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E-Book

Dissoziative Störungen

AutorPeter Fiedler
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl129 Seiten
ISBN9783840924828
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Dissoziative Störungen - wesentliche Merkmale der innerpsychischen Verarbeitung und Bewältigung traumatischer und extrem belastender Erfahrungen - sind in den letzten Jahren zu einem zentralen Thema in der psychotherapeutischen Praxis geworden. Die Neubearbeitung des Buches führt praxisnah in konkrete Möglichkeiten der Differenzialdiagnostik ein und informiert über die wichtigsten Ansätze der psychotherapeutischen Behandlung. Im Mittelpunkt des Buches stehen Fragen der Diagnostik und psychotherapeutischen Behandlung von Menschen, die gewalttätigen oder sexuellen Übergriffen, Katastrophen oder schweren Unfällen ausgesetzt waren. Bei den Betroffenen treten in der Folge extrem häufig dissoziative Phänomene wie Amnesien, Depersonalisationen und Konversionen auf. Dissoziative Traumastörungen können nicht nur unmittelbar, sondern auch langfristig zur deutlichen Einschränkung der alltäglichen Funktionsfähigkeit führen. Auch Traumata, die Personen helfender Berufe, wie z.B. Ärzte, Polizisten, Mitarbeiter der Feuerwehr oder Psychologen, bei anderen miterleben, können psychische und dissoziative Störungen zur Folge haben. Das Buch gibt Hinweise für die Diagnosestellung und Therapieplanung. Die Durchführung der Behandlung wird praxisorientiert erläutert. Beispiele veranschaulichen die einzelnen Elemente der Therapie. Die Neuauflage berücksichtigt insbesondere auch aktuelle neurobiologische und neuropsychologische Erkenntnisse.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. 1Dissoziative Phänomene und dissoziative Störungen
  3. 2Störungstheorien und Erklärungsmodelle
  4. 3Diagnostik und Indikation
  5. 4Behandlung spezifischer dissoziativer Störungen
  6. 5 Behandlung bei dissoziativer Identitätsstörung
  7. 6Krisenintervention und Stabilisierung
  8. 7Effektivität: Wissenschaftliche Grund­lagen der Behandlungsempfehlungen
  9. 8Weiterführende Literatur
  10. 9Literatur
  11. 10Anhang
  12. Karte
Leseprobe
Trance und Besessenheit: kulturabhängige dissoziative Störungen

• Dissoziative Trance. In der dissoziativen Trance zeigt die betroffene Person eine zeitlich umschriebene erhebliche Veränderung des Bewusstseinszustandes oder einen Verlust des gewohnten Gefühls der eigenen Identität . Dieser Zustand ist üblicherweise verbunden mit einer Einengung der Wahrnehmung der unmittelbaren Umgebung oder mit einer ungewöhnlich eingeengten und selektiven Fokussierung auf Umgebungsreize . Es kommen stereotype Verhaltensweisen oder Bewegungen vor, die außerhalb der eigenen Kontrolle erlebt werden .

• Dissoziative Besessenheits-Trance. In der dissoziativen BesessenheitsTrance kommt es zu einzelnen oder episodischen Veränderungen des Bewusstseinszustandes, die dadurch charakterisierbar sind, dass eine neue Identität an die Stelle der gewohnten Identität tritt . Dieser Fuguezustand wird regelhaft dem Einfluss eines Geistes, einer Kraft, einer Gottheit oder einer anderen Person zugeschrieben . Typisch sind folgende Symptome und Auffälligkeiten: Einerseits lassen sich stereotypisierte und kulturell festgelegte Verhaltensweisen oder Bewegungen beobachten, die als unter der Kontrolle des Besessenheits-Agens stehend erlebt werden . Andererseits folgt der Besessenheits-Trance eine vollständige oder partielle Amnesie für das Ereignis . Beide Dissoziationsformen dürfen ausdrücklich erst dann als psychische Störungen diagnostiziert werden,

• wenn sie nicht als normaler Bestandteil allgemeiner kultureller oder re ligiöser Riten akzeptiert sind und

• wenn sie in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen . Immer dann, wenn Trance und Besessenheit als „Störung“ oder „Leidenszustand“ beschrieben werden, treten dissoziative Verfassungen zumeist spontan und ungewollt auf . Es kommt zu einem unerwarteten Verlust der Bewusstheit für die eigene Person und für die Umgebung . Es entsteht das Gefühl, als werde man von einer „fremden“ Person oder Macht in Besitz genommen . Betroffene sprechen plötzlich „mit fremder Zunge“ und verhalten sich unkontrollierbar und auf eine für sie selbst höchst befremdliche Weise . Das eigene Selbst erscheint als dissoziiert, Aktionen werden unter „fremder“ Kontrolle ausgeführt.

Als „normale“ Besessenheitstrance ohne Behandlungswert wären Fälle anzusehen, die eindeutig im Kontext religiöser Riten und Handlungen ohne subjektives Leiden auftreten . Die jeweiligen Riten und religiösen Handlungen sind zugleich feste Bestandteile kultureller Gepflogenheiten . Und mit deren Abschluss ist üblicherweise eine Rückkehr der Betroffenen zum normalen alltäglichen Funktionieren verbunden .

1.2.6 Dissoziative Identitätsstörung

In der ICD-10 findet sich noch die Bezeichnung „multiple Persönlichkeitsstörung“ (F44 .81), die jedoch nach Einführung der neuen und genaueren DSM-IV-Bezeichnung „dissoziative Identitätsstörung“ nicht mehr benutzt werden sollte (APA, 1994) .

Bis in die 1980er Jahre hinein war es für die Diagnosevergabe einer „multiplen Persönlichkeitsstörung“ erforderlich, dass die Betroffenen über zwei oder mehr alternierende „Persönlichkeitszustände“ verfügen mussten, die zugleich gegeneinander amnestisch waren („Dr.-Jekyll-Mr.-Hyde-Duality“) . Beobachtungen dieser Art sind ausgesprochen selten, und mit Einführung des DSM-III (APA, 1980) wurde dieses strenge Kriterium der separierten „Persönlichkeiten“ aufgegeben (nicht jedoch das weiterhin wichtige Kriterium teilweiser Amnesie gegenüber vergangener Erfahrung) .

Dissoziative Identitätsstörung: Störungsbeschreibung

Gemäß DSM-IV-TR erhalten die verschiedenen gezeigten Persönlichkeitszustände abwechselnd die Kontrolle über die Person . Als solche bilden sie eine Entität mit einem überdauernden, erinnerbaren und begründbaren Gefühl eines Selbst und mit für sie charakteristischen und konsistenten Verhaltensund Erlebensmustern (APA, 2000) .

Eine solche Beschreibung entspricht jedoch eher einer heute bereits als „klassisch“ zu bezeichnenden Störungsauffassung . Im Sinne einer „modernen“ Störungskonzeption auf Grundlage der Forschungen der vergangenen Jahre wird die dissoziative Identitätsstörung über das Fehlen oder über die Brüchigkeit eines ganzheitlichen Selbst-Erlebens beschrieben (vgl . Cardeña, Lewis-Fernández, Bear, Pakianathan & Spiegel, 1996): Übergreifend kennzeichnend für die unterschiedlichen Facetten der dissoziativen Identitätsstörung ist die Unfähigkeit der Betroffenen, verschiedene Aspekte der Identität, des Gedächtnisses und des Bewusstseins zu integrieren . Es gelingt ihnen nicht, innerpsychisch eine ganzheitlich erlebte oder ganzheitlich wirkende Selbstsicht bzw . Erfahrungswelt aufzubauen . Mit der neuen Bezeichnung „dissoziative Identitätsstörung“ wird das klinische Bild dieser dissoziativen Störung eindeutiger charakterisiert: Die Betroffenen präsentieren keine „multiplen Persönlichkeitsstörungen“ . Die Persönlichkeitsmetapher sollte also mit Bedacht gewählt werden, schon um das Störungsbild nicht in die Nähe der „Persönlichkeitsstörungen“ zu rücken . Es ist angemessener, zukünftig möglichst nur noch folgende Begrifflichkeiten zu verwenden:
• wechselnde Identitäten,
• dissoziierte Identitäten,
• wechselnde Persönlichkeitseigenarten, • wechselnde Persönlichkeitszustände,
• wechselnde Persönlichkeitsmuster,
• wechselnde Rollen oder Rollenmuster,
• Rollenfluktuation .

Die Übergänge zwischen Identitäten werden häufig durch psychosoziale Belastungen oder besonders intensive emotionale Erfahrungen ausgelöst (Tanz, Musik, Betroffenheit) . Es dauert gewöhnlich nur Sekunden, um von einer Identität in eine andere zu wechseln .

Diese ist in der Regel passiv, abhängig, hat Schuldgefühle und ist depressiv gestimmt . Die charakteristischen Eigenarten der übrigen Identitätszustände stehen häufig im deutlichen Gegensatz zur Primäridentität (sind z .B . fröhlich, kindlich, feindselig, kontrollierend-dominant oder selbstzerstörerisch) .


Die Betroffenen scheinen weiter große Schwierigkeiten bei der Modulation von Gefühlen zu haben, was zur Fehldiagnose „Borderline“ führen kann . Sie beziehen ihre subjektive Sicherheit offensichtlich daraus, dass sie in zeitweilig festgefügte Personzustände wechseln, die jeweils durch eine ganz bestimmte, aktuell dominierende Gefühlslage oder Persontypik festgelegt sind: Sie sind zeitweilig entweder ärgerlich oder fühlen keinen Ärger, sie sind gelegentlich sexuell promiskuös, und erscheinen kurze Zeit später als fast zölibatär . Sind sie hoch erregt, haben sie gleichzeitig Schwierigkeiten, sich wieder zu beruhigen . Insbesondere dann, wenn die Patienten bereits psychotherapeutisch vorbehandelt wurden (etwa mittels Hypnose als einer Interventionsform), weisen die Betroffenen gelegentlich mehr als höchstens fünf (bei Männern) oder zehn (bei Frauen) unterschiedliche Identitäten mit unterschiedlichen Namen auf . Weil die Gefahr einer iatrogenen Störungsausweitung besteht, ist diagnostisch und therapeutisch behutsam darauf zu achten, dass dem vorbestehenden Störungsbild keine weiteren Identitäten hinzugefügt werden .

1.3 Epidemiologische Daten

Schätzungen zur Prävalenz dissoziativer Störungen in der Allgemeinbevölkerung schwanken zwischen zwei und sechs Prozent . Bei direkten Fragebogen-Erhebungen in einer US-Bevölkerungsstichprobe mit der …
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis7
1Dissoziative Phänomene und dissoziative Störungen11
1.1Dissoziative Phänomene11
1.2Dissoziative Störungen12
1.3Epidemiologische Daten22
1.4Verlauf und Prognose24
1.5Komorbidität und vorgeordnete Diagnosen25
1.6Differenzialdiagnostik: weitere Aspekte29
1.7Diagnostische Verfahren34
2Störungstheorien und Erklärungsmodelle36
2.1Gedächtnis und Erinnerung37
2.2Dissoziative Störungen40
2.3Dissoziierte Identitäten48
2.4Trauma – Belastung – Konflikt50
3Diagnostik und Indikation52
3.1Erstkontakt52
3.2Psychologische Untersuchungen53
3.3Medizinische Untersuchungen58
3.4Differenzielle Indikation59
4Behandlung spezifischer dissoziativer Störungen61
4.1Patientenschulung: Information und Aufklärung62
4.2Beeinflussung und Reduktion von Reizen, die dissoziative Erfahrungen aktivieren67
4.3 Bewältigung und Selbstmanagement dissoziativer Erfahrungen72
4.4Sorgenvoll zwanghaftes Grübeln81
4.5Narrative Psychotherapie: Kognitive Strategien und Remoralisierung82
5 Behandlung bei dissoziativer Identitätsstörung88
5.1 Das allgemeine Therapieziel und seine Ambivalenz88
5.2Elemente der Behandlung89
5.3Behandlungsverlauf91
5.4Narrativ-kognitive Therapiestrategien94
5.5Thema: Missbrauch97
5.6Aktivierung persönlicher Ressourcen100
6Krisenintervention und Stabilisierung101
6.1Selbst- bzw. Fremdgefährdung102
6.2Existenzielle Krisen und Notlagen103
6.3Notwendige Phasen der Stabilisierung105
7Effektivität: Wissenschaftliche Grund­lagen der Behandlungsempfehlungen108
7.1Posttraumatische und dissoziative Belastungsstörungen109
7.2Solitäre dissoziative Störungen110
7.3Narrative Psychotherapie111
7.4Pharmakologische Kombinationsbehandlung112
8Weiterführende Literatur112
9Literatur113
10Anhang119
Karte128

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