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E-Book

Mit einem Bein im Knast

Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben

AutorJürgen Schmieder
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783641089665
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Kaum aufgewacht - schon straffällig: unsere alltäglichen Rechtsbrüche und Gesetzesverstöße
Wir alle sind Verbrecher. Wir fahren zu schnell, wir stehlen Handtücher aus Hotels, wir betrügen bei der Steuererklärung, wir saugen Filme aus dem Internet. Doch zugeben würden wir es nie. Dabei beläuft sich der volkswirtschaftliche Schaden solcher Untaten auf mehr als eine Billion Euro pro Jahr. Wie wäre es, wenn man ein Jahr lang jeden Tag 24 Stunden von einem Polizisten begleitet würde? Jürgen Schmieder hat es gewagt. Er versucht, ein Jahr lang gesetzeskonform zu leben, im Einklang mit unseren mehr als 100 000 Gesetzen und Verordnungen. Ein schwieriges Unterfangen, wo ihn doch schon deren Lektüre schier in den Wahnsinn treibt. Er sieht sich gezwungen, seine Frau anzuzeigen, verfolgt einen russischen Milliardär, bekommt sogar eine Todesdrohung ... Am Ende steht die Erkenntnis, dass es viel zu viele Gesetze gibt, aber kaum jemand dafür sorgt, dass die wirklich wichtigen eingehalten werden.

Jürgen Schmieder, Jahrgang 1979, ist Reporter und Autor für die Süddeutsche Zeitung, Sports Illustrated, GQ und andere Medien - er berichtet aus Los Angeles. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter die Bestseller »Mein Bauch gehört mir« (2008) und »Du sollst nicht lügen!« (2010). Zuletzt bei C.Bertelsmann erschienen »Ich will in den Himmel oder als glückliche Kuh wiedergeboren werden« (2011), »Mit einem Bein im Knast« (2013), »Sport. Das Buch« (2014) und »Der Frauenversteher« (2016). Jürgen Schmieder lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Hermosa Beach, Kalifornien.

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Leseprobe

Kapitel 2
Im Paragrafendschungel

Robinson Crusoe hatte deutsche Gene in sich. Er wurde zwar in York geboren und war damit englischer Staatsbürger, doch sein Vater war ein deutscher Kaufmann aus Bremen, der nach England ausgewandert war. Die Geschichte von Daniel Defoe über den Seefahrer und Abenteurer ist deshalb natürlich Quatsch. Sie muss so gehen:

Crusoe vermisst erst einmal die Insel, zäunt sie ein und sucht die Inselverwaltung, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Nach zwei Stunden Suche beschwert er sich, dass es keine Behörde gibt, und notiert in seinem Logbuch, dass er den Reiseveranstalter sofort auf Rückerstattung der Hälfte des Preises verklagen werde. Die fehlenden sanitären Einrichtungen, da ist er sich sicher, könnten nochmals zehn Prozent wert sein. Und natürlich fehlt der Balkon. Ach was, das ganze Hotel fehlt!

Dann lernt er Freitag kennen – und verlangt, dass der bitte schön nur genormte Kokosnüsse bringen möge und um 22 Uhr sein Feuer am Strand ausmachen soll, um die abendliche Ruhe nicht zu stören. Natürlich arbeitet er für sich und Freitag einen exakten Plan aus, wer wann mit welchem Gerät Fische zu fangen hat – und führt sogleich Disziplinarstrafen für den Fall ein, dass Fischfangquoten nicht erreicht werden. Gleich am ersten Tag muss Freitag vier genormte Kiwis abliefern, weil er den spitzen Speer für die Jagd verwendet hat und außerdem dort gefangen hat, wo Robinson das Schild »Jagen verboten« errichtet hat.

Robinson gründet einen Verein für Krebszucht und fordert von Freitag, ebenfalls einen zu gründen. Die Vereine schließt Robinson zusammen zu einem Verband mit strikten Regeln und einem Spielplan, der festlegt, wann die Krebse zum Wettlauf miteinander anzutreten haben und an welchem Strand die nächste Weltmeisterschaft stattfindet. Dann beschwert er sich über den Wildwuchs der Bäume; den Bau einer Hütte verhindert er, weil sie nicht den baulichen Vorschriften entspricht, die Brandschutzverordnungen verletzt und sowieso nicht ins Inselbild passt.

Dann noch kurz Etiketten mit Ampelkennzeichnung auf die Bananen gepappt, ein Rauchverbot am Strand und eine Kleidergrößennorm eingeführt – und es ist fast perfekt. Dann nämlich sitzt Robinson abends vor seiner Hütte und beschwert sich darüber, welche Unzahl von Gesetzen es auf der Insel gebe und dass das alles entbürokratisiert gehöre.

Deutschland ist das Land der Gesetze und Normen – das stelle ich fest, als ich meine erste Gesetzessammlung aufschlage. Ich habe bereits 50 Bücher zum Thema Gesetze gelesen und festgestellt, dass Jura so trocken ist, als würde man Salzstangen mit Sandkuchen und Vollkornbrot essen und das Ganze mit einem Löffel Zimt hinunterspülen. Dennoch bin ich auf dieses Projekt in etwa so vorbereitet wie ein Bundesliga-Manager-Spieler auf einen Job als Sportdirektor beim FC Bayern oder ein Call-of-Duty-Zocker auf eine Schlacht in Afghanistan.

Aber es gibt ja den Schönfelder.

Zu behaupten, dass es sich beim Schönfelder um ein dickes Buch handelt, das ist ungefähr so, als würde man behaupten, dass der Mount Everest ein ziemlich hoher Hügel sei. Die Sammlung der wichtigsten deutschen Gesetze und Verordnungen ist neun Zentimeter dick und 2,385 Kilogramm schwer, die Seiten sind so dünn, dass man hindurchsehen kann. Es ist ein riesiger Wälzer, durchaus geeignet für Muskelübungen. Ich habe mir als Gegengewicht den Sartorius besorgt, ebenso dick und fast so schwer wie der Schönfelder und bestückt mit Verwaltungsgesetzen. Insgesamt sind das knapp fünf Kilo Gesetze – und da sind noch nicht einmal alle drin, die es in Deutschland gibt. Es gibt noch den Aichberger mit Gesetzen zum Sozialrecht und den Nipperdey zum Arbeitsrecht und auch eine Sammlung der Steuergesetze von Georg Müller, aber kein Buch ist so bedeutsam wie der Schönfelder.

Ich bin mir nicht ganz sicher, was Dr. Heinrich Schönfelder eines Tages dazu veranlasst hat, die wichtigsten deutschen Gesetze zwischen zwei Buchdeckel zu pressen. Womöglich war er ein Fan des Alten Testaments und insbesondere von Moses, womöglich dachte sich Schönfelder: Steintafeln sind nicht mehr en vogue, aber ich könnte etwas herstellen, das genauso schwer ist. Wenn Kollege Sartorius mitmacht, dann wird das großartig aussehen, wenn künftig ein Anwalt in seiner Robe daherkommt und unsere beiden Bücher präsentiert, als wären sie Gottes Gesetze.

Das erste Mal habe ich das Buch während meiner Studienzeit an der Universität Regensburg gesehen. Ich dachte immer, das Herumtragen dieses dicken roten Buches wäre das Aufnahmeritual einer Studentenverbindung: Wer seinen Schönfelder vergisst, muss auf der nächsten Wohnheimparty einen Schnaps trinken. Doch es war anders: Der Schönfelder war die Bibel der Jurastudenten, das heilige Buch, das Nekronomikon des Rechts. Die Studenten zitierten daraus, als wäre darin der Code für ein glückliches Leben enthalten oder zumindest die Blaupause für erfolgreiche Gerichtsverhandlungen. Auch in Gerichtsshows steht der Schönfelder immer auf dem Pult.

Ich habe die aktuelle Ausgabe von vorne bis hinten durchgelesen.

Ich möchte an dieser Stelle einen kurzen Warnhinweis geben: Wer jemals vorhat, sich als Nichtjurist durch den Schönfelder von Buchbrust zu Buchrücken durchzuarbeiten, dem rate ich dringend, sich einem Psychiater anzuvertrauen oder zumindest einem Taxifahrer, der Psychologie oder Jura studiert hat. Ich habe in meinem Leben langweilige Bücher gelesen wie etwa Schoßgebete von Charlotte Roche, schwierige wie Krieg und Frieden von Leo Tolstoi – und aufgrund des Vornamens meines Sohnes habe ich mich sogar an wahnsinnige Bücher wie Finnegans Wake von James Joyce gewagt und bis Seite 20 durchgehalten.

Doch der Schönfelder ist die Vereinigung aller drei Kategorien in einem Buch – und es ist mir bis heute nicht klar, warum in Guantanamo komplizierte Folterwerkzeuge eingesetzt werden. Die amerikanischen Soldaten müssen die Gefangenen nur zwingen, die deutschen Gesetze auswendig zu lernen. Nach zwei Tagen wäre jeder Terrorist ein gebrochener Mensch.

Der Schönfelder überragt nicht nur mit seiner Wucht, sondern auch mit seinem Inhalt. Wer von der Quantität nicht überrollt wird, der wird von der Qualität der Texte geplättet. Es ist, als hätte ein erlesenes Team aus Schriftstellern möglichst komplizierte Sätze formuliert. Dann haben Franz Kafka und Thomas Mann eine Vorauswahl getroffen, Roger Willemsen ist als Lektor tätig gewesen und hat dafür gesorgt, dass auch ganz sicher kein Mensch mehr einen Satz versteht.

Wissen für Nichtjuristen

Heinrich Schönfelder war wäh-
rend der Nazi-Diktatur in Deutsch-
land Mitglied der NSDAP. Von 1936
an waren Gesetze mit den Ord-
nungsnummern 1 bis 19 den Geset-
zen der NS-Diktatur vorbehalten.
Nummer 1 war das Parteipro-
gramm der NSDAP.

Zusammengesetzt wurden die Sätze dann vom Regisseur des Films Der englische Patient, der sich darum kümmerte, dass auch wirklich nichts Spannendes oder Interessantes übrig bleiben würde.

Schon beim Lesen der Schnellübersicht habe ich das Gefühl, dass dieses Buch einen Teil meiner Seele einfach in sich aufsaugt, mindestens aber die rechte Hälfte meines Gehirns einfach grillt. Da stehen Begriffe wie »Partnerschaftsgesellschaftsgesetz« und »Untersuchungshaftvollzugsordnung« und »Aufwendungsausgleichsgesetz«, aber auch Abkürzungen wie »REITG«, »CISG« und »RiStBV«.

Es gibt das »AtHaftProtParis2004G«, und es geht darin um nichts weniger als das »Gesetz zu den Protokollen vom 12. Februar 2004 zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982 und zur Änderung des Zusatzübereinkommens vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982«. Alles klar?

Es gibt auch die »JArbSchSittV«, eine »Verordnung über das Verbot der Beschäftigung von Personen unter 18 Jahren mit sittlich gefährdenden Tätigkeiten«, die »ZAGMonAwV«, eine »Verordnung zur Einreichung von Monatsausweisen nach dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz« – und natürlich die »GASV«, die »Verordnung zur Bestimmung von weiteren grundlegenden Anforderungen an Geräte sowie zur Bestimmung von Äquivalenzen nationaler Schnittstellen und Geräteklassenkennungen auf dem Gebiet der Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen«.

Ich habe mir das wirklich nicht ausgedacht.

Es gibt auch ein Gesetz, wann sich ein Ort »Luftkurort« nennen darf – also quasi gesetzlich vorgeschrieben ist, dass die Luft dort besser zu sein hat als an anderen Orten. In Bayern ist das der Paragraf 9 in der »Verordnung über die Anerkennung als Kur- oder Erholungsort und über die Errichtung des Bayerischen Fachausschusses für Kurorte, Erholungsorte und Heilbrunnen«.

Was passiert mit einem Menschen, der den Schönfelder liest?

Wissen für Nichtjuristen

Das Verunglimpfen ausländischer
Flaggen wird ähnlich hart bestraft
wie das Verunglimpfen der deut-
schen Flagge. (§ 104 StGB)

Ich habe mich zurückgezogen auf die Burg Feuerstein in Franken. An diesem Abend ist die Burg leer, es...

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