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E-Book

Ehrenmord in Amerika

Hass und Begehren unter Männern

AutorDavid McConnell
VerlagBruno-Books
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783867878883
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Eine Serie von Morden an schwulen Männern erschüttert die Vereinigten Staaten. David McConnell untersucht die Gründe für den Hass, der diese Verbrechen möglich macht. Er zeichnet intime Porträts der Täter, die ebenso schockieren wie faszinieren. Anhand bisher unbekannter Details und Fakten sowie beeindruckender Gefängnisinterviews arbeitet der Autor die grausamen Fälle minutiös auf. Die so entstandenen Geschichten sind verstörend wie die Taten, die ihnen zugrunde liegen. Mit eindringlicher Präzision und einer bisweilen unheimlichen Unbeschwertheit verwandelt McConnell die untersuchten Kriminalfälle in atemberaubende Literatur.

David McConnell ist Autor der vielbeachteten Romane 'The Silver Hearted' und 'Firebrat'. Seine Erzählungen und journalistischen Texte erschienen in zahlreichen Magazinen und Anthologien, u.a. in 'Literary Review' und 'Granta'. McConnell lebt in New York.

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1

Einleitung:
Männer und Männlichkeiten

Als Kind hatte ich große Angst vor einer bestimmten Seite meines Lexikons, einer Farbtafel, auf der verschiedene Wespen- und Bienenarten abgebildet waren. Beim Durchblättern des Buches wusste ich stets, wo die Insekten auf mich warteten; schon Seiten zuvor hielt ich mir die Augen zu und zwang mich dann doch weiterzublättern. Das Lexikon war sehr alt, doch ließ das brüchige, halbdurchsichtige Schutzblatt, unter dem die Bilder nur schemenhaft zu erkennen waren, die Insekten noch furchteinflößender erscheinen. Dass es sich bloß um Abbildungen handelte, beruhigte mich keineswegs. Für mich spielte der Unterschied zwischen Abbildung und Wirklichkeit keine Rolle, und die intensive Angst, die ich beim Anschauen empfand, übte eine derart starke Faszination auf mich aus, dass ich immer wieder zu meinem Lexikon greifen musste. Legte ich es darauf an, meine Fingerspitzen dem Stachel dieser monströsen Insekten auszusetzen? Eingestehen wollte ich mir das nicht.

Auch von den Geschichten, die in diesem Buch geschildert werden, habe ich mich zugleich angezogen und abgestoßen gefühlt. So beunruhigend und brutal sie sind, ich empfand den Drang, so viel wie möglich über sie in Erfahrung zu bringen, und ich habe mich bemüht, in meiner Darstellung genauso präzise und informativ zu sein wie jener Grafiker in meinem Lexikon. Nur hat mein Thema den Nachteil, dass es sich nicht durch Zuschlagen des Buches zum Verschwinden bringen lässt. Denn mein Thema sind Männer, ihre Ängste und die Gewalt, zu der sie fähig sind.

Im Zuge der Recherchen für dieses Buch ist mir klar geworden, dass man über Gewalt zwischen Männern nur schreiben kann, wenn man nach dem Verhältnis von Gewalt und Sexualität fragt. Schon die Alltagserfahrung lehrt, dass alles, was sich zwischen Männern abspielt, Freundschaften, Rivalitäten, aber eben auch Morde, in sexuelle Metaphern gekleidet ist. Wenn Männer, um die Oberhand zu gewinnen, um sich besser in Szene zu setzen, andere Männer beschimpfen und beleidigen, braucht man nach sexuellen Untertönen nicht umständlich zu suchen. Wir wissen nur zu gut, was das alles mit Konkurrenzverhalten, mit Aggression und Gewalt zu tun hat. Dennoch schrecken wir häufig davor zurück, über die Implikationen sexualisierter Sprache nachzudenken.

Ich habe einen Bekannten, der sich in einem betont maskulinen Milieu bewegt; als dieser Bekannte zu einem Abendessen ausnahmsweise nicht nur seine Kollegen, sondern auch einen schwulen Freund einlud, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: »Mir war überhaupt nicht bewusst, dass wir uns andauernd über Schwulitäten unterhalten.« Aufgefallen war ihm das nur, weil er sich durch die Anwesenheit seines schwulen Freundes seltsam befangen gefühlt hatte.

Auch für mich gab es, beim Schreiben dieses Buches, einen solchen Moment plötzlicher Einsicht. Wenn das Aufeinandertreffen heterosexueller und schwuler Männer so oft zu Konflikten führte (und in diesen Fällen zu Mord) – war ich hier vielleicht auf etwas gestoßen, das schlaglichtartig den verdrängten Zusammenhang von Männlichkeit und Gewalt erhellte? Metapher und Wirklichkeit, hingen sie nicht enger miteinander zusammen, als man sich gemeinhin eingestand?

Vielleicht wird dieses Buch bei einigen Lesern Ekel oder Aversionen auslösen, nicht nur wegen der heiklen Thematik. In diesen Geschichten geht es um Männer, von denen rund die Hälfte (und der weit überwiegende Teil der Opfer) schwul sind. Doch so schwer es fallen mag, diese einfache Tatsache zu akzeptieren: Was Männlichkeit ist, lässt sich nur verstehen, wenn man die Erfahrungen homosexueller Männer berücksichtigt; die Geschichten, die in diesem Buch erzählt werden, werden nur dann verständlich, wenn man Homosexuelle nicht länger aus der Geschichte der Männlichkeit ausklammert. Es gibt viele verschiedene Arten von Männern; aber alle gehören sie derselben Gattung, der Gattung Mann an.

Immer noch sind Schwule längst nicht überall gesellschaftlich akzeptiert. Wenn sich die Geschichten, die ich erzähle, so nur in den USA oder einem anderen westlichen Land abspielen konnten, dann deswegen, weil Schwule hier mit einer gewissen Selbstverständlichkeit am öffentlichen Leben teilhaben. Dennoch hat mir die Arbeit an diesem Buch immer wieder gezeigt, dass es eigentlich um uralte Fragen geht – um Fragen, die mit der langen Geschichte der Männlichkeit verflochten sind und weit über den Horizont unseres Jahrzehnts oder Jahrhunderts und seiner vergleichsweise emanzipierten Moralvorstellungen hinausreichen.

Ich schreibe in diesem Buch über Mord, weil ich glaube, dass es wichtig ist, auch die unangenehmen Seiten dieser widersprüchlichen Geschichte auszuleuchten. Dabei habe ich mich bewusst für eine nüchterne Erzählweise entschieden. Deutungen beschränken sich auf ein Minimum; die Sprache des Buches ist direkt, manchem vielleicht zu direkt. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Fälle, von denen ich berichte, jüngeren Datums. Doch verweisen sie alle auf etwas, das weit in die Vergangenheit zurückreicht, etwas, das unausgesprochen bleiben musste. Die Schauplätze und gesellschaftlichen Umstände wechseln, und dasselbe gilt für das sexuelle Selbstverständnis der Beteiligten und die konkreten Mordmotive. Doch genau darauf kam es mir an. Denn weder wollte ich ein politisches Pamphlet schreiben, noch den Gerichtsmedizinern ihre Arbeit abnehmen. Mir ging es darum, die Wirklichkeit so lebensnah wie möglich zu schildern; und eben deswegen habe ich einen literarischen, keinen wissenschaftlichen Zugang gewählt.

Heterosexuelle Männer werden in diesem Buch nicht ganz so respektvoll und behutsam behandelt, wie sie es (und wahrscheinlich, ohne sich dessen bewusst zu sein) immer noch erwarten. Das weit verbreitete Bild des Mannes als tollpatschiger Trampel ist, wie ich vermute, Ausdruck eines Gefühls der Machtlosigkeit. Und auch ein anderes Klischee, der Mann als gefühlloser Brutalo, dürfte seinen Ursprung in der Wut der Machtlosen auf die Mächtigen haben. Doch wiewohl solche Karikaturen weit verbreitet sind, haben sich heterosexuelle Männer in ihrer gesellschaftlichen Machtposition einrichten können. Sie sind es gewohnt, dass über ihr wahres Ich, über ihre Schwächen, ihre Ängste, ihre Körper und Komplexe ein Mantel des Schweigens gebreitet wird. Wo es darauf ankäme, wird über Männer nur mit der größten Diskretion gesprochen; Männlichkeit ist, zumindest in manchen Kulturen, der Inbegriff katzenhaft entrückter, unantastbarer Würde. Es ist mithin kein Zufall, wenn Vorstellungen, die mit Ehrgefühl, mit einem Gefühl von Würde und der Unantastbarkeit der eigenen Person zu tun haben, eine bedeutende Rolle auch in den Fällen spielen, die in diesem Buch geschildert werden. Hätte ich mich beim Schreiben von denselben Ehrbegriffen leiten lassen, wäre es mir unmöglich gewesen, zum Kern dieser Geschichten vorzustoßen.

Wenn mich die Befindlichkeiten heterosexueller Männer eher kalt lassen, bedeutet das freilich nicht, dass ich die Mythen schwuler Aktivisten mit Samthandschuhen anfassen würde. Anders als im pädagogisch wertvollen Hollywoodfilm sind die schwulen Männer, die in diesem Buch auftreten, nicht durchgehend die Antithese schwuler Klischees. Einige scheinen ein nachgerade übertrieben stereotypes Leben zu führen, das manchen abgeklärten Hetero dazu bringen dürfte, indigniert die Nase zu rümpfen. Nicht, weil es sich um Homosexuelle handelte (denn wen kümmert das schon), sondern weil es so abgeschmackt wirkt.

Aktivisten und Anwälte verwenden gerne Begriffe wie »hate crimes« und »gay panic defense«, um Gewalttaten gegen Schwule zu erklären. Das Motiv für die Tat hat dann wahlweise ein diffuser Schwulenhass oder aber das panische Umsichschlagen zu sein, mit dem heterosexuelle Männer zwangsläufig auf Annäherungsversuche von Männern reagieren. Nun mögen diese Begriffe, als erster Ansatzpunkt für weitergehende Überlegungen, ihren Zweck durchaus erfüllen. Nur treffen sie, meiner Ansicht nach, nicht, worauf es eigentlich ankommt (und das nicht zuletzt deswegen, weil in den hier geschilderten Fällen sehr unterschiedliche Typen von Männern, in sehr unterschiedlichen Situationen aufeinandertreffen). Dabei geht es mir nicht darum, eine bestimmte politische Position zu verfechten; vielmehr ist es mein Anliegen, die allgemein menschliche Dimension dieser Gewalttaten in den Blick zu rücken. Auch deswegen habe ich mich für den etwas exotischen Begriff »Ehrenmord« entschieden, denn diese Bezeichnung kommt, so fragwürdig das klingen mag, dem Motiv dieser Gewalttaten am nächsten. Die amerikanische Gesellschaft ist kein Geflecht von Clans, Stämmen oder Großfamilien, sondern besteht aus Individuen, die sich aufgrund geteilter Überzeugungen und Werte zu größeren Gruppen zusammenschließen. Die Träger männlichen Ehrgefühls sind, in ihrer Zugehörigkeit zu religiös oder ethnisch definierten Gemeinschaften, Einzelpersonen – Einzelpersonen allerdings, die sich darin gleichen, dass sie Homosexualität, die Missachtung der Regeln des Anstands und den Verfall der guten Sitten als denkbar schwerste Bedrohung ihrer Ehre empfinden. Die Mörder, um die es mir geht, gerieten nicht deswegen außer sich, weil sie angemacht wurden. Vielmehr verstanden sie sich als rächende Glieder einer kämpfenden Kirche, als Statthalter und Siegelbewahrer einer bedrohten Männlichkeit.

Auslöser der Gewalt war in all diesen Fällen jene dunkle, explosive Spannung, wie ich sie an jungen Männern (und nicht zuletzt auch an mir) immer wieder beobachtet habe. Ursache dieser Spannung dürfte ein anhaltendes und tiefgehendes Gefühl der Verunsicherung sein: Man befürchtet, kein richtiger Mann zu...

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