Einleitung
It’s all about money
Eine erhebende Aussicht. Man schwebt im Wasser und schaut dabei über ganz Freiburg. Nichts versperrt dem Schwimmer die Sicht, und die riesigen Panoramafenster können selbst im Winter nicht beschlagen, sie werden beheizt. Die gewöhnlichen Menschen wohnen viel weiter unten; man kann sie kaum noch erkennen von hier oben, aus dem großen Pool mit Gegenstromanlage und Unterwasserstrahlern.
Allein für den Bau ihres Poolhauses haben die Eigentümer, meist von einem Konto in Andorra aus, rund 700000 Euro überwiesen. Die luxuriöse Schwimmhalle ist Teil eines Anwesens mit 450 Quadratmetern Wohnfläche auf fünf Ebenen, das 2005 samt riesigem Grundstück gekauft und dann für insgesamt rund 4 Millionen Euro komplett umgebaut wurde. Die Handwerker und die Architekten wurden über das Konto in Andorra bezahlt, die Bauherren wohnten, wenn sie aus Südfrankreich zu Besuch kamen, am Rand der Freiburger Altstadt im Hotel Colombi, dem wahrscheinlich besten Haus am Platz.
Im Herbst 2010 erfuhr die Öffentlichkeit, wer das Anwesen gekauft hatte: der Künstler Wolfgang Fischer, ein Maler. Mit der eigenen Kunst war er allerdings mäßig erfolgreich. Sein Geld kam aus anderer Quelle: Mindestens über drei Jahrzehnte hatte er Bilder gefälscht und sie mit einigen Komplizen in Umlauf gebracht – der größte Kunstfälschungsfall Europas nach dem Krieg. Geholfen hatte ihm bei der Betrugsserie sein alter Krefelder Bekannter Otto Schulte-Kellinghaus, und später kam auch Helene Beltracchi hinzu, die er heiratete und deren Namen er nach der Heirat übernahm. Ihre Schwester Jeanette S. war ebenfalls an dem Betrug beteiligt, juristisch aber kein Mitglied der später so genannten »Beltracchi-Bande«.
Im Herbst 2011 wurden die vier angeklagt. Der Prozess, der damals vor dem Kölner Landgericht begann, entwickelte sich in weiten Teilen zu einer Farce. Journalisten, die aus ganz Deutschland zur Verhandlung anreisten, waren sich nach deren überraschend schnellem Ende einig, dass so etwas nur in Köln mit seiner speziellen Mentalität hatte geschehen können. Dabei waren die Vorbereitungen professionell gewesen: Die Ermittler im auf Kunstdelikte spezialisierten Dezernat 454 des Landeskriminalamtes Berlin hatten hervorragende Arbeit geleistet. Wollte man alle Akten zu diesem Fall ausdrucken, bräuchte man Tausende Seiten von Papier: Eineinhalb Jahre wurde von Kunsthistorikern, Anwälten, Privatdetektiven, Staatsanwälten und Polizisten in einem halben Dutzend Länder ermittelt, es gab Hunderte Zeugenvernehmungen, die Auszüge von mehreren Konten, Dutzende Gutachten von Provenienzforschern und Kunsttechnikern, DNA-Analysen und Abhörprotokolle wurden gesichtet. Jahrzehntelang war es den Fälschern gelungen, eigene Gemälde als Werke von Künstlern wie André Derain und Raoul Dufy, Max Pechstein und Heinrich Campendonk, Fernand Léger und Kees van Dongen, Carlo Mense und Heinrich Nauen, Georges Braque, Émile-Othon Friesz und Max Ernst auszugeben und zu verkaufen.
Wolfgang Beltracchi gelang es auch, sich im Gerichtssaal hervorragend selbst darzustellen. Die Medien nannten ihn nach seinem Auftritt einen »Filou« oder »Eulenspiegel«. Der 60-Jährige wirkte mit seinen langen grauen Locken wie der Narr, der der Kunstwelt den Spiegel vorgehalten und die kriminellen Geschäfte und absurden Preise einer ganzen Branche der Lächerlichkeit preisgegeben hatte.
Tatsächlich steckte hinter seinen und den Taten seiner Helfer etwas ganz anderes: hohe kriminelle Energie, die der dreiköpfigen Bande über Jahre hinweg zu einem Millionenvermögen verhalf – und dem Ehepaar Beltracchi zu Luxusreisen und Luxusautos, zum Luxusanwesen in Freiburg, zu einer zweiten großzügigen Residenz in Südfrankreich (samt eigener Kunstsammlung) und zu Dutzenden von Bankkonten, von denen aus immer wieder hohe Geldbeträge in Investmentfonds auf der ganzen Welt verschoben wurden. Im Kölner Prozess war davon ebenso wenig die Rede wie vom Schaden, den die Beltracchi-Bande bei Händlern und Sammlern, bei Freunden und Verwandten, vor allem aber bei den betroffenen Künstlern selbst angerichtet hatte. Das Werk des gleich mehrfach gefälschten deutschen Expressionisten Heinrich Campendonk etwa dürfte zurzeit kaum noch neue Enthusiasten und Sammler finden. Ein großer Künstler ist fortan mit dem Makel behaftet, dass sein Œuvre durch zahlreiche Fälschungen geschmälert wird. Auch er ist, wie viele andere Maler, ein Opfer der Beltracchi-Bande geworden.
Darum aber sollte es vor Gericht von Anfang an nicht gehen. Aufgabe eines Strafverfahrens ist einzig und allein, konkrete Straftaten zu beweisen und für die konkret Schuldigen eine angemessene Strafe zu finden. Anklage und Gericht glaubten, dieses Ziel nicht ohne einen »Deal« mit den Tätern erreichen zu können. Man war sich nicht sicher, allen drei Hauptangeklagten ihre Taten nachweisen zu können – obwohl das mit den akribischen LKA-Recherchen durchaus einen Versuch wert gewesen wäre –, und sagte für umfassende Geständnisse Strafmilderung zu. Deshalb ging der Prozess gegen die Bande, kaum dass er begonnen hatte, nach nur neun Verhandlungstagen auch schon wieder zu Ende. Dabei hätte hier eigentlich auch eine ganze Branche auf der Anklagebank sitzen sollen: Quer durch den Kontinent waren der Fälscherbande Kunsthändler, Museen, Sammler und Experten auf den Leim gegangen. Einige von ihnen durchaus bereitwillig, denn sie verdienten mit Beltracchis Bildern viel, viel Geld. Andere aus Nachlässigkeit, Unfähigkeit oder Naivität. Der Kölner Prozess hat bestenfalls die Spitze des Eisbergs aus Leichtgläubigkeit, Schludrigkeit und Geldgier des internationalen Kunstmarktes gezeigt: Mehr konnte und wollte er nicht leisten. 170 Zeugen – darunter prominente Kunsthändler wie der berühmte Marc Blondeau, blamierte Experten wie Werner Spies und auch bekannte Sammler wie etwa der Hollywood-Schauspieler Steve Martin – wurden gar nicht erst gehört, viele Tausende Seiten akribischer Ermittlungsarbeit blieben unbeachtet.
Es hätte gute Gründe dafür gegeben, das Verhalten der Branche ebenfalls als Teil des Beltracchi-Skandals zu thematisieren. Nur wer begreift, dass die Strukturen und Usancen des internationalen Kunsthandels diesen Fall, in den die Elite der Auktionshäuser und Galeristen in Köln, Berlin, New York, London, Paris und Genf verwickelt war, erst möglich gemacht haben, kann aus ihm die dringend notwendigen Konsequenzen ziehen. Dafür haben die Ermittlungen des LKA Berlin die Grundlagen gelegt. In Köln allerdings blieb viel davon, ordentlich verstaut in Aktenordnern und Paketen hinter der Richterbank, weitgehend ungenutzt.
In fast zweijähriger Recherche, die schon lange vor dem Kölner Prozess begann, haben wir unveröffentlichte Unterlagen gesichtet, mit Dutzenden Beteiligten gesprochen und mithilfe von Experten wie Ralph Jentsch, Aya Soika und Peter van Beveren eine ganze Reihe weiterer mutmaßlicher Fälschungen gefunden, von denen die Öffentlichkeit noch nicht wusste und die hier zum ersten Mal aufgedeckt wurden. Wir erzählen auf dieser Grundlage die Geschichte eines Skandals, an dem sich exemplarisch aufzeigen lässt, dass der internationale Kunstmarkt zuweilen einem dunklen Morast gleicht. Schon immer hatte es den Verdacht auf schmutzige Geschäfte mit der schönen Kunst gegeben, doch erst der Fälschungsfall der Bande um Beltracchi machte die Praktiken der Branche in vollem Umfang sichtbar und erlaubt so Innenansichten, die die eiserne Diskretion des Kunsthandels vorher verhindert hat.
Die Geschichte, die wir erzählen, handelt von dubiosen Zwischenfinanzierern in Steuerparadiesen wie Hongkong, den British Virgin Islands und Monaco. Von Bildübergaben im Genfer Zollfreihafen und in den Lobbys von Hotels, von sagenhaften Preissteigerungen, von durch Gier geblendeten Kunstkennern, von korrupten Experten und von Käufen und Verkäufen gegen Schwarzgeld auf anonymisierten Konten. Deshalb berichtet dieses Buch nicht nur von einem der spannendsten Kriminalfälle der vergangenen Jahrzehnte. Es ist zugleich eine unzensierte Einführung in die Praktiken des Kunstmarkts – eines Marktes, in dem jährlich Milliarden von Euro umgesetzt werden und in dem die Gewinnmargen so hoch sind wie sonst nur im Drogen- oder Waffenhandel und im Geschäft mit der Prostitution.
Wolfgang Beltracchi steht – auch wenn er nicht alle ihm zugeordneten Bilder selbst gemalt haben sollte – schon heute in einer Reihe mit großen Kunstfälschern wie Otto Wacker, Han van Meegeren, Elmyr de Hory, Konrad Kujau oder Edgar Mrugalla. Die meisten von ihnen haben die Chance nicht ausgelassen, in Memoiren die Nachwelt von ihrer eigenen Sicht der Dinge überzeugen zu wollen. Auch Wolfgang Beltracchi wird diese Gelegenheit sicher nutzen. Seine Geschichte hat Roman-, vielleicht sogar Hollywood-Qualitäten und wurde verschiedenen Verlagen schon kurz nach Prozessende angeboten. Schon im Gerichtssaal stellte sich eine Frau den Journalisten als angebliche Agentin vor und verteilte Visitenkarten mit Beltracchi-Selbstporträt. Wem aber nützen diese Erinnerungsbücher, die sich alle ganz merkwürdig gleichen, wirklich? Immer stilisieren sich ihre Hauptdarsteller als Helden, denen es eigentlich nur darum gegangen sei, die Kaiser des Kunsthandels als in Wirklichkeit nackt vorzuführen. Er habe am liebsten im Garten in Südfrankreich gesessen und sich gefreut, sagte Wolfgang Beltracchi vor Gericht. Und im ersten Interview nach seinem Prozess ergänzte er fünf Monate später im Magazin »Der Spiegel«: »Ruhm hat mich nie interessiert. Ich hätte schon in den...