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E-Book

Eva Perón

Leben und Sterben einer Legende

AutorUrsula Prutsch
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl252 Seiten
ISBN9783406682773
FormatPDF/ePUB
KopierschutzDRM/Wasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
'Don't cry for me, Argentina' - durch ihren frühen Tod wurde Eva Perón zur Legende. Andrew Lloyd Webber widmete ihr ein Musical, Madonna verkörperte sie im Kino. Ursula Prutsch erzählt das kurze, aber intensive Leben einer starken Frau aus einfachen Verhältnissen, die zur mächtigsten Frau Lateinamerikas wurde, und führt dabei zugleich ein in die Geschichte des modernen Argentinien. Mit nur 33 Jahren starb 'Evita' an Krebs. Trotzdem ging die Gattin des argentinischen Präsidenten Juan Perón in die Geschichte ein. Für die einen war sie Feministin, Wohltäterin der Armen und Heilige der Arbeiter, für die anderen eine machtgierige, berechnende Aufsteigerin, die Mildtätigkeit als bloße Show inszenierte. Zur Politik Eva Peróns gehörte es auch zu polarisieren und mit Emotionen zu regieren. Dadurch prägte sie den peronistischen Populismus entscheidend mit. Ursula Prutsch legt nun die erste wissenschaftlich fundierte deutschsprachige Biographie dieser modernen Kunstikone vor.

Ursula Prutsch ist Dozentin am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Geschichte Lateinamerikas im 19. und 20.Jahrhundert.

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Leseprobe

Von der Provinz in die Großstadt


Los Toldos war ein kleines unscheinbares Dorf in der argentinischen Provinz, wie es viele gab. Ein paar Straßenzüge, wenig ansehnliche Häuser, schachbrettartig angelegt, ließen auf ein eintöniges Leben darin schließen. Außer einer Kirche und ein paar Geschäften bot die Siedlung, die inmitten der weiten Graslandschaft der Pampas lag, nichts Nennenswertes.

Bis in das späte 19. Jahrhundert hinein hatten dort Indianer in Zeltdörfern (toldos) gelebt, hatten Ackerbau und Viehzucht betrieben, bis die argentinische Regierung ihnen den Krieg erklärte. Mit Hilfe regelrechter Jagden auf Indianer wurden die fruchtbaren Böden in nur wenigen Jahrzehnten entvölkert. Die solcherart «geleerten» Grundstücke wurden parzelliert und europäischen Bauern als neue Heimat verkauft. Deshalb gab es unter den Bewohnern von Los Toldos Einwanderer aus Spanien und Italien. Auch einige Soldaten aus der Zeit der Indianerkriege hatten sich dort niedergelassen. Die Dorfbewohner züchteten Angus-Rinder, bauten Gemüse an und hielten die Bahnlinie instand, die Los Toldos mit der 200 Kilometer entfernten Metropole Buenos Aires, mit ihren Industrien, Webereien und Schlachthäusern verband.

In dieser Einöde erblickte María Eva Ibarguren am 7. Mai 1919 das Licht der Welt. Die Gemeinde hat das Wohnhaus der Familie zum Geburtsort erkoren und ein kleines Museum eingerichtet, doch war Eva in einem nahegelegenen Bauernhof in General Viamonte zur Welt gekommen, der ihrem Vater gehörte. Eva Perón hat alle diese Daten später fälschen lassen, hat Junín als Ort, 1922 als Jahr ihrer Geburt und Duarte als Familiennamen angegeben. Die Dokumente, die Geburt und Taufe belegen, verschwanden. Die soziale Herkunft empfand sie lange als Makel. Sie, ihr älterer Bruder Juan und ihre drei älteren Schwestern Elisa, Erminda und Blanca waren unehelich geboren. Der Vater, ein Gutsverwalter namens Juan Duarte, unterhielt zwei Familien: eine rechtsgültige mit seiner Frau Adela und einer Tochter in Chivilcoy und eine außereheliche mit seiner Geliebten Juana Ibarguren und fünf Kindern in Los Toldos. Dort lebte der 61-Jährige noch, als María Eva, die Jüngste, zur Welt kam. Weil Duarte geschäftstüchtig war, hatte ihm sein Gutsherr ein Stück Land, einen Bauernhof und ein paar Landmaschinen vermacht. Sogar ein Auto konnte er sich leisten, ein seltenes Statussymbol auf dem Land.

Uneheliche Kinder waren zu jener Zeit auf dem Land nicht selten. Zur Zeit der Indianerkriege hatten Soldaten indianische Frauen genommen, Kinder gezeugt und waren weitergezogen. Außereheliches Zusammenleben war auch mit Armut und dem Unvermögen verbunden, für eine Hochzeit aufzukommen oder die Erlaubnis dafür zu erhalten. Doch in einer traditionell katholischen Gesellschaft waren illegitime Kinder ein Makel, den man nicht vertuschen konnte, weil er auf Ausweisdokumenten festgeschrieben war. Trotzdem war Juan Duarte ein angesehener Bürger des Dorfes, dem man sogar das ehrenvolle Amt des Bezirksrichters übertrug, obwohl sein Doppelleben allen bekannt war. Die dörfliche Doppelmoral, die Mischung aus Neid und Geringschätzung bekam vielmehr Juana Ibarguren zu spüren. Vermutlich gab sie gerade deshalb ihren baskischen Namen zugunsten des Namens Duarte auf. Das machten auch ihre Kinder. In das Taufregister wurden alle jedoch noch als «Ibarguren» eingetragen.[1]

Die finanziellen Zuwendungen Juan Duartes an die Geliebte hatten bis zu dem Moment gereicht, als er sich nach 18 Jahren entschloss, in sein altes Leben nach Chivilcoy zurückzukehren. Seine jüngste Tochter war vier Monate alt, als er ging. Er war Witwer geworden und blieb in Chivilcoy.[2] Die Duartes in Los Toldos rutschten rasch in die Armut ab. Sie verließen ihr kleines Haus an der Hauptstraße und zogen in eine ärmliche Unterkunft im schlechtesten Viertel, das an der Bahnlinie gelegen war. Die Mutter hielt die Familie mit Näharbeiten über Wasser und tat alles, um den Status ihrer Kinder zumindest bei der Kleidung zu verbergen. Zu Beginn des Jahres 1926 kam Juan Duarte bei einem Autounfall ums Leben. Seine ehemalige Geliebte und die Kinder machten sich nach Chivilcoy auf. Dort waren sie ungebetene Trauergäste. Nach einigen Wortgefechten erwirkten sie die Erlaubnis, das Haus der rechtmäßigen Familie betreten und den Sarg des Toten für ein paar Minuten alleine sehen zu dürfen. Beim Gang zum Friedhof war die Rangordnung freilich unveränderbar. Die Duartes aus Los Toldos hatten sich in die Menschenschlange einzugliedern, die dem Trauerzug folgte, und das nur bis zum Friedhofstor.

Der Regisseur Alan Parker lässt seine Verfilmung des Musicals Evita mit dieser Szene beginnen und macht sie noch dramatischer, indem der jüngsten Tochter verwehrt wird, sich über den toten Vater zu beugen. Sie reißt sich von der Hand ihrer Mutter los und gibt dem Vater einen Abschiedskuss. Die Botschaft und das Motto, das den Film durchzieht, werden damit deutlich. Unehelich geboren zu sein und ohne Vater aufzuwachsen, würde ihren Lebensplan und ihr Verhalten prägen. Welches Bild die damals 7-jährige Eva überhaupt von ihrem Vater hatte und wie sie sich an das Begräbnis erinnerte, ist nicht mehr zu sagen. Ihre Autobiographie lässt Kindheit und Erwachsenwerden bewusst im Dunkeln. Da ihre älteren Geschwister die Demütigung verstanden und wohl auch als solche empfanden, blieb sie davon bestimmt nicht unbeeinflusst. Erminda, die zweitälteste Schwester, verfasste 1972 eine stark verklärende Autobiographie. Darin erzählt sie, dass Vater und Mutter glücklich verheiratet waren. Dass die Kinder den Eltern jeden Abend einen Kuss gaben.[3]

1930 zog Juana Duarte mit ihrer Familie nach Junín, wo Elisa dank ihres Vaters eine Stelle bei der Post erhalten hatte. Die Mutter eröffnete einen kleinen Imbiss, den vor allem Männer frequentierten. Mittlerweile hatte die Weltwirtschaftskrise auch die argentinische Provinz erreicht. Anstellungen waren schwerer zu finden, der soziale Aufstieg war mühsamer, weshalb Juana Duarte ihre Tochter Blanca mit einem Anwalt und Elisa mit einem älteren Major verkuppelte. Sohn Juan arbeitete als Bote für eine Drogerie. María Eva wurde in die Sekundarstufe eingeschult. Die dunkelhaarige Elfjährige mit den großen braunen Augen galt als hübsch, still und sensibel. Sie mochte Lyrik, machte in einem Schulspiel mit, fiel durch ihre schulischen Leistungen allerdings nicht besonders auf. An Tagen, an denen die Eintrittskarten billiger waren, ging sie ins Kino. Das Museo Evita und Bildbände, die in Buenos Aires verkauft werden, zeigen ein paar Fotos aus diesen Jahren, auf denen eine dünne Halbwüchsige mit dunklem Pagenkopf mit ihren Geschwistern auf den Straßen von Junín oder bei Landpartien abgebildet ist.

In Junín gab es zwei Filmtheater, die seine Bewohner in die Welt von Deanna Durbin, Greta Garbo und Norma Shearer verführten. Die halbwüchsige María Eva hütete auch ein paar Ausgaben von Sintonía, einer begehrten, bebilderten Filmzeitschrift. Dort las sie Kritiken und Berichte von Streifen, die in Produktion waren und bald gezeigt würden, und schnitt die Fotos aus. Sie tauchte in das schillernde Leben der Stars mit ihren Moden, Autos und Parfüms ein. Wie viele junge Frauen träumte sie von Schauspielerei und frühem Ruhm. Doch wollte sie der heimatlichen Enge nicht nur durch den Konsum von Magazinen und Filmen entfliehen. Als sie aus Junín wegging, war sie noch keine 16 Jahre alt.

Über diesen Aufbruch nach Buenos Aires gibt es unterschiedliche Berichte. Nach der einen Version war es der Tangosänger Agustín Magaldi, der seine junge Geliebte in die Hauptstadt mitnahm und finanziell ein wenig unterstützte. Eine andere, von Joseph Page vertretene Variante erklärt, dass María Eva Ibarguren mit Magaldi und seiner Frau nach Buenos Aires ging, wo Evas Bruder gerade seinen Militärdienst absolvierte. Evitas Schwester Erminda behauptete, dass die ambitionierte Jugendliche von ihrer Mutter und einem Freund begleitet wurde. Eine vierte Version, die Felipe Pigna vertritt, besagt, dass sie allein in die Hauptstadt reiste. Magaldi gab zwar im Kristallpalasttheater von Junín Gastspiele, doch er schien zwischen 1929 und 1936 in der Stadt nicht aufgetreten zu sein. Allerdings verschaffte er der jungen Argentinierin eine Unterkunft bei einer Freundin.[4] Welche dieser Versionen nun stimmt, ist von untergeordneter Relevanz. Im Frühjahr 1935 richtete sich Eva in Buenos Aires ein, um zu bleiben. Sie sprach bei kleinen Theatern vor und wartete beharrlich in den Vorzimmern von Radiolandia und Sintonía, den beliebtesten Fachzeitschriften für Radio und Film. Die Aussicht, dort erwähnt zu werden, gab dem großen Wunsch, ein Star zu werden, ein wenig Nahrung.

Das Buenos Aires der dreißiger Jahre war eine boomende Metropole mit eleganten Boulevards und Stadthäusern nach Pariser Vorbild. Reiche Viehbarone hatten prächtige Palais im historistischen Stil errichten lassen. Manche waren sogar in Frankreich erworben, vor Ort auseinandergenommen und auf Schiffen nach Argentinien verfrachtet worden, wo man sie originalgetreu wiederaufbaute. Am Ufer des Rio de la Plata, dem die Stadt ihren Rücken kehrt, an den langgezogenen Docks, wurde Weizen, Mais und Gefrierfleisch verladen. Zweieinhalb Millionen...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Impressum4
Motto5
Inhalt7
Tod im Museum9
Von der Provinz in die Großstadt14
Eine politische Mission27
«Morgen ist San Perón»44
Fälschungen, Wiedergeburten, Karrieren53
Die Regenbogenreise67
Die Stilikone87
Eine glückliche Welt98
Die Kameradin116
Die Wohltätige127
Krisen, Gerüchte, Enttäuschungen144
Die Unterwerfung166
Die Inszenierung eines langsamen Todes176
Schwarze Legenden und die Odyssee eines Leichnams195
Der Mythos wird global212
Evita lebt – ein vorläufiges Ende225
Anmerkungen230
Literaturverzeichnis245
Bildnachweis249
Dank251
Zum Buch252
Über die Autorin252

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