DIE VIER QUALITÄTEN DER LIEBE ALS GESUNDHEITSPOTENZIAL
Ein Tröpflein Liebe ist mehr wert als ein Sack voll Gold.
FRIEDRICH VON BODELSCHWINGH
Das Wort Qualität hat seinen Ursprung im Lateinischen, wo es „Beschaffenheit“, „Verhältnis“, „Zustand“ und „Eigenschaft“ bedeutet. Häufig wird Qualität als Gegensatz zum Begriff Quantität benutzt. Doch es gilt auch: Jede quantitativ (mengenmäßig) sich vermehrende oder vermindernde Eigenschaft kann zu einer Qualität werden. Allerdings ist wiederum nicht jede Qualität einfach durch quantitative Vermehrung erreichbar.
„Qualität“ bezeichnet die Gesamtheit der wesentlichen Eigenschaften und Beziehungen von Objekten, Personen bzw. Prozessen. Diese Bezeichnung beinhaltet an sich keine Bewertung, obwohl sie im Alltag oft wertend gebraucht wird. In der Alltagssprache ist Qualität oft ein Synonym für Güte. Es ist dann von „guter“ oder „schlechter“ Qualität die Rede.
Quantität bezeichnet die Menge qualitativer Eigenschaften. Quantität wird daher in Mengen- oder Messwerten angegeben. Wo Qualität sich derart messen lässt, wird sie häufig als technische Qualität bezeichnet. Da es in den folgenden Analysen primär nicht um messbare Größen geht, werde ich die Eigenschaften vielmehr als solche erläutern.
Die vier Qualitäten der Liebe sind wesentliche Bestandteile der Psychodynamik des Liebeslebens. Sie sind wirksam im ganzheitlichen Zusammenhang seelischen Geschehens. Dieses Geschehen aufzuzeigen ist Anliegen dieses Buches. Im Sinne psychotherapeutischer Arbeit soll das Erkennen zugleich ein gesundes Liebesleben und eine produktive Lebensgestaltung ermöglichen.
Das Rad der Liebe
Liebe ist …
Alles bezwingt die Liebe, und kämpft doch ohne Mord und Blut.
ERASMUS VON ROTTERDAM
Wieso sich so viele Gedanken um die Liebe machen? Sollen wir sie nicht einfach leben? Manche zerreden die Liebe. Die betrachtende Analyse zergliedert, und nur die Liebe schafft das Ganze.
Vielleicht stimmt das ja. Vielleicht sind das liebende Miteinander und die vernünftige Betrachtung aber auch kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch! Jedenfalls legt dies meine Erfahrung als persönlich Liebender und als Psychotherapeut nahe. Von vielen Liebenden wird oft als großes Manko empfunden, wenn der Partner oder die Partnerin nicht reden wollen. Offenbar macht das Gespräch in einer Liebesbeziehung einen wesentlichen Teil des liebenden Miteinanders aus.
Dieses liebende Gespräch mit sich und den geliebten Personen zu entwickeln und zu vertiefen ist ein Anliegen dieses Buches. Die Fülle der Themen ergab sich aus meiner bisher immerhin 50 Jahre langen Lebens- und Liebesgeschichte, aus 30 Jahren psychotherapeutischer Arbeit und aus mindestens ebenso vielen Jahren humanwissenschaftlicher Erforschung des Themas. Mein Anspruch ist jedoch keine erschöpfende Darstellung der Liebesthematik. Viel scheint mir schon erreicht zu sein, wenn ich mit meinen Ausführungen Einzelne, Paare und Gruppen dazu anregen kann, vermehrt und vertieft über Fragen des Liebeslebens neu nachzudenken. Vielleicht ergeben sich daraus dann neue Erlebnis- und Handlungsperspektiven.
Vor allem liegt mir daran, bestimmte Qualitäten des Liebens und Liebeslebens deutlicher zu benennen, die ich als die vier Qualitäten der Liebe bezeichne. Die These, die ich in diesem Buch vertrete, lautet: Ein positiver Bezug und eine positive Entwicklung dieser vier Qualitäten ist wesentlicher Bestandteil eines gelingenden und schöpferischen Liebeslebens.
Das bewusste und unbewusste Liebesleben
Ob du andere reformieren kannst, ist unsicher, ein Mensch aber lebt, den du sicher reformieren kannst – und das bist du selbst.
THOMAS CARLYLE
Aus der psychotherapeutischen Arbeit und Forschung wissen wir, dass wir alle mehr oder weniger bewusste bzw. unbewusste oder unverstandene Liebeskonzepte leben. Insgeheim verbinden wir mit dem Liebesleben bestimmte Bedürfnisse, die wir befriedigt sehen wollen. Viele Missverständnisse und viel Liebesleid entstehen daraus, dass diese Bedürfnisse nicht wirklich erkannt und kommuniziert werden. Viele von uns leben ein Liebeskonzept, ohne zu wissen, was dieses Konzept eigentlich ausmacht und bedeutet. Auch sind wir uns oft der Art und Weise nicht wirklich bewusst, wie wir versuchen, unser Konzept umzusetzen, d.h. es zu leben. Der Psychotherapeut Rudolf Sponsel stellt über die „Bedeutung des Liebesbegriffs in den Köpfen“ fest:
Man mag sich die Frage stellen, weshalb ist denn der Liebesbegriff wichtig? Wozu die Theorie? Auf die Praxis kommt es an! Das ist wohl richtig. Aber jeder von uns hat eine Vorstellung, was Liebe bedeuten soll oder ist, im Kopf, und diese Vorstellung hat etwas mit unserer Einschätzung zu tun. Wenn ich denke, dass ich nicht geliebt werde, weil ich die und die Definition im Kopf habe, ohne dass ich sie mir klarmache, dann hat dies Auswirkungen auf mein Verhalten. Ich werde mit der Zeit auch aufhören zu lieben. Vielleicht werde ich hassen, weil ich mich nicht geliebt fühle, vielleicht werde ich einen Machtkampf beginnen, der die Liebesreste der Beziehung völlig zerstört, und am Ende stehen zwei einander feindlich gesinnte Menschen gegenüber, die voneinander maßlos enttäuscht sind und nur noch einen Wunsch haben, den anderen zu verletzen, ihm wehzutun, ihn zu vernichten.1
Für eine gelingende Liebesbeziehung ist es von entscheidender Bedeutung, den bewussten Dialog mit sich und der geliebten Person zu suchen. Dieses Buch zeigt Ihnen einen Weg hierzu auf und stellt Ihnen für diesen Erkenntnisprozess einige Erkenntnismittel zur Verfügung.
Notizen über Ihr Liebesleben
Wenn Sie Ihr Bewusstsein über Ihr Liebesleben erweitern wollen, nehmen Sie sich ausreichend Zeit, um diese beiden Fragen zu beantworten. Sie können sich diese Seite auch kopieren und als Vorlage für ein Tagebuch benutzen, in das Sie mehr oder weniger regelmäßig eintragen, was Sie mit diesen Fragen verbinden, was Sie erleben oder dazu denken. Auch können Sie Ihre Aufzeichnungen mit einer oder mehreren Personen Ihres Vertrauens erörtern.
Wenn ich einen Menschen liebe, dann … | 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. |
Wenn ein Mensch mich liebt, dann … | 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. |
Liebe als Medium der Bedürfnisbefriedigung
Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen.
MARIE VON EBNER-ESCHENBACH
Das Zärtlichkeitsbedürfnis ist von früher Kindheit an ein Hebel zwischenmenschlicher Erziehung, weil die Beziehungspersonen das Verlangen nach Zärtlichkeit in aller Regel – auch bei scheinbar grenzenloser Mutterliebe – nicht ganz umsonst gewähren, sondern ein Entgegenkommen erwarten. In diesem Wechselverhältnis zärtlichen Miteinanders werden die Grundlagen unserer Gesellschaft und Kultur geschaffen.2 In einer vernünftigen Erziehung entsteht so ein ausgewogenes Geben und Nehmen, das die Persönlichkeitsbildung der beteiligten Personen fördert. Das Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes kann aber auch missachtet oder missbraucht werden, was in der Folge meist zu seelischen Störungen führt.
Die ursprüngliche Äußerung des Zärtlichkeitsbedürfnisses ist das Verlangen der Kinder, gehätschelt, geliebt und gelobt zu werden, die Neigung, sich anzuschmiegen und sich stets in der Nähe geliebter Personen aufzuhalten, ins Bett genommen zu werden usw. Später wird das...