Teil I Poison Valley
Kapitel 1 Der Mitschnitt
«Was meinst du damit, es geht morgen nicht auf Sendung?» Meine Worte waberten durch die sich leerenden Räume der Nachrichtenabteilung im vierten Stock von Nr. 30 Rockefeller Plaza im Comcast Building, das früher das GE Building gewesen war, das wiederum davor das RCE Building gewesen war. Die Mitarbeiter nannten es auch 30 Rock. Am anderen Ende der Leitung redete mein Producer bei NBC News, Rich McHugh, gegen irgendetwas an, das sich anhörte wie die Bombardierung von Dresden, aber es war in Wirklichkeit nur der ganz normale Wahnsinn einer Familie mit zwei eineiigen Zwillingspärchen. «Ich habe den Anruf eben bekommen, sie – nein, Izzy, ihr müsst teilen – Jackie, hör auf, sie zu beißen – Papa muss telefonieren –»
«Aber es ist die stärkste Geschichte in der ganzen Reihe», erwiderte ich. «Vielleicht nicht gerade großes Fernsehen, aber die beste Geschichte dahinter –»
«Sie sagen, wir müssen es verschieben. Das ist Tinn», sagte er und verschluckte den Schluss. Er meinte Tinnef. Rich McHugh hatte die Angewohnheit, sich an jiddischen Begriffen zu versuchen, und es funktionierte nie.
Eine Reihe von kurzen aufeinanderfolgenden Beiträgen zu bringen wie die, die McHugh und ich starten wollten, erforderte Choreographie. Die zugrunde liegenden Geschichten waren lang, fraßen ganze Tage der umkämpften Zeit in den Schneideräumen des Senders. Sie zu verschieben war eine große Sache.
«Auf wann?», fragte ich.
Am anderen Ende der Leitung hörte man einen dumpfen Knall und mehrmals aufeinanderfolgendes kreischendes Lachen. «Ich muss kurz auflegen», sagte er.
McHugh hatte als Producer bei Fox und MSNBC und fast ein Jahrzehnt bei Good Morning America gearbeitet. Er hatte eine breite Brust, rötliche Haare und ein rötliches Gesicht und trug meistens karierte Arbeitshemden. Er sprach geradeheraus und knapp, eine Art, mit der er durch die passiv-aggressive Sprücheklopferei der Unternehmensbürokratie drang. «Er sieht aus wie ein Bauer», hatte der Leiter einer investigativen Unterabteilung gesagt, der uns im Jahr davor zusammengebracht hatte. «Und er redet auch wie ein Bauer. Ihr beide passt überhaupt nicht zusammen.»
«Warum dann diese Zuweisung?», hatte ich gefragt.
Er zuckte mit den Schultern. «Ihr werdet einander guttun.»
McHugh schien skeptisch gewesen zu sein. Ich sprach nicht gerne über meine Familie, aber die meisten Leute wussten Bescheid: Meine Mutter, Mia Farrow, war eine Schauspielerin, mein Vater, Woody Allen, Regisseur. Meine Kindheit war in der Regenbogenpresse ausgebreitet worden, nachdem er des Missbrauchs meiner siebenjährigen Schwester Dylan angeklagt worden war und eine sexuelle Beziehung mit einer anderen meiner Schwestern, Soon-Yi, angefangen und sie schließlich geheiratet hatte. Es hatte wieder ein paar Schlagzeilen gegeben, als ich ungewöhnlich jung mit dem College begonnen hatte und als ich als Sondergesandter nach Afghanistan und Pakistan gegangen war. 2013 bekam ich einen Vierjahresvertrag bei NBCUniversal, im ersten Jahr als Moderator eines Mittagsmagazins auf ihrem Kabelkanal MSNBC. Ich hatte davon geträumt, eine ernsthafte, auf Fakten gestützte Sendung zu machen, und war am Ende stolz darauf, wie ich dieses ungünstige Zeitfenster für investigative Geschichten nutzte. Die Sendung bekam am Anfang einige schlechte Kritiken, am Ende gute Kritiken und hatte durchweg wenig Zuschauer. Ihre Absetzung wurde kaum bemerkt; noch Jahre später kamen aufgekratzte Bekannte auf Partys auf mich zu und sagten mir, sie liebten die Sendung und würden sie jeden Tag sehen. «Das ist wirklich nett von euch», sagte ich dann zu ihnen.
Ich wechselte zurück zum Netzwerk, um als investigativer Journalist zu arbeiten. Was Rich McHugh anging, war ich ein junges Leichtgewicht mit einem berühmten Namen, der Beschäftigung suchte, da mein Vertrag länger lief als meine Fernsehsendung. An dieser Stelle sollte ich sagen, die Skepsis war gegenseitig, aber ich will halt immer von jedem geliebt werden.
Wenn man mit einem Producer unterwegs ist, verbringt man viel Zeit zusammen in Flugzeugen und Mietwagen. Bei unseren ersten Aufnahmen zusammen herrschte gähnendes Schweigen zwischen uns, während die Leitplanken des Highways vorbeiflitzten, oder ich füllte das Schweigen, indem ich zu viel von mir erzählte und ein gelegentliches Grunzen hervorrief.
Aber wir begannen starke Geschichten für meine investigative Reihe in der Today Show und für die Nightly News zu produzieren, und mit einigem Zögern wuchs ein gegenseitiger Respekt. McHugh war so klug wie jeder, dem ich im Nachrichtengeschäft begegnet bin, und ein schonungsloser Redakteur von Skripts. Und wir liebten beide eine knallharte Geschichte.
Ich warf einen Blick auf die Eilmeldungen auf einem der Bildschirme im Nachrichtenraum und schrieb Hugh. «Ist es das Thema sexuelle Übergriffe, vor dem sie Angst haben?», textete ich. In der Geschichte, die verschoben wurde, ging es um Colleges, die interne Untersuchungen über sexuelle Angriffe verpfuscht hatten. Wir hatten mit Opfern und mutmaßlichen Tätern gesprochen, einige von ihnen in Tränen aufgelöst, andere mit dem Gesicht im Schatten. Eine solche Reportage in dem Acht-Uhr-morgens-Segment, für das sie eingeplant war, erforderte, dass Moderator Matt Lauer ernsthaft besorgt die Stirn runzelte, bevor er zum Thema Promi-Hautpflege überleitete.
McHugh schrieb zurück: «Genau. Ständig Trump und dann auch noch sexuelle Übergriffe.»
Es war ein Sonntagabend Anfang Oktober 2016. Am vorausgegangenen Freitag hatte die Washington Post einen Artikel mit einer zurückhaltenden Überschrift gebracht: «Extrem anzügliche Bemerkungen Trumps über Frauen aus dem Jahr 2005 mitgeschnitten».[1] Zu dem Artikel gab es ein Video. Es war die Art von Video, zu dem man früher gesagt hätte: «Guck das lieber nicht am Arbeitsplatz». In einem Monolog, eingefangen von den Kameras der Promi-News-Sendung Access Hollywood, ließ Trump sich darüber aus, dass er Frauen «an die Pussy» fassen könne.[2] «Ich habe versucht sie zu ficken. Sie war verheiratet», hatte er gesagt. «Heute hat sie große künstliche Titten und alles.»
Trumps Gesprächspartner war Billy Bush gewesen, der Gastgeber von Access Hollywood. Bush war ein kleiner Mann mit schönen Haaren. Man konnte ihn neben einen beliebigen Promi stellen, und schon fing er an, einen Schwall unsinnigen Celebrity-Geplappers von sich zu geben, das man vergessen konnte. «Wie geht es Ihnen mit Ihrem Hintern?», hatte er einmal Jennifer Lopez gefragt.[3] Und als sie mit sichtbarem Unbehagen erwiderte: «Ist das Ihr Ernst? Haben Sie mich das wirklich gerade gefragt?», antwortete er fröhlich: «Ja.»
Und als Trump von seinen Heldentaten berichtete, zwitscherte und kicherte Bush zustimmend. «Ja! Eins zu null für Donald!»
Access Hollywood gehörte zu NBCUniversal. Nachdem die Washington Post die Story an diesem Freitag gebracht hatte, hatten NBC-Plattformen in Windeseile ihre eigenen Versionen gesendet. Access hatte einige der weniger geschickten Bemerkungen Bushs gelöscht. Einige Kritiker fragten, zu welchem Zeitpunkt die Chefs von NBC von dem Mitschnitt erfahren hatten und ob sie ihn absichtlich zurückgehalten hatten.[4] Geleakte E-Mails offenbarten verschiedene Zeitfenster.[5] In sogenannten Hintergrund-Anrufen behaupteten die Manager gegenüber Reportern, dass die Story einfach noch nicht fertig gewesen sei und eine zusätzliche juristische Überprüfung erfordert hätte. (Über einen dieser Telefonanrufe bemerkte ein Journalist der Washington Post scharf: «Der leitende Angestellte konnte nicht erklären, welche konkrete juristische Frage sich stellt, wenn man ein elf Jahre altes Video von einem Präsidentschaftskandidaten zeigt, dem damals offensichtlich klar war, dass er vom Fernsehen gefilmt wurde.») Zwei Anwältinnen von NBCUniversal, Kim Harris und Susan Weiner, hatten sich das Video angesehen und es freigegeben, aber NBC zögerte und verlor eine der wichtigsten Wahlkampfstorys einer ganzen Generation.
Es gab noch ein weiteres Problem: Die Today Show hatte Billy Bush gerade in sein Moderatorenteam aufgenommen. Nicht einmal zwei Monate zuvor hatten sie einen Beitrag namens «Das ist Billy» veröffentlicht, mit Filmmaterial, wie er sich das Brusthaar mit Wachs entfernen lässt.[6]
McHugh und ich steckten mit unserer Reihe seit Wochen tief in der redaktionellen Arbeit und der juristischen Überprüfung. Dass uns Ärger bevorstand, wurde in dem Moment offensichtlich, als ich anfing, in den sozialen Medien Zuschauer auf die Reihe aufmerksam zu machen. «Schalten Sie ein, um die Entschuldigung von #Billy Bush zu sehen, bleiben Sie dran, um zu sehen, wie #Ronan Farrow ihm erklärt, warum eine Entschuldigung nötig ist»,...