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E-Book

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht

AutorMargarete Mitscherlich
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783104025308
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Das Vermächtnis der Grande Dame der Psychoanalyse. Margarete Mitscherlich, die große Dame der deutschen Psychoanalyse, wendet sich in diesem Buch, an dem sie bis unmittelbar vor ihrem Tod intensiv arbeitete, noch einmal grundlegenden Fragen ihres Lebens zu: Was macht die 'Liebe zu sich selber' aus? Welche Motive und Absichten bewegten berühmte Frauengestalten in einer männlich dominierten Welt? Wie erleben wir Trauer und Verlust? Und wie hängt das individuelle Erleben von Verlusten mit der gesellschaftlichen Unfähigkeit zu trauern in der Nachkriegszeit zusammen? Margarete Mitscherlich stützt ihre Überlegungen immer wieder auch autobiographisch und demonstriert so eindrucksvoll ihre konsequente Reflexion auf sich selbst. »Eine sanfte Radikale. Ihre Radikalität liegt in der unbeirrbaren Beharrlichkeit, mit der sie immer wieder zu ihren großen Themen zurückkehrt: Emanzipation und Trauer.« Andrea Roedig, Neue Zürcher Zeitung »Bewundernswert, diese schwebende und doch bodenständige Ausdrucksfähigkeit eines Menschen, dessen Zeit abgelaufen ist und die uns ein Beispiel gibt, wie man am Lebensende noch vergnügt denken und mitreden kann. - Wir werden sie nicht vergessen.« Ruth Klüger, Die Welt

Margarete Mitscherlich-Nielsen, geb. 1917 in Dänemark, war Psychoanalytikerin, Medizinerin und Autorin zahlreicher Bücher. Die Tochter eines dänischen Arztes und einer deutschen Lehrerin studierte Medizin und Literatur in München und Heidelberg und wurde 1950 in Tübingen zum Dr. med. promoviert. 1947 traf sie in der Schweiz den Arzt und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich, den sie 1955 heiratete. Gemeinsam bemühten sie sich nach dem Krieg um die Wiederbelebung der Psychoanalyse in Deutschland. 1960 war sie Mitbegründerin des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt, wo sie fortan vorrangig arbeitete, und fungierte viele Jahre als Herausgeberin der Zeitschrift ?Psyche?. Gemeinsam mit ihrem Mann veröffentlichte Margarete Mitscherlich 1967 das bahnbrechende Buch ?Die Unfähigkeit zu trauern?. Es folgten u.a. ?Die friedfertige Frau? (1985), ?Die Zukunft ist weiblich? (1987) und ?Über die Mühsal der Emanzipation? (1990). Margarete Mitscherlich ist 2012 in Frankfurt am Main verstorben.Literaturpreise:In Anerkennung ihres wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Engagements für die Emanzipation und Chancengleichheit von Frauen erhielt Margarete Mitscherlich 2005 den Tony Sender-Preis der Stadt Frankfurt am Main.

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Leseprobe

I. Frauen


Die Liebende
Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, ein Paar


Die »Liebe« – so Simone de Beauvoir – hat für die beiden Geschlechter durchaus nicht den gleichen Sinn und ist als Ursache schwerer Missverständnisse anzusehen, die die Geschlechter voneinander trennen. Nach Lord Byron ist die Liebe im Leben des Mannes nur eine Beschäftigung, während sie für die Frau das eigentliche Leben ausmacht. Ähnlich äußert sich Friedrich Nietzsche in Die fröhliche Wissenschaft: »Mann und Weib verstehen unter Liebe jeder etwas anderes … Was das Weib unter Liebe versteht, ist klar genug: vollkommene Hingabe (nicht nur Hingebung) mit Seele und Leib, ohne jede Rücksicht, jeden Vorbehalt … In dieser Abwesenheit von Bedingungen ist eben seine Liebe ein Glaube: das Weib hat keinen anderen. – Der Mann, wenn er ein Weib liebt, will von ihm eben diese Liebe, ist folglich für seine Person selbst am entferntesten von der Voraussetzung der weiblichen Liebe. Gesetzt aber, daß es auch Männer geben sollte, denen ihrerseits das Verlangen nach vollkommener Hingabe nicht fremd ist, nun, so sind das eben – keine Männer.«[1] Der zur Abhängigkeit verurteilten Frau bleibt keine andere Wahl, als sich mit ihrer Situation eines unwesentlichen Objekts – das ohne einen Herrn nicht existiert – auseinanderzusetzen, als sie zu verinnerlichen und als die einzig wahre Erfüllung ihres Frauseins zu akzeptieren.

Damit erfüllt die Frau die Vorstellung von »Liebe«, die ihr das Patriarchat seit Jahrtausenden als weiblich vorgeschrieben hat. Die Liebe wird für sie zur Religion. Nur wenigen Frauen gelang es, sich von dieser ihnen aufgezwungenen »Weiblichkeit« zu lösen. Wenn sich der Frau keine Möglichkeit für die menschliche Liebe bietet – so Beauvoir –, sucht sie ihre weibliche Erfüllung in der Hingabe an Gott. Männer mit ähnlichen Bedürfnissen sind selten und meist weniger von Gefühlen als von intellektueller oder künstlerischer Darstellung ihrer religiösen Hingabe beherrscht. Frauen, die sich den »Wonnen einer überirdischen Vermählung« hingeben, sind Legion. Als Nonnen gehen sie lebenslang die Ehe mit Christus ein, der sie niemals enttäuschen kann, was in der irdischen Liebe zu einem Mann unweigerlich geschieht. Durch vollständige Identifikation mit der ihnen vorgeschriebenen Rolle als »Liebende« gelingt es Frauen, ihre Versklavung als Freiheit zu erleben.»Anstatt die Frauenfrage zu lösen, hat die männliche Gesellschaft ihr eigenes Prinzip so ausgedehnt, daß die Opfer die Frage gar nicht mehr zu fragen vermögen.«[2] Warum lassen Frauen es zu, ohne Mann als nicht existent zu gelten? Bliebe es dabei, dann würden wir der Männergesellschaft recht darin geben, dass Frauen das »andere« Geschlecht sind, unfähig, das Prinzip der Freiheit – der Freiheit des eigenen Denkens, Urteilens, Entscheidens, Handelns – für sich in Anspruch zu nehmen.

Gegen die von Männern festgelegte und von Frauen verinnerlichte Bestimmung dessen, was weibliche Erfüllung ist, gegen die die Frau sich nicht zu wehren vermag, tritt Simone de Beauvoir in ihrem Buch Das andere Geschlecht (1949) als Existentialistin an und beeindruckt mit überzeugenden Argumenten und glänzenden Kenntnissen der Literatur über die Jahrhunderte hinweg sowie einem verblüffenden Reichtum an Wissen. Die Kernthese des Buches lautet: »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.«[3] Nicht die Biologie macht uns zu dem, was wir sind, sondern Gesellschaft und Geschichte. Beauvoirs These ist vor allem in Frankreich heute nicht mehr unumstritten. Sigmund Freuds Feststellung »Die Anatomie ist das Schicksal«[4] scheint wieder aktuell zu werden und auch die Esoterik des Differenzfeminismus.

Wie aber sah die Liebe für Beauvoir in ihrem persönlichen Leben aus? Ist man »männlich«, wenn man die Position Beauvoirs vertritt, und »weiblich«, wenn man sich seiner weiblichen Biologie und Physiologie als Schicksal hingibt? Unterschätzt Beauvoir Weiblichkeit als Wert, als Möglichkeit, mit eigenen Gefühlen aufrichtiger umzugehen, die Realität oft genauer und nüchterner wahrnehmen zu können? Traditionelle Vorstellungen von weiblichen und männlichen »Werten«, die die geschlechtsspezifische Erziehung maßgeblich beeinflussen, können Verhaltensweisen und Fähigkeiten erschaffen, die als unverrückbar »weibliche« verinnerlicht sind und weitergegeben werden, ohne dass sie mit »primärer Weiblichkeit« viel zu tun haben, auch wenn Freud zufolge am Anfang des Lebens das Ich zuerst und vor allem ein körperliches ist.

Hat Beauvoir sich selber als Frau missachtet? Könnte es sein, dass sie sich ein Leben lang gegen jenen »weiblichen« Anteil in ihr selber wehrte, den sie in Das andere Geschlecht – nicht nur im Kapitel »Die Liebende«[5] – an zahlreichen Beispielen so ausführlich schildert? Ohne Zweifel ist ihr die sich völlig hingebende, den Mann und die Liebe zu ihm über alles stellende Frau, die sich selbst als autonom handelnde und denkende Person aufgibt, zuwider. Drastisch und als trostlos stellt sie in ihrer Erzählung Eine gebrochene Frau[6] deren Schicksal dar. In allen Variationen, sich oft wiederholend, schildert sie Verhaltensweisen von Frauen, die sich in ihrer Hingabe selbst aufgeben, in ihrer pathetischen Lebens- und Liebeslüge versinken, als so abstoßend, dass man vermuten muss, Beauvoir kämpft mit aller Kraft gegen ähnliche Gefahren in der eigenen Seele.

Durch die postume Veröffentlichung der Briefe Simones an Sartre hat sich zwangsläufig das Urteil darüber geändert, was man von deren beider Beziehung bzw. deren Art des Umgangs miteinander bis dahin verstanden zu haben meinte. Nicht nur von ihren Anhängern wurde Beauvoir seither vorgeworfen, weit weniger aufrichtig gewesen zu sein, als man es von ihr als Feministin erwartet hatte. Die Enttäuschung war groß, als Frauen erfuhren, dass ausgerechnet Beauvoir – ihr Vorbild an Mut im Kampf gegen bürgerliche Verlogenheit – lebenslang ihre Beziehungen zu Frauen verschwiegen hatte bzw. andere vermuten ließ, dass es für sie nur sexuelle Kontakte mit Männern gab.

Auch in einem ihrer Briefe an Nelson Algren, den amerikanischen Schriftsteller, den sie 1947 in den USA kennenlernte, scheinen Beziehungen zu Frauen keine große Rolle zu spielen. In einer »Grundsatzäußerung« über ihr Liebesleben Algren gegenüber, der ihre große Liebe wurde, erwähnt sie ausschließlich sexuelle Beziehungen zu Männern. Im Brief vom 8. August 1948 erklärt sie: »Es gibt in meinem Leben jedenfalls nicht viel, womit ich prahlen könnte.«[7] Zusammengefasst ist dem Brief zu entnehmen, dass Beauvoir sich mit 17 Jahren in einen gleichaltrigen schönen und verführerischen Cousin verliebte, der sie zwar respektierte, sich aber, als es darum ging zu heiraten, eine andere reiche dumme Jungfrau nahm, danach sein Leben im Suff wegwarf und die ihm Nahestehenden unglücklich machte. »Es war eine sehr sentimentale, idealistische Jungmädchenliebe … Bald lag uns [Sartre und Beauvoir] viel aneinander. Ich war zweiundzwanzig und er fünfundzwanzig, und ich gab ihm voller Begeisterung mein Leben und mich selbst. Er war mein erster Liebhaber, vorher hatte niemand mich auch nur geküßt. Wir haben eine lange Zeit zusammen verbracht, und ich erzählte Ihnen schon, wie sehr mir an ihm liegt, aber es war eher tiefe Freundschaft als Liebe; in der Liebe war unsere Beziehung nicht sehr erfolgreich. Hauptsächlich, weil er sich aus der Sexualität nicht viel macht.«[8]

Als Nächstes taucht in dem Brief an Algren der schöne, junge Jacques-Laurent Bost auf, vormals Schüler von Sartre und später Ehemann der gemeinsamen Freundin Olga. Von ihm wird noch in der Beschreibung von dem die Rede sein, was für Simone Liebe ist und wie Liebe in ihren Beziehungen zu Frauen aussieht. »Wir blieben … eng befreundet und schliefen weiter miteinander. Es war eine schöne Beziehung, ohne Leidenschaft, aber auch ohne Eifersucht, ohne Lügen, mit viel Freundschaft und Zärtlichkeit. Wissen Sie, ich war mit meinem Leben zufrieden … Dann passierte es, Sie wissen Bescheid. Außer mit Sartre und Bost habe ich dreimal in meinem Leben mit Männern eine Nacht verbracht. … Als ich zu Ihnen nach Chicago zurückkam, glaubte ich, es würde etwas Derartiges werden: ich mochte Sie; wir konnten ein paar Tage lang zusammen glücklich sein. … Ich erwartete keine Liebe, ich glaubte nicht, mich verlieben zu können, und Sie haben es geschafft, daß ich mich in Sie verliebte! Und veranlaßten mich, nach Chicago zurückzukehren und Sie immer mehr zu lieben.«[9]

Bei Algren habe sie wahre und totale Liebe erfahren, in der Herz, Seele und Körper eins sind. Sich für die Gegenwart, für ihre Liebe zu Algren zu entscheiden, fällt Simone jedoch schwer. Sie versucht, ihm verständlich zu machen, warum sie sich von ihrer »kleinen Familie« so leicht nicht trennen könne. Sartre, Bost, Olga, Wanda und andere Mitglieder dieser »petite famille« seien seit vielen Jahren in guten und bösen Zeiten miteinander eng verbunden. Sich von ihnen zu trennen wäre sehr schmerzlich.

In diesem Überblick über ihr Liebesleben erwähnt Beauvoir also nur ihre sexuellen Beziehungen zu Männern. Von denen zu Frauen schweigt sie – warum aber Nelson Algren gegenüber und nicht auch gegenüber Sartre? Sind diese Beziehungen...

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