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Eine höhere Pflicht

Wie ein deutscher Pilot seinem amerikanischen Feind im Zweiten Weltkrieg das Leben schenkte

AutorAdam Makos
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783864135323
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Sie sind erbitterte Feinde, als sie am 20. Dezember 1943 in über acht Kilometern Höhe aufeinandertreffen: der Amerikaner Charlie Brown in seinem vom Flakfeuer schwer beschädigten B-17-Bomber und der deutsche Jagdflieger Franz Stigler, der den gegnerischen Piloten einfach nur vom Himmel holen müsste, - doch er tut es nicht. Stattdessen gibt Stigler dem Bomber Geleit über die deutsche Flugabwehr hinweg bis auf die Nordsee hinaus und rettet Brown und seiner gesamten Besatzung das Leben. Die Geschichte der beiden Fliegerasse ist Legende. Und sie ist wahr. Der Historiker und Journalist Adam Makos hat sich, unterstützt von Starautor Larry Alexander, jahrelang bis ins kleinste Detail mit den Ereignissen beschäftigt und die Beteiligten getroffen. Eine höhere Pflicht ist kein Buch über einen kurzen Augenblick des Mitleids, sondern ein Buch darüber, was es bedeutet, in einem Krieg Pilot zu sein, und was für einer Pflichtverletzung es gleichkam, so zu handeln, wie es Franz Stigler richtig erschien. Es ist ein Buch auch über die Freundschaft, die Charlie Brown und Franz Stigler seit ihrem Wiedersehen 1990 verband - bis zu ihrem Tod 2008. Die wunderbare Geschichte eines deutschen Helden.

Der Historiker und Journalist Adam Makos beschäftigt sich bereits seit 15 Jahren mit kriegerischen Auseinandersetzungen. Er interviewte unzählige Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, aus Vietnam und Korea und den jüngsten Kriegen. Er flog mit der Air Force B-17-Bomber, war mit an Bord der Air Force One und begleitete 2008 die Special Forces auf ihrer Jagd nach al-Qaida-Terroristen.

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Leseprobe

1


Ein Fremder im eigenen Land


März 1946, Straubing, Deutschland

Franz Stigler, die Hände tief in den Taschen seines langen, zerlumpten Wollmantels vergraben, schlurfte durch die Straßen der kleinen, ausgebombten Stadt. Die kalte Luft ließ seinen Atem in der frühen Morgensonne kondensieren. Er ging mit kurzen, schnellen Schritten; um sich gegen den Wind warm zu halten, legte er seine Arme um die Schultern.

Franz war dreißig Jahre alt, sah aber älter aus. Er hatte Gewicht verloren, was seine kräftige Kinnpartie ausgezehrt erscheinen ließ, und seine ausgeprägte Adlernase schien in der eisigen Luft noch stärker hervorzutreten. Die dunklen Augen zeigten Spuren von Erschöpfung, aber auch noch einen optimistischen Glanz. Ein Jahr nach Kriegsende hatte sich die Wirtschaft in Deutschland noch nicht vom Zusammenbruch erholt. Franz suchte verzweifelt nach Arbeit. In einem zerstörten Land, das dringend wiederaufgebaut werden musste, war die Ziegelherstellung zur Hauptindustrie Straubings geworden. Heute, so hatte er gehört, würde die Ziegelfabrik Tagelöhner einstellen.

Während Franz über den lang gestreckten Stadtplatz, den Ludwigsplatz, hastete, klapperten seine schwarzen Lederstiefel über die überfrorenen Pflastersteine. Der Platz öffnete sich nach Osten und wurde von der Morgensonne beschienen. In seiner Mitte lag das Rathaus, ein schmuckes grünes Gebäude mit einem weißen Glockenturm. Die hohen Rathausfenster und die aus Stein gehauenen Putten schimmerten im Licht. Rund um Franz lagen Gruppen anderer Gebäude im Schatten, verlassen und ohne Dach, die Fensterrahmen von Bomben und Bränden versengt.

Einst war Straubing eine Märchenstadt in Bayern gewesen, in einer katholischen Gegend im Süden Deutschlands, deren Bewohner ihr Bier und jeden Vorwand für ein Fest liebten. Die Stadt hatte eine bunte Fülle von Häusern mit roten Dächern besessen, dazu Bürogebäude mit grünen byzantinischen Kuppeln und Kirchen mit gotischen Türmen. Am 18. April 1945 waren dann die amerikanischen Bomber gekommen – von den Deutschen wurden die Flugzeuge »Viermotorige« genannt. Bei der Bombardierung der Bahnanlagen des Ortes hatten die Bomber ein Drittel der Stadt zerstört. Drei Wochen darauf kapitulierte Deutschland, aber da hatten die Dächer der Stadt schon viel von ihrer Farbe verloren.

Die Glocke schlug, und ihr Echo hallte über den Platz – acht Uhr morgens. Über den Platz vor dem Rathaus, wo amerikanische GIs Lebensmittelmarken ausgaben, zog sich eine Reihe deutscher Zivilisten. Die meisten warteten schweigend auf ihre Marken. Einige diskutierten. Zehn Jahre zuvor hatte Hitler versprochen, für das deutsche Volk zu sorgen, ihm Nahrung, ein Dach über dem Kopf und Sicherheit zu geben. Gebracht hatte er ihm jedoch die Zerstörung. Nun sorgten stattdessen die westlichen Alliierten – Amerikaner, Briten und Franzosen – für die deutsche Bevölkerung. Die Alliierten bezeichneten ihre Bemühungen als »Wiederaufbau Deutschlands«. Dieser Wiederaufbau war vor allem eine humanitäre Angelegenheit, diente aber auch strategischen Zwecken. Die westlichen Alliierten brauchten Deutschland im Kalten Krieg als Frontstaat gegen die Sowjetunion. Also beschlossen die Amerikaner, die Süddeutschland einschließlich Bayern besetzt hatten, das zu reparieren, was zerstört war – sowohl im eigenen als auch im Interesse Deutschlands.

Statt außen um die Reihe der düsteren Gestalten herumzugehen, drängte Franz sich zwischen ihnen hindurch. Einige beschimpften ihn, weil sie glaubten, er wolle sich vordrängen. Franz bahnte sich weiter seinen Weg durch die Menge. Er bemerkte, dass die Augen der Leute auf seine Stiefel gerichtet waren.

Seine Jacke hatte Mottenlöcher – es war die seines Vaters. Seine grünen Kniebundhosen trugen Flicken an den Knien. Aber seine Stiefel waren ungewöhnlich. Sie bedeckten seine Waden, und oben sah gelbe Schafwolle heraus. Auf der Innenseite verlief ein silberner Reißverschluss, und vor dem Knöchel spannte sich ein Riemen mit Schnalle.

Diese Stiefel waren das Kennzeichen eines Piloten. Ein Jahr zuvor hatte Franz sie noch voller Stolz in der dünnen Luft zehn Kilometer über dem Boden getragen. Dort flog er ein Jagdflugzeug des Typs Messerschmitt 109 mit einer starken Maschine von Daimler-Benz. Wo andere Männer in den Krieg marschierten, flog er mit über 600 km/h. Franz hatte drei Staffeln von Piloten – etwa 40 Mann – gegen Formationen von tausend amerikanischen Bombern geführt, die sich über hundertsechzig Kilometer hinzogen. Franz war auf 487 Einsätze gekommen, zweimal verwundet und einmal in Brand geschossen worden, und irgendwie war er immer nach Hause zurückgekehrt. Nun aber hatte er seine schwarze Pilotenmontur aus Leder, seinen Seidenschal und seine graue Offiziersmütze gegen die schmutzigen, ausgebeulten Klamotten eines Hilfsarbeiters getauscht. Seine Pilotenstiefel hatte er jedoch behalten – sie waren alles an Fußbekleidung, was er besaß.

Als Franz über den Platz eilte, sah er Männer und Frauen, die sich um die städtische Anschlagtafel drängten; sie lasen die mit Reißnägeln befestigten Zettel. Es gab keine Postzustellung und keine Telefonleitungen mehr, und so suchten die Leute auf der Tafel nach Nachrichten von vermissten Familienmitgliedern. Zu dieser Zeit waren in Deutschland um die sieben Millionen Menschen obdachlos. Franz erblickte eine Gruppe von Frauen, die hinter der geöffneten Heckklappe eines Lastwagens der US-Army standen. Aus dem Inneren der überdachten Ladefläche warfen Kaugummi kauende GIs Wäschebeutel zu den Frauen hinunter und flirteten auf Deutsch mit ihnen. Die Frauen kicherten und entfernten sich mit jeweils zwei Wäschesäcken. Sie gingen zum früheren Park nördlich der Innenstadt, wo sich ein Arm der Donau durch die Stadt wand. Dort am Ufer wuschen die Frauen auf Knien die Wäsche der GIs im eisigen Wasser. Sie mussten zwar in der Kälte arbeiten, doch die Amerikaner bezahlten gut.

Die Hauptstraße verlief nach Norden zum Fluss. Franz schaute die Straße hinunter und fand eine neue Menschenansammlung vor. Er blieb abrupt stehen und schluckte. Offensichtlich kam er zu spät. Vor jedem Gebäude in diesem Bereich der Straße hatte sich eine lange Reihe von Männern versammelt. Sie alle suchten Arbeit. Manche bliesen sich in die Hände. Andere bewegten ihre Körper leicht vor und zurück, um sich warm zu halten. Die meisten waren Veteranen und trugen die gleichen grauen Umhänge und Mäntel, die sie im Krieg getragen hatten. Die Umrisse der Nähte von Rangabzeichen, die sie abgerissen hatten, waren noch zu erkennen. Wie Franz waren sie Konkurrenten im Kampf um die Krümel einer trostlosen Wirtschaft.

Die Ziegelei lag weiter unten in der Straße, und Franz hoffte, dort eine kürzere Warteschlange vorzufinden. Er ging weiter und kam an Leuten vorbei, die in einem ausgebombten Gebäude arbeiteten – die Wand zur Straße war nicht mehr vorhanden. Unter einer Zeltplane beugten sich Männer in Winterkleidung über ihre Werkbänke und reparierten kleine Motoren. Eine Frau, der ein Arm fehlte, ging zwischen ihnen umher und gab Arbeitsanweisungen weiter.

Ein Hupton warnte Franz; er sprang auf den Bordstein, als ein amerikanischer Jeep der Militärpolizei vorbeiraste – die GIs trugen saubere, weiße Helme. Die Amerikaner sorgten für Recht und Ordnung, während eine kleine Truppe unbewaffneter deutscher Polizisten bei »örtlichen« Angelegenheiten assistierte. Manche der deutschen Veteranen wandten das Gesicht immer noch ab, wenn die Jeeps vorbeikamen.

Vor sich auf der Bank an der Stelle, wo normalerweise die Busse hielten, sah Franz einen beinamputierten Veteranen. Jeden Tag saß dieser Mann in seiner zerlumpten Heeresuniform auf dieser Bank. Er sah aus wie vierzig, hätte aber auch erst zwanzig sein können; er hatte langes Haar, graue Bartstoppeln, und seine Augen zwinkerten nervös, als hätte er tausend Höllen gesehen. Er war das Abbild einer schlimmen Vergangenheit, die alle vergessen wollten.

Der Veteran ohne Beine schwenkte sein Essgeschirr durch die Luft; er erwartete eine milde Gabe. Franz kramte in seinen Taschen und ließ eine Essensmarke in den leeren Napf des Mannes fallen. Das machte er jedes Mal, wenn er den Veteranen sah, und er fragte sich, ob der Mann deshalb immer am selben Platz saß. Der Veteran bedankte sich nie und ließ nicht einmal ein Lächeln erkennen. Er starrte Franz nur verzweifelt an. Für einen Augenblick war der froh, dass er über dem Bodenkrieg dahingeflogen war. Sechs Jahre Kämpfe Mann gegen Mann und Monate in alliierten Kriegsgefangenenlagern hatten Scharen von Veteranen zurückgelassen, die sich in der gleichen Zwangslage befanden wie der Bettler – apathisch und gebrochen. Dennoch hatten sie noch Glück gehabt. Die Soldaten, die den Sowjets in die Hände gefallen waren, wurden nach wie vor vermisst.

Franz tastete nach dem Mittagessen, das er in der Tasche hatte – zwei Scheiben Brot. Er war nicht gerade stolz darauf, von den Siegern Unterstützung zu erhalten. Diese Hilfe bedeutete 800 Kalorien täglich und damit das Überleben. Als Pilot war Franz eine gute Ernährung gewöhnt gewesen – eine Tradition, die im Ersten Weltkrieg begonnen hatte, als die Piloten vielfach Adlige waren, die wenigstens gut leben sollten, wenn sie schon unter Schmerzen zu sterben hatten. Im Zweiten Weltkrieg galt gute Ernährung dann als Vergünstigung, die mit der Aufgabe zu tun hatte – kein Geld der Welt konnte einen Menschen dazu bringen, das zu tun, was Piloten zu leisten hatten. Während des Kriegs hatte Franz fürstlich diniert – mit Champagner, Cognac, knusprigem Brot, Wurst, kalter Milch, frischem Käse, frischem Wild und mit so viel Schokolade und Zigaretten, wie er verkraften...

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