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E-Book

Eingereist und abgetaucht

Illegal in Deutschland

AutorDaniel Gäsche
VerlagMilitzke Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783861899648
FormatPDF/ePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Freiheit, Menschenschlepper und Abschiebeknast 'Die Ausweise, bitte!' So angesprochen, fühlt sich jeder erst mal ertappt. Für Menschen ohne Papiere ist diese Aufforderung eine Katastrophe. Daher dürfen sie nicht auffallen, denn sonst sind sie am Ende. Sind sie Kriminelle? Wie Mörder oder Diebe? Was wissen Sie eigentlich über Ihre Putzfrau, die Pflegerin des Nachbarn, den Maurer von gegenüber? Daniel Gäsche hat sich auf Spurensuche begeben. Er hat 'Illegale' begleitet, ihre Schicksale gehört und ihren täglichen Kampf mit der Angst miterlebt. Er war dort, wo diese Menschen Unterkunft, medizinische Versorgung und andere Hilfe finden. Er war auch dort, wo sie enden, wenn sie erwischt werden - im Abschiebeknast. Er befragte Politiker verschiedener Parteien, Kirchenvertreter der unterschiedlichen Konfessionen, Polizisten und Ärzte. Alle erkennen Handlungsbedarf. In packenden Reportagen, spannenden Interviews und berührenden Einzelschicksalen beleuchtet Gäsche die Fakten und Hintergründe zum Leben in der Illegalität in Deutschland. Alternativen zur gegenwärtigen Situation gäbe es. Mit einem Vorwort von Sabine Christiansen

Daniel Gäsche Geboren 1968 in Berlin/West, lebt dort. Studierte Publizistik, Geschichte und Germanistik an der FU Berlin. Seit 30 Jahren journalistisch tätig, u.a. für RIAS Berlin, Radio Hundert.6, den SFB und infoRADIO. Seit 2003 Moderator beim rbb Fernsehen. Im Militzke Verlag erschienen von ihm: 'Juppy - Aus dem Leben eines Revoluzzers' und 'Born to be wild oder Die 68er und die Musik'.

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Leseprobe

Einführung


Die Würde des Menschen kennt keine Grenzen. Sie kümmert es nicht, ob jemand schwarz oder weiß ist, sie kümmert es nicht, ob jemand einen Pass hat. Für die Würde des Menschen ist es irrelevant, ob jemand legal oder illegal hier lebt.

Peter Krücker, Caritasverband für die Stadt Köln2

Bei einem Flüchtlingsdrama vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa bergen Rettungskräfte Anfang Oktober 2013 aus einem havarierten Schiff über 300 Leichen. Auf dem aus Afrika kommenden Schiff war ein Feuer ausgebrochen, an Bord befanden sich bis zu 500 Menschen.

300 namenlose Tote. Mit ihnen starben 300 Hoffnungen auf ein besseres Leben, 300 Träume von Arbeit und Hilfe auf dem europäischen Festland. Es war eine der schlimmsten Flüchtlingskatastrophen, die Europa erlebt hat. Eine europäische Tragödie.

Das Perverse daran: Einige italienische Fischer, die mit ihren Booten in der Nähe waren, verweigerten den Ertrinkenden jede Hilfe. Aus Angst. In den vergangenen Jahren waren einige ihrer Kollegen, die in solchen Situationen den in Not geratenen Menschen zu Hilfe geeilt waren, wegen Beihilfe zur illegalen Einreise angeklagt und verurteilt worden. Unglaublich, doch wahr: Es gibt eine Regelung, die vorsieht, dass sogar Retter als vermeintliche Schlepper vor Gericht gestellt und bestraft werden können. Das ist zynisch und menschenverachtend.

Lampedusa, die Insel zwischen Tunesien und Sizilien, liegt näher an Afrika als am italienischen Festland und wird häufig von Menschenschmugglern genutzt, um Flüchtlinge aus Afrika, zunehmend auch aus dem arabischen Raum, nach Europa zu bringen. Doch warum zahlen Menschen tausende, ja zehntausende von Dollar an Schlepper, um die Strapazen der Reise inklusive Todesgefahr auf sich zu nehmen?

Stimmt die gängige Behauptung, es würde sich hierbei vor allem um Wirtschaftsflüchtlinge handeln?

»Viele der Flüchtlinge kommen aus Syrien, dem Irak oder Iran. Sie fliehen vor Kriegen oder Diktaturen«, sagt Günter Burkhardt, Pro-Asyl-Geschäftsführer.3

Die Opfer der Mittelmeerkatastrophe waren keine Wirtschaftsflüchtlinge. Sie flohen überwiegend aus Eritrea oder Somalia, aus Ländern, in denen die Menschen zum Militärdienst gezwungen werden oder wegen eines geschwächten Staates ein Machtvakuum und willkürliche Verhältnisse herrschen.

Die Politik der Abschottung sei gescheitert, so Burkhardt weiter. Wer das Massensterben beenden wolle, müsse Flüchtlingen den legalen und gefahrenfreien Weg nach Europa eröffnen. Er plädiert unter anderem dafür, Menschen, die Angehörige oder einen anderen Anknüpfungspunkt in Deutschland hätten, die Einreise zu erleichtern. Auch der UN-Sonderberichterstatter für die Rechte von Migranten, François Crépeau, rief die EU-Staaten auf, legale Einwanderung zu erleichtern. Die illegale Einwanderung könne nicht »ausschließlich mit repressiven Maßnahmen« bekämpft werden. Dadurch werde nur die Macht der Schleuser gestärkt.4 Vor allem müsse Europa »insgesamt mehr Verantwortung übernehmen«, so Pro-Asyl-Geschäftsführer Burkhardt. Bislang ist jeweils jener EU-Staat für die Flüchtlinge verantwortlich, in dem sie die EU-Grenze erstmals überschreiten.5 Das müsse geändert werden. EU-Parlamentspräsident Schulz verlangt angesichts der Lampedusa-Tragödie eine radikale Neuausrichtung der Asylpolitik. Einwanderer müssten legal einreisen können. Auch Deutschland trage große Verantwortung. Europa müsse endlich anerkennen, dass es ein Einwanderungskontinent sei. Deshalb bräuchten wir, so Schulz, ein legales Einwanderungssystem. Alle großen Einwanderungsregionen dieser Erde, wie die USA, Australien oder Kanada, hätten moderne Gesetze, die legale Zuwanderung regeln. Die illegale Einwanderung sei verbunden mit Hoffnungslosigkeit, die legale Einwanderung mit Hoffnung. Das würde die Menschen davon abhalten, sich unmoralischen Schleppern auszuliefern, die aus ihrer Hoffnungslosigkeit ein Geschäft machten.6

Zynisch und völlig deplatziert äußerte sich der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in dieser Situation. Er sprach sich gegen eine Lockerung der Einwanderungspolitik aus, plädierte für mehr Härte gegenüber wirtschaftlichen Migranten und kritisierte eine zunehmende Armutseinwanderung.7 In einem Moment, wo es darum ging, Mitmenschlichkeit zu zeigen, präsentierte er sich als »Hardliner«. Es entstand der Eindruck, nicht der Tod von Menschen sei eine Tragödie, sondern dass es Europa nicht gelingt, Einwanderung noch effektiver zu bekämpfen. Dass der Bundesinnenminister nicht gewillt war, sich an Lösungsvorschlägen zum Thema illegale Einwanderung und Leben in einer Parallelwelt zu beteiligen, ja nicht einmal per E-Mail einige Fragen zu beantworten, zeigt die kurze und knappe Antwort auf die von mir im August 2013 an ihn gestellte Interviewanfrage für dieses Buchprojekt:

»Wir bitten Sie (…) um Ihr Verständnis dafür, dass ein Gespräch auf absehbare Zeit (…) nicht möglich ist.« – Hendrik Lörges, Bundesministerium des Innern/Stab Leitungsbereich/Presse.

Und die Europäische Union? Auch die blieb nicht untätig und beschloss, die Mauern der »Festung Europa« gegen illegale Einwanderer noch etwas höher zu ziehen. Zusammen mit der EU-Grenzpolizei FRONTEX (Sitz der Agentur in Warschau) sollen Militärs der EU-Mitgliedsstaaten zukünftig Flüchtlinge aufspüren. Es wurde extra eine »Task Force Mittelmeer« eingerichtet. Ab Frühjahr 2014 sollen zwei Flugzeuge, zwei Helikopter und fünf Patrouillenschiffe eingesetzt werden.8

Dass die Aufrüstung der EU-Grenzüberwachung zu noch riskanteren Überfahrten und mehr Toten führen könnte, wird hier in Kauf genommen. Anfang Dezember 2013 ging schließlich auch noch das neue Grenzüberwachungssystem EUROSUR in zunächst 18 Mitgliedsstaaten in Betrieb, das Bilder und Daten von den Außengrenzen in Echtzeit ermittelt.9

In diese Stimmungslage passte auch der Auftrag des britischen Innenministeriums an ein privates Unternehmen Mitte Oktober: Um den Kampf gegen illegale Einwanderer zu verschärfen, verschickte es SMS an rund 39.000 Personen, die zur Ausreise aus Großbritannien aufgefordert wurden. Der Wortlaut: »Nachricht von der Grenzschutzbehörde. Sie sind aufgefordert, das Vereinigte Königreich zu verlassen, da Sie kein Recht haben, hier zu bleiben.«

Kleiner Schönheitsfehler: Auch Bürger mit britischem Pass wurden angeschrieben, darunter Mitglieder einer Anti-Rassismus-Initiative. In Zeiten der kompletten Datenspionage kann das schon mal passieren, oder?

Bereits im Juli 2013 hatte eine andere Aktion des britischen Innenministeriums für Aufregung gesorgt. Lieferwagen mit überdimensionierten Plakaten waren durch mehrere Londoner Viertel mit hohem Migrantenanteil gefahren. »Leben Sie illegal hier?«, war da zu lesen. »Gehen Sie nach Hause oder richten Sie sich auf eine Festnahme ein.«

Starker Tobak. Der liberalkonservativen Regierung von Premier Cameron ist offensichtlich jedes Mittel recht, den Alltag von Einwanderern zu erschweren. Ein Gesetzesentwurf sieht vor, private Vermieter und Banken in die Pflicht zu nehmen. Sie sollen künftig den Aufenthaltsstatus eines potenziellen Kunden prüfen, bevor sie ihm eine Wohnung vermieten oder ein Konto eröffnen. Reaktionen im Internet auf diese Maßnahmen gab es viele – die Meinungen waren sehr gespalten, wie beispielsweise die Diskussion in einem Forum deutlich macht10: Da wird geschrieben, dass Europa »ueberbevoelkert und unterbeschaeftigt« und es »vollkommen verantwortungslos« sei, Europa als Einwanderungsland zu propagieren, dass Mr. Cameron schon sehr »verzweifelt« sein müsse, wenn er zu »derart plumpen maßnahmen greift«, es sei »absolut in Ordnung«, dass auch »Vermieter und Banken im Kampf gegen illegale Einwanderer in die Pflicht genommen werden«, während ein anderer meinte, dass das, wofür man früher »die Schlägertruppen (in D die SS)« schickte, heute »die >feinen< Demokratien per SMS« machten, die Absichten und »kriminelle Energie« aber die gleichen seien. Im Gegensatz dazu wurde der britischen Regierung Respekt gezollt oder gefragt, warum wir in Deutschland das nicht auch machen würden. Andere zeigen sich schockiert über diese Diskussion, weil der europäische Wohlstand »billigen Rohstoffen aus der 3. Welt« zu verdanken wäre, hinzu käme der Verkauf unserer Konsumgüter zu Schleuderpreisen, während man »für die armen hungernden Kinder« spende – »solange die nur ja ein paar tausend Kilometer weit weg verhungern«.

Eine moderne, den neuen Medien angepasste Jagd auf »Illegale«, ausspionierte Datensätze und Telefonnummern, anhand derer distanziert, ohne...

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