Zur Bekämpfung der Folgen der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise hat die EZB eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, welche die Wirtschaftslage im Euroraum stabilisieren sollten. Dabei spielte die Zinspolitik der EZB eine ausschlaggebende Rolle. In raschen Schritten verringerte die EZB die Leitzinsen und versorgte die Banken mit der notwendigen Liquidität, welche für einen längeren Zeitraum bereitgestellt wurde.
Das Hauptziel der EZB, die Gewährleistung der Preisstabilität im Euroraum, konnte aufgrund der ausgebrochenen Schuldenkrise nach wie vor nicht erreicht werden. Hierzu wurden durch die EZB 2011, in Verbindung mit anderen Maßnahmen, weitere Zinssenkungen durchgeführt, wodurch die andauernde Niedrigzinsphase ihren Anfang nahm. Im Juni 2014 unterschritt die Einlagenfazilität die Nullgrenze und betrug zum ersten Mal in der Geschichte -0,1%.[1] Der Begriff des Negativzinses ist bereits seit zwei Jahren ein Phänomen der europäischen Zinspolitik.
Somit bleibt die aktuelle Zinspolitik der EZB, welche durch weitere geldpolitische Maßnahmen (z. B. das Asset Purchase Programm-APP) verstärkt wird, eines der größten und gleichzeitig umstrittensten Themen in der Öffentlichkeit. Im Vordergrund der aktuellen Diskussionen stehen die möglichen Folgen der niedrigen und teilweise negativen Zinsen, vor allem für die Banken und Versicherungsunternehmen, welche von Experten meistens als äußerst negativ beschrieben werden.
Im Gegensatz dazu blieben die Nicht-Finanzinstitute im Schatten der aktuellen Debatte. Doch erst Anfang 2015, als die größten Finanzinstitute im Euroraum ihre Bereitschaft erklärt haben, die negativen Einlagenzinsen an die Unternehmen weiterzuleiten, stellte sich für die Unternehmen die Frage künftiger Folgen der aktuellen Zinslage. Dabei handelt es sich in der Regel um zu zahlenden Strafzinsen, welche abhängig von der Unternehmensgröße, unterschiedliche Ausmaße erreichen können und im Falle von Unternehmen aus dem KMU-Bereich wesentlich „schmerzhafter“ als bei den großen Firmenkunden empfunden werden.
Die Fokussierung auf die Problematik der Strafzinsen erlaubt jedoch die Betrachtung nur eines Bruchteils der Gesamtfolgen der Niedrigzinspolitik der EZB auf die Unternehmen und ermöglicht somit keine vollständige Einschätzung der Auswirkungen der Zinsen auf Nicht-Finanzinstitute. Diese kann mithilfe der Analyse der Allokation von intern generierten Mitteln, welche ein wichtiger Indikator des Unternehmenserfolgs sind, erreicht werden.
Diese Analyse liefert die Informationen in Bezug auf die strategische Verteilung der liquiden Mittel in Unternehmen, welche aus dem operativen Bereich stammen. Der Blick auf die Cash-Flow-Allokation in den letzten Jahren, während die Zinsen schrittweise gesenkt wurden, sollte die wichtigsten Hinweise in Bezug auf die erste Reaktion der Nicht-Finanzinstitute auf niedrige Zinsen und deren Erwartung bezüglich künftiger Zinsentwicklung geben.
Neben diesen übergeordneten Aufgaben der obigen Analyse erscheint ein weiterer Punkt nicht weniger bedeutsam. Die Art und Weise, wie Unternehmen die internen Zahlungsströme allokieren, wirkt sich nämlich direkt auf das Tempo der Erholung der Gesamtwirtschaft nach einer Krise oder Rezession aus. So ermöglicht die Untersuchung der Cash-Flow-Allokation nicht nur Rückschlüsse bezüglich der Auswirkung der aktuellen Zinslage auf die Unternehmen zu ziehen, sondern erlaubt es die Erholung der Gesamtwirtschaft nach der letzten Krise einzuschätzen.
Die Folgen der letzten Finanzkrise sind bis heute in den meisten Ländern des Euroraums zu spüren. Mithilfe der aktuellen Zinspolitik versucht die EZB die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln um damit die angestrebte Preisstabilität zu erreichen. Niedrige Kosten der externen Finanzierung sollen im Unternehmensbereich zum Anstieg von Investitionen beitragen. In anderen Worten sollen die Unternehmen dazu motiviert werden, die Liquidität nicht zu horten, sondern zu investieren.
Die Entwicklung der makroökonomischen Indikatoren im Euroland in den letzten fünf Jahren zeigen allerdings nicht die gewünschten Ergebnisse. Die Erholung der Wirtschaft nach der Krise erfolgt in den meisten Ländern der Währungsunion trotz des Einsatzes zahlreicher geldpolitischer Maßnahmen, insbesondere der Zinspolitik, sehr langsam. Haben die niedrigen Zinsen keine bedeutsame Auswirkung auf die Unternehmen, oder handelt es sich um eine Verzögerung der gewünschten Reaktion der Unternehmen auf die Zinspolitik der EZB? Diese Fragen werden mithilfe der Analyse der Cash-Flows-Allokation beantwortet und bilden die Basis der Zielsetzung dieser Arbeit.
Bereits vorhandene Studien und Analysen im Bereich der Cash-Flow-Allokation bilden eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen. Zahlreiche Wirtschaftswissenschaftler in mehreren Ländern haben auf Basis zahlreicher Firmendaten zu verschiedenen Zeitpunkten in verschiedenen Zeiträumen untersucht, wie Unternehmen operatives Cash-Flow allokieren und welche Faktoren dabei eine signifikante Rolle spielen.
Zu den aktuellsten Befunden in diesem Bereich gehört die Analyse der Cash-Flow-Allokation im Falle von Nicht-Finanzunternehmen unter Berücksichtigung ihrer Größe, sowie der daraus resultierenden finanziellen Einschränkungen zwischen 1971 und 2011.[2] Die erhobenen Firmendaten zeigen, wie die Unternehmen die intern generierten Gelder zwischen den verschiedenen Allokationszielen aufteilten.[3] Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Unternehmen, welche als finanziell eingeschränkt eingestuft wurden, den Anstieg interner Zahlungsströme in die gehaltene Liquidität allokierten, während die nicht eingeschränkten Firmen diesen dem Investitionsbereich zuordneten.[4]
Eine weitere Analyse spanischer Unternehmensdaten im Zeitraum von 1996-2010 bestätigt ein negatives Verhältnis von externer Finanzierung zu internen Zahlungsströmen in Unternehmen.[5] Dabei weisen die Autoren der Arbeit darauf hin, dass im Falle von börsennotierten Unternehmen dieser Zusammenhang stärker, also negativer, als bei anderen Unternehmen ist.[6]
Einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Cash-Flow-Allokation leistet auch eine europäische Studie, welche den positiven Zusammenhang zwischen dem Cash-Flow und Investitionen vor dem Hintergrund der Änderung von Kosten externer Finanzierung, sowie der Marktkonditionen in den Jahren 1980 bis 2013 untersucht.[7]
Zu solchen Studien zählt auch eine Arbeit, deren Gegenstand die Analyse des Zusammenhangs zwischen der Höhe gehaltener liquider Mittel und anderen Allokationszielen im Falle großer und kleiner Unternehmen für den Zeitraum 1990-2005 war.[8] Diese stellt fest, dass im Gegensatz zu kleineren Firmen größere Unternehmen wesentlich leichter auf die Allokation in diesem Bereich verzichten, sobald ein Bedarf entsteht, diese in einem anderen Bereich zu erhöhen.[9]
Große Aufmerksamkeit wurde in der letzten Zeit der Analyse von Cash-Flow-Allokation vor dem Hintergrund der letzten Finanzkrise geschenkt. Die aktuellste Studie in diesem Bereich erschien 2016 und umfasst die Firmendaten der größten europäischen Länder. Im Rahmen der Studie haben die Autoren die Allokation interner Zahlungsströme zwischen 2007 und 2009 bei börsennotierten und privaten Unternehmen untersucht.[10]
Die obige Darstellung der aktuellsten Studien im Bereich der Cash-Flow-Allokation zeigt, wie umfangreich und vielfaltig dieses Thema tatsächlich ist. Die steigende Anzahl an Forschungsergebnissen aus dem europäischen Raum wirft ein neues Licht auf die Besonderheit der Allokation interner Mittel durch europäische Unternehmen. Dies erscheint vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen und rechtlichen Umfeldes, welches sich signifikant vom angelsächsischen Raum unterscheidet, besonders wichtig.
Bis heute besteht allerdings im Euroraum keine empirische Analyse, die sich mit der Frage der Cash-Flow-Allokation während der seit mehreren Jahren herrschenden Niedrigzinsphase beschäftigt. Die Auswirkung der Zinslage auf die Allokation wird in der Regel nur rudimentär berücksichtigt und zusammen mit mehreren weiteren makroökonomischen Einflussfaktoren indirekt betrachtet. Diese Überlegung steht hinter der Zielsetzung dieser Arbeit.
Das Ziel dieser Arbeit ist eine umfangreiche Analyse der Allokation von Cash-Flows in Unternehmen der Europäischen Währungsunion in Zeiten der Niedrig-/Negativzinsen. Hierzu werden auf Basis der durch andere Forschungen gewonnenen Erkenntnissen die Annahmen in Bezug auf die Zuordnung der internen Zahlungsströme vor dem Hintergrund der neuen Zinspolitik getroffen und durch empirische Befunde erklärt. Diese Analyse soll einen wichtigen Beitrag zu bereits vorhandenen Befunden im Bereich der Cash-Flow-Allokation leisten und einen Anreiz für weitere Forschungen bezüglich der Zinsauswirkung auf die Allokation interner...