Vorwort zur Neuausgabe von 2004
Fast zehn Jahre sind seit dem Erscheinen dieses Buches vergangen. Dass ich es geschrieben habe, ging – wie damals in der Einleitung erwähnt – auf ein Angebot zurück, das mir während meines Studiums gemacht wurde, nach meiner Wahl zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der Harvard Law Review. Diese Berufung sorgte für ein gewisses Aufsehen. Ein Verleger zahlte mir einen Vorschuss, und ich machte mich an die Arbeit, überzeugt, anhand der Geschichte meiner Familie einen Beitrag zum Verständnis der Rassenprobleme in unserem Land und der Identitätsbrüche leisten zu können, der Ungleichzeitigkeiten und kulturellen Differenzen, die für moderne Gesellschaften so charakteristisch sind.
Als das Buch erschien, war ich, wie die meisten Jungautoren, voller Hoffnung und Zweifel – Hoffnung, es könne ungeahnten Erfolg haben, Zweifel an mir selbst, nichts Wesentliches gesagt zu haben. Die Wahrheit lag irgendwo in der Mitte. Das Buch wurde wohlwollend besprochen, und zu den Lesungen, die der Verlag organisierte, kamen tatsächlich Leute. Die Verkaufszahlen waren nicht überwältigend. Und nach ein paar Monaten kehrte ich in meinen Alltag zurück, überzeugt, dass meine Schriftstellerkarriere kurzlebig sein würde, aber froh, die Sache mehr oder weniger würdevoll überstanden zu haben.
In den nächsten zehn Jahren blieb mir kaum Zeit zum Nachdenken. 1992 war ich in einem Projekt zur Registrierung von Wählern engagiert, ich begann als Bürgerrechtsanwalt zu arbeiten und unterrichtete an der Universität von Chicago Verfassungsrecht. Meine Frau und ich kauften ein Haus, bekamen zwei reizende, gesunde und lebhafte Töchter und mussten Geld verdienen. Als 1996 im Parlament von Illinois ein Sitz frei wurde, drängten mich einige Freunde zu kandidieren. Ich errang das Mandat. Mir war schon klar, dass die Politik in den Bundesstaaten längst nicht so aufregend ist wie in Washington. Man steht nicht im Scheinwerferlicht, beschäftigt sich mit Themen, die für einige Leute wichtig, für den Mann auf der Straße aber ziemlich uninteressant sind (Zulassungsbestimmungen für Wohnmobile etwa oder Abschreibung bei landwirtschaftlichen Maschinen). Doch ich fand die Arbeit befriedigend, vor allem, weil hier in überschaubarer Zeit konkrete Ergebnisse möglich sind – beispielsweise die Einbeziehung armer Kinder in die Krankenversicherung oder eine Gesetzesreform, die verhindern soll, dass Unschuldige in die Todeszelle wandern. Und auch, weil man im Parlament eines großen industriell geprägten Bundesstaats tagtäglich im Gespräch mit den Menschen ist: mit der schwarzen Mutter aus dem Slumviertel und dem Farmer, dem Investmentbanker und dem ungelernten Arbeiter – sie alle wollen ihr Anliegen vorbringen, gehört werden.
Vor einigen Monaten wurde ich von der Demokratischen Partei als Repräsentant des Staates Illinois für den US-Senat nominiert. Es war eine hart umkämpfte Entscheidung in einem Feld mit vielen finanziell abgesicherten, fähigen und prominenten Kandidaten; ich selbst, ein Schwarzer mit einem merkwürdigen Namen, ohne organisatorischen Rückhalt und Vermögen, war als Außenseiter angetreten. Und als ich dann die Mehrheit errang, mit den Stimmen weißer und schwarzer Wähler aus den Vorstädten und den innerstädtischen Vierteln von Chicago, fiel die Reaktion ähnlich aus wie bei meiner Wahl zum Präsidenten der Law Review. Mainstream-Kommentatoren äußerten sich überrascht und mit der ehrlichen Hoffnung, dass mein Sieg einen spürbaren Wandel in unserer Rassenpolitik signalisiere. Die schwarzen Wähler empfanden Stolz auf das, was ich erreicht hatte, auch wenn sich in diesen Stolz Frustration mischte, weil wir – fünfzig Jahre nach dem Verfahren Brown vs. Board of Education und vierzig Jahre nach Verabschiedung des neuen Wahlrechts – noch immer die Chance feiern (nur die Chance, denn es stehen schwere Wahlen an), dass ich der einzige Afroamerikaner im Senat (und erst der dritte in seiner Geschichte) werden könnte. Meine Familie, meine Freunde und ich registrierten das große Interesse mit Verwunderung, waren uns immer der Kluft zwischen dem Medienhype und der banalen Alltagsrealität bewusst.
So wie jenes Interesse vor zehn Jahren meinen Verleger aufmerksam gemacht hatte, so hat der abermalige Medienrummel zu einer Neuauflage geführt. Zum ersten Mal seit Jahren habe ich das Buch wieder in die Hand genommen und einige Kapitel gelesen, weil ich sehen wollte, ob sich meine Stimme im Laufe der Zeit verändert hat. Ich muss gestehen, dass ich immer wieder zusammenzuckte – bei einer ungeschickten Formulierung, einer unverständlichen Aussage, einem larmoyanten oder allzu kalkuliert eingesetzten Gefühl. Weil ich den knappen Ausdruck zu schätzen gelernt habe, würde ich das Buch am liebsten um fünfzig Seiten kürzen. Ich kann aber nicht ernsthaft behaupten, dass die Stimme in diesem Buch nicht mir gehört, ich die Geschichte heute ganz anders erzählen würde als vor zehn Jahren, auch wenn bestimmte Passagen sich als politisch unbequem erwiesen haben und Wasser auf die Mühlen von Kommentatoren und politischen Gegnern sind.
Deutlich verändert hat sich natürlich der Kontext, in dem das Buch heute gelesen wird. Entstanden war es vor dem Hintergrund von Silicon Valley und dem Börsenboom, zu einer Zeit, als die Berliner Mauer fiel, Mandela langsam, unsicheren Schritts das Gefängnis verließ und Staatspräsident wurde, die Osloer Friedensvereinbarung unterzeichnet wurde. Die kulturpolitischen Auseinandersetzungen hierzulande – um Waffenbesitz und Abtreibung und Rap-Musik – wurden so heftig geführt, weil Bill Clintons Dritter Weg (ein reduzierter Wohlfahrtsstaat ohne große Ambitionen, aber auch ohne scharfe Kanten) einem allgemeinen Grundkonsens entsprach, dem selbst George W. Bush, der »Konservative mit Herz«, zustimmen musste. Außenpolitisch war vom Ende der Geschichte die Rede, vom Sieg des Kapitalismus und der Demokratie, vom globalisierten ökonomischen Wettstreit, der an die Stelle von Krieg und alten Rivalitäten treten würde.
Und dann, am 11. September 2001, zerbrach die Welt.
Ich will gar nicht erst versuchen, diesen Tag und die folgenden Tage zu beschreiben – die Flugzeuge, die gespenstisch in Stahl und Glas rasten, die zeitlupenhaft einstürzenden Türme, die aschgrauen Gestalten in den Straßen, den Schmerz und die Angst. Und ich will auch nicht so tun, als könnte ich den abgrundtiefen Nihilismus verstehen, der die Terroristen und ihre Gesinnungsgenossen antrieb und noch heute antreibt. Meine Empathie versagt angesichts des ausdruckslosen Blicks all jener, die eine sinnlose Befriedigung darin finden, unschuldige Menschen zu töten.
Ich weiß nur, dass sich an diesem Tag die Geschichte mit Macht zurückmeldete. Und dass, wie Faulkner schon sagte, die Vergangenheit nicht tot, nicht einmal vergangen ist. Diese kollektive Geschichte, diese Vergangenheit, berührt unmittelbar meine eigene. Nicht nur, weil die unheimlich präzisen Anschläge von al-Qaida mir vertraute Orte trafen – Nairobi, Bali, Manhattan; nicht nur, weil sich überege Republikaner seit dem 11. September über meinen Namen lustig machen. Sondern auch, weil der Grundkonflikt – zwischen Reich und Arm, zwischen Moderne und Tradition, zwischen jenen, die die anstrengende, konfliktträchtige Unterschiedlichkeit der Menschen akzeptieren und doch auf gemeinsamen, verbindlichen Werten bestehen, und jenen, die, unter welcher Flagge, Parole oder heiligen Schrift auch immer, eine verkürzte Eindeutigkeit suchen, die Gewalt gegenüber dem Anderen rechtfertigt – weil dieser Grundkonflikt auch in meinem Buch anklingt.
Ich kenne die Verzweiflung und die Unruhe der Ohnmächtigen: ich habe gesehen, wie sie das Leben der Kinder auf den Straßen von Djakarta, Nairobi und in der Chicagoer South Side beeinflusst, wie schmal der Grat zwischen Demütigung und grenzenloser Wut ist, wie schnell aus Hoffnungslosigkeit Gewalt wird. Ich weiß, dass die Antwort der Mächtigen auf diese Unruhe – schwankend zwischen träger Selbstzufriedenheit und, sobald die Unruhe eine gewisse Grenze überschreitet, gedankenloser Anwendung von Gewalt, längeren Gefängnisstrafen und noch ausgeklügelteren Waffen – nichts ausrichtet. Ich weiß, dass unversöhnliches und fundamentalistisches Denken uns alle ins Verderben stürzt.
Und so verband sich mein Versuch, diesen Konflikt zu verstehen und meinen Platz darin zu finden, mit der gesellschaftlichen Debatte, in der ich mich engagiere, einer Debatte, die auf Jahre hinaus unser Leben und das unserer Kinder prägen wird.
Was das politisch heißt, wäre Thema für ein anderes Buch. Ich möchte statt dessen mit einer sehr persönlichen Bemerkung schließen. Die meisten Menschen, die in diesem Buch vorkommen, sind – mal mehr, mal weniger – Teil meines Lebens.
Einen ganz besonderen Platz nimmt aber meine Mutter ein, die kurz nach Erscheinen dieses Buches an Krebs starb.
Sie hatte in den vorangegangenen zehn Jahren all das getan, was ihr am Herzen lag. Sie reiste, arbeitete in entlegenen Dörfern Asiens und Afrikas, half den Frauen, eine Nähmaschine oder eine Milchkuh zu kaufen oder eine Ausbildung zu beginnen, die ihnen wirtschaftliche Unabhängigkeit bringen würde. Sie schloss Freundschaften mit Menschen aus allen Schichten, unternahm lange Wanderungen, betrachtete den Mond und stöberte auf den Märkten von Delhi oder Marrakesch nach irgendeiner Kleinigkeit, einem Schal oder einer Figur, die ihr gefiel. Sie schrieb Berichte, las Romane, ging ihren Kindern auf die Nerven und träumte von Enkelkindern.
Wir sahen uns oft, hatten eine gute Beziehung. Sie las das Manuskript dieses Buches, korrigierte mich, wenn ich etwas falsch verstanden hatte, äußerte sich nicht zu...