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Die frühen Jahre
Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über
euch habe, spricht der Herr: Gedanken des
Friedens und nicht des Leides, dass ich euch
gebe Zukunft und Hoffnung.
Jeremia 29,11
Ich bin in einer ganz normalen Stadt in Michigan, im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, geboren und aufgewachsen. Mit meinen Eltern Bob und Betty, den zwei Brüdern Rob und Bill, meiner Schwester Betsy und einem kleinen Dackel namens Trinka wohnte ich in einem Viertel der Mittelschicht. Mein Vater war von Beruf Allgemeinchirurg und meine Mutter Hausfrau.
Ich verlebte eine angenehme Kindheit, die in mancher Hinsicht idyllisch war. Ich hatte nicht immer, was ich wollte, aber es fehlte mir nie etwas, was ich brauchte. Vor allem aber fühlte ich mich von meiner Familie stets geliebt, denn das ist das Wichtigste für jedes Kind. Der Bach, der durch den hinteren Teil unseres Anwesens floss, bescherte mir vielerlei aufregende Erfahrungen und Abenteuer. Ich verbrachte unzählige Stunden in und an diesem Bach mit Schwimmen, Bootfahren, Angeln, Schlittschuhlaufen – und mit Erkundungen.
Ich erfuhr vieles über Schnecken, Würmer und Blutegel. Ich sah, was passiert, wenn ein Hund den Speck vom Angelhaken frisst, und lernte, einer nach dem Finger schnappenden Schildkröte nicht ins Auge zu schauen. Meine beste Freundin und ich legten im Frischwasser eine raffiniert ausgeklügelte Farm für Venusmuscheln an, nur um dann später herauszufinden, dass Perlen von Austern gebildet werden und nicht von Venusmuscheln. Das alles bereitete mir großes Vergnügen und nährte meine Vorliebe dafür, tief in die natürliche Welt einzudringen.
Meine Familie besuchte die örtliche presbyterianische Kirche und gehörte einer Konfessionsgemeinschaft an, in der mein Großvater, Urgroßvater und Ururgroßvater die geistlichen Weihen empfangen hatten. Unsere hohe Kirche aus traditionellem Stein überragte stolz den Stadtplatz. Während die Fassade eher nüchtern und nicht sehr einladend wirkte, wölbte sich das Innere mit seinen großen herrlichen Buntglasfenstern zum Himmel. Die abgenützten Kirchenbänke waren aus massivem dunkelbraunem Holz gefertigt.
Wir, meine Geschwister und ich, ließen die Sonntagsschule und den Konfirmationsunterricht, die Gottesdienste und gelegentlichen Versammlungen der Jugendgruppe über uns ergehen, aber diese Aktivitäten erschienen mir im Grunde eintönig und langweilig. Obwohl ich bereitwillig mitmachte, hatten sie offenbar kaum Einfluss auf mein Leben. Während der Kindheit und Jugend entwickelten wir gewiss nie eine Beziehung zu einem lebendigen, liebevollen Gott. Ich erinnere mich nicht daran, dass ich Gott oder Jesus Christus in meinen Alltag oder meine Gedankenwelt hätte einbinden sollen. Gott war so etwas wie eine »Sonntagssache«, und zu Hause sprachen meine Eltern nie über Spiritualität oder Religion. In vielerlei Hinsicht aber dienten sie ihren Kindern als Vorbilder für ein christlich geführtes Leben.
Meine Mutter war liebevoll, stets hilfsbereit und eine aktive Freiwillige in etlichen gemeinnützigen Organisationen. Mein Vater zeigte tiefes Mitgefühl mit jenen, die vom Schicksal weniger begünstigt waren, und ein hohes Maß an Selbstlosigkeit in seiner Tätigkeit als Chirurg. Oft folgte ich meinem Vater, wenn er seine Patienten im Krankenhaus untersuchte oder wenn er am Wochenende in die Notaufnahme gerufen wurde. Ich stellte fest, dass sein Leben dem Dienst an den Mitmenschen gewidmet war, denen er immer freundlich und respektvoll begegnete, dass er sich nicht vom Drang nach Geld leiten ließ und die Gefühle und Bedürfnisse der anderen über die seinen stellte.
Als ich mich dem Teenageralter näherte, wurde ich unabhängiger und begann, meine eigenen Ansichten zu vertreten. Ich fand heraus, dass mein Vater trotz seiner ausgeprägten Fähigkeit zu gemeinsamen Unternehmungen nicht sehr gut darin war, seine Gefühle mit mir zu teilen oder über Themen zu diskutieren, die ich als wichtig oder schwierig empfand. Ungeachtet seiner Schwächen verehrte ich ihn – und war fassungslos, als im Frühjahr 1970 die Ehe meiner Eltern zerbrach und meine Mutter ihn aufforderte, das Haus zu verlassen.
Zu jener Zeit galt eine Scheidung noch immer als Skandal, und so war ich schockiert, als meine Eltern sich im Herbst 1971 endgültig trennten. Ich war in der siebten Klasse und wurde schnell zu einer ebenso verwirrten wie wütenden Jugendlichen. Konfrontiert mit der Scheidungsanzeige in der Zeitung konnte ich nicht länger verleugnen, dass meine aus den 1950er-Jahren stammende Vorstellung von einer typisch amerikanischen Familie zerstört worden war. Während dieser Phase erschien mir die Teilnahme am Gottesdienst als eine der wenigen Konstanten in meinem Leben.
Meine zwei älteren Geschwister waren bereits auf dem College, während mein Bruder und ich weiterhin mit der Mutter im Haus unserer Kindheit lebten. Jeden Sonntagmorgen fuhr mich mein Vater zum Frühstück im örtlichen Schnellimbiss und anschließend zum Gottesdienst. Nach wie vor beschämt und wohl auch wütend über die Scheidung meiner Eltern, weigerte ich mich, mit ihm zusammen in die presbyterianische Kirche zu gehen. Also besuchten wir stattdessen den Frühgottesdienst in der Episkopalkirche. Hinterher unternahmen wir gewöhnlich einen Spaziergang und kehrten dann zu seiner Wohnung zurück, um den Tag mit einem Abendessen – Brathähnchen mit grünen Bohnen – zu beschließen. Das war die einzige Speise, die er je zuzubereiten wusste. Obwohl ich seine Grenzen erkannte, hielt ich weiterhin an dem Wunsch fest, dass er nach Hause und unsere Familie zu dem Ideal meiner erinnerten Kindheit zurückkehre.
Meine Mutter war jung, attraktiv und interessant, weshalb ich ihr den Wunsch, mit einem anderen Mann auszugehen, nicht hätte missgönnen sollen. Ich tat es trotzdem und versuchte, solche Techtelmechtel auf jede erdenkliche Weise zu stören. Immerhin war Mack der erste Typ, der es nach dem Auszug meines Vaters ernst mit ihr meinte. Als ich jedoch eines Abends nach Hause kam, fiel mir auf, dass er tatsächlich alle von mir gerade gebackenen Plätzchen (von denen kein einziges für ihn bestimmt war) aufgefuttert hatte. Wutentbrannt sagte ich ihm meine Meinung – und war dann äußerst entzückt, ihn nie wiederzusehen.
Der nächste Mann, der mit viel Geschick Mamas Aufmerksamkeit fesselte, war George. Er stand dem Country Club vor, wo meine Brüder arbeiteten, und sie erzählten ihm von unserer Mutter. Nachdem sie ihn gedrängt hatten, endlich bei ihr anzurufen, entwickelte sich zwischen George und Mama eine innige Beziehung. Obwohl die Trennung meiner Eltern seit langem vollzogen war, fand ich die Vorstellung, dass meine Mutter einen »Freund« hatte, unerträglich. Zu seiner Ehre muss gesagt werden: Er war lustig, freundlich, sanftmütig, verständnisvoll und äußerst geduldig. Außerdem war er der beste und ausdauerndste Rückenkratzer, den die Menschheit je kannte, was – wie ich hinzufügen könnte – eine sehr erfolgreiche Methode war, meinen Widerstand zu brechen. Er liebte meine Mutter und liebte ihre Kinder. So hielt sie ungefähr ein Jahr nach dem ersten Rendezvous eine Familiensitzung ab und bat uns um die Erlaubnis, George zu heiraten. Es war unmöglich, ihr dieses Glück zu verweigern. Doch tief im Innern blieb ich gespalten. George war zwar ein anständiger Mann und in meinen Augen sicherlich ein vernünftiger Stiefvater, aber ich betete weiterhin täglich für die Rückkehr meines Vaters und des Lebens, das ich gekannt hatte.
Bis zu dem Moment im Jahre 1973, da der Pfarrer George und Mama offiziell zu »Mann und Frau« erklärte, bat ich inständig darum, meine Vater möge eintreffen, um die Hochzeitszeremonie zu unterbrechen und seine Familie zurückzuverlangen. Als dies nicht geschah, zog ich den Schluss, dass Gott sogar meinen verzweifeltsten Gebeten kein Gehör geschenkt und sie ganz gewiss nicht beantwortet hatte.
In meiner Enttäuschung verwarf ich sogar den Gedanken ans Beten. Ich war nur ein winziges Geschöpf auf einem Planeten mit über vier Milliarden Menschen. Wenn es tatsächlich einen Gott gab, warum sollte er dann meinen Gebeten lauschen oder sie erhören? Ich gelangte zu der Überzeugung, dass meine Vorstellungen von einem allgegenwärtigen Gott, der sich um jedes Individuum kümmert, ein kindischer und dummer Aberglaube waren, und beschloss, meinen Weg ohne ihn fortzusetzen.
Mit fünfzehn Jahren war ich eine kluge, versierte, selbstbewusste junge Frau. Ich glaubte zu wissen, was für mich am besten sei, und hielt mich für reif genug, meine Zukunft ohne göttliche Einwirkung selbst zu gestalten. Damals blieb mir verborgen, dass Gott meine flehentlichste Bitte nicht nur gehört hatte, sondern auch in einer Weise beantwortet, die größer und erfüllender war, als ich es mir je hätte vorstellen können. Durch die Heirat meiner Mutter bescherte Gott mir nämlich einen Stiefvater, der in seiner liebevollen, sanften und anmutigen Art unerschütterlich war. Als Erzieher brachte er mir wichtige Lektionen über...