Schweinebacke und Erdbeeren – vom Sparen und Konsumieren
Meine polnische Freundin schickte uns eine dieser lustigen Karten mit einem Spruch darauf. Es ging ums Sparen: »Du legst die ganze Zeit für einen Lamborghini und für ein iPhone was zur Seite und plötzlich: bam! … du hältst es nicht aus und kaufst dir ein Snickers und eine Cola.«
Wenn ich Deutsche für etwas bewundere, dann ist es deren rationaler Umgang mit Geld und anderen Gütern, auch den immateriellen, und ihre Fähigkeit zur Selbstbeschränkung. Deutsche Sparsamkeit hat nichts mit Geiz zu tun, sie ist eine Grundhaltung. Der Journalist Peter Zudeick behauptet: »Alle Deutschen eint eine gleichsam angeborene Abneigung gegen Verschwendung und andere Ausschweifungen. Buchstäblich und im übertragenen Sinne. Verschwendung, das ist wieder so was Südländisches, Unzuverlässiges.« Deutsche verachten Luxus und misstrauen ihm. Einer EU-Studie zufolge sind die Deutschen die sparsamsten Verbraucher der Union. Wie überraschend. Jeder denkt so über Deutsche, sogar sie selber, und jeder wird das sofort bestätigen, der wie ich neulich eine Kundin sah, die ein einziges Ei kaufte. Man kauft 1 Ei, wenn man ein Ei braucht, was soll daran ungewöhnlich sein? Vielleicht hatte die junge Frau einen defekten Kühlschrank. Oder in einem Rezept, welches sie gerade nachkochte, war von »einem Ei« die Rede; die Deutschen sind schließlich nicht nur für ihre Sparsamkeit, sondern auch für ihre Genauigkeit bekannt. Mein Eierfach im Kühlschrank ist jedenfalls gefüllt, ich muss schließlich jederzeit auf unerwartetes Pfannkuchenbacken vorbereitet sein. Das heißt, ich besitze ganze sechs Eier. Was meine zu Besuch weilende und uns gerne bekochende Mutter jedes Mal beim besorgten Blick in unseren Kühlschrank veranlasst, mich zum Eierkauf zu schicken, meine wären nämlich alle. Bei ihr liegen im Kühlschrank oft dreißig Eier, niemals aber weniger als zwanzig, auf dem Wochenmarkt besorgt und von bester Qualität. Diesen Hamster- und Organisiertrieb der Hausfrauen, die im real existierenden Sozialismus zusehen mussten, ihre Familien sattzubekommen, habe ich mir zum Glück nie antrainiert. Ich kann mir auch deswegen rational die Entscheidung eines Kunden erklären, der neulich im Gemüseladen exakt sechs Spargel verlangte. Aber bevor ich mir vorstellen konnte, wie er diese zubereitet und für wen (für ihn und seine Frau – jeder drei Stück, dazu Kartoffeln – wie viele? – und vermutlich Kochschinken, freilich eine köstliche Mahlzeit), tauschte ich schon verstohlene, verschmitzte Blicke mit dem türkischen Verkäufer. Sechs Spargel. Und zwei Radieschen als Vorspeise?
Ich habe großen Respekt vor der Sparsamkeit der Deutschen, ganz zu schweigen von ihrer Exaktheit, und werfe selber nie, niemals! Lebensmittel weg. Und ich möchte unbedingt diesen Grad der Gewissheit erreichen, in dem man so genau weiß, auf wie viele Spargel man Lust haben wird. Oder wie viele Kartoffeln man bereit ist zu verputzen. Gleichwohl ich die Anekdote über das Abzählen der Kartoffeln für Gäste doch für eine urban legend halte.
Andererseits lehren einen schon die Münchner Lebensmittelpreise Bescheidenheit und treiben einem angeborene Neigungen zur Verschwendung aus. In meiner Brust wohnen mittlerweile zwei Seelen. Die slawische, auf Genuss und Verprassen programmiert, und die germanische, die Verschwendung verabscheut und auf das Preis-Leistungs-Verhältnis achtet. Da wir zeitweise in drei verschiedenen Ländern wohnen, haben meine Mutter, meine Schwester und ich die Angewohnheit, uns per E-Mail und Skype gegenseitig über unser Essverhalten zu informieren, über unsere Einkäufe und die kulinarischen Erfolge (»Was sind das für Stückchen in deiner Gorgonzolasoße?«). Nie war transnationales Kochen so einfach wie heute. Im vergangenen Juni erhielt ich enthusiastische Bilder mit prächtigen Erdbeeren im Flechtkorb. »Ich esse keine«, schreibe ich meiner Schwester zurück, »zu teuer.« Es ist eine Art Protest, in dem ich seit Jahren verharre: Ich kaufe in München keine Erdbeeren, danke. Selbst im teuren Warschau kann man zum Preis von einem Münchner Plastikschälchen in der Größe eines Brillenetuis einen ganzen Korb davon erwerben. Anders als korbweise werden sie auf städtischen Märkten gar nicht angeboten. Bin ich im Frühsommer in Polen, stopfe ich mich bis knapp vor einer Vitaminvergiftung mit ihnen voll. Tomaten kaufe ich im August kofferraumweise. Knoblauch in ganzen Zöpfen. So oder gar nicht. Ich führe einen privaten Obst- und Gemüsekrieg, auch wenn es für die EU-Wirtschaft wohl kaum ins Gewicht fällt. Manchmal vergesse ich in Deutschland die Preise, und mit osteuropäischem Schwung fange ich an, Papier- und Plastiktüten zu füllen. »Noch eine Handvoll bitte.« Der Verkäufer schaut freudig-misstrauisch beim Abwiegen der Wildkräuter, ob ich weiß, wie viel Euro eine Handvoll wert ist. Am liebsten würde ich sowieso – wie die in den achtziger Jahren frisch aus Moskau eingetroffene und ihren ersten, schnellen Einkauf auf dem Viktualienmarkt erledigende Dame aus der wahren Anekdote meiner Freundin – von allem immer einfach »ein Kilo« ordern. Erdbeeren in lächerlichen kleinen Schälchen nicht zu kaufen ist für mich auch eine Entscheidung ästhetischer Natur. Wie praktisch, dass unsere Tochter sowieso eine Erdbeerallergie hat.
Laut besagter EU-Studie sind die Deutschen nicht nur die Sparsamsten, sondern auch die Preisbewusstesten beim Einkaufen. 55 Prozent würden auch bei kleinen Preisen vergleichen. Die Fälle dieses Verhaltens sind mir wohl bekannt. Wenn man sie am Ende auch nicht gerade für Beweise der Sparsamkeit halten kann. Zum Beispiel die Szene aus Loriots Papa ante portas, in der Herr Lohse, von seiner Frau zum ersten Mal zu Besorgungen geschickt, ein Glas Senf kaufen möchte und nach Mengenrabatt fragt. Den bekommt er tatsächlich, da er eine ganze Palette davon nach Hause bestellt. Loriot hat nur ein bisschen übertrieben, ich kenne auch im richtigen Leben ausgefuchste deutsche Shopper, die nur deswegen zwei Fahrradschlösser kaufen, da diese so zu einem geringeren Preis pro Stück zu haben sind.
Deutsche sehen Sparen als Sport. Das würde ein weiteres Ergebnis der erwähnten vergleichenden Studie auch erklären, das eine kleine weltanschauliche Sensation ist. Die auf jeden Euro schauenden Deutschen, die nichtverschwenderischen, das sich zurückhaltenden Deutschen sind die mit Abstand zufriedenste Nation in Europa. Und das, obwohl sie ihr Land in einem »Abwärtstrend sehen« und sich permanent in einer Stimmung befinden, die man als »skeptische Zufriedenheit« bezeichnet. Zufrieden seien auch die Briten und die Polen, sagt die Studie. Doch wie anders ist ihr Konsumverhalten: Während bei den Deutschen das Glücksgefühl umgekehrt proportional zum Geldausgeben steigt, konsumieren die Briten am meisten von allen Europäern. Und die Polen haben dabei die meiste Freude.
Ich kann bestätigen: Polen konsumieren gerne. Es braucht keine soziologischen Abhandlungen, um zu sehen, dass sie immer noch mit Wonne Jahrzehnte der Mangelwirtschaft abreagieren. So kaufen sie mit geradezu mustergültigem Eifer nicht nur ihre Lebensmittel kiloweise – Preisangaben pro Gramm sind in Polen unbekannt –, sondern auch deutsche Autos, inklusive der großen, teuren Modelle. Und zwar zu Preisen, die doppelt so hoch sind wie in den USA. Kein Problem. Freilich können sich das nicht alle Polen leisten. Die anderen kaufen trotzdem deutsche Autos, gebraucht. Sie gelangen oft im Schrottzustand nach Polen und werden hier repariert. Kein Problem. Die neuen und die alten Fahrzeuge landen dann nebeneinander im selben Stau. In beiden Fällen, als zügellose Konsumenten und als Nachhaltigkeit Praktizierende, erweisen sich Polen als gute Europäer und Nachbarn. Schließlich muss Deutschland seine Produkte exportieren. Deutsche konsumieren vielleicht nicht gerne, produzieren aber umso lieber. Sie mögen in der Postkonsum-Phase angekommen sein, Exportweltmeister sind sie geblieben.
Und weil sie von allem so viel haben, aber gar nicht so viel haben wollen, und schon gar nicht in der alten Ausführung, müssen sie schauen, wo sie ihre alten Sachen unterbringen können. Das mit den Autos erledigen wir Polen, gebrauchte Elektrogeräte werden nach Afrika verschifft. Dort zupfen Kinder Kupferdrähte aus alten deutschen Computerkabeln, um sie zu verscherbeln und so ihr Mittagessen zu verdienen. Sie arbeiten oft in stinkenden, giftigen Rauchwolken; wer Bilder davon gesehen hat, lässt seinen Laptop zum dritten Mal reparieren, bevor er sich zum Kauf eines neuen entschließt.
Nachhaltiges Denken sehen Deutsche gerne als ihr nationales Patent. Nirgendwo gibt es so viele Umweltaktivisten, Wertstoffhöfe und bunte Altmetall- und Altflaschencontainer wie in Deutschland, für jede Farbe einen eigenen. Sehe ich etwa in Italien eine Weinflasche oder eine zerknüllte Zeitung im normalen Abfall, blutet mein germanisiertes Herz.
In Polen indes kann ich mich nicht mehr so leicht als Apostel des Umweltschutzes austoben. Denn erstens kann es mir dann passieren, dass ich von meiner Familie höflich daran erinnert werde, wie ich schon als Kind, also in Zeiten, als es in Deutschland das Wort »Recycling« noch gar nicht gab, Blechdosen, Papier und Flaschen gesondert an speziellen Sammelstellen abgeben musste. Zweitens muss ich zugeben, dass die neuen polnischen »Müllgesetze« beeindruckend sind und jede grüne Partei mit freudigem Stolz erfüllen würde. Und drittens, weil man mit dem Aufruf zur Beschränkung in einem Land, wo längst nicht alle in den Genuss von Wohlstand gekommen sind,...