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Einführung in die Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters

AutorPeter Rossmann
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783456956961
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Die bewusst sehr knapp gehaltene Übersicht über Methoden, Theorien und Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie ist als Lehrtext für Ausbildungsgänge im sozialen, pädagogischen und medizinischen Bereich konzipiert. In chronologischer Folge werden die Grundlagen und die wichtigsten Schritte der körperlichen, kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung im Kindes- und Jugendalter dargestellt. Das Buch eignet sich als strukturierender Basistext und zur Orientierung für alle, die sich mit den hauptsächlichen Themen und Trends der Entwicklungspsychologie vertraut machen wollen. Peter Rossmann forscht und unterrichtet als außerordentlicher Universitätsprofessor für den Arbeitsbereich für Integrationspädagogik und heilpädagogische Psychologie des Instituts für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz/Österreich. Er ist Autor und Koautor von Tests (Depressionstest für Kinder, HAWIK-III), Büchern und zahlreichen anderen wissenschaftlichen Beiträgen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychologie. Die bewährte Kompakteinführung in dritter Auflage

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Kapitelübersicht
  1. Einführung in die Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters
  2. 1 Zweck und Gegenstand der Entwicklungspsychologie
  3. 2 Historische Anfänge der Entwicklungspsychologie
  4. 3 Methoden der Entwicklungspsychologie
  5. 4 Eine Grundfrage der Entwicklungspsychologie: Der Einfluss von Anlage und Umwelt
  6. 5 Pränatale Entwicklung
  7. 6 Geburt
  8. 7 Das Neugeborene
  9. 8 Erstes und zweites Lebensjahr
  10. 9 Vorschulalter
  11. 10 Schulalter
  12. 11 Jugendalter
  13. Literaturverzeichnis
  14. Sachregister
Leseprobe
4 Eine Grundfrage der Entwicklungspsychologie : Der Einfluss von Anlage und Umwelt (S. 29-30)

Seit sich Menschen über entwicklungspsychologische Fragestellungen Gedanken machen, ist die Frage nach der relativen Bedeutung von genetischer Anlage und von Umwelteinflüssen zentral. Beruht die psychische Entwicklung vorwiegend auf biologischen Reifungsprozessen, die sich naturgegeben, von innen heraus, entfalten oder sind dabei äußere Einflüsse und Anregungen, Lern- und Sozialisationsprozesse das wirklich Wichtige? Die Frage wurde oft als Entscheidungsfrage gestellt: Anlage oder Umwelt? Je nach Zeitgeist und wissenschaftlicher Mode fiel die Antwort äußerst unterschiedlich aus, von einer Position des extremen Milieuoptimismus bis zum extremen Milieupessimismus. Von einigen Wissenschaftern wurde das Problem auch schlicht als unlösbar betrachtet. Heute sind zu diesem Thema immer noch zahlreiche Probleme ungelöst. Die Frage nach Anlage und Umwelt wird aber inzwischen, angesichts der neueren Forschungsergebnisse, auf eine etwas andere Art gestellt. Die Wirkungsweisen von genetischen Einflüssen und von Einflüssen der Umwelterfahrung sind nämlich in einem früher nicht geahnten Ausmaß miteinander verwoben, sodass das Anlage-Umwelt-Problem manchmal geradezu zum akademischen Scheinproblem wird. Was damit gemeint ist, sei am folgenden Beispiel (siehe dazu auch Propping, 1989, und Singer, 1985) kurz dargestellt.

4.1 Zur Illustration der Fragestellung: Hirnentwicklung und Umwelt

Es ist inzwischen eine gesicherte Erkenntnis, dass das Gehirn höherer Tiere und besonders das des Menschen seine volle Leistungsfähigkeit nur im Wechselspiel mit der Umwelt entfalten kann. Ein experimenteller Nachweis dafür wurde anhand der Entwicklung des visuellen Kortex erbracht, eines Subsystems, das beim Menschen und bei höheren Tieren im Wesentlichen gleich funktioniert. Beobachtet wurde schon lange, dass die Sehfähigkeit von Menschen schwer beeinträchtigt wird, wenn sie ihren Gesichtssinn während einer kritischen Phase der frühkindlichen Entwicklung nicht ungestört gebrauchen können (z. B. durch Verletzungen, Linsentrübungen oder durch Astigmatismus). Die kritische Phase dauert beim Menschen etwa bis zum siebten Lebensjahr. Sehleistungen, die sich bis dahin nicht entwickelt haben, können später nicht mehr erworben werden. Kinder, die in der frühen Kindheit ihre Sehfähigkeit aufgrund von Verletzungen verloren haben, erhalten auch nach einer geglückten chirurgischen Behebung des Defekts ihre Sehfähigkeit nicht zurück, wenn die Operation erst nach dem Schulalter erfolgt.

Bei nonhumanen Primaten dauert die entsprechende kritische Phase ein Jahr, bei der Katze drei Monate. Bei Katzen, die während der ersten drei Monate im Dunkeln aufgezogen werden, reifen in der Sehrinde des Gehirns keine normalen rezeptiven Felder aus. Auch die Tiere bleiben in ihrem Sehvermögen andauernd stark beeinträchtigt. Wenn während der kritischen Phase nur ein Auge verschlossen gehalten wird, sind die Nervenzellen der Sehrinde nur noch vom anderen Auge erregbar. Es kommt außerdem zu einer Verschlechterung der synaptischen Übertragung im Thalamus, der die Signale beider Augen zur Hirnrinde weiterleitet. Diese Effekte sind reversibel, wenn das verschlossene Auge vor Ablauf der kritischen Phase wieder geöffnet wird. Später ist der Zustand nicht mehr korrigierbar. Diese inzwischen neurophysiologisch sehr ausführlich erforschten Phänomene haben folgende Grundlage: Die Verbindung zwischen den verschiedenen Nervenzellen des visuellen Systems ist zwar in den Grundzügen genetisch festgelegt, der «Schaltplan» ist aber relativ ungenau. Während der Ontogenese des Nervensystems werden weit mehr Nervenzellen angelegt, als später im ausgereiften System wirklich funktionieren. Ein Großteil der ursprünglich angelegten Nervenzellen stirbt wieder ab, diesem Eliminationsprozess entkommen vorwiegend jene Zellen, die in Gebrauch stehen. Sensorische Reize aus der Umwelt wirken daher strukturierend auf diesen Prozess ein. Das endgültige Sehsystem entwickelt sich nur unter dem Einfluss spezifischer Erfahrung.

Die beschriebenen Mechanismen dürften auch auf andere Hirnregionen bzw. zentralnervöse Leistungen generalisierbar sein. Experimentalmodelle dieser Art machen klar, dass die Frage, ob genetische Faktoren oder Umweltfaktoren von größerer Wichtigkeit sind, oft am Kern des Problems vorbeigeht. Ohne genetische Baupläne gäbe es keine neurophysiologischen Rahmenbedingungen für die zentralnervösen Leistungen, und ohne spezifische Umweltreize erfolgte keine adäquate Funktionsentwicklung des Systems.
Inhaltsverzeichnis
Einführung in die Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters2
Nutzungsbedingungen6
Inhalt7
Vorwort9
1 Zweck und Gegenstand der Entwicklungspsychologie13
2 Historische Anfänge der Entwicklungspsychologie17
3 Methoden der Entwicklungspsychologie21
3.1 Kategorisierung nach der Art der Datengewinnung22
3.1.1 Systematische Beobachtung22
3.1.2 Befragung mittels Interview23
3.1.3 Fragebogen und Tests23
3.1.4 Messung physiologischer Variablen24
3.2 Kategorisierung nach dem Ausmaß der Kontrolle über die Beobachtungssituation24
3.2.1 Fallberichte24
3.2.2 Erhebungen, korrelative Studien25
3.2.3 Experimente25
3.3 Kategorisierung nach der Vorgangsweise bei der Abbildung von Alterseffekten26
3.3.1 Querschnittstudien26
3.3.2 Längsschnittstudien27
3.3.3 Sequenzielle Studien28
3.4 Zur ethischen Verantwortung von Forscherinnen und Forschern29
4 Eine Grundfrage der Entwicklungspsychologie: Der Einfluss von Anlage und Umwelt31
4.1 Zur Illustration der Fragestellung: Hirnentwicklung und Umwelt31
4.2 Grundbegriffe der Genetik33
4.2.1 Chromosomen und Gene33
4.2.2 Chromosomenaberrationen35
4.2.3 Anlage und Umwelt bei der Ausbildung polygen vererbter Merkmale36
5 Pränatale Entwicklung47
5.1 Embryonal- und Fötalentwicklung47
5.2 Entwicklung des Nervensystems48
5.3 Motorische Verhaltensentwicklung des Fötus49
5.4 Faktoren, die die pränatale Entwicklung beeinflussen50
5.4.1 Physikalische Noxen51
5.4.2 Chemische Noxen51
5.4.3 Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft53
5.4.4 Die psychische und soziale Situation der Mutter54
6 Geburt57
6.1 Normaler Geburtsverlauf57
6.2 Geburtskomplikationen und perinatale Schädigungen57
6.3 Säuglingssterblichkeit und Müttersterblichkeit58
7 Das Neugeborene61
7.1 Zum Stand der körperlichen Entwicklung des Neugeborenen61
7.1.1 Größe, Gewicht, APGAR-Index61
7.1.2. Frühgeburt und niedriges Geburtsgewicht – bleibende Benachteiligung?61
7.1.3 Reflexe und motorisches Verhalten des Neugeborenen64
7.1.4 Schlaf- und Wachzustände des Neugeborenen66
7.2 Zum Stand der kognitiven Entwicklung des Neugeborenen68
7.2.1 Sinnesleistungen des Neugeborenen und Methoden ihrer Erforschung68
7.3 Zum Stand der sozial-emotionalen Entwicklung des Neugeborenen71
8 Erstes und zweites Lebensjahr73
8.1 Körperliche Entwicklung im ersten und zweiten Lebensjahr73
8.1.1 Körperwachstum und Entwicklung motorischer Fertigkeiten73
8.1.2 Plötzlicher Kindstod (Sudden Infant Death Syndrome, SIDS)75
8.2 Kognitive Entwicklung im ersten und zweiten Lebensjahr76
8.2.1 Tiefenwahrnehmung76
8.2.2 Konstanzphänomene79
8.2.3 Entwicklung des Denkens und Anfänge der Intelligenz80
8.2.4 Objektpermanenz82
8.2.5 Anfänge des Spracherwerbs84
8.3 Sozial-emotionale Entwicklung im ersten und zweiten Lebensjahr87
8.3.1 Lächeln, Fremdeln, Trennungsangst87
8.3.2 Die Bindung zur Bezugsperson und der Fremde-Situations-Test89
8.3.3 Sauberkeitstraining94
9 Vorschulalter97
9.1 Körperliche Entwicklung im Vorschulalter97
9.1.1 Größe, Gewicht, Schlaf, Ernährung, Gesundheit97
9.1.2 Psychomotorik99
9.2 Kognitive Entwicklung im Vorschulalter100
9.2.1 Piagets Stufe des präoperationalen anschaulichen Denkens100
9.2.2 Sprachentwicklung im Vorschulalter101
9.2.3 Spracherwerb und Hemisphärenlateralisation105
9.2.4 Exkurs: Rechtshändigkeit und Linkshändigkeit108
9.3 Sozial-emotionale Entwicklung im Vorschulalter109
9.3.1 Die Entdeckung der eigenen Person109
9.3.2 Die Entdeckung des Geschlechts111
9.3.3 Geschlechtsrollen und Geschlechtsunterschiede113
10 Schulalter119
10.1 Körperliche Entwicklung im Schulalter120
10.2 Kognitive Entwicklung im Schulalter122
10.2.1 Piagets Stadium der konkreten Operationen122
10.2.2 Ausgewählte Aspekte der kognitiven Entwicklung124
10.2.3 Metakognitive Fertigkeiten: Denkstrategien, Lernstrategien127
10.3 Sozial-emotionale Entwicklung im Schulalter129
10.3.1 Soziale Kognition129
10.3.2 Die Gruppe der Gleichaltrigen, Freundschaftsbeziehungen130
10.3.3 Beliebtheit und Unbeliebtheit132
10.3.4 Aggressivität133
10.3.5 Zur Entwicklung des moralischen Urteils136
10.3.6 Zur Entwicklung des moralischen Handelns140
11 Jugendalter143
11.1 Körperliche Entwicklung im Jugendalter145
11.1.1 Pubertätswachstumsschub, Kraft und Koordination145
11.1.2 Geschlechtsreifung: Hormonelle Aspekte147
11.1.3 Zeitlicher Ablauf der Geschlechtsreifung und Akzeleration149
11.1.4 Zum Zusammenhang von Hormonen und Sexualverhalten150
11.1.5 Auswirkungen früher oder später Geschlechtsreifung152
11.2 Kognitive Entwicklung im Jugendalter154
11.2.1 Piagets Stadium der formalen Operationen154
11.3 Sozial-emotionale Entwicklung im Jugendalter157
11.3.1 Entwicklungsaufgaben nach Havighurst157
11.3.2 Identität158
11.3.3 Peerkontakte160
11.3.4 Sexualität im Jugendalter162
Literaturverzeichnis175
Sachregister185

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