Das Königliche Haus im Freistaat
Am 25. November 2008 wurde dem Chef des Hauses Wittelsbach, S. K. H.Herzog Franz von Bayern, die Würde eines Ehrendoktors der Ludwig-Maximilians-Universität München verliehen. Der Bayerische Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst und der Präsident der Universität begrüßten den Ehrendoktoranden unaufgeregt und in der Attitüde des Selbstverständlichen mit «Königliche Hoheit».
Der demokratisch-republikanische Freistaat hat, wenn man die Dinge nüchtern bilanziert, keine Probleme mit seiner wittelsbachischen Vergangenheit, im Gegenteil: Herkulessaal, Antiquarium und Kaisersaal der Münchner Residenz dienen den Repräsentationszwecken des Freistaats ebenso wie die Königsloge des Nationaltheaters, das Cuvilliés-Theater oder das Nymphenburger Schloß. Und gar nicht zu reden ist von den symbiotischen Verhältnissen zwischender Staatsverwaltung, näherhin der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, und dem reichen wittelsbachischen Erbe von Linderhof, Herrenchiemsee und Neuschwanstein bis zur Würzburger Residenz, von der Münchner Residenz bis zum Englischen Garten. Ohne genau an diesem Punkt die bayerischen Verhältnisse mit denen in anderen deutschen Staaten bzw. Ländern vergleichen zu wollen, ist es die erkennbare Unaufgeregtheit der bayerischen Situation sehr wohl wert, in spezifischer Weise registriert zu werden.
Diese Unaufgeregtheit ist nicht primär parteipolitisch definiert bzw. begrenzt. Es war ein sozialdemokratischer bayerischer Ministerpräsident, Wilhelm Hoegner, der für die feierliche Aufbahrung des Kronprinzen Rupprecht im August 1955 anordnete, daß die in der Schatzkammer der Münchner Residenz verwahrte bayerische Königskrone auf dem Katafalk des Verstorbenen zu plazieren sei. – Die vormaligen Herrenabende im Nymphenburger Schloß, die einem männlichen Publikum vorbehalten waren, und die derzeitigen Nymphenburger Empfänge ebendort, zu denen inzwischen auch Damen gebeten werden, verfolgen keinerlei politische oder gar parteipolitische Engführung in der Einladungspraxis, sondern orientieren sich an der Relevanz gesellschaftlicher Kräfte, die für das Wohl des Freistaats Bayern Verantwortung tragen.
Ohne das Potential der eigenen Möglichkeiten zu überschätzen, ohne auf die Avancen der Regenbogenpresse über Gebühr zu reagieren, praktiziert das Haus in dezenter Weise Formen der Anpassung an die Welt des 20. und 21. Jahrhunderts. Hierher gehört die erwähnte Öffnung des Teilnehmerkreises der Nymphenburger Empfänge, hierher gehört das neue Arrangement der Sarkophage von König Ludwig I. und Königin Therese in der Abteikirche St. Bonifaz in München und hierher gehört vor allem die von Herzog Franz von Bayern im Einzelfall verfügte Gleichstellung der Ehepartner aus nicht standesgemäßen Hochzeiten als ebenbürtig.
So braucht es auch nicht zu verwundern, daß die immer wieder in den Gazetten auftauchende wittelsbachische Anwartschaft auf den britischen Thron vom derzeitigen Chef des Hauses als das angesehen wird, was es ist: eine Anekdote der europäischen Geschichte jenseits eines irgendwie gearteten aktuellen Handlungsbedarfs. – Nach der «Glorious Revolution» des Jahres 1688, nach der Vertreibung des Stuart-Königs Jakob II. und dem «Act of Settlement» von 1701 waren die (katholischen) Stuarts von der Thronfolge ausgeschlossen, was von diesen indes nie akzeptiert wurde. Vielmehr vererbte sich der Jakobiten-Anspruch auf den britischen Thron – nach dem Tod des letzten Stuart 1807 – auf verschlungenen Pfaden über die Häuser Sardinien und Modena auf die Linie Habsburg-Este, konkret auf die Erzherzogin Maria Therese, die 1868 den bayerischen Prinzen Ludwig – den nachmaligen König Ludwig III. – heiratete, und schließlich auf deren ältesten Sohn, Kronprinz Rupprecht von Bayern. Auf ihn und seine Nachkommen übertrugen bzw. übertragen die Jakobiten den Anspruch auf den britischen Thron; diese titeln in der Tat: «His Majesty King Francis II, King of Scots, King of Bavaria, Cyprus & Jerusalem & Pharahonic Prince of Egypt».
In der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 hatte Kurt Eisner plakatieren lassen: «Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt.» Am 13. November 1918 entband König Ludwig III. alle bayerischen Beamten und Soldaten des ihm geleisteten Treueides, woraus Eisner eine Abdankungserklärung machte, die das Haus Wittelsbach bis zum heutigen Tag nicht ausgesprochen hat. Seit dem 8. November 1918 ist Bayern gleichwohl eine Republik. Von den schwierigen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und in Teilen auch der Zeit der NS-Herrschaft abgesehen, war und ist das Haus Wittelsbach in Bayern präsent, tritt es in der Öffentlichkeit in unterschiedlicher Intensität auf, nimmt es, wenn so eine altmodische Formulierung erlaubt ist, seinen Platz als vornehmste Familie des Landes ein.
Diese Präsenz war und ist durchaus unterschiedlich konfiguriert. Ihre Dimensionen sind bedingt von den Zeitverhältnissen und den dem Haus entgegengebrachten Loyalitäten, von den politischen Nöten und Gefahren, von Hoffnungen und Illusionen, vom persönlichen Profil der Repräsentanten des Hauses in allererster Linie.
Bis 1921 noch lebte König Ludwig III. Seine und seiner Gemahlin (verstorben am 3. Februar 1919) Beisetzung im Münchner Dom am 5. November 1921 wurde nicht zuletzt von Kardinal Faulhaber als Manifestation des monarchischen Gedankens zelebriert, angesichts derer viele auf die Proklamation einer wieder zu errichtenden Monarchie hofften. In der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit Bayerns und vor allem Münchens in der Weimarer Republik hatte das Zusammenwirken von Kardinal Faulhaber und Kronprinz Rupprecht durchaus Gewicht. Von daher rührte vielleicht auch der Optimismus des Jahres 1933, mit der Wiedereinführung der Monarchie die Machtergreifung Hitlers in letzter Minute abwehren zu können. Und noch die Überlegungen nach 1945, mit dem Amt eines bayerischen Staatspräsidenten Kronprinz Rupprecht den Weg bereiten zu können, gehören in diesen Zusammenhang.
Die Frage nach der Präsenz des Hauses in Politik, Kultur und Gesellschaft seit 1918 ist eng verknüpft mit dem Blick auf die drei Chefs der Familie, die nach 1918 bzw. 1921 für das Haus stehen: Kronprinz Rupprecht, Herzog Albrecht und Herzog Franz.
Kronprinz Rupprecht, geboren 1869, wuchs früh, als ältester Sohn von Prinz Ludwig, dem nachmaligen König Ludwig III., und angesichts der Ehelosigkeit von König Ludwig II., in die Rolle des zukünftigen Thronerben hinein. Rupprecht war aber auch das erste Mitglied des Königlichen Hauses, das seine Ausbildung an einem öffentlichen Gymnasium erhielt. Zwei Orientierungen bildeten sich zeitig aus und gerieten professionell: die Bestimmung für die militärische Laufbahn einerseits und andererseits eine Kunstkennerschaft, die jenseits eines bloß fürstlichen Dilettantismus angesiedelt war und auch in einer Privatsammlung von Rang Ausdruck fand. Die Professionalität im militärischen Bereich spiegelte sich wider in einem raschen Aufstieg bis zur Übernahme der IV. Armeeinspektion im Jahre 1913, in der Nachfolge seines Onkels Leopold, und des Kommandos der 6. Armee bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Seit 1916 Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe, vermochte er die militärische Situation wesentlich realistischer einzuschätzen, als sein Vater und drängte er von daher frühzeitig auf einen Verständigungsfrieden.
Was die Restitution der Monarchie als Staatsform angeht, so gewinnt man bei Rupprecht den Eindruck, als ob eine solche Perspektive seit der Revolution von 1918 bei ihm stets, oder doch zumindest überwiegend, funktional zu sehen ist, das heißt im Dienste anderer politischer Prioritäten: 1933 dem Ziel verpflichtet, Hitler und die NS-Herrschaft zu verhindern, in der Zeit nach 1945 verbunden mit der Hoffnung, einen föderativen Neuaufbau Deutschlands zu gewährleisten, den er sich durchaus in Form einer Wiederherstellung der einzelstaatlichen Monarchien vorstellen konnte. Wenn man das Urteil zuspitzen möchte, dann könnte man geneigt sein, die politische Priorität nicht in erster Linie in der bloßen Restauration der monarchischen Staatsform, sondern weit eher in der Sicherung der bayerischen Staatlichkeit und Eigenstaatlichkeit zu erkennen.
Abbildung 1: Kronprinz Rupprecht
Bekannt geworden sind die knappe Formel von Max Spindler «ungekrönt – und doch ein König» sowie das scharfe Urteil von Golo Mann, daß nach fünf Königen und einem Regenten der siebte, Rupprecht nämlich, der beste geworden wäre. Noch das heutige gesellschaftliche Ansehen des Hauses ruht auf dem von Rupprecht gelegten Fundament, was nicht zuletzt auch damit zusammenhängt, daß er sich, im Gegensatz zu manchen seiner Standesgenossen, von jeglicher nationalsozialistischer Kontamination fernhielt und statt dessen geheime Kontakte mit dem deutschen Widerstand pflegte, seit 1940 nach Italien auswich und früh Verbindung mit den Westalliierten aufnahm.
Von den vier Kindern Rupprechts aus seiner ersten Ehe mit Herzogin Marie Gabriele in...