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Einführung in die Bildungsforschung

AutorDoris Edelmann, Joel Schmidt, Rudolf Tippelt
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl290 Seiten
ISBN9783170228344
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Bildungsforschung spielt innerhalb der Erziehungswissenschaft eine immer wichtigere Rolle. Das zeigt sich beispielsweise an der Resonanz, die internationale Bildungsstudien wie TIMSS, PISA oder IGLU gefunden haben. Bildungsforschung beschäftigt sich über Fragen zum Lehr- und Lernerfolg im Unterricht hinaus auch mit den Voraussetzungen und Möglichkeiten von Bildungs- und Erziehungsprozessen im institutionellen und gesellschaftlichen Kontext. Neben frühkindlichen Einrichtungen, Schulen und Hochschulen sind daher auch außerschulische Bildungsprozesse sowie Bildungswege über die Lebenspanne von Interesse. Dieser Band bietet eine aktuelle Einführung in die Bildungsforschung. Ausgehend von Fallbeispielen werden die Geschichte sowie die wichtigsten Forschungsmethoden und -felder vorgestellt.

Dr. Doris Edelmann ist Direktorin des Universitären Zentrums für frühkindliche Bildung Fribourg. Prof. Dr. Joel Schmidt lehrt und forscht an der Fachhochschule für angewandtes Management in Erding. Prof. Dr. Rudolf Tippelt ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Leseprobe

1 Einladung zur Bildungsforschung


Bildungsforschung hat in den letzten Jahren eine politische Aufwertung erfahren. Woran liegt das? Ein Grund ist darin zu sehen, dass Bildungsforschung im Kontext ihrer Orientierungs-, Aufklärungs- und Steuerungsrelevanz dazu beiträgt, tatsächliche Zusammenhänge zu erkennen, ideologische Verschleierungen zu durchschauen, Vorurteile zu eliminieren, Urteile des lehrenden, organisierenden und erziehenden Personals und der sich Bildenden aufzuklären sowie rationale Begründungen bildungspraktischer und bildungspolitischer Entscheidungen zu ermöglichen. In diesem Buch wird aufgezeigt, dass die Bildungsforschung gefordert ist, unter Berücksichtigung vergleichender und historischer Perspektiven die sich fortwährend wandelnde Bildungsrealität in die pädagogische Reflexion einzubringen. Trotz des inter- und multidisziplinären Charakters der empirischen Bildungsforschung wird davon ausgegangen, dass die zentrale Bezugsdisziplin die Erziehungswissenschaft respektive die Pädagogik ist. Eine Übersicht über den Aufbau und die Intentionen des vorliegenden Bandes sowie über die zentralen Fragestellungen wird im Folgenden gegeben.

Was ist das Anliegen der Bildungsforschung?


Empirische Bildungsforschung steht seit ihrem Beginn in den 1920er Jahren und noch konkreter seit Anfang der 1960er Jahre in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der Bildungs- und Sozialplanung sowie der Bildungspolitik. Insbesondere die Reformmaßnahmen und der Ausbau des Bildungswesens auf nationaler und internationaler Ebene haben verstärkt zur nahezu kontinuierlichen Entwicklung und Differenzierung der Bildungsforschung geführt. Die wichtigste Aufgabe der Bildungsforschung liegt darin, wissenschaftlich begründete Informationen bereitzustellen, an der sich die Bildungs- und Erziehungspraxis orientieren kann, um auf dieser Grundlage rationale und ideologiefreie bildungspolitische und bildungspraktische Entscheidungen treffen zu können.

In den 1960er Jahren entstand mit dem Aufschwung der Bildungsplanung, also des systematischen und wissenschaftlich gestützten Nachdenkens über die Zukunft des Bildungssystems, sehr schnell eine größere Zahl außeruniversitärer Einrichtungen der Bildungsforschung. Neben den staatlichen Trägern (Bund und Länder) waren von Anfang an auch private Stiftungen am Aufbau von Einrichtungen der Bildungsforschung beteiligt (vgl. Weishaupt/Steinert/Baumert 1991). Gleichzeitig führte der Ausbau der Hochschulen im Kontext der Bildungsexpansion zu einer fachlichen Differenzierung und in diesem Zusammenhang auch zu einer partiellen Übernahme des sozialwissenschaftlich-empirischen Ansatzes in den Bereich der Bildungsforschung, ein forschungsmethodisches Paradigma, das mittlerweile durch neurowissenschaftliche Ansätze ergänzt wird (vgl. OECD 2007). Bis heute ist die Empfehlung des Deutschen Bildungsrates (1974) richtungsleitend, der Bildungsforschung als die Untersuchung der Voraussetzungen und Möglichkeiten von Bildungs- und Erziehungsprozessen in institutionellen und gesellschaftlichen Kontexten definierte und der festhielt, dass sie die Lehr- und Lernprozesse in schulischen und außerschulischen Bereichen sowie auch in informellen Sozialisationsbereichen thematisieren solle. Stand anfangs die Überprüfung von Reformen und pädagogischen Konzepten im Vordergrund des Forschungsinteresses, wurde in den 1970er und 1980er Jahren, infolge des öffentlich als immer wichtiger eingeschätzten Bildungs- und Erziehungssystems, zunehmend die organisatorische und ökonomische Einbettung des Bildungswesens in Staat und Gesellschaft fokussiert (vgl. Cortina et al. 2008).

Heute sind es die Herausforderungen des globalisierten Wettbewerbs der Industrienationen, des demografischen Wandels, des chancengerechten Bildungszugangs im Kontext des Lebenslangen Lernens über die Lebensspanne (z. B. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010) sowie die Möglichkeiten eines Beitrags zur innovativen Gestaltung einer demokratischen Wissensgesellschaft, die die Erwartungen an die Bildungsforschung bestimmen. Vor dem Hintergrund, dass Bildungsprozesse von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und verschiedenen individuellen Entwicklungsfaktoren beeinflusst werden und die Bildungsforschung daher von mehreren Fachdisziplinen wie der Soziologie, der Sozialen Arbeit, der Psychologie, der Geschichte oder den Wirtschaftswissenschaften getragen wird, ist die integrierende Bezugsdisziplin der Bildungsforschung die Erziehungswissenschaft bzw. die Pädagogik (vgl. Tippelt/Schmidt 2009). Jeder wissenschaftliche Teilbereich, der wie die Bildungsforschung interdisziplinär von mehreren wissenschaftlichen Disziplinen beeinflusst wird, bedarf der Zusammenführung von Befunden, Erkenntnissen und methodologischen Grundlagen. Die Erziehungswissenschaft leistet zwar ihren eigenen theoretischen historischen und empirischen Beitrag zum Verstehen des Bildungssystems, übernimmt darüber hinaus aber auch diese integrierende Funktion. Bislang liegt die Aufgabe der wissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften wesentlich im Verantwortungsbereich der Erziehungswissenschaft, so dass es sinnvoll ist zu versuchen, eine integrierende und die verschiedenen Perspektiven aufnehmende Sicht der Bildungsforschung zu formulieren. Die durch die Herausforderungen nahe liegenden spannungsreichen Themen der Bildungsforschung waren und sind die Modernisierung und Effektivierung, aber auch die Demokratisierung sowie die Inklusions- und Kulturvermittlung des Bildungssystems.

Werden Bildungswege durch die Familie beeinflusst?


In Kapitel 2 des vorliegenden Bandes werden fiktive, aber durchaus exemplarische Fallbeispiele von vier Familien dargelegt und damit ihre Bedeutung als Bildungsort verdeutlicht. Es wird erörtert, welche Bildungsfragen sich in den verschiedenen Familien stellen und welche Bildungsentscheidungen dort aufgrund von unterschiedlichen Lebenslagen getroffen werden. Die Lebenslagen sind geprägt durch sehr vielfältige soziale, ökonomische und kulturelle Rahmenbedingungen. Es wird auch danach gefragt, welche Bildungsmöglichkeiten in den verschiedenen Lebensaltern gegeben sind und wie diese genutzt werden. Grundsätzlich zeigen sich starke Differenzen zwischen einzelnen Familien, die auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene nachhaltigen Einfluss für ihre Bildungswege und Berufsbiografien haben. Bildungsinteressen werden bereits in der Familie geformt, ohne dass man sagen darf, dass sie vollkommen determiniert wären. Auch regionale Rahmenbedingungen, z. B. die Dichte der Schulangebote, Weiterbildungsangebote oder frühkindliche öffentliche Einrichtungen prägen die Bildungsmöglichkeiten der Individuen. Anhand der Falldarstellungen wird es möglich, verschiedenste Orte und Formen des Wissenserwerbs anzusprechen, die in den nachfolgenden Kapiteln aus der Perspektive der Bildungsforschung thematisiert werden.

Wann wurde mit Bildungsforschung begonnen und wie verlief ihre Entwicklung?


Ausgangspunkt sind die frühen Ansätze der empirischen Pädagogik, die auf Tatsachenforschung und Tatsachenbeurteilung beruhen. Sie wurzeln in der experimentellen Pädagogik und Psychologie, beispielsweise vertreten durch Wilhelm August Lay oder Ernst Meumann. In diesem Zusammenhang wird aufgezeigt, dass die Erforschung der Erziehungswirklichkeit gegenüber der Begründung von Erziehungszielen in den Vordergrund rückte. Die Anfänge der empirischen Pädagogik, die auf den ersten Blick durch eine Dominanz experimenteller Methoden im Interesse der Schul- und Unterrichtsgestaltung geprägt sind, werden ergänzt durch die Beschäftigung mit zahlreichen Vertreter/-innen, die in der Zeit der Weimarer Republik mit anderen Forschungsmethoden in der Erwachsenenbildungs-, Jugend- oder Arbeitslosenforschung pädagogische (und sozialwissenschaftliche) Aussagensysteme auf einer erfahrungswissenschaftlichen Basis begründeten. Unter anderem wird auf den wichtigen Anstoß von Aloys Fischer verwiesen. Darüber hinaus werden die methodischen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg erörtert, die zur Ausdifferenzierung der empirischen Forschung beitrugen.

Seit ungefähr zehn Jahren ist die Bildungsforschung an nahezu allen wissenschaftlichen Hochschulen institutionalisiert, an denen erziehungswissenschaftliche, pädagogische oder bildungswissenschaftliche Fachbereiche existieren. Es gibt also zunehmend spezielle Professuren und Arbeitsbereiche, die auf die Bildungsforschung ausgerichtet sind. Freilich werden zu kleine Betriebsgrößen und ein Mangel an Qualifikationsstellen zu Recht vielerorts dafür verantwortlich gemacht, dass längerfristig angelegte Forschungsprogramme, beispielsweise systematische Längsschnittstudien von Bildungsverläufen, kaum vorgenommen werden. Allerdings wurde in Deutschland seit 2009 mit einem breit angelegten bundesweiten Bildungspanel als Ergänzung und neue Quelle der Bildungsberichterstattung begonnen, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (vgl. BMBF 2009) finanziert wird.

Welche Forschungsmethoden und -designs nutzt die Bildungsforschung?


Die Tatsache, dass die empirische Bildungsforschung durch zwei verschiedene Forschungskulturen geprägt ist, wird in Kapitel 4 thematisiert. Zunächst wird die Ausdifferenzierung der qualitativen und quantitativen Bildungsforschung erläutert und auf die zentralen methodischen Herangehensweisen verwiesen. Dann wird aufgezeigt, dass das Verhältnis einerseits spannungsreich ist, andererseits eine Integration der beiden Herangehensweisen seit Ende der 1990er Jahre zunehmend angestrebt wird.

Entsprechend der Differenzierung wissenschaftstheoretischer Richtungen und Methodologien (z. B. kritisch-rationalistische, pragmatistisch-konstruktivistische, phänomenologisch-biografische) und...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Titel1
Grundriss der Pädagogik/ Erziehungswissenschaft6
Inhaltsverzeichnis8
Vorwort12
1 Einladung zur Bildungsforschung16
2 Die Bedeutung des familiären Hintergrunds für den Bildungserfolg30
3 Zur Geschichte der Bildungsforschung46
4 Methoden der Bildungsforschung72
5 Interdisziplinarität der Bildungsforschung98
6 Bildung über die Lebensspanne und Lebenslanges Lernen114
7 Felder der Bildungsforschung137
8 International vergleichende Kompetenzmessungen176
9 International vergleichende und interkulturelle Bildungsforschung197
10 Qualitätsmanagement und Evaluation228
11 Künftige Herausforderungen an die Bildungsforschung248
12 Support: Einrichtungen und Zeitschriften der Bildungsforschung254
Literaturverzeichnis268

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