Vorwort
Gegenstand dieser Biographie ist eine Frau, die sich weigerte, sich ihrem Stand gemäß zu verhalten. Mit beachtlichem Selbstbewußtsein erstrebte und erreichte sie jenes Ziel, das erst die Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts mit ihrem Schlagwort »Selbstverwirklichung« formulierte.
Sie spielte keine der Rollen, die ihr Tradition und Umwelt zuerteilten: nicht die Rolle der liebend-ergebenen Ehefrau, nicht die Rolle der Familienmutter, nicht die Rolle der ersten Repräsentationsfigur eines Riesenreiches. Sie pochte auf ihr Recht als Individuum – und setzte dieses Recht durch. Daß diese ihre »Selbstverwirklichung« nicht zu ihrem Glück führte, macht die Tragik ihrer Lebensgeschichte aus – ganz abgesehen von den Tragödien im engsten Familienkreis, die sie durch ihre Verweigerung auslöste. Elisabeth, Kaiserin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen (um nur die wichtigsten Würden anzuführen) war im Herzen Republikanerin, bezeichnete die altehrwürdige Monarchie als »vergang’ner Pracht Skelett« und als Eichbaum, der fallen müsse, da er sich überlebt habe. Sie geißelte die Auswüchse des aristokratischen Systems, verhöhnte Könige und Fürsten, so wie sie es von ihrem verehrten Vorbild und »Meister« Heinrich Heine gelernt hatte.
Klassenbewußtsein war ihr fremd, und zwar in solchem Ausmaß, daß die Person der Kaiserin-Königin am Wiener Hof schließlich als Fremdkörper und als Provokation für die nach den althergebrachten Regeln lebende Hofgesellschaft wirkte – und diese Wirkung beabsichtigte Elisabeth.
Einerseits stellt Kaiserin Elisabeth als Anhängerin demokratischer Ideen eine Besonderheit (ja ein Kuriosum) dar, andererseits zeigt sich gerade am Beispiel ihrer Person die Macht der antimon archischen Ideen im späten 19. Jahrhundert. Diese Ideen machten keinen Halt vor den Fürsten, die nun an der Rechtmäßigkeit ihrer (ererbten und nicht erworbenen) elitären Stellung zu zweifeln begannen. Die Bemerkung, die Graf Alexander Hübner am 18. 11. 1884 in sein Tagebuch schrieb, hat wohl ihre Berechtigung: »Tatsache ist, dass kein Mensch mehr an Könige glaubt und ich weiss nicht, ob sie an sich selbst glauben.« Und Elisabeths Dichterfreundin Carmen Sylva (Königin Elisabeth von Rumänien) drückte es noch krasser aus: »Die republikanische Staatsform ist die einzig rationelle; ich begreife immer die törichten Völker nicht, daß sie uns noch dulden.«
Diese Ansicht führte zu erheblichen Standeskonflikten. Denn das Bewußtsein ihrer Individualität machte die von den modernen Ideen infizierten Aristokraten zwar willens, sich als einer unter vielen gleichen zu profilieren (vor allem durch die bürgerlichen Tugenden der »Leistung« und »Bildung«). Nur zu oft aber mußten sie erkennen, daß sie in dieser Konkurrenz nicht mithalten konnten (jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie es ihrer elitären Herkunft entsprochen hätte), daß ihr Wert als Individuum also mit der außerordentlichen Stellung in der Gesellschaft nicht übereinstimmte und letzten Endes doch nichts von ihnen bleiben würde als ein Titel, den sie sich nicht erarbeitet hatten, und eine Funktion, deren Wert sie nicht anerkannten. Dies war die Tragödie der Kaiserin Elisabeth ebenso wie die ihres Sohnes Rudolf.
Elisabeths Leben ist voll krampfhafter, ja verbissener Anstrengungen, sich als Individuum zu profilieren. Der erste und zugleich erfolgreichste Versuch war der, schön zu sein. Diese sagenhafte Schönheit der Kaiserin Elisabeth war keineswegs nur eine Gabe der Natur, sondern auch das Ergebnis eiserner Selbstbeherrschung und lebenslanger Disziplin, schließlich sogar körperlicher Quälerei. Ganz ähnlich entstand ihr Ruhm als Spitzensportlerin, als erster Parforce-Reiterin Europas in den siebziger Jahren, ein Ruhm, der mit zunehmendem Alter zwangsläufig verblassen mußte, trotz aller Disziplin – ebenso wie der Ruhm der Schönheit.
Den größten Ruhm erwartete sie sich von der Nachwelt: eine begnadete Dichterin zu sein. Die Zeugnisse ihrer Anstrengungen – bisher unbekannte Gedichte im Umfang von über fünfhundert Seiten aus den achtziger Jahren – bilden die Grundlage dieses Buches. Sie stellen intimste und persönlichste Aussagen Elisabeths über sich selbst, ihre Umwelt und ihre Zeit dar, zeigen aber auch deutlich ihr Scheitern: denn sie begründen keineswegs Elisabeths Nachruhm als große Dichterin, den sie sich ersehnte. Nicht wegen ihres Kunstwertes sind diese Verse für uns interessant, denn der Dilettantismus in der Heine-Nachfolge ist kaum zu übersehen und zu beschönigen. Wir beschäftigen uns mit diesen Gedichten, weil sie von einer Kaiserin-Königin stammen und Quellen darstellen zur Geschichte der Habsburgermonarchie wie zur Geschichte des Denkens einer »aufgeklärten« Aristokratin, einer gebildeten Frau des 19. Jahrhunderts. Schließlich dienen uns die Verse zur Illustration des »nervösen Jahrhunderts«, eines die Grenzen der Realität oft überschreitenden Gefühlslebens.
Ich bin der Schweizer Bundesregierung und der Direktion des Schweizer Bundesarchivs in Bern zu tiefstem Dank verpflichtet, daß sie mir die Erlaubnis zur erstmaligen Einsicht in diese bisher streng geheimgehaltenen Quellen gegeben haben. Für die Erteilung dieser Genehmigung setzte sich in dankenswerter Weise unser väterlicher Freund, Prof. Dr. Jean-Rudolf von Salis ein. Daß die Kaiserin das, was ihr am wertvollsten erschien, eben ihren literarischen Nachlaß, ausgerechnet einer Republik vertrauensvoll in Verwahrung gab (einer Republik freilich, die sie als Muster und Ideal empfand), kennzeichnet am besten ihre Haltung gegenüber der Monarchie Österreich-Ungarn, aber auch gegenüber der Familie der Habsburger.
Neben dem literarischen Nachlaß der Kaiserin habe ich noch weitere neue Quellen verarbeitet, so die auf Elisabeth bezüglichen Schriften aus den Nachlässen des Erzherzogs Albrecht (Ungarisches Staatsarchiv Budapest), des Staatsrats Baron Adolf von Braun (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien), des kaiserlichen Generaladjutanten Graf Carl Grünne (Privatbesitz), dann das Tagebuch der Erzherzogin Sophie (mit freundlicher Genehmigung Dr. Otto von Habsburgs) und des Fürsten Carl Khevenhüller (mit freundlicher Genehmigung des Fürsten Max von Khevenhüller-Metsch).
Überaus viel Neues verdanke ich dem Nachlaß des Münchener Archivars und Historikers Richard Sexau. Sexau machte ausführliche und zuverlässige Abschriften von Quellen, die sich im Privatbesitz befinden und mir leider nicht im Original zugänglich waren: so vor allem vom Tagebuch der jüngsten Kaisertochter, Erzherzogin Marie Valerie, und vom Tagebuch von Elisabeths Nichte, Herzogin Amélie von Urach, sowie von den ausführlichen Korrespondenzen der Mutter, Schwiegermutter und der Tanten der Kaiserin untereinander.
Im Nachlaß des Historikers Heinrich Friedjung (Stadtbibliothek Wien, Handschriftensammlung) fand ich wertvolle Gesprächsaufzeichnungen mit Elisabeths Hofdame Gräfin Festetics.
Auch im Nachlaß Egon Caesar Conte Cortis (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien) fand ich einige, allerdings sehr verstreute Quellenabschriften (so vor allem der Briefe Elisabeths an ihren Mann, ihre Tochter Marie Valerie und ihre Mutter Herzogin Ludovika). In allen jenen Fällen, in denen mir die schon von Corti zitierten Quellen jedoch zugänglich waren, benützte ich sie im Original, wobei mir indes durchwegs anderes zitierfähig erschien als Corti (dessen Verdienste um die Aufarbeitung neuer Quellen ich keineswegs schmälern möchte). Gerade dieser neuerlichen Durchsicht folgender Originalquellen verdanke ich viele neue Ergebnisse:
– Tagebuch der Hofdame Gräfin Marie Festetics (Széchényi-Bibliothek, Budapest)
– und des österreichischen Diplomaten Graf Alexander Hübner (Historisches Institut der Universität Padua),
– Nachlaß des kaiserlichen Generaladjutanten Graf Franz Folliot de Crenneville (Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien)
– und der Hofdame Landgräfin Therese Fürstenberg (Fürstenberg-Familienarchiv in Weitra, Waldviertel, mit freundlicher Genehmigung des Prinzen und Landgrafen Johannes von und zu Fürstenberg).
Selbstverständlich benützte ich die Diplomatische Korrespondenz, so weit sie sich auf die Kaiserin bezieht, und zwar im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, im Schweizer Bundesarchiv Bern und im Bundesarchiv Bonn. Auch die zeitgenössischen Tageszeitungen in der Druckschriftensammlung der österreichischen Nationalbibliothek waren ergiebig.
Die hier verarbeiteten neuen Quellen ergeben ein neues Bild der Kaiserin, das dem traditionellen (aus der 1934 erschienenen Biographie Egon Caesar Conte Cortis) in vielem widerspricht.
In der Konfrontation mit der Arbeit Cortis (die späteren Bücher über Elisabeth fußen auf seinem Werk und werden deshalb hier nicht eigens erwähnt) wird das Hauptproblem deutlich, das ich...