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Die wissen alles über Sie

Wie Staat und Wirtschaft Ihre Daten ausspionieren - und wie Sie sich davor schützen.

AutorFranz Kotteder
VerlagRedline Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783864142185
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Fast täglich geben wir unsere persönlichen Daten her, freiwillig oder auch unfreiwillig, und hebeln damit jeden Datenschutz selbst aus. Kundenkarten, Internetbestellungen und Rabattsysteme sorgen dafür, dass Unternehmen komplette Datenprofile über ihre Kunden erstellen können. Wer sich also wundert, warum Internetanbieter den persönlichen Geschmack so gut einschätzen können, ist meist selbst schuld. Soziale Netzwerke wie Facebook, Lokalisten oder SchülerVZ verleiten dazu, persönliche Angaben aller Art freiwillig ins Internet zu stellen. Microsoft, Google und Co. sammeln Daten, die eigentlich gegen jeden Persönlichkeitsschutz verstoßen. Auf der anderen Seite bespitzeln Arbeitgeber ihre Angestellten, oft legal, aber auch unter Umgehung gesetzlicher Vorgaben. Und auch der Staat will pausenlos wissen, was seine Bürger ausmacht: Die Volkszählung 2011 ist nur der sichtbare Höhepunkt der öffentlichen Sammelwut. Sozialdaten werden über den elektronischen Entgeltnachweis ELENA bereits eifrig gespeichert, obwohl noch gar nicht geklärt ist, ob dies überhaupt verfassungsgemäß ist. Franz Kotteders Buch zeigt, dass Gefahren wie Identitätsklau und Bürgerüberwachung mit jedem neuen Formular steigen, und er klärt auf, warum wir von einem wirklichen Datenschutz noch sehr weit entfernt sind.

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Leseprobe

Das Unbehagen an der IT: Die Sammelwut verunsichert viele Menschen


Wenn Journalisten besonders eindrucksvoll darlegen wollen, welche Daten von einem einzelnen Menschen mittlerweile im Internet so kursieren, dann googeln sie. Entweder sich selbst oder eine andere Person. Die französische Zeitschrift Le Tigre trieb diesen Versuch auf die Spitze und veröffentlichte Anfang 2009 die detaillierte Lebensgeschichte eines jungen Architekten aus Bordeaux. Die Fakten dafür stammten allesamt aus öffentlich im Netz zugänglichen Quellen, und weil der Mann ein sehr aktiver Nutzer der verschiedensten Dienste war – so hatte er allein 17.000 Fotos auf die Datenbank Flickr gestellt –, fiel die Lebensbeschreibung äußerst umfangreich aus. Der Betroffene kündigte einen Prozess wegen Verletzung der Privatsphäre gegen das Magazin an, ließ das dann aber schnell wieder bleiben: Er hätte vor Gericht nicht den Hauch einer Chance gehabt, schließlich hatte er aus freiem Willen all das verwendete Material ins Netz gestellt, aus dem dann später seine öffentliche und veröffentlichte Biografie wurde.

Manche Leser mögen über den Vorfall geschmunzelt haben und sich gesagt haben: selber schuld! Vielen dürfte aber auch klargeworden sein, dass auch über sie viel mehr Informationen im Netz vorhanden sind, als sie sich so bewusst machen. Auch wenn sie nicht zu den »Freaks« zählen, die pausenlos ihre Fotos hochladen oder ihren Senf zu den Äußerungen von Freunden und Bekannten in ihrem sozialen Netzwerk geben müssen. Ein gewisses Unbehagen kann jedenfalls kaum einer verleugnen, der im virtuellen Raum unterwegs ist: Was passiert denn da eigentlich so genau?

Immer häufiger formuliert sich in letzter Zeit dieses Unbehagen auch in den Medien. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung etwa stellte im Juli 2009 fest: »Die Datenaskese der Bürgerrechtler wird vom Datenhedonismus der Nutzer sozialer Netzwerke und Tracking-Dienste weggespült.«[3] Grund dafür, so der Autor, sei ein neues Menschenbild, das die Selbstinszenierung und die Zurschaustellung der eigenen Biografie zu Mitteln im sozialen Überlebenskampf gemacht habe: »Arbeit und Freizeit, berufliche und persönliche Kontakte sind eins, angetrieben von demselben Talent zum Networking.« Dies gehe einher mit einer Unbedenklichkeit, Hilfsmittel wie GPS oder Handy-Ortung im Namen der »Community-Bildung« zu akzeptieren, die zuvor nicht denkbar gewesen wäre: »Im Vergleich zu den Achtzigerjahren, in denen die Reden vom Überwachungsstaat allgegenwärtig waren, leben wir in einer auffällig paranoialosen Zeit.«

Diese Feststellungen waren zu diesem Zeitpunkt durchaus zutreffend. Bereits ein gutes Jahr später aber sehen die Analysen schon wieder anders aus. Aus Anlass der Google-Street-View-Debatte etwa erscheint im Nachrichtenmagazin Spiegel ein Plädoyer für den Kampf um die Privatsphäre.[4] »Freiheit ist auch die Freiheit, sich zu verweigern«, heißt es darin, »es sollte darum gehen, dass wir vor allem bei privatesten Daten erlauben müssen, was damit geschieht.« Es gehe auch nicht um das Abfotografieren von Häuserfassaden, sondern im Kern »um den digitalen Um- und Neubau der Wesen dahinter und darum, dass wir das selbst bereits als Währung anerkennen. Es geht nicht um Egos, sondern um Identität.«

Dies ist eine interessante Fortschreibung des vorausgegangen Textes, und es handelt sich dabei keineswegs um einen Einzelfall. Wurden bis vor kurzem Skeptiker noch belächelt als gestrig daherkommende Maschinenstürmer, die halt noch nicht so recht hineingefunden haben in die Welt des Web 2.0, so hat sich binnen kürzester Zeit eben diese Skepsis durchgesetzt in den Köpfen gerade auch der sogenannten »digitalen Bohème«. In bürgerlichen Kreisen war dieses Thema ohnehin schon verankert, oft durch eine lange Protestgeschichte aus den Achtzigerjahren, aber auch durch Diskussionen innerhalb der intellektuellen Elite der Republik. 2009 etwa erschien die Streitschrift »Angriff auf die Freiheit – Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte«, mit der sich die beiden Schriftsteller Ilija Trojanow und Juli Zeh engagiert und sehr konkret in die politische Debatte einmischten. Ihnen ging es dabei vor allem um die sogenannten Sicherheitsgesetze, die als Allheilmittel gegen »Terrornetzwerke« gepriesen werden. »Netzwerke sind die Drachen des 21. Jahrhunderts«, sagen die beiden dagegen. Es stehe nichts weniger als »ein Kampf um unsere Freiheit und unsere Privatsphäre« bevor, »ein Kampf, der sofort beginnen muss, denn die Zukunft unserer Gesellschaft wird gegenwärtig verhandelt, ohne dass unsere Meinung gehört wird«.[5] Zeh und Trojanow bezogen ihre Kritik in erster Linie auf staatliche Maßnahmen, entließen aber auch die Privatwirtschaft und im Speziellen die großen Internetkonzerne nicht aus der Verantwortung. Tatsächlich zeigte sich da schon, dass Datenschutz keineswegs eine überkommene Problematik für Alt-Linke und Alt-Grüne ist, die eben ein hoffnungslos gestörtes Verhältnis zum Staat haben, sondern dass er alle angeht. Vor allem, weil sich aus vielen kleinen Einzelinformationen heutzutage problemlos ein Gesamtbild zusammenstellen lässt, das wir von uns möglicherweise gar nicht machen lassen wollen. Die Technik aber macht bereits vieles möglich. »Die rasanten Fortschritte hinsichtlich der Rechenleistung und der Auswertungsalgorithmen moderner Computer«, schreibt etwa der Chaos Computer Club (CCC), »machen neue Analysemethoden zugänglich, die das Erkennen von menschlichen Beziehungsgeflechten, Absichten und Vorlieben aus Verkehrsdaten möglich machen.«[6] Es kann jedoch gut sein, dass man das gar nicht will …

Der Untergang der Privatsphäre?

Konzernführer wie Google-Chef Eric Schmidt verstehen so etwas überhaupt nicht. Privatsphäre und Datenschutz – das passt nicht ins Geschäftsmodell. Und deshalb tun sie gerne so, als wäre Privatsphäre so ungefähr das Hinterletzte, was sich ein moderner Mensch vorstellen kann. Scott McNealy, einer der Gründer von Sun Microsystems, brachte das in entwaffnender Offenheit schon 1999 auf den Punkt: »Sie haben keine Privatsphäre mehr. Finden Sie sich damit ab.« Und Marc Zuckerberg, der Chef des größten sozialen Netzwerks überhaupt, nämlich Facebook, hat ein ganz besonderes Sendungsbewusstsein. Er vertritt die These der »radical transparency«, der grundsätzlichen Transparenz. In einer »offenen und transparenten Welt«, so glaubt er, seien die Menschen verantwortungsvoller und toleranter, weil sie zu den Konsequenzen ihres Handelns stehen müssten. Und weil jeder einmal etwas Falsches oder Lächerliches mache. Zuckerberg: »Die Menschen zu dieser Offenheit zu bewegen – das ist eine große Herausforderung, aber ich glaube, wir schaffen das. Es kostet nur Zeit.«

Mag sein, dass diese Menschen wirklich glauben, was sie sagen, und es nicht nur behaupten, weil es am besten zu ihren Geschäftsinteressen passt. Wenn dem so ist, dann hat man es jedenfalls mit einem doch eher einfachen Weltbild zu tun. Dass eine ständige soziale Kontrolle und Aufsicht durch die Community – um einmal das Wort »Überwachung« zu vermeiden – zu einer besseren Welt führt, dieser Gedanke in all seiner Schlichtheit könnte auch von einem George W. Bush jun. stammen.

Der deutsche Medientheoretiker Norbert Bolz von der Technischen Universität Berlin ist der Ansicht: »Der schwerste Angriff auf die Privatsphäre geht dabei übrigens nicht von Regierungen und Unternehmen aus, sondern von den sozialen Netzwerken.«[7] Womit er auf andere Weise das Gleiche sagt wie Zuckerberg. Nur sieht Bolz im ständigen Einblick, den die Community Gleichgesinnter auf das Individuum hat, nichts Positives. Es handele sich, beispielsweise bei Google Street View, um einen Angriff auf den »Geheimniszustand«, der für die bürgerliche Privatsphäre wesentlich sei. Ob dieser Angriff abgewehrt werden kann? Bolz zeigt sich skeptisch: »Die Freiheit der Information hat ihre traditionellen Grenzen an der Privatsphäre des Individuums und der Sicherheit des Staates. Aber es gibt immer mehr Menschen, denen beides gleichgültig ist.«

Man könnte aber mit genauso gutem Recht ebenso sagen: Es gibt inzwischen immer Menschen, denen das nicht mehr gleichgültig ist. Der Kampf um die Privatsphäre ist noch lange nicht entschieden, auch wenn wir alle schon unsere Datenspuren im Netz hinterlassen haben und das Internet keinen Radiergummi kennt. Der Kampf um die Privatsphäre ist freilich nicht zu gewinnen ohne persönlichen Einsatz und ohne die entsprechende Politik in den einzelnen Staaten.

Die Hilflosigkeit der Politik

Was die Politik angeht, gibt es allerdings auch gute Gründe, sich Sorgen zu machen. Denn die Regierungen und die Sicherheitsbehörden zählen ja selbst zu den großen Datensammlern und häufen Informationen an, von deren Notwendigkeit man nicht immer überzeugt sein kann. Obendrein kommt es ja immer wieder zu Datenpannen – und ganz besonders oft anscheinend in Großbritannien, jenem Land innerhalb der Europäischen Union, das führend ist, was Überwachung und Erfassung seiner Bürger angeht. So kamen dort im November 2007 Informationen über 25 Millionen Briten, die Kindergeld beziehen, abhanden, weil sie mit der Post verschickt worden waren und nie ankamen. Im Dezember 2007 verschwanden in britischen Gesundheitszentren Patienteninformationen von mehr als 100.000 Menschen spurlos. Im selben Monat wurde auch der Verlust einer CD mit...

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