Kapitel 2
Heimat Nordland
2.1 Altdänemark. Das Kernland
Tobias Schade
Aus Schriftquellen ist das »dänische Königreich« des elften Jahrhunderts in seinen Grenzen bekannt. Es umfasste das heute deutsche Schleswig-Holstein nördlich des Flusses Eider, das dänische Festland samt zugehörigen Ostseeinseln sowie die südschwedischen Gebiete um Schonen, Halland und Blekinge.
Denemearce, Tanmaurk, reges Danorum
Laut schriftlichen Quellen existierte aber schon im neunten und zehnten Jahrhundert ein »Dänemark«, auch wenn unklar bleibt, welche Gebiete genau damit gemeint waren – und wie die politische Situation aussah. Eine ähnliche Ausdehnung wie im elften Jahrhundert ist auch für die frühere Wikingerzeit zu vermuten, doch ist davon auszugehen, dass es im Lauf der Zeit zu Gebietsverschiebungen kam und einige Gebiete möglicherweise auch nur Teil einer nicht näher zu greifenden Einflusssphäre dänischer Könige waren, ohne dass eine direkte Herrschaft vorlag. Eine institutionalisierte Zentralmacht existierte noch nicht. Hinweise bezüglich der räumlichen Ausdehnung eines frühen Dänemarks liefert zum Beispiel der Reisebericht Ottars, eines norwegischen Kaufmanns, der die skandinavische Küste bereiste und dessen Beschreibungen und Bezeichnungen der dänischen Gebiete (Denemearce) in einer englischen Version der Historiae adversus paganos überliefert wurden. Des Weiteren berichtete der dänische König Harald Blauzahn (Haraldr bláto˛nn) auf dem Runenstein von Jelling im zehnten Jahrhundert davon, dass er Norwegen und Dänemark unterwarf. Auch hier wird ein Dänemark (Tanmaurk) erwähnt. (Bildteil, Abb. 1) Die fränkischen Quellen berichten in diesen Kontexten von den dänischen Königen als reges Nordmannorum und reges Danorum.
Die wikingerzeitlichen Siedlungen in Altdänemark.
© Peter Palm nach Vorlage von Tobias Schade
Letztlich ist unklar, welche Gebiete in der Wikingerzeit als »Dänemark« oder »Norwegen« bezeichnet wurden und wie die Herrschaft dort konkret aussah. Die Bestrebungen, bestimmte norwegische Gebiete dem dänischen Besitz zuzuordnen, müssen kritisch diskutiert werden. Vor allem der Versuch, dänischen Besitz in Norwegen auf populärwissenschaftlichen Karten zu verzeichnen, gestaltet sich schwierig, wird doch eine Genauigkeit der historischen Realität suggeriert, die nicht gegeben ist.
Grenzziehungen
Die Südgrenze der Dänen zu den Gebieten der Sachsen, Franken und Slawen bildete der Fluss Eider, der 811 von Karl dem Großen und einem dänischen König namens Hemming zur Grenze erklärt wurde – eine Grenzfunktion erfüllte die Eider bis in das 19. Jahrhundert. Eine zweite, künstlich errichtete Grenzmarkierung stellt das sogenannte Danewerk dar. Dieses wurde schon vor der Wikingerzeit errichtet und im Verlauf des achten bis elften Jahrhunderts ausgebaut und erweitert. Die südliche Grenze lag im heute deutschen Gebiet und erstreckte sich von der Nord- bis zur Ostsee. Der Grenzraum bestand aus den vorgelagerten nordfriesischen Inseln, die damals eine andere naturräumliche Gestalt aufwiesen und vermutlich größer waren – hier übernahmen die Ringburgen Borgsumburg und Tinnumburg Schutzfunktionen –, sowie der Eider und den mit ihr verbundenen Flusssystemen, wie der Treene. Ab Hollingstedt riegelte das Danewerk, ein Wallsystem zwischen Treene und Schlei, den Landweg bis nach Haithabu ab. Der Ort an sich war über einen Halbkreiswall in das defensive System eingegliedert. Die Schlei selbst, mit hölzernem Seesperrwerk nahe Reesholm, sowie der von der Schlei bis Eckernförde verlaufende Osterwall stellten den weiteren Grenzverlauf bis zur Ostsee dar. Siedlungen an der Eider bzw. Treene, wie Elisenhof und Hollingstedt, sowie Siedlungen am Danewerk bzw. Osterwall, wie Ellingstedt, Schuby und Kosel, waren ebenfalls Teil dieser Grenzlandschaft und in die Verteidigungsstrukturen eingebunden. Womöglich waren die Bewohner dieser Siedlungen für die Wartung oder Bemannung einzelner Wallabschnitte zuständig. Aber auch wenn das Danewerk eine Besiedlungsgrenze nach Süden darstellte, ist es nicht nur als militärisches Bollwerk oder möglichst unüberwindbare Grenze zu verstehen. Vielmehr ließen sich archäologisch sogar intensive Kulturkontakte nachweisen. In der Grenzregion Schleswig trafen so unter anderem verschiedene Keramiktraditionen, selbst slawischen Einflusses, und sächsische Hausbauweisen mit skandinavischen Siedlungsweisen zusammen. Auf den Gräberfeldern wurden die Toten hingegen in skandinavischer Tradition bestattet, zumindest bis zur Übernahme des Christentums.
In Südschweden fehlen dagegen, wie schon angedeutet, nachweisbare Grenzen der dänischen Herrschaft nach Norden, zu den Göten und Svear. Einerseits dienten eventuell dichte Wälder in Südschweden – nördlich von Schonen – als Puffer zwischen verschiedenen Siedlungsräumen, andererseits mag sicher eine größere Gefahr von den Franken bzw. Ottonen im Süden ausgegangen sein als von anderen skandinavischen Gruppen im Norden. Schutz und Kontrolle der küstennahen Siedlungen in Südschweden wurden sicherlich vom Meer aus garantiert oder über die küstennahen Ringburgen.
Siedlungsräume in Altdänemark
Die Verteilung der bekannten Siedlungsplätze lässt für das wikingerzeitliche Dänemark verschiedene Siedlungsräume erahnen, die sich teils an der Naturlandschaft orientierten, teils aber auch nahe infrastrukturell günstigen Räumen konzentrierten. Gerade im Hinterland der bedeutenden Plätze Jelling, Ribe, Haithabu und Aarhus, aber auch an Meersengen und wichtigen Meeresrouten finden sich diese Siedlungsgebiete.
In diesen strategisch günstigen Räumen entstanden im Verlauf des achten bis zehnten Jahrhunderts auch die wikingerzeitlichen Ringburgen. Ringburgen waren ringförmige Wallanlagen, teilweise mit Innenbebauung, vermutlich mit militärischer Funktion. Diese finden sich sowohl im nordfriesischen Raum auf den Inseln Föhr und Sylt – Borgsumburg und Tinnumburg – sowie auf Seeland – Borrering – und in Südschweden – Helsingborg, Borgeby, Trelleborg (Schonen). In Nordjütland und auf den Ostseeinseln sind zudem Ringburgen vom Typ Trelleborg nachgewiesen, also mit einer runden Ringwallanlage, deren Innenfläche durch Wegführungen und Innenbebauung mit Häusern einheitlich strukturiert war. Diese Trelleburgen wurden im späten zehnten Jahrhundert errichtet, sie dienten als militärische Anlagen und werden von einigen Forschern mit der Reichsbildung bzw. der Herausbildung einer dänischen Königsmacht in Verbindung gebracht. Die bislang bekannten Trelleburgen sind Fyrkat, Aggersborg, Nonnebakken und das namensgebende Trelleborg (Dänemark). Eventuell ist auch die jüngst untersuchte Anlage Borrering diesem Typ hinzuzufügen. Es ist gut vorstellbar, dass über diese Burgen nicht nur der Schutz und die Kontrolle des ländlichen Raums gewährleistet, sondern auch Verkehrswege über das Meer überwacht wurden. So lagen die Ringburgen unter anderem an Teilen der Südgrenze des Reichs, das heißt an der südlichen Nordseeküste, aber auch in anderen Grenzzonen, sowohl am Limfjord im Norden Jütlands, an den Meersengen beim Großen Belt sowie dem Öresund als auch an der südschwedischen Ostseeküste. An diesen Stellen konnten der Zugang zu Küstenregionen kontrolliert sowie die maritimen Verkehrswege eingesehen werden, schnell ließen sich bei Gefahr Leuchtfeuer zur Kommunikation entzünden oder Schiffe zum Schutz entsenden.
Die Siedlungsplätze lagen entweder unmittelbar küstennah oder aber waren – zumeist – über Flüsse und Bäche mit der Küste verbunden. Ein Großteil der ländlichen Siedlungen ist archäologisch kaum untersucht, zumeist werden Siedlungsplätze anhand von Indizien (Einzelfunde) als solche gesehen oder über Metalldetektorprospektionen und Luftbilder identifiziert. Das heißt, an diesen Plätzen fehlen unmittelbare Nachweise einer Siedlung, Gebäude sind also nicht ergraben, jedoch deuten archäologische Streufunde auf menschliche Aktivitäten und somit auch oft auf Siedlungsaktivitäten hin.
»Ein« Dänemark
Ob diese anhand der Siedlungsverteilung zu vermutenden Kleinregionen auch herrschaftliche Gebiete definierten, in denen eventuell Kleinkönige regierten, oder ab wann »ein« Dänemark existierte, bleibt archäologisch weitgehend unklar. Mutmaßlich lagen aber kulturell verschiedene Kleinregionen vor, so deuten zumindest die archäologischen Quellen, genauer gesagt die Keramiktraditionen und Hausbauweisen, auf Unterschiede zwischen der Nord- und Ostseeregion Dänemarks sowie zwischen dem dänischen Festland und Südschweden hin – ebenso hebt sich auch die Schleiregion in Schleswig-Holstein ab.
2.2 Haithabu.
Politische Geschichte eines Grenzhandelsplatzes
Volker Hilberg, Sven Kalmring
Seit dem späten siebenten Jahrhundert wurden die Beziehungen der christlichen Reiche der fränkischen Merowinger und der verschiedenen angelsächsischen Könige durch politische, aber auch kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen immer enger miteinander verflochten. Im Nordseebecken entwickelte sich dabei ein Netzwerk von küstennah gelegenen Handels- und Produktionszentren, über die diese Kontakte liefen. Überall an den Küsten gab es kleinere Häfen und Landeplätze, an denen sich Handel, Handwerk und Kontakte konzentrierten. Es gelang den einzelnen Königen, ihre Macht an diesen zentralen Orten zu festigen und wichtige Einkünfte über Märkte, Münzprägung und Zölle zu erzielen. Schon bald erweiterte sich dieses Netzwerk durch...