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E-Book

Die Vereinigten Zutaten von Amerika

Lebensgeschichten aus einem großartigen Land

AutorAnna Engelke, Jörg Thadeusz
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783462306385
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Es ist und bleibt ein Traumland Anna Engelke lebt schon seit fünf Jahren dort, und Jörg Thadeusz würde am liebsten schon morgen hinziehen: in die USA. Das liegt weniger an der viel beschworenen Weite des Landes oder am Traum vieler Männer, einmal den mittelalten Leib auf eine Harley-Davidson zu wuchten und auf der Route 66 Gas zu geben. Anna Engelke und Jörg Thadeusz geht es stattdessen um »den Amerikaner«, den es natürlich genauso wenig gibt wie »den Deutschen«. 313 Millionen Menschen leben in den USA. Manche sind gerade erst angekommen, andere leben schon so lange dort, dass sie genau erklären können, warum sie eine Südstaaten-Flagge am Auto wütend macht.In sechzehn liebevollen und höchst amüsanten Porträts wird gezeigt, wie viel Platz das große Land zwischen zwei Ozeanen den Menschen lässt. Politisch, persönlich und kulinarisch.Ein Buch für alle, die Amerika lieben.

Jörg Thadeusz, Journalist, Moderator und Autor. Für seine Außenreportagen bei »Zimmer frei« erhielt er den Grimme-Preis. Er moderiert die politische Gesprächssendung »Thadeusz und die Beobachter« im rbb-Fernsehen. Bei WDR2 befragt er in seiner Abendsendung Menschen, die etwas zu sagen haben. Er ist wöchentlicher Kolumnist der Berliner Morgenpost. Bei Kiepenheuer & Witsch erschienen von ihm »Rette mich ein bisschen«, 2003; »Alles schön«, 2004; »Aufforderung zum Tanz« (gemeinsam mit Christine Westermann), 2008; »Die Sopranistin«, 2011, sowie »Die vereinigten Zutaten von Amerika«, 2012 (gemeinsam mit Anna Engelke). 

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Leseprobe

Zutat

Licht


Die Beatles waren in seinem Keller. In einem Karton mit der Aufschrift ›Beedles‹ hat der Washingtoner Fotograf Mike Mitchell Bilder vom ersten Konzert der Band in den Vereinigten Staaten aufbewahrt. Im Sommer 2011 saß Mike Mitchell im Auktionshaus »Christie’s« in New York City und sah die Gebote für seine Fotos steigen.

Mike Mitchell erinnert sich noch genau an das erste Mal. 1964 hat er zum ersten Mal in seinem Auto, einem alten Chevy, die Beatles gehört. Er war in Oxon Hill in Maryland unterwegs. In diesem Vorort südlich von Washington D. C. ist er aufgewachsen. In kleinen Verhältnissen. Aus dem Lautsprecher seines Autoradios sangen die vier Jungs aus Liverpool gerade »I want to hold your hand«. »Mich hat es sofort erwischt«, erzählt der heute 66-Jährige. »Die Musik war so mächtig, so kraftvoll. So etwas hatte ich noch nie vorher gehört.« Mike wollte nur noch eins: »Diese Band sehen.« Er hatte Glück: Die Beatles sollten in Washington ein Konzert geben – ihr allererstes Konzert in den USA. Die britische Band hatte zwar schon Millionen Fans in Europa, nicht aber in den Vereinigten Staaten. In den USA wurden die Beatles belächelt. Als eine britische Band, die amerikanischen Rock ’n’ Roll und Elvis nachspielt. Über die exzentrische »Beatlemania« in Großbritannien berichteten die US – Medien mit Distanz und Verwunderung – wenn überhaupt. Anfang 1964 änderte sich das allerdings. Mitgeholfen hatten dabei über fünf Millionen Plakate, auf denen landesweit für die Ankunft der Beatles in den USA geworben wurde. Und natürlich die Musik. Weniger als drei Wochen nach Erscheinen von »I want to hold your hand« hatten die Amerikaner 1,5 Millionen Singles gekauft. Der Song landete auf Platz eins. Den ersten Live-Auftritt der Beatles im amerikanischen Fernsehen bei der beliebten ›Ed Sullivan Show‹ verfolgten 75 Millionen Menschen. In Anbetracht von damals 190 Millionen US – Bürgern eine absolute Traumquote. Mike Mitchell saß auch zu Hause vor dem Fernseher. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich schon eine Karte für das Beatles-Konzert gesichert. Der 18-Jährige arbeitete seit vier Jahren nebenher als Fotograf. Für ein kleines Magazin in Washington, das es heute nicht mehr gibt. Er hatte seine Herausgeber bekniet, ihm eine Pressekarte zu besorgen. Und so konnte Mike Mitchell zwei Tage nach der ›Ed Sullivan Show‹ zum allerersten Konzert der Beatles in den USA gehen. Am 11. Februar 1964 im ›Coliseum‹. Damals eine große Sportarena in Washington, heute ein heruntergekommenes Parkhaus. Mit seiner 35mm Nikon in der Hand besuchte der junge Fotograf das Konzert. Geld für ein Blitzlicht hatte er nicht. Mike war auf das Licht angewiesen, das es im ›Coliseum‹ gab. Auf die Scheinwerfer, auf die Bühnenbeleuchtung. Die Arbeitsbedingungen für Mike und die anderen Fotografen im ›Coliseum‹ waren traumhaft. »Es wurde alles sehr locker gehandhabt«, schwärmt Mike. Kein Vergleich zu den strikten Auflagen und Absperrungen, mit denen sich Bildberichterstatter heute herumzuschlagen haben. Und vor allem: Es waren nur wenige Fotografen bei diesem Konzert. »Die etablierte Presse war immer noch skeptisch, und viele Journalisten haben die Beatles auch einfach nicht verstanden, weil sie einer anderen, einer älteren Generation angehörten«, erklärt Mike die überraschend geringe Anzahl. Er konnte sich völlig frei in der Konzerthalle bewegen. Während des Auftritts sogar auf die Bühne steigen. »Keiner hat mich aufgehalten«, sagt der Fotograf und schüttelt darüber noch heute ungläubig den Kopf. Die Beatles spielten sich im ausverkauften ›Coliseum‹ »die Seele aus dem Leib«, so beschreibt Mike ihr Konzert. Die Bühne war der Boxring genau in der Mitte der Halle. Vor, hinter und neben den Beatles rasteten die 8000 Glücklichen aus, denen es gelungen war, eine Karte zu bekommen. Das Gekreische der Fans war derart laut, dass sich die wachhabenden Polizisten gegen den Lärm Patronen in die Ohren steckten, erzählt Mike. Wie ungewöhnlich nah er an die Band herankam, ist in einem Dokumentarfilm über das Beatles-Konzert im ›Coliseum‹ zu sehen. Ab und zu huscht da ein junger Mann mit dunklen Haaren und einer Kamera ohne Blitzlicht am Boxring vorbei: Mike Mitchell. Seine Fotos der USA – Premiere der Beatles bekam allerdings kaum jemand zu Gesicht. Die Herausgeber des kleinen Washington-Magazins druckten gerade mal drei Bilder ab. Daneben veröffentlichten sie einen Text über die Beatles, der Mike heute noch peinlich ist. »Die Herausgeber haben auch zu denen gehört, die nicht kapiert haben, was die Stunde geschlagen hat.« Mike nahm seine etwa 15 Filme von dem Konzert im ›Coliseum‹ mit nach Hause und packte sie in eine Kiste mit der Aufschrift ›Beedles‹. Dort blieben sie.

»Ich habe sie nie vergessen. Ich wusste immer, dass es sie gibt, aber ich hatte andere Dinge zu tun«, sagt Mike Mitchell über seine Beatles-Bilder. Der Auftrag, das erste Konzert der Briten in den USA abzulichten, war für ihn der Anfang seiner Karriere. Seitdem arbeitete er als Fotograf. Durchaus gut bezahlt als kommerzieller Fotograf, als Künstler jedoch mit weniger Fortune. In der schweren Immobilienkrise 2007/2008 geriet Mitchell finanziell heftig ins Schlingern. »Ich kann nicht besonders gut mit Geld umgehen«, räumt Mike ein. Er kam mit der Ratenzahlung für sein Haus in Washington in Verzug. Dort hatte er sich inzwischen ein Foto-Atelier ganz nach seinem Geschmack eingerichtet. Eine Spiegelkonstruktion auf dem Balkon sorgte für maximales Licht in seinem Studio. Denn Licht spielte und spielt in seiner Arbeit eine große Rolle. Damals bei dem Beatles-Konzert aus purer Not – weil er kein Blitzlicht hatte. Aber aus dieser Not hat der Fotograf im Laufe der Jahre eine eigene Kunstform gemacht. »Ich fotografiere Licht«, so beschreibt Mike seine Fotoarbeiten. Als es dann 2008 für ihn finanziell immer enger wurde, erinnerte er sich an die Filme mit den Beatles-Aufnahmen im ›Coliseum‹. »Sind die Bilder wohl was wert?«, fragte sich Mike und ging in den Keller, um zwischen Hunderten von Filmen und Negativen nach der ›Beedles‹-Kiste zu suchen. Sie war tatsächlich noch da. Mehr als vierzig Jahre hatte er sie nicht geöffnet. Die Negative darin: ein Schatz. Den er aber erst mit modernen Entwicklungsmethoden so richtig zum Funkeln bringen musste. »Foto-Archäologie« nennt Mike Mitchell das, was er mit den Negativen gemacht hat. Befreit von Staub und Kratzern, bearbeitet mit neuester Digitaltechnologie kamen unglaublich schöne, regelrecht magische Bilder zum Vorschein. Alle in Schwarz-Weiß. Nahaufnahmen von John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison. Bilder von den Beatles, wie es sie sonst kaum gibt auf der Welt. Und in jedem Foto spielen Licht und Schatten eine ganz besondere Rolle. »Ohne Blitz blieb mir nichts anderes übrig, als mich vom Licht leiten zu lassen«, so der Fotograf. »Nicht ich habe mit dem Licht gearbeitet, sondern das Licht mit mir.« Mikes größter Stolz ist eine Aufnahme, die die vier von hinten zeigt. Das Scheinwerferlicht im ›Coliseum‹ erzeugt eine Art Lichtkranz um ihre Köpfe. Fast wie ein riesiger Heiligenschein. »Damals, 1964, hätte ich dieses Bild links liegen lassen müssen. Es wäre zu dunkel gewesen, um davon einen Abzug zu machen«, stellt Mike fest. Mehr als 800 Stunden verbrachte er damit, insgesamt 46 Bilder zu restaurieren. Während er an den Abzügen arbeitete, hörte er die Beatles-Lieder von damals. Bei seiner lebenslangen Liebe für Licht überrascht es wenig, dass er den Beatles-Song »Here comes the sun« am meisten mag.

Irgendwann hatte Mike zwar diese großartigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen entwickelt, aber Geld hatte er damit immer noch nicht verdient. Alle Versuche, die Bilder zu vergolden, liefen ins Leere. Im Jahr 2010 war dann auch der letzte Dollar ausgegeben, Mike konnte die Raten nicht mehr zahlen, er verlor sein Haus. Fast dreißig Jahre lang, knapp die Hälfte seines Lebens, hatte er darin gewohnt. Ende 2010 wurde sein Haus zwangsversteigert. Ein schlimmer Einschnitt. Der Fotograf, der nichts mehr liebt als das Licht, musste aus seinem sonnendurchfluteten Heim in eine dunkle Kellerwohnung ziehen. Ein Freund hatte ihm das kleine Apartment kostenlos zur Verfügung gestellt. Mike spricht heute noch von der »Höhle«. Aber dann passierte Anfang 2011 etwas, das seinem Leben eine völlig neue Wendung gab. Seine gute Freundin und Geschäftspartnerin June Miller – die Mutter der Schauspielerin Sienna Miller – hatte einen Lunchtermin in New York. Zufällig saß eine Kuratorin des Auktionshauses Christie’s mit am Tisch. Sie hörte die Geschichte der Beatles-Bilder. Als sie die Aufnahmen sah, war ihr sofort klar: »Das ist ein Jackpot.« Denn von dem allerersten Beatles-Konzert in den USA gibt es heute kaum noch Fotos. Und schon gar nicht in dieser Qualität. Christie’s organisierte eine große Versteigerung in New York, die im Sommer stattfinden sollte. Aber zunächst schickten sie die Bilder in ihre Dependance nach London. Dort bekam die erste Frau von George Harrison eine Privatführung, um sich die ungewöhnlichen Fotos anzuschauen.

Kaum jemand, der diese Bilder sieht, bleibt von ihnen unberührt. »Mir kommt es so vor, als seien die Bilder erst jetzt reif für die Öffentlichkeit«, sagt Mike Mitchell. Für ihn hat sich mit der Auktion seiner Fotos ein Kreis geschlossen. Das Medieninteresse an den bisher unbekannten Beatles-Aufnahmen war riesig. Mike gab zig Interviews. CNN, NBC, die...

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