2. EINZELHÄNDLER, RECHTSANWALT, POLITIKER
Ich habe im Leben so viel Glück gehabt.
Wolfgang Bosbachs politischer Werdegang verlief im Rückblick wie im Lehrbuch. Er absolvierte das, was man in der Politik die »Ochsentour« nennt: 1972 Eintritt in die CDU; 1974 Vorsitzender der Jungen Union; 1975 bis 1979 Mitglied im Kreistag; 1979 bis 1999 Ratsmitglied in Bergisch Gladbach; 1994 erstmals Einzug in den Bundestag als direktgewählter Abgeordneter des Wahlkreises Rheinisch-Bergischer Kreis, seitdem sechs Mal wiedergewählt; 2000 bis 2009 stellvertretender Fraktionsvorsitzender; von November 2009 bis September 2015 Vorsitzender des Innenausschusses.
Weniger geradlinig und eher untypisch war sein beruflicher Werdegang: Mittlere Reife, Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, Supermarktleiter, Besuch der Rheinischen Akademie Köln mit Abschluss »Staatlich geprüfter Betriebswirt«, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln, 1988 erstes und 1991 zweites juristisches Staatsexamen, seit 1991 Rechtsanwalt in der Kanzlei Winter Rechtsanwälte in Bergisch Gladbach.
Zugleich gibt es im Leben von »WoBo«, wie ihn seine Freunde nennen, zwei Konstanten: Er verkörpert geradezu idealtypisch den lebensfrohen »bergischen Jong« und wirft sich für seine CDU in jede Schlacht.
Wieso sind Sie 1972 im Alter von 20 Jahren in der CDU gelandet? Wäre eine andere Partei überhaupt in Frage gekommen?
Nein, definitiv nicht. Ich komme aus einem Elternhaus, in dem die Politik immer eine große Rolle gespielt hat – und zwar unter der Überschrift »Nie wieder«. Meine Eltern waren bis zu meinem Engagement in der CDU nie Mitglied einer Partei. Der Zweite Weltkrieg – und seine dramatischen Folgen, auch für meine Eltern und ihre Familien – war in der Erinnerung noch sehr lebendig. Meine Mutter hatte ihre beiden Brüder verloren, mein Vater seinen einzigen, das Elternhaus war ausgebombt. Meine ältere Schwester und ich haben natürlich gefragt, wie es zu dieser absoluten Katastrophe kommen konnte. Neben der Politik hat auch die Religion eine große Rolle gespielt. Das war deshalb interessant, weil mein Vater katholisch war und meine Mutter evangelisch ist. Wir haben als Kinder immer erlebt, dass die Mama mit dem Papa in den katholischen Gottesdienst gegangen ist und der Papa mit der Mama zusätzlich noch in den evangelischen.
Und die Kinder?
Wir sind beide katholisch. Mein Vater hat einmal in einer Fernsehsehsendung dazu gesagt: »Katholischer, als meine evangelische Frau die Kinder erzogen hat, hätte ich das auch nicht gekonnt.«
Zurück zur Politik. Wie wurde aus politischem Interesse politisches Engagement.
Der Anfang der Siebzigerjahre war eine Zeit lebhaftester gesellschaftlicher Debatten: über den Paragrafen 218 Strafgesetzbuch, das Verbot der Abtreibung, oder die neue Ostpolitik Willy Brandts. Hinzu kam ein gescheitertes konstruktives Misstrauensvotum: Rainer Barzel gegen Willy Brandt. Es herrschte eine innenpolitisch unglaublich aufgeheizte Atmosphäre. Viele Menschen bekannten sich zu einer Partei. Auf jedem zweiten Auto befand sich ein Aufkleber mit einem politischen Slogan. Gerade viele junge Menschen traten damals in eine Partei ein, und so bin auch ich damals Mitglied der Jungen Union geworden.
Hat das »C« für ihre Hinwendung zur Union eine Rolle gespielt?
Ja, vor allem wegen des Lebensrechts ungeborener Kinder.
Die CDU, in die Sie eingetreten sind, war eine andere als die CDU, für die Sie jetzt im Bundestag sitzen: wertebewusster, konservativer, noch nicht so sozialdemokratisiert. Vermissen Sie manchmal Ihre gute alte Union?
Ja, es ist eine andere CDU als 1972 oder zu den sehr bewegten Zeiten des Kampfes um den NATO-Doppelbeschluss 1982/83. Nicht nur der Staat, auch die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich seit dieser Zeit enorm verändert und damit auch meine Partei. Wir hatten immer unsere drei Wurzeln: eine christlich-soziale, eine liberale und eben auch eine wertkonservative. Und es galt der Grundsatz: »Damit der Baum wächst, müssen alle Wurzeln gepflegt werden.« Auch das hat sich verändert. Was ich wirklich bedaure, ist, dass die Wertkonservativen heute nicht mehr so selbstverständlich zur Partei gehören wie damals.
Was haben Ihre Eltern Ihnen mitgegeben, was für Sie zur Richtschnur wurde – persönlich wie politisch?
Zunächst einmal Misstrauen gegenüber jeder Form von Fanatismus und Extremismus, Maß und Mitte wahren. Dazu kam eine Haltung, auch auf die kleinen Dinge des Lebens zu achten, wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß, nichts zu versprechen, was man nicht halten kann, zu beenden, was man begonnen hat …
Die sogenannten Sekundärtugenden …
Genau. Die werden nach meiner Überzeugung zu sehr verspottet oder gar verachtet. Denn hinter dieser Haltung stehen auch immer Inhalte: Welches Verhältnis haben wir zu unserem Land und zu unseren Mitmenschen? Wie ernst nehmen wir unsere Arbeit, unsere Verantwortung? Werden wir tatsächlich den Anforderungen und Erwartungen gerecht? Was für mich noch prägend war, war der begeisterte Patriotismus meines Vaters.
Wie hat sich der geäußert?
Mein Vater war Patriot im besten Sinn des Wortes. Im Sinne des Wortes von John F. Kennedy: »Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst.« Er war deshalb ganz begeistert, als ich Vorsitzender der Jungen Union wurde, und hat mich in meinem politischen Engagement immer bestärkt. Aus seiner Erfahrung im Dritten Reich hat er mir noch mitgegeben, niemals einem Menschen so viel Macht zuzugestehen, dass er ein ganzes Land ins Unglück stürzen kann, und das Land gegen jede Form von Radikalismus zu schützen.
Sprechen wir über Ihren beruflichen Werdegang. Sie haben die Schule nach der Mittleren Reife verlassen. Warum? Waren Sie ein schlechter Schüler? Hatten Sie »null Bock« aufs Abitur? Oder wollten Sie Geld verdienen?
Ich habe eine superintelligente Schwester, die selbstverständlich aufs Gymnasium ging und immer glänzende Zeugnisse mit nach Hause brachte. Meine Noten waren nicht so beeindruckend. Ich hatte immer großes Interesse an den schönen Dingen des Lebens und machte für die Schule nie mehr als unbedingt nötig. Meine Eltern waren jedenfalls überzeugt, dass ich die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium nicht schaffen würde, und haben mich auf der Realschule angemeldet. Die habe ich dann absolviert, wollte aber schnell raus aus der Schule und eine Lehre als Einzelhandelskaufmann machen.
War das eine eher zufällige Berufswahl oder eine bewusste Entscheidung?
Durch meinen Vater. Der war jahrzehntelang und zuletzt als Personalleiter bei der Konsumgenossenschaft Köln tätig, der späteren COOP West AG. Mir hat der Einzelhandel Spaß gemacht, ich habe dort immer gern gearbeitet.
Sie haben ja auch schnell Karriere gemacht, wurden schon in jungen Jahren Marktleiter.
Ja, nach vier Jahren wurde die Stelle im COOP-Markt in Bergisch Gladbach-Refrath frei. Das war insofern lustig, als ich in diesem Markt meine Ausbildung begonnen hatte. Jetzt kam ich als Chef zurück, kannte alle und wusste noch genau, wer damals den Lehrling Bosbach gut behandelt hatte, aber auch, wer mir jeden Abend den Besen in die Hand gedrückt hatte, um den Parkplatz zu fegen (lacht).
Wie sollte Ihre Karriere weitergehen?
Ich war schon mit 21 Jahren Leiter eines der größten Märkte. Mir war klar, du kannst vielleicht einen noch größeren Markt bekommen. Aber willst du das wirklich bis zum 65. Lebensjahr machen? Eigentlich wollte ich im Unternehmen bleiben und dort in der Zentrale Karriere machen. Dafür brauchte ich jedoch mehr als nur die Mittlere Reife und den Kaufmannsgehilfen-Brief. Deshalb bin ich an die Rheinische Akademie Köln gegangen, um dort den staatlich geprüften Betriebswirt zu machen. Damit hatte ich auch das Fachabitur. Aber mit dem klaren Ziel, wieder zu COOP zurückzukehren.
Was gab den Ausschlag, ein Jura-Studium anzuschließen?
An der Akademie kam ich zum ersten Mal mit dem wirtschaftsbezogenen Recht in Kontakt zur Juristerei. Da wusste ich: Eigentlich willst du genau das machen, du willst Jurist werden. Ich hatte allerdings kein Vollabitur. Zudem brauchte man damals noch das kleine Latinum, um zum Studium zugelassen zu werden. Da war es eine glückliche Fügung, dass meine Schwester Lateinlehrerin war und mir dabei helfen konnte. Ich machte dann auf dem Köln-Kolleg, also auf dem zweiten Bildungsweg, das Abitur, um in Köln Jura studieren zu können.
Wie haben Sie das finanziert?
Meine Schwester hatte studiert. Ich glaube nicht, dass meine Eltern auch noch mein Studium hätten finanzieren können. Ich wollte das auch nicht, also musste ich nebenbei arbeiten, um Geld zu verdienen. Da war es ein großes Glück, dass ich halbtags für Franz Heinrich Krey arbeiten und so mein Studium finanzieren konnte. Krey war von 1976 bis 1994 direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Rheinisch-Bergischer Kreis. Arbeit und Ausbildung ließen sich vereinbaren, weil der Bundestag damals noch in Bonn war. Das ist von Bergisch Gladbach aus nicht weit. 1994 habe ich Franz Heinrich Krey dann politisch beerbt.
Hat bei Ihrem Wechsel zur Juristerei auch eine Rolle gespielt, dass ein Anwalt mehr verdient als ein Supermarktleiter?
Überhaupt nicht. Ich hatte schon als...