ihnen größer als der andere – und daß sie emporflogen und durch den Himmel segelten und daß sie, nachdem eine Weile verstrichen war, zurückkehrten und sich auf seine Hände setzten. Dann schwangen sie sich, nachdem sie sich ein wenig ausgeruht hatten, ein zweites und ein drittes mal mit ausgebreiteten Flügeln in den Himmel hinauf.
Schließlich kehrte der kleinere von den beiden ohne seinen Gefährten zurück und seine Flügeln waren mit Blut beschmiert.
Der lezte Satz bedeutet vermutlich, daß die beiden Brüder auf Raubfahrt ausgezogen sind, also zu „echten Wikingern“ herangewachsen waren – was wohl auch den letzten Zweifel der Königin daran, daß Gorm ein passender Ehemann für sie sei, beseitigt haben wird … Diese beiden Vögel sind Seelenvögel, die nicht beim Tod vom Diesseits in das Jenseits hinüber reisen, sondern bei der Geburt vom Jenseits in das Diesseits kommen.
I 1. e) Die Saga über Yngvar den Fern-Fahrenden
Da sahen sie vom Land ein großes Heer zu den Schiffen herabkommen und einen Mann, der ihm ein Stück vorausrannte. Dieser Mann hatte drei Äpfel und warf einen so in die Luft empor, daß er vor Sveins Füßen niederfiel. Dann warf er den nächsten, der an genaudemselben Platz herunterkam.
Da sagte Svein, daß er nicht auf den dritten Apfel warten werde: „Da steckt eine teuflische Macht dahinter und ein starker Glaube.“
Svein legte einen Pfeil auf seine Sehne und schoß. Der Pfeil traf den Mann auf der Nase und sie hörten die Nase wie Horn zerbrechen. Er warf seinen Kopf zurück und sie sahen, daß er den Schnabel eines Vogels hatte.
Da schrie er sehr laut und rannte zu seinem Heer zurück und alle rannten so schnell sie konnten landeinwärts zurück solange wie man sie sehen konnte.
Dieser Vogelmann war offensichtlich ein Zauberer, der Iduns „Äpfel des ewigen Lebens“ in „Äpfel des Todes“ verwandeln konnte. Sein Vogelkopf bzw. sein Vogelschnabel wird ein Hinweis auf seine Verbindung zum Jenseits sein – er ist sowohl ein Schamane als auch ein „Todbringer“.
Seinen Vogelkopf wird man sich so wie bei den schon dargestellten Vogelkopfmännern auf den skandinavischen Felsritzungen vorstellen können. Vermutlich hat es im Kult und in der Magie solche Vogelkopf-Masken gegeben.
I 2. Seelenvögel auf Wandteppichen
I 2. a) Die fünf Wandteppiche von Överhogdal
Die fünf Wandteppiche von Överhogdal wurden den Radiokarbon-Messungen zufolge in der Zeit von 1040-1170 n.Chr. in Schweden hergestellt. Alle fünf Wandteppiche wurden in derselben „Stickerei“ gestickt bzw. gewebt und gehören wahrscheinlich auch inhaltlich zusammen. Sie wurden 1909 in der Sakristei der Kirche von Överhogdal entdeckt.
Auf den Bildern sind insgesamt 323 Menschen, 146 Tiere und 3 Mischwesen zu sehen. Die beiden in diesem Zusammenhang interessanten Bilder sind die beiden Darstellungen des Weltenbaumes, auf dessen Spitze jeweils ein Vogel sitzt. Dies könnte der Adler oder der Hahn sein, der in der schriftlichen Überlieferung auf diesem Baum sitzt. Der Adler ist wieder der Seelenvogel des Göttervaters. Der Hahn ist vermutlich eine an den Alltag angepaßte Variante dieses Motivs.
Weltenbaum mit Vogel auf seiner Spitze
Weltenbaum mit Vogel auf seiner Spitze
I 2. b) Wandteppich von Skog
Auf diesem Wandteppich sind zwei Stabkirchen dargestellt worden, auf deren Dächern Vögel sitzen. Es ist zumindestens denkbar, daß sie die Seelenvögel der Ahnen sein sollen.
Stabkirche mit Seelenvögeln
Stabkirche mit Seelenvögeln
I 3. Der Feuervogel
I 3. a) Heimskringla: Saga über Harald Hart-Rat
Bei einer Gelegenheit spielten Vögel auch eine Rolle in einer Kriegslist:
Als Harald danach nach Sizilien kam, plünderte er auch dort und legte sich mit seinem Heer vor eine stark und reich bevölkerte Festung. Er ging rings um die Burg, aber die Mauern waren so dick, daß es unmöglich war, in sie einzubrechen, und die Leute in der Festung hatten genügend Lebensmittel und alles, was für eine Verteidigung notwendig war.
Da fiel Harald eine Lösung ein. Er ließ Vogelfänger die kleinen Vögel fangen, die ihre Nester innerhalb der Burg hatten, aber tagsüber in die Wälder flogen, um Futter für ihre Jungen zu holen. Er ließ kleine Stücke von geteertem und in Wachs getauchtem Holz auf die Rücken der Vögel binden und anzünden.
Sobald die Vögel losgelassen worden waren, folgen sie sofort zu ihren Jungen und zu ihren Nestern, die sie unter den Dächern der Häuser hatten, die mit Schilf oder Stroh gedeckt waren. Das Feuer der Vögel ergriff die Hausdächer und obwohl jeder einzelne Vogel nur eine kleines Feuer getragen hatten, entstand sofort ein gewaltiges Feuer.
I 3. b) Gesta danorum
Während Fridleif Dublin, eine Stadt in Irland, belagerte, sah er, daß er sie aufgrund der...