Einführung
Angela: Ich will dazu etwas sagen ?
George: Warte. Ich bin noch nicht fertig.
Angela: Was ich sagen will ?
George: Siehst du, genau darüber spreche ich die ganze Zeit ?
Angela: Ja, ich weiß, aber ich ?
George: Du lässt mich nicht ausreden ?
Angela: Ich muss jetzt etwas sagen ?
George: Nein. Weil, wenn du mir ins Wort fällst ?
Angela: Ich habe hier auch etwas zu sagen.
George: HALT DEN MUND!
Angela und George waren frisch verheiratet, arbeiteten beide sehr viel und zogen außerdem noch zwei Kinder groß. Das alleine genügt, um eine Ehe zu belasten ? und auch ohne psychologische Forschungserfahrung erkennt man sofort, dass dieses Paar in Schwierigkeiten steckte. Der obige Dialog ist nur ein Ausschnitt aus dem langen Wortgefecht, das in meinem Forschungslabor stattfand. Angela und George stritten endlos darüber, wer von beiden härter arbeitete, wer mehr im Haushalt machte und wer was wann sagte. Wie so viele zerstrittene Paare gaben sie ihre Ehe schließlich auf und ließen sich scheiden. Dieser Ausgang kam nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie beschädigt ihre Beziehung bereits war. Als ich die beiden kennenlernte, konnten sie einander kaum ansehen, ohne böse dreinzublicken und die Augen zu verdrehen.
Seit Jahrzehnten lade ich Paare wie Angela und George zu Experimenten in mein »Love Lab« ein ? so lautet der Spitzname, den die Medien der Forschungseinrichtung an der University of Washington in Seattle gegeben haben. Hier werden langjährige Liebesbeziehungen einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen. In der Regel läuft eine Studie so ab, dass ich die Paare analysiere, während sie über Alltagsthemen sprechen, oder aber wenn sie streiten. Ich befrage sie gemeinsam und einzeln. Ich habe Paare schon einen ganzen Tag oder sogar ein ganzes Wochenende im Love Lab beobachtet. Das Einzimmerapartment mit Seeblick ist mit allem ausgestattet, was man braucht: Es gibt eine Schlafcouch, ein kleines Sofa, einen Fernseher, eine Küchenzeile ? und Videokameras an den Wänden, die jeden Moment der Paarinteraktionen aufzeichnen. (Das Bad ist natürlich tabu.) Im Rahmen der Studien, die hier durchgeführt wurden, habe ich über 40 Jahre hinweg ganze Berge von Daten zusammengetragen. Die Sammlung gibt darüber Aufschluss, wie Partner miteinander umgehen, was sie zueinander und übereinander sagen und welche körperlichen Reaktionen dadurch hervorgerufen werden. Neuerdings führe ich auch Untersuchungen mit Paaren durch, die an keiner Studie teilnehmen, sich aber eine wissenschaftliche Beurteilung ihrer Beziehung und deren Stärken und Schwächen wünschen.
Wenn Paare wie Angela und George in das Love Lab kommen, verkabeln wir sie mit so vielen Sensoren und Drähten, dass sie oft lachen müssen, weil sie unwillkürlich an Dr. Frankenstein denken. Während sie sich mit den Geräten und der Umgebung vertraut machen, liefern die Sensoren bereits Informationen über ihre Blutflussgeschwindigkeit, ihre Herz- und Pulsfrequenz, die Schweißmenge an den Handinnenflächen und sogar darüber, wie sehr sie sich auf ihrem Stuhl winden. Eine Videokamera zeichnet alles auf, was sie sagen und tun. Auf der anderen Seite eines Einwegspiegels sitzen meine Mitarbeiter, umgeben von Anzeigegeräten und leeren Cola-Dosen, und studieren das subtile Wechselspiel von biologischen Reaktionen, Körpersprache, Mimik und Worten.
Das Experiment, das wir am häufigsten durchführen, ist das sogenannte Konfliktgespräch, bei dem wir das Paar auffordern, 15 Minuten lang über ein Streitthema zu sprechen. Um die Gesichtsausdrücke der beiden Partner während der Diskussion besser analysieren zu können, richte ich jeweils eine Videokamera auf ihre Gesichter, sodass ich sie gleichzeitig auf einem Split Screen beobachten kann. Manche Paare stören sich überhaupt nicht an den Kameras und legen ungehemmt los. Die meisten halten sich aber im Zaum und streiten im Labor anders als zu Hause. Doch selbst wenn sie sich »kameragerecht« verhalten: unsere Sensoren können sie nicht täuschen, denn denen entgeht nichts.
Auf der Grundlage meiner eingehenden Analysen von über 3000 Paarbeziehungen habe ich im Laufe der Jahre sieben Schlüsselprinzipien formuliert, die dazu beitragen können, eine Partnerschaft lebendig und stabil zu erhalten. In meinem Buch Die sieben Geheimnisse der glücklichen Ehe1 habe ich diese eingehend beschrieben. Ich zeige darin, wie wichtig eine tiefe freundschaftliche Verbundenheit zwischen den Partnern ist.
Außerdem zeige ich, wie wir uns vom jeweiligen Partner beeinflussen lassen, und erläutere, warum wir in Auseinandersetzungen respektvoll miteinander umgehen sollten. Diese beiden Dinge prägen grundlegend das Miteinander in Beziehungen. Traurige Schicksale von Paaren wie Angela und George verdeutlichen allerdings, dass es nicht ausreicht, diese beiden Punkte in der Behandlung anzugehen. Ich wollte einfach nicht hinnehmen, dass solche Paare unausweichlich in ihrer Liebesbeziehung scheitern. Wollte ich solchen verzweifelten Paaren helfen, so musste ich in Erfahrung bringen, was genau zwischen ihnen schiefläuft.
Was mich bei den unglücklichen Paaren, die ich beobachtet und beraten habe, am meisten erstaunt hat, war ihr fester Glaube, einander aufrichtig zu lieben und alles für die Beziehung zu tun ? selbst dann, wenn sie einander im Love Lab befahlen, den »Mund zu halten«. Warum bekriegten sie sich ständig, obwohl sie sich selbst als liebendes Paar bezeichneten? Das ergab einfach keinen Sinn. Ihre Beziehung profitierte in keiner Form von ihren Streitereien. Der negative Stress, der grundsätzlich mit Auseinandersetzungen einhergeht, war bei ihnen viel größer als bei glücklichen Paaren ? und dennoch stritten sie viel öfter.
Warum unglückliche Paare öfter miteinander streiten als andere, ließe sich am einfachsten damit erklären, dass sie häufiger verschiedener Meinung sind. Klingt eigentlich logisch, oder? Als Wissenschaftler weiß ich aber, dass »offensichtliche« Schlussfolgerungen nicht immer korrekt sind. Die Computerwissenschaftlerin Tara Madyhastha hat mir in meinem Labor geholfen, die Antwort zu finden. Um die Interaktionen zwischen unglücklichen Partnern zu verstehen, verwendete sie sogenannte Hidden-Markov-Modelle. Diese Form der Computeranalyse wird oft eingesetzt, um Sprach- oder DNA-Sequenzen zu entschlüsseln und herauszufinden, welche Muster ihnen zugrunde liegen. Madyhasthas Ergebnisse zeigten, dass Paare, die sich nicht wie Liebende, sondern wie Feinde verhalten, in einem Zustand gefangen sind, der im Fachjargon als absorbierender Zustand der Negativität bezeichnet wird. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, in diesen Zustand zu geraten, größer ist als die, ihn wieder zu verlassen. Die unglücklichen Partner sind in einer Art »Mausefalle für Liebende« gefangen, in die man leicht hineingerät, aus der es aber kein Entrinnen mehr gibt. Ihre negative Einstellung sorgt dafür, dass die Beziehung zugrunde geht.
Warum manche Paare in dieser schrecklichen Falle landen, während es anderen gelingt, sie zu umgehen ? dieser Frage bin ich in meinen jüngsten Forschungen nachgegangen. Dabei habe ich ein neues Verständnis von der Paardynamik entwickelt und meinen Ansatz erweitert: alle Liebesbeziehungen profitieren davon, nicht nur diejenigen, die bereits angeschlagen sind.
Wenn man die »Mausefallen«-Paare in meinem Labor beim Streiten beobachtet, bekommt man eine wahre Litanei an Vorwürfen zu hören, die auf den ersten Blick nicht viel gemein haben. Tim beschwert sich darüber, dass Jane mehr auf die Meinung ihrer Mutter gibt als auf seine. Alexandra schiebt die Familiengründung hinaus, sehr zur Frustration ihres Mannes. Jimmy hat etwas dagegen, dass Pat ab sofort in eine andere Kirche gehen will. Aber wenn ich mich dann mit diesen unglücklichen Partnern unterhalte, fällt mir eine verblüffende Übereinstimmung auf: Sie alle sprechen (oder schreien) aneinander vorbei oder versuchen gar nicht erst, miteinander zu kommunizieren.
Obwohl die Partner bereit sind, die Krise durchzustehen, haben sie etwas verloren, das für Liebende grundlegend ist ? eine Eigenschaft, die oft als »Magie« oder »Leidenschaft« auf einer »primitiven«, »animalischen« Ebene bezeichnet wird. Das ist der Grund, weshalb sie in der Mausefalle enden.
Meiner Überzeugung nach wird dieses kostbare »Etwas« durch ein heimtückisches Gift zerstört, das die Liebenden unerbittlich ins Unglück treibt. Es schleicht sich in die scheinbar stabile Liebesbeziehung ein und untergräbt sie so lange, bis es zu spät ist. Vielleicht halten Sie es für eine Binsenweisheit, wenn ich Ihnen sage, dass der Name dieses giftigen Eindringlings Untreue lautet. Welchen Schaden Untreue anrichten kann, ist allgemein bekannt. Schließlich bombardiert uns die Klatschpresse pausenlos mit irgendwelchen Geschichten über Prominente und Politiker, die beim Fremdgehen ertappt wurden oder angeblich sogar sexsüchtig sind. Diese moralischen Lehrstücke über Betrug und Treulosigkeit machen deutlich, wie verbreitet und verheerend Untreue ist. Es gibt aber einen guten Grund, weshalb ich Untreue als »heimlichen« Beziehungskiller bezeichne. Untreue äußert sich nicht nur in Form eines Seitensprungs oder einer sexuellen Affäre. Viel häufiger nimmt sie Formen an, welche die Partner gar nicht als Untreue erkennen. Die Paare in meinem Labor beteuern, dass sie einander immer treu gewesen seien. Da täuschen sie sich aber. Jeder scheiternden Beziehung liegt insgeheim eine...