Ankunft Kabul
Wir sehen aus wie frisch evakuiert, aber wir sind gerade erst in Afghanistan angekommen. Ich sehe aus wie eine Mischung aus einem verkaterten Ernest Hemingway mit Brille und einem verruchten Professor Grzimek. Ich trage einen Tropenleinenanzug. Dazu einen grünen Stahlhelm von der Bundeswehr. Unter der Splitterschutzweste habe ich mir eine zweite Weste auf mein hellblaues Hemd geschwitzt. Aber ich bin zufrieden. Wir sind tatsächlich da. Wir haben es getan. Wir sind nach Afghanistan geflogen.
Wir befinden uns nun auf dem Kabul International Airport (KAIA).
Es sind fünfundvierzig Grad im Schatten. Mit Helm und Splitterschutzweste sind es fünfundneunzig Grad. Ich sehe mich um. Wie messen die im Schatten? Hier gibt es nirgends Schatten.
Hinter uns landen Hubschrauber und Flugzeuge. Vor uns steht Hauptfeldwebel Kevin. Um seinen Hals hängt ein Maschinengewehr. An seinem Gürtel eine Pistole. Um ihn herum steht noch ein halbes Dutzend Soldaten, hinter und neben uns auch. Eigentlich sind hier nur noch Soldaten, bis auf uns.
Es blitzt zweimal kurz nacheinander. Dann steigt Rauch auf. Nichts Schlimmes. Ich habe mir eine Zigarette angezündet, nach dieser Reise hat man sie sich auch verdient. Der Hauptfeldwebel gibt Feuer frei, und wir rauchen alle.
Die Raucherpause ist zu Ende. Wir werden auf Fahrzeuge verteilt. Zuvor werden uns für den eventuellen Ernstfall Codewörter genannt. Für den Fall, dass wir angegriffen werden sollten, bekommt man mit diesen Codewörtern jederzeit sofortigen Zutritt in die Camps. Die Codewörter lauten KITE und INCAPABLE. Sollte man beide vergessen haben, sagt man WORLD. Dann wird man, wenn es gut läuft, zumindest nicht sofort erschossen. Wenn man mit KITE angerufen wird, soll man mit INCAPABLE antworten. Dann weiß man, dass es ein Freund ist. Der Feind kennt die Codewörter nämlich nicht.
Die Fahrzeuge, in die wir steigen, haben alle Namen. Eins heißt Eagle, eins heißt Dingo und eins heißt Zweitonner. Man erklärt uns, dass der Zweitonner im Falle eines Angriffs die Schwachstelle des Konvois sei, weil er nicht gepanzert ist. Deswegen wird auf ihm auch nur unser Gepäck transportiert. Zuerst steigt die Besatzung in den Dingo, dann ich in den Eagle. Ich werde an einen Platz gesetzt, der aussieht wie der Chefsessel in einer Gamers Lounge. Ein riesengroßer Bildschirm ist direkt vor meinem Gesicht, und neben meinem rechten Arm befindet sich ein Joystick. Wir fahren an. Ich betrachte die Anlage vor mir. Zum Spielen wird das unmöglich eingebaut worden sein. Das hier ist für echten Krieg. Wenn ich mir sehr viel Mühe gebe, kann ich mich so bewegen, dass ich durch die Vorderscheibe ein kleines bisschen von der Straße sehe. Falls etwas passieren sollte, hätten wir hier Nebelwerfer an Bord, um uns zu verschleiern und dann abzuhauen, während die anderen kämpfen. Die Frage, ob ich so eine Nebelkartusche haben könne, um sie mal an meinem Nachbarn auszuprobieren, wird klar verneint.
Hauptfeldwebel Kevin erzählt uns, dass der KAIA eigentlich ziemlich sicher sei, weil er nicht nur militärisch, sondern auch von den afghanischen Drogenbaronen benutzt wird, um ihr Heroin zu exportieren. Und da diese kein Interesse daran haben, dass ihre Lieferungen hier rumliegen, haben die Taliban zwei Feinde, was den Flughafen angeht. Genauso verhalte es sich mit der Straße, auf der wir gerade unterwegs sind. Der Highway Seven führt mitten durch Kabul und wird Highway To Hell genannt. Dieser Weg ist der Hauptweg, auf dem Heroin transportiert wird. Außerdem, erklärt Kevin, sei momentan gerade Mohnernte, und es werde jeder Mann gebraucht. Deswegen fänden die Taliban nicht viele Freiwillige oder Söldner, die nachts auf die ISAF-Lager schießen würden. Die seien alle zu müde von der Ernte. Hauptfeldwebel Kevin berichtet mir das in einem Tonfall, als würde er gerade erzählen, dass es an der Tanke keine Erdnüsse mehr gäbe und er mir deswegen Cashews mitgebracht hätte. Er erzählt auch noch, dass der gesamte Highwaybereich sowohl von einem Zeppelin als auch von Drohnen aus der Luft überwacht würde. Man sähe also, wenn jemand versuchen würde, eine Bombe einzugraben, und könnte sie dementsprechend entfernen. Außerdem werde jedes Mal, wenn ein Konvoi starte, parallel dazu eine Hubschrauberbesatzung in Alarmbereitschaft versetzt, um notfalls zu evakuieren.
Kevin ist schon seit drei Monaten hier. Und auch schon zum zweiten Mal. Er kennt sich hier ganz gut aus. Ich lasse mich in meinen Sitz zurückfallen und kann aus dem Augenwinkel ein bisschen von Kabul sehen. Die Straße ist ganz schön belebt. Alles erinnert irgendwie an ein Gewerbegebiet, in das Baracken, aber auch Einfamilienhäuser und Mietskasernen gleichzeitig gebaut worden sind. Die Frauen tragen zu einem großen Teil die hellblaue Burka, den afghanischen Ganzkörperschleier. Bewaffnete sehe ich nicht. Nur ein unglaubliches Chaos auf der Straße. Aber irgendwie geht es immer weiter. Ich nicke kurz ein.
Dann scheppert es. Ich werde unsanft geweckt, indem mein Kopf nach vorne gegen etwas Hartes knallt.
Wir sind in Kabul im ersten Camp angekommen, dem sogenannten Headquarter. Ich soll aussteigen.
Peter Kümmel
Wir treten aus dem militärischen Teil des Flughafens Kabul. Draußen steht ein Ölfass, das mit Steinen und Munition gefüllt ist, darüber hängt ein Schild: »Reload your weapons here«. Vor dem Gebäude wartet ein riesiger gepanzerter Tresor, der von einem Sattelschlepper gezogen wird; aus dem Dach des Sattelschleppers ragt ein Geschützturm. In den Tresor werden wir gleich hinaufsteigen. Das Ding, 36 Tonnen schwer, heißt Muconpers, hat Platz für 18 Personen und ist das sicherste Fahrzeug, das es im Straßenverkehr von Kabul gibt – aber für Angreifer ist es eine einzige Provokation. Gleich steigen wir also da hinein, doch noch stehen wir in der Sonne, blicken auf die kahlen, von Lehmhütten überzogenen Berge Kabuls und hören, was der verantwortliche Soldat sagt: Die Sicherheitslage ist angespannt, gestern zwei Vorfälle wenige Kilometer entfernt, mehrere Tote. Also: Vorsicht! Morphiumspritzen habe man für alle Fälle dabei. (…) Krömer steigt in den rollenden Tresor hinauf, es folgen ihm: sein Manager, sein Co-Autor, ein Kamerateam, das ihn auf dieser Reise begleitet – und ich, der Mann von der Presse. Krömers Gesicht ist keine komische Regung anzusehen, auch keine Furcht, eher schon gesammelter Ernst: Dies ist alles Teil der Anfahrt, Krömer hat Auftritte vor sich. Man könnte von einer Afghanistan-Tournee reden: Drei Shows wird er hier absolvieren, eine im Headquarter der NATO-Aufbaumission ISAF mitten in Kabul, die zweite im Camp Warehouse am südöstlichen Rand Kabuls und die dritte im Camp Marmal in der nördlichen Wüstenstadt Mazar-e Sharif.
Der Sattelzug ruckt an, und durch ein winziges Fenster sieht man die Stadt vorbeiziehen. Man sieht große Ansammlungen von Baumaschinen, Bulldozern, Hebekränen, Kabul scheint für einen Bauboom gerüstet zu sein. An den Straßenrändern lagern herrenlos verwitternde Container, kleine Märkte tun sich zwischen zerstörten Wohnblocks auf, man sieht Hütten, die mit Folien gegen den fäkaliengesättigten Sandwind geschützt sind, dann aber auch mehrstöckige, intakte Gebäude, von Schriftzügen gekrönt. Die Werbung hat Kabul längst wieder in Besitz genommen, und ein Laster von Coca-Cola Kabul überholt uns zügig. Acht Soldaten umfasst unser Zug. Zwei Dingos begleiten uns, gepanzerte, mit Geschützen bewehrte Fahrzeuge der Bundeswehr. Eins bleibt immer hinter uns, das zweite fährt neben uns oder überholt nervös, als wolle es uns den Weg bahnen. Dann eine Vollbremsung – etwa eine Straßensperre? Nein, wir stehen im Stau, draußen sind es 40 Grad, hier drin kühle 19 Grad.
Der Muconpers ist ein Produkt der Firma KMW (Krauss Maffei Wegmann), eine millionenteure Box für hohen Besuch. Nun transportiert sie Krömer, den Mann, der einst in Berlin untertauchte, um dem Wehrdienst zu entgehen, als Stargast der Truppe. Deutschland leistet sich wieder Kampfeinsätze, und dazu gehört offenbar auch eine ordentliche Truppenunterhaltung.
Ein Soldat sitzt mit uns im Muconpers, ein gemütsruhiger bärtiger Saarländer. Er sagt uns, dass man hier drin sehr sicher sei. Zumindest bei Sprengsätzen bis zu 300 Kilo. Sehr sicher, fragen wir? Was heißt das? Na, bei allem, was über 300 Kilogramm gehe, sagt der Soldat, müsse man sich sowieso keine Sorgen mehr machen, einer solchen Ladung halte auch kein Panzer Stand. Nun erfahren wir, dass die Aufständischen immer häufiger Sprengladungen von bis zu 500 Kilo einsetzen, und den Rest der Fahrt verbringen wir schweigend.
Das Headquarter befindet sich an einer Allee, an der einige Menschen gerade spazieren gehen. Einer trägt ein weißes Gewand und darüber einen Sakko. Daneben geht ein Herr im Anzug. Ein paar Frauen schieben Kinderwagen vor sich her, und direkt vor uns versammeln sich nun ein paar Kinder und halten die Hände auf. Sie betteln. Geben dürfen wir ihnen nichts, wir dürfen sie nicht zu nah an uns ranlassen. Das ist nicht erlaubt, wird uns gesagt, weil die Sicht der Wachen im Headquarter auf uns nie durch Menschen verdeckt sein darf. Im Bereich des Kasernentors, sagt Kevin, darf niemand stehen bleiben. Es könnten Terroristen sein, die gleich eine Bombe zünden werden oder Ähnliches.
Auch Kinder nicht?, frage ich...