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Ein Keim kommt selten allein

Wie Mikroben unser Leben bestimmen und wir uns vor ihnen schützen

AutorFrank Thadeusz, Markus Egert
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783843718356
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Stehen wir  bereits mit einem Bein im Grab, wenn das Desinfektionsspray nicht stets griffbereit ist? Der Mikrobiologe Professor Dr. Markus Egert von der Hochschule Furtwangen (HFU) ist Deutschlands führender Forscher auf dem Gebiet der Haushaltshygiene. Er wirft mit uns gemeinsam einen Blick durchs Mikroskop und erklärt anschaulich und mit viel Witz, warum wir manche Mikroben unbedingt umbringen müssen - während etliche andere dieser unsichtbaren Lebensbegleiter sogar sehr wichtig für unser Wohlbefinden sind. Er zeigt, warum im Waschbecken viel mehr Keime lauern als auf dem Toilettensitz. Und er schildert, wo im Haushalt und im Alltag uns welche mikrobiologischen Phänomene erwarten - und was wir gegen sie tun können.  

Markus Egert, Jahrgang 1972, hat Biologie studiert und in molekularer mikrobieller Ökologie promoviert. Nach einem mehrjährigen Abstecher in die Hygiene- und Kosmetik-Industrie ist er seit 2011 Professor für Mikrobiologie und Hygiene an der Hochschule Furtwangen. Hier lehrt und forscht er zu Mikroflora des Menschen und seiner häuslichen Umgebung.

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Leseprobe

Der Urkeim – ein Workaholic, dem wir alles verdanken

Vorträge zur Haushaltshygiene beginne ich gern mit: »Hallo, mein Name ist Markus Egert und ich untersuche Sachen, von denen die meisten Leute sagen: Das will ich eigentlich alles gar nicht so genau wissen!« Viele Menschen empfinden zunächst Widerwillen, wenn es um Keime und Bakterien geht. Zu unappetitlich erscheint dieses Thema, vielleicht auch zu unheimlich. Denn hier geht es um Dinge, die sich im Verborgenen abspielen.

Doch diese Scheu verfliegt in der Regel schon nach wenigen Minuten. Denn Haushaltshygiene betrifft wirklich jeden von uns – und lässt letztlich keinen kalt. Nach meiner Erfahrung halten sich die meisten für sehr reinlich und vernünftig im Umgang mit Putzlappen und Allesreiniger. Gespottet wird eher über andere. Wer hat nicht einen Bekannten, dem man immer schon mal gern zum Geburtstag eine Packung Wischtücher geschenkt hätte? Und sicher gibt’s irgendwo auch eine Freundin, die man nicht mehr ganz so oft besucht, weil sie einem mit ihrem Putzfimmel auf den Geist geht.

Dass ich mich als Mikrobiologe diesem Thema gewidmet habe, war sicher kein Selbstläufer. Es ist nicht gerade so, dass ich mich zu Hause darum reiße, wenn’s ums Saubermachen geht. Promoviert habe ich über Mikrobengemeinschaften im Darm von afrikanischen Rosenkäferlarven, Maikäfer-Engerlingen und Regenwürmern. Wer jetzt den Eindruck bekommt, die Mikrobiologie sei eigentlich ein überflüssiges Orchideenfach, den kann ich beruhigen. Ich behaupte, dass gerade Mikrobiologen heute über eine Jobgarantie verfügen.

Denn sie werden wirklich an fast allen Ecken und Enden gebraucht, damit unser modernes Leben funktioniert. Mikrobiologen müssen überprüfen, dass weder in unsere Lebensmittel noch in unser Trinkwasser gefährliche Keime geraten. Viele Pharmazeutika müssen sogar steril, also absolut keimfrei sein. Selbst in den Tauchbädern der Automobilindustrie, in welche die Karossen zur Lackierung versenkt werden, dürfen sich Keime nur in geringer Zahl befinden. Sonst bestünde die Gefahr, dass sich die Einzeller auf dem Metall niederlassen und der Lack später nicht richtig haftet.

Abenteuerspielplatz für Mikrobiologen

Dass ich Haushalts-Hygieniker wurde, war ein Zufall. Im Jahr 2006 ging ich zum Düsseldorfer Konsumgüterhersteller Henkel. Für einen arglosen Wissenschaftler von der Universität ist so ein Karriereschritt erst mal ein Wechsel auf die dunkle Seite der Macht. Denn dort wird Forschung nicht mehr nur um der Forschung willen betrieben, sondern um mehr Waschmittel, Spüli oder Deos zu verkaufen.

Ich wurde Laborleiter in der Abteilung für Mikrobiologie. Mein Hauptgebiet war zunächst die Körpergeruchs- und Deoforschung. Es war, als wäre ich in einen großen Abenteuerspielplatz für Mikrobiologen geraten! Einer der alten Chefs sprach gern von Herrn Egerts Sandkasten, wenn ich Projektideen mit meinen neuen Uni-Methoden präsentierte.

Wir erforschten zum Beispiel die Auswirkungen von Kosmetik auf die Hautflora. Dazu haben wir Keime aus der Achselhöhle von Kollegen isoliert und untersucht, welche von ihnen Stinkstoffe produzieren. Später beschäftigten wir uns noch mit Stinker-Bakterien von Auto-Klimaanlagen, der Waschmaschinen-Flora und der Wirkung von Reinigungsmitteln auf die Mikroben in einem Haushalt.

Außerdem untersuchten wir Enzyme aus gentechnisch veränderten Bakterien, die in der Lage waren, beim maschinellen Waschvorgang die Flecken auf der Wäsche zu verdauen. Das ist ein bisschen wie im Labor von Dr. Frankenstein. Doch die moderne Mikrobiologie macht’s möglich: Kein Problem, am Reißbrett einen Mikroorganismus nach Maß zu erschaffen, der genau das tut, was man will. Na ja, fast.

Andererseits: Mit lebenden Mikroorganismen arbeiten Mikrobiologen noch ziemlich genauso, wie es der Entdecker des Tuberkulose-Erregers, Robert Koch, schon vor knapp 150 Jahren getan hat: mit festen oder flüssigen Nährmedien. Denn nur bei lebenden Mikroben kann man tatsächlich testen, wie sie auf bestimmte Umweltreize, zum Beispiel Reinigungsmittel oder Deowirkstoffe, reagieren.

Man vergisst leicht, dass Mikroorganismen Lebewesen sind, die einen eigenen Stoffwechsel besitzen. Sie sind nur tausendstel Millimeter groß, und um sie zu sehen, braucht man ein Mikroskop. Diese kleinsten Bewohner der Erde sichtbar werden zu lassen, war vor fast 350 Jahren ein Riesenschritt. Der erste Mensch, der Bakterien erstmals verlässlich gesehen und beschrieben hat, war Antoni van Leeuwenhoek, ein holländischer Hobby-Linsenschleifer und Optiker. Dieser Mann wusste allerdings noch nicht wirklich, mit wem er es zu tun hatte. In Unkenntnis ihrer Existenz glaubten selbst im 19. Jahrhundert noch Mediziner, dass Krankheiten durch üble Gerüche verursacht werden, bis der bereits erwähnte Robert Koch über ihre wahre Natur aufklärte.

Mikroben im Mixer

Alle Mikroben sind Einzeller. Dass sie in dieser Form existieren können, ist durchaus bemerkenswert. Wenn Mikrobiologen den wahren Unterschied zwischen Mikroorganismen, also Einzellern, und höheren, mehrzelligen Lebewesen erklären wollen, haben sie ein ganz einfaches Unterscheidungskriterium zur Hand: Alles, was man in einen Mixer stecken kann, ohne es zu töten, sind Mikroorganismen. Der Hintergrund: In Mehrzellern haben sich die einzelnen Zellen so spezialisiert, dass sie alleine unter natürlichen Bedingungen nicht mehr lebensfähig sind. Werden sie auseinandergerissen, können sie danach keinen vollständigen Organismus mehr aufbauen.

Mikroorganismen sind dagegen potenziell unsterblich. Sie vermehren sich stur durch Zweiteilung oder – wissenschaftlich ausgedrückt – exponentielles Wachstum: aus einer Zelle werden zwei neue, daraus vier, daraus acht … Wohin so was führt? Aus einer einzigen Zelle, die sich über 48 Stunden alle 20 Minuten teilt, entsteht eine Biomasse, die etwa 3000-mal schwerer ist als die Erde.

Zu den Mikroorganismen oder Mikroben gehören die Bakterien und auch die Archaeen, eine weniger bekannte Schwesterngruppe der Bakterien, die zum Beispiel in Biogasanlagen Methan zum Heizen erzeugen. Daneben sind Pilze, Algen, einzellige Tiere (Protozoen) und auch Viren Mikroorganismen. Letztere sind Sonderlinge, die keine Lebewesen, sondern »nur« komplizierte Moleküle ohne eigenen Stoffwechsel sind.

Bakterien stellen sicher die am besten untersuchten Mikroben dar. Sie sind in der Lage, chemische Reize wahrzunehmen, und viele von ihnen besitzen sogar eine Art Motor, mit dem sie sich fortbewegen können. Der Begriff »Keime« wird oft synonym für Krankheitserreger verwendet. Das ist ungerechtfertigt! Die meisten Mikroben sind für Menschen völlig harmlos.

Bakterien haben im Gegensatz zu den Zellen von Pilzen, Algen, Protozoen und allen höheren Lebewesen keinen Zellkern. Sie werden Prokaryoten genannt. Und dennoch sind unsere Zellen mit den Bakterien direkt verwandt. Genauer gesagt, sind wir sogar aus ihnen hervorgegangen. Vor langer Zeit verkuppelten sich Bakterien und Archaeen zu sogenannten Eukaryoten: Zellen mit einem Zellkern, aus denen letztlich auch Menschen gemacht sind.

Wir verdanken den Mikroorganismen also nicht weniger als unsere Existenz! Alles Leben auf unserer Erde ist aus ihnen hervorgegangen. Es ist schon tragisch: In der Schöpfungsgeschichte werden diese winzigen Lebewesen, die wir mit bloßem Auge nicht erkennen können, mit keiner Silbe erwähnt. Dabei verdienen Bakterien und Mikroorganismen eigentlich ein dickes Extrakapitel in jedem Buch, das vom Werden des Menschen handelt.

Mikroben waren die ersten Bewohner auf unserem Planeten, als dieser noch einem lebensfeindlichen Inferno glich – und nicht jener lieblichen Welt mit Rosenduft und Vogelgezwitscher, die wir heute unser Zuhause nennen. Würden Mikroben diese beinahe verstörende Widerstandsfähigkeit nicht besitzen, wäre unsere Erde eine unbewohnbare Wüstenei geblieben. Kein Mensch und kein Tier hätten hier je überlebt, und Bäume und Blumen würden nicht existieren.

In unserem Zuhause betrachten wir Mikroorganismen gerne als Eindringlinge. Machen wir uns nichts vor: Wir wohnen bei ihnen, nicht sie bei uns!

Zur Welt der Mikroorganismen (Mikroben, Keime) gehören Lebewesen, die als Einzeller lebensfähig sind und deren Zellen man nicht mit bloßem Auge sehen kann: Die Zellen der Bakterien und Archaeen haben keinen Zellkern (Prokaryoten), die der Pilze, Algen und Protozoen (Eukaryoten) schon. Viren sind keine Lebewesen, sondern nur komplizierte Moleküle. Die Abbildung ist nicht maßstabsgerecht. Prokaryoten sind ungefähr einen Millionstel Meter groß, Viren ca. zehnmal kleiner, Eukaryoten ca. zehnmal größer.

Der Urahn allen Lebens: ein Keim

Zugegeben, es ist eine Herausforderung, Wertschätzung für einen Organismus zu empfinden, der etwa 40-mal kleiner ist als ein menschliches Haar und zudem einen ziemlich miesen Ruf besitzt. Und doch führt kein Weg an dieser fundamentalen Erkenntnis vorbei: Alles Leben auf der Erde geht auf einen Superkeim zurück, der vielleicht schon vor 4,3 Milliarden Jahren die Bühne betrat.

Wissenschaftler gaben diesem ersten zellulären Lebewesen auf der Erde den Namen LUCA – eine Abkürzung für »Last Universal Common Ancestor« (»Letzter universeller, gemeinsamer Vorfahre«). Als er auftauchte, war die Erde vermutlich gerade erst wenige hundert Millionen Jahre alt.

Keime hinterlassen keine Zeugnisse ihres Daseins, die auch nur annähernd so eindrucksvoll sind wie das Skelett eines Tyrannosaurus...

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