Man sieht also, dass vor der Aufnahme der eigentlichen Förderung umfangreiche Vorbereitungen erforderlich sind. Das gilt auch für das Erschließen der Lagerstätte. Bei uns im Ruhrgebiet ist der Abbau in Strebform die Regel. Das sieht folgendermaßen aus:
In dem Flöz, das abgebaut werden soll, werden zwei Strecken parallel aufgefahren. Ihre Entfernung voneinander bestimmt die Länge der geplanten Abbaufront. Diese Abbaufront nennt man „Streb“. Üblich sind Längen von 150 bis 300 Meter, wobei eine Rolle spielt, ob das Flöz ganz flach ist oder etwas Gefälle hat.
An der Stelle, an der der Abbau beginnen soll, wird ein „Aufhauen“ erstellt. Das ist eine Verbindung zwischen der geplanten Kohlenabfuhrstrecke und der späteren Abwetter- oder Kopfstrecke. Dieses Aufhauen wird in der Regel nur in der Kohle aufgefahren. Die Breite wird so gewählt, dass dort später der endgültige Ausbau eingebracht werden kann.
Das Lösen der Kohle und das Verbringen in das Fördermittel werden heute fast immer von einer Hobelanlage oder einer Schrämmaschine besorgt. Von Hand gearbeitet wird, außer in geologischen Störungen, fast nur noch im „Maschinenstall“, das heißt an den beiden Enden des Förderers, wo der Kohlenhobel oder die Schrämmaschine ihre Umkehrstationen haben.
Wir hatten im Grullbadfeld sowohl steil stehende, als auch flach gelagerte Flöze. So konnten alle Bergschüler von „König Ludwig I-II“ auf der eigenen Zeche alle Lagerungsverhältnisse kennenlernen.
Die oben geschilderten modernen Hobelanlagen oder Schrämmaschinen steckten damals noch in den Kinderschuhen. Als ich Kohlenhauer war, wurde die Kohle fast überall noch mit einem Abbauhammer gelöst und mit einer großen Schaufel in die Schüttelrutsche verbracht. In niedrigen Flözen lag man dabei auf den Knien, denn aufrecht stehen war nicht möglich.
Der große Ventilator am Wetterschacht sorgte dafür, dass immer ein leichter Wind durch den „Streb“, so heißt die Abbaufront bei den Hauern, zog. Da die Kohle mit größerer Teufe immer wärmer wird, steigt auch die Temperatur der Luftzirkulation, im Bergbau Wetterführung genannt. Außerdem wird die Luft immer feuchter, denn an den Übergaben von einem Fördermittel zum anderen wird der sich bildende Staub mit fein verteiltem Wasser niedergeschlagen.
Durch diesen warmen Arbeitsplatz geriet man schnell ins Schwitzen. Wir hatten alle am Arbeitsplatz nur eine kurze Hose an und waren doch, auch im tiefsten Winter, schweißnass. Die Außentemperatur spielte im Streb keine Rolle. Dort war es immer gleich warm.
Es war nur unangenehm, wenn man im Winter mit nassgeschwitzten Sachen über den kalten Hof bis zur Waschkaue laufen musste. Dort war es wieder schön warm.
Der Unterricht in Elektrotechnik brachte für mich viel Neues. Die Grundkenntnisse hatte ich ja schon in der Schule gelernt. Aber die Entwicklung geht schnell weiter. Man kann mit dem Lernen nicht aufhören.
Durch mein Interesse an der Tätigkeit eines Funkamateurs war ich mit Radioröhren in Berührung gekommen. Ich hatte gelernt, wie so eine Röhre funktioniert. Das fiel unserem Lehrer in Elektrotechnik auf. Immer öfter holte er mich an die Tafel oder an ein Schaubild, wenn irgendetwas zu erklären war.
Bei der Abschlussprüfung in Elektrotechnik saßen einige Herren der Prüfungskommission mit im Klassenzimmer und hörten aufmerksam zu. Sie stammten alle aus älteren Semestern. Ich bin mir nicht sicher, ob es während ihrer Ausbildung schon eine Schrämmaschine gegeben hatte. Ich wurde aufgefordert, an die Tafel zu gehen und das dort hängende Schaubild einer Schrämmaschinen-Schutzschaltung von der Firma „Calor-Emag“ zu erklären. Obwohl ich nie eine Schrämmaschine dieser Firma gesehen hatte, war mir das Schaubild vertraut. Ich konnte das Schaubild, das recht kompliziert war, genau und gründlich erklären. Die Kommission war beeindruckt. Ein „Gut“ in Elektrolehre war mir sicher.
Besonders gut gefallen haben uns immer die „Lehrfahrten“, wie die Besuche auf anderen Zechen genannt wurden. Die Grubenfahrten auf fremden Zechen waren deshalb so interessant, will dort immer etwas angeschaut werden konnte, was auf der eigenen Zeche unbekannt oder nicht im Einsatz war.
Gegen Ende der Schulzeit krönte die „Große Lehrfahrt“ unsere Ausbildung. Wir hatten jahrelang zusammen gebüffelt und gearbeitet. Das sollte nun bald zu Ende sein. Vor uns lag wieder einmal der „Ernst des Lebens.“ Jeder würde zu seiner Anlage gehen und wir würden uns lange nicht mehr sehen. Einerseits war das ja der Zweck unser Mühen gewesen, andererseits waren wir traurig darüber, dass man freundschaftliche Kontakte nicht mehr fortsetzen konnte. Die „Große Lehrfahrt“ bildete den krönenden Abschluss unserer Bergschulzeit.
Wir waren guter Laune. Das Wetter spielte mit und bei strahlendem Sonnenschein fuhr unser Bus, den wir für die gesamte Reise gechartert hatten, in Richtung Harz. Das war unser erstes Ziel. In einem kleinen Ort besuchten wir einen Steinbruch. Der Eigentümer begrüßte uns und führte uns selbst durch den Betrieb. In diesem Steinbruch wurde Dachschiefer abgebaut. In kleinen Loren wurden die geeigneten Schieferblöcke in eine Halle gebracht, aus der ständig Klopfgeräusche zu hören waren. In der Halle angekommen, sahen wir die Ursache dieser Geräusche. Es waren Arbeiter, die auf einem niedrigen Schemel sitzend, vor sich auf einem Holzklotz die Schieferblöcke bearbeiteten. Um dieses mit Erfolg tun zu können, gehört viel Erfahrung dazu. Der Steinmetz legt sich seinen Schieferklotz nach kurzer Prüfung so zurecht, dass er mit einem Meißel den Klotz in dünne glatte Schieferplatten aufspalten kann.
Um genau zu sehen, wie der Schiefer abgelagert ist und nun wieder gespalten werden kann, gehört ein gutes Auge dazu. Wir waren beeindruckt! Einem Anfänger hätte der Steinblock gegen das Spalten sicherlich einigen Widerstand entgegengesetzt. Wir erfuhren, dass aus diesem Schiefer auch die legendären Schiefertafeln geschnitten wurden, die früher jeder neue Schüler in seinem Ranzen hatte. Heute geraten sie immer mehr aus der Mode.
Nach Beendigung der Grubenfahrt wurden wir fast immer von der Direktion der besuchten Anlage zum Mittagessen eingeladen. Das war regelmäßig ein richtiges Fest. Nach der Begrüßung durch einen Vertreter der Werksdirektion wurde ein reichliches Mahl aufgetragen. Manchmal war sogar der Bergwerksdirektor anwesend! Das hatte seinen guten Grund! Alle Zechen litten damals bei den Aufsichten unter extremen Nachwuchsmangel. Je näher wir dem Ende unserer Bergschulausbildung kamen, umso intensiver wurden wir umworben. Die Direktoren boten an, jeden von uns nach bestandener Abschlussprüfung sofort zu übernehmen und im dritten Gehaltsjahr einzustellen! Das waren ja sehr gute Aussichten!
Auf meiner Anlage „König Ludwig I-II“ hatten wir davon noch nie etwas gehört. Wir sollten alle nach bestandener Abschlussprüfung im Anfangsgehalt eingestellt werden. Als aber fünf Lehrsteiger ihre Kündigung einreichten, war die Aufregung groß. Der Angestelltenvertreter hatte eine lautstarke Unterredung mit dem Werksleiter. Daraufhin wurden alle fertig werdenden Bergschüler, die nicht gekündigt hatten, ebenfalls im dritten Gehaltsjahr eingestellt.