Vorwort
Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: NEIN.
Kurt Tucholsky
Ob es uns gefällt oder nicht, Fakt ist, dass es in unserer Gesellschaft praktisch keine einzige Familie mehr gibt, die nicht in irgendeiner Weise direkt oder indirekt vom Thema »Sucht« berührt ist. Zwar fühlen sich immer noch erstaunlich viele Menschen in keiner Weise persönlich angesprochen, wenn es um Drogen oder Sucht geht. Doch wer der festen Meinung ist, er habe in dieser Gesellschaft eine Chance, dem Thema zu entgehen, gibt sich einer trügerischen Verkennung hin und wiegt sich in falscher Sicherheit.
Rauchen, Alkohol, Cannabis, Partydrogen oder die vielen Ausprägungen nichtstofflichen Suchtverhaltens sind in einem derart hohen Maße Allgemeingut, dass wir alle direkt oder auf Umwegen damit zu tun haben. Und selbst dort, wo eine Familie als lebendiges Miteinander völlig frei von jedwedem eigenen Genuss- oder Rauschmittelgebrauch ist, drängt ihr die Konsumgesellschaft mit aller Macht ihre nach suchtartigen Gesetzmäßigkeiten organisierten Strukturen auf.
Dies voraus geschickt, ist das vorliegende »SuchtBuch« tatsächlich als familientaugliches Handbuch mit einem Angebot für alle gedacht: für Mütter und Väter, Söhne und Töchter, Frauen und Männer, Jungen und Mädchen, für Erwachsene gleichermaßen wie für heranwachsende Menschen in ihrer jeweiligen alterstypischen Betroffenheit, für Gebraucher und Konsumenten potenzieller Suchtmittel wie für Nichtkonsumenten, für Selbstbetroffene wie Mitbetroffene, für Gefährdete, Abhängige und Coabhängige.
Jede und jeder findet in diesem praktischen Handbuch das, was er an seinem Platz in der Familie oder in seinem sozialen Umfeld braucht, um bestimmungsgemäß mit Genussmitteln oder Drogen bzw. sachgerecht mit dem Thema »Sucht« umgehen zu lernen. Jeder Leser kann das Buch wahlweise als nützliche Informationsquelle oder als praxisorientierte Handlungsanleitung für alltägliche Situationen nutzen, je nach eigener Interessen- und Bedürfnislage sowie innerer Bereitschaft, sich auf die Inhalte und Botschaften des Textes einzulassen.
Lesern gleich welcher Altersstufe, welche selbst Genuss- oder Rauschmittel benutzen, werde ich nahe treten, unabhängig davon, ob es sich um den Gebrauch legaler oder illegalisierter Stoffe handelt. Ich gedenke das in einer Art und Weise zu tun, die es den Gebrauchern potenzieller Suchtmittel innerlich ermöglicht, mein Ihnen-nahe-Treten zuzulassen, ohne auf Abwehr zu schalten. Ich werde an keiner Stelle des Buches mit erhobenem Zeigefinger oder moralisierendem Absolutheitsanspruch daherkommen. Ich werde klare Positionen beziehen, aber Raum lassen für andere Sichtweisen der Dinge. Ich werde jederzeit eine deutliche Sprache sprechen, aber mich niemals abwertend oder verurteilend zeigen.
An zahlreichen Stellen beziehe ich den Leser über drei Wege direkt in das Buch mit ein. Erstens, indem ich Sie als erwachsenen Leser oder dich als jugendlichen Benutzer des Buches persönlich anspreche. Zweitens, indem ich zu Denkpausen sowie zu interaktiven Übungen bzw. Handlungsproben anrege, und drittens, indem ich mich dafür einsetze, unmittelbare Veränderungsschritte auch wirklich anzugehen. Von daher weist das Buch neben der Sachebene eine Beziehungsebene auf sowie eine Ebene, welche einiges an Unterhaltungswert zu bieten hat.
Ich lege in allen Kapiteln Wert auf leichtes Verständnis und flüssige Lesbarkeit. Mein Buch über Drogen, Suchtverhalten und Vorbeugung »für die ganze Familie« soll von Jugendlichen ebenso verstanden werden wie von Erwachsenen. Theoretisches Fachchinesisch ist genauso wenig meine Sache wie überdrehter oder sich gar anbiedernder Szenejargon.
Wenn uns als sozialen Wesen der Humor vergeht, sterben die innere Lebendigkeit und Glücksfähigkeit mit ab. Daher hat Lachen einen eigenen menschlichen wie therapeutischen Wert. Wiederholt sind Textpassagen deshalb mit einem humoristischen Augenzwinkern geschrieben. Die Melodie der Sprache nimmt ihnen dennoch nichts von ihrem thematischen Ernst. Sie verdeutlicht jedoch, dass es auch einen »leichten Umgang« mit einem »schweren Thema« geben kann, der ohne unangemessene Verniedlichung in der Sache das Recht auf gesunden, heilsamen Frohsinn bejaht.
Inhaltlich schlage ich in meinem Buch den Bogen von der theoretischen Seite der Sucht zur alltäglich gelebten Praxis im Umgang mit Genuss- und Rauschmitteln sowie zur menschlichen Begegnung mit den Nutzern von Substanzen aller Art. Ich lege die Strukturen der nach suchtartigen Mustern funktionierenden Gesellschaft offen und beschreibe das Wesen sowie die Dynamik der süchtigen Beziehungsstruktur. Das geschieht weniger theoretisch-abstrakt, sondern anhand zahlreicher aus dem Leben gegriffener Beispiele, die Jugendlichen wie Erwachsenen an etlichen Stellen vertrauter vorkommen dürften, als ihnen jeweils lieb sein mag. Nur bringen sie es bisher vermutlich nicht in Verbindung mit den typischen Gesichtern der süchtigen Beziehungsstruktur. Dieses Kapitel liegt mir deshalb am Herzen, weil es unmittelbar geeignet ist, die Handlungsfähigkeit des Lesers gegenüber dem Thema »Sucht« zu erhöhen. Es ermöglicht nicht bloß, die »Grammatik« der süchtigen Abhängigkeit vom Kopf her besser zu verstehen, sondern bereitet darüber hinaus den Boden, sie auf einer tieferen Ebene gefühlsmäßig zu erfassen. Das mindert private wie professionelle Gefühle von Rat- und Hilflosigkeit im Umgang mit Rauschmittel gebrauchenden Menschen. Insofern ist das entsprechende Kapitel gedacht als eine Maßnahme gegen die Ohnmacht.
Man kann natürlich auch direkt zum Thema kommen, indem man das Buch wie ein Nachschlagewerk oder als Ratgeber zur konkreten Hilfestellung benutzt. Die entsprechenden Seiten haben einen grauen Randbalken. Danach sollte man sich aber in jedem Fall den eher allgemeinen Mechanismen von Sucht und Suchtverhalten zuwenden, wie sie in den ersten Kapiteln beschrieben werden. Denn ohne eine Kenntnis der »Suchtgrammatik« bleiben nicht nur Erklärungsversuche, sondern auch konkrete Schritte zur Unterstützung und Hilfe von Süchtigen auf halbem Wege stehen, und auch viele der Schwierigkeiten und Enttäuschungen, mit denen man sich unweigerlich konfrontiert sieht, bleiben ohne Erklärung.
Die Basisinformationen zu legalen wie illegalen bzw. illegalisierten Genuss- und Suchtmitteln liefern alle wesentlichen Informationen zum schnellen Nachschlagen. Das Eingehen auf nichtstoffliche Verhaltenssüchte zeigt auch einige weniger vertraute Gesichter der Sucht auf, die in unserer Gesellschaft maßlos verkannt werden.
Der Umgang mit den verbreitetsten Genuss- und Rauschmitteln sowie die damit einhergehenden psychosozialen Probleme werden aus Sicht von Kindern und Jugendlichen wie aus dem Blickwinkel Erwachsener behandelt. Alle Alters- und Zielgruppen, selbst betroffene Konsumenten psychoaktiver Stoffe sowie mittelbar berührte Familienangehörige oder anderweitig coabhängig verstrickte Menschen erhalten konkrete Hilfestellungen, welche geeignet sind, erstarrte Beziehungsstrukturen wieder in Bewegung zu bringen. Hinweise auf Kennzeichen und Warnsignale für Drogengebrauch beantworten häufig gestellte Fragen von Müttern und Vätern, Lehrern, Sozialarbeitern oder sonstigen Angehörigen helfender Berufsgruppen. Die ausführlichen Handreichungen in gesonderten »Servicekapiteln« für jugendliche wie erwachsene Nutzer des Buches sind ebenso konkret und handfest wie praxistauglich verfasst. Sie bleiben nicht im Unverbindlichen, sondern geben detaillierte Hinweise zum angemessenen Vorgehen in kritischen Alltagssituationen.
»Unterhaltsames mit Hintersinn« eröffnet als Blick nach vorne Wege zur Selbsterkenntnis sowie zu individueller, familiärer oder auch zu professionell motivierter Veränderung.
Für die »Vermännlichung« der deutschen Sprache habe ich leider keine Lösung parat, welche die Leserinnen meines Buches wirklich zufrieden stellen könnte. Es widerstrebt mir, Satzungeheuer zu bilden, welche in schöner Regelmäßigkeit die männliche wie weibliche Schreibweise wiederholen. Ebenso wenig befriedigend finde ich andere, in der Schriftsprache notdürftig verbreitete Halbheiten, um dem Dilemma der Gleichberechtigung von weiblicher wie männlicher Form im Sprachgebrauch zu entgehen. Insofern benutze ich der Lesbarkeit wegen meist durchgängig die männliche Schreibweise im Text. Nur wo es der Inhalt...