|17|2 Die Bedeutung von Beziehung
2.1 Beziehung in helfenden Berufen
2.1.1 Helfen als Beruf
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der helfenden Berufe wenden sich Menschen zu und führen mit ihnen Gespräche, um sie zu behandeln, zu beraten, zu begleiten, zu pflegen, zu lehren oder zu betreuen. Dieses Buch richtet sich an alle Interessierten, insbesondere an Menschen, die in helfenden Berufen professionell Entwicklungs- und Fürsorgearbeit leisten, wie beispielsweise in der Medizin, Pflege, Psychologie, Sozialen Arbeit, Pädagogik und Erziehung, Arbeits- und Ergotherapie, Physiotherapie, Seelsorge oder Bewährungshilfe. Für sie wird hier der umfassende (alle Berufsgruppen einschließende) Begriff der Helfer oder professionellen Helfer verwendet.
Für helfende Berufe ist kennzeichnend, dass Beziehung und menschliche Zuwendung besonders wichtig sind und sie täglich eine Vielzahl von Situationen mit Menschen erleben, bei denen Gespräche zu führen sind. Nicht immer ist die Kommunikation erfolgreich und kann sogar misslingen, wenn Menschen sich nicht verstehen oder den Inhalt von Botschaften falsch interpretieren. Dabei ist die Kommunikation, verbal oder nonverbal, das wichtigste „Handwerkszeug“, um die Beziehungen zu den Menschen zu gestalten. Kommunikation kann dabei verbinden oder trennen, kann unterstützen oder behindern. Gespräche können in vielfältiger Form ein Medium zur Hilfe, Unterstützung, Begleitung oder Beratung, aber auch zur Therapie und Genesung sein. Entsprechend hoch ist der Stellenwert sozialer Interaktionen für die professionellen Helfer. Die Gespräche werden von einer bestimmten Qualität der Beziehung zwischen den Interaktionsbeteiligten geprägt, die für den „Erfolg“ und die „Wirkung“ der professionellen Interventionen (Edukation, Beratung, Therapie) von entscheidender Bedeutung sind.
Die von Rogers Ende der 1960er Jahre im Rahmen seiner klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie beschriebenen Basisvariablen „Wertschätzung“ (Wärme und uneingeschränkte Akzeptanz), „Empathie“ und „Kongruenz“ (Echtheit), stellen drei Aspekte einer unverzichtbaren Begegnungshaltung für den Aufbau und Erhalt einer vertrauensvollen Beziehung dar. Das vorliegende Buch befasst sich intensiv mit diesen Basisvariablen – insbesondere mit der Empathie, einer Fähigkeit, die eine helfende Beziehung prägt und als wesentlicher Faktor für deren therapeutische Wirksamkeit gilt (Elliot et al., 2011).
|18|In ihrem beruflichen Alltag begegnen den professionellen Helfern vielfältige unangenehme Gefühle wie Angst, Wut, Ärger, Reizbarkeit, Ungeduld, Misstrauen, Trauer, Mitleid oder Berührung und zwar bei den Klienten1, wie auch bei ihnen selbst. Diese Gefühle, und die daraus resultierenden Verhaltensweisen, nehmen Einfluss auf die Beziehung zu den Klienten und zu ihnen selbst, haben Auswirkungen auf die Qualität der Beziehung, die Zusammenarbeit und die Ergebnisse der Begleitung oder Behandlung (Akerjordet & Severinsson, 2004; Megens & van Meijel, 2006). Der tägliche Umgang mit leidenden Klienten und deren manchmal besorgten, ärgerlichen oder auch vorwurfsvollen Angehörigen kann sehr belastend für die Helfer sein.
Dem Selbstverständnis helfender Berufe liegt nicht selten ein Denken zu Grunde, das besagt, dass sie als Experten zuallererst „Defizite“ und „Störungen“ beim Klienten erkennen müssen, um diese dann durch spezifische (evidenzbasierte, manualisierte) Methoden zu beseitigen.
Durch analysieren, interpretieren, deuten, bewerten und diagnostizieren kann man zu einer Einschätzung über den Klienten gelangen, die dazu legitimiert, Verantwortung an dessen Stelle zu übernehmen, direktiv zu agieren, manchmal so weit, bis die Grenzen zur Entmündigung fließend werden. Dabei kann die Verführung groß sein, zu glauben, dass man in kurzer Zeit mehr über den Klienten weiß, als dieser über sich selbst. Der Helfer als glorreicher Retter des hilflosen Klienten? Der Therapeut, der allwissend oder gar allmächtig die Ursachen des Leidens „aufdeckt“ und dieses Wissen schon ein weitreichender Teil der Heilung darstellt? Doch „Wissen allein heilt nicht“ (Benecke, 2014).
Helfer können die Probleme ihrer Klienten nicht lösen, bestenfalls können sie sie dabei unterstützen. Die Wirkfaktorenforschung der Psychotherapie in den vergangenen Jahren zeigt deutlich, dass die Klienten selbst als entscheidender Faktor für den Erfolg gelten und ihre Beteiligung, durch die Berücksichtigung und Förderung ihres Potentials, ebenso unentbehrlich ist, wie die Fähigkeit des Therapeuten eine Beziehung zu den Klienten aufzubauen.
Eine wesentliche Herausforderung für den professionellen Helfer ist es daher, mit dem Klienten in Verbindung zu kommen, einzutauchen in seine Lebenswelt, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten kennenzulernen, ihn mit einzubeziehen, hin zu einer autonomiefördernden und ressourcenorientierten Kooperation.
|19|Die Fähigkeit zur Empathie schafft die Voraussetzung sich aufeinander einzustellen, in eine Verbindung miteinander zu kommen, die Verstehen, Annahme und Vertrauen ermöglicht.
2.1.2 Stellenwert der Beziehung in helfenden Berufen
Die Welt, in der wir leben, entsteht aus der Qualität unserer Beziehungen.
(Martin Buber)
Emotionale Beziehungen verschiedenster Art wirken sich entwicklungsfördernd und heilend aus. In den unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen wird zunehmend die Bedeutung von Bindung und Kooperation für Veränderung und Entwicklung bei der Begleitung von Menschen betont. Entwicklungsgeschichtlich ist Bindung für unsere Gattung überlebensnotwendig und ein wesentlicher evolutionärer Überlebensvorteil. Der Mensch ist zuallererst ein Säugetier, „das koste es was es wolle“, zur Herde gehören will. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die primäre Motivation des Menschen die Suche nach Akzeptanz und Bindung ist (Insel & Fernald, 2004) und als entscheidende Voraussetzung für die biologisch-menschliche Stimulierung des Mittelhirns, auch Motivationssystem genannt, gesehen wird (Bauer, 2010). Joachim Bauer folgert entsprechend: „Ohne Beziehung gibt es keine dauerhafte Motivation“ (Bauer, 2006, S. 61). Die Evolution hat eben diejenigen bevorzugt, die in der Lage waren, starke soziale Beziehungen einzugehen.
Schon zu Beginn der humanistischen Psychologie hatte Carl Rogers (1973, S. 33) auf die Bedeutung von Selbstannahme für die Entwicklung hingewiesen: „Wenn ich mich so wie ich bin akzeptiere, dann ändere ich mich“. Gleichzeitig unterstreicht Gordon (1974, S. 38) die Bedeutung von Annahme durch Mitmenschen: „Wenn ein Mensch fühlt, dass ihn ein anderer wirklich annimmt, wie er ist, dann ist er frei geworden“, sich zu verändern und zu dem zu werden, zu dem er befähigt ist.
Erst die Erfahrung von Annahme schafft die Chance hin zu Entwicklung und Veränderung des Verhaltens. Ein für Helfer nicht einfacher Umstand, gelegentlich ein Paradoxon, da es nicht selten darum geht, problemhaftes Verhalten zu verändern. Marsha Linehan (1993) identifiziert „acceptance versus change“ als einen paradoxen Schlüsselkonflikt, weshalb Klienten durch professionell tätiges Personal betreut werden müssen. Die Herausforderungen, denen sich Helfer in ihrer Beziehungsgestaltung zu Klienten stellen müssen, beinhaltet häufig eben dieses Dilemma von Annahme, um Veränderung zu fördern.
|20|Für die helfende Beziehung besteht die Forderung des Akzeptierens und Annehmens und das bedeutet das Verhalten und Erleben des Klienten nicht zu bewerten, sondern ihn als „o.k.“ zu definieren. Tatsächlich gäbe es jedoch ohne die Bewertung des Verhaltens und Erlebens des Klienten gar kein Problem, also auch keinen Bedarf zu Begleitung oder Veränderung durch professionelle Helfer. Sachse bringt dies in seinem Buch zu Beziehungsgestaltung auf den Punkt: „Denn gäbe es gar keine Aspekte des Denkens, Fühlens oder Handelns des Klienten, die veränderungsbedürftig wären, wäre der Klient per definitionem nicht Klient!“ (Sachse, 2016, S. 52). So steht hinter dem Wunsch nach Entwicklung oder Veränderung eben immer auch eine...