Welche Funktion wird durch den § 9 PAG erfüllt?
Fraglich ist, ob der Regelungsgehalt dieses Paragraphen nicht ebenfalls durch einen anderen Paragraphen abgedeckt wird.[107] Dieser Frage soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden.
Eine kurze Einführung in das Anwendungsgebiet des § 9 PAG wird durch die amtliche Begründung zum Gesetzentwurf gegeben:
„Absatz 1 eröffnet der Polizei die Möglichkeit, durch unmittelbare Tatmaßnahmen selbst oder durch Beauftragte Gefahren abzuwehren, wenn diese aus Sicht des Polizeibeamten durch den Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig beseitigt werden würden.
In Betracht kommt dies z.B. dann, wenn der Verantwortliche nicht erreichbar ist oder nicht in der Lage bzw. nicht willens ist, die Gefahr rechtzeitig abzuwehren.
Sobald die Polizei nach Absatz 1 für den Verantwortlichen handelt, ist es gerechtfertigt, eine Erstattungspflicht hinsichtlich der Kosten zu normieren. Dies geschieht durch Absatz 2.“[108]
Betrachtet man sich diese Ausführung liegt der Zweck der „unmittelbaren Ausführung“ recht deutlich auf der Hand. Es war Ziel des Gesetzgebers, der Polizei eine Möglichkeit zu eröffnen, auch außerhalb jedes Zwangsverfahrens, an Stelle eines Verantwortlichen zu handeln um Gefahren, welche eigentlich durch den Verantwortlichen zu beseitigen gewesen wären, abzuwehren.
Es können hier aber nur „vertretbare Handlungen“ im Sinne des § 887 Zivilprozeßordnung[109] gemeint sein, denn nur solche können auch tatsächlich durch einen anderen ausgeführt werden.
Dieser Begriff wird wie folgt definiert:
„Vertretbare Handlung. Das ist eine solche Handlung, bei der es rechtlich und wirtschaftlich betrachtet für den Gläubiger unerheblich ist, ob der Schuldner oder ein Dritter erfüllen, ..., und die der Schuldner auch vornehmen darf.“[110]
Dies bedeutet, dass in „unmittelbarer Ausführung“ nur solche Maßnahmen durchgeführt werden dürfen, die durch einen dritten überhaupt erst tatsächlich ausgeführt werden können und die der eigentlich Verantwortliche auch tatsächlich hätte selbst durchführen dürfen.
Die „unmittelbare Ausführung“ kommt nur in Fällen in denen eine „vertretbare Handlung“ durchzuführen ist in Betracht. Soll eine „nichtvertretbare Handlung“ ausgeführt werden, ist die „unmittelbare Ausführung“ nicht anwendbar.[111]
Wer ist zur Durchführung einer „unmittelbaren Ausführung“ berechtigt?
Der § 9 Abs. 1 S. 1 PAG befugt die Polizei zur Durchführung der „unmittelbaren Ausführung“. Dies bedeutet, dass die Maßnahme grundsätzlich durch die Polizei selbst auszuführen ist. Dieser Grundsatz gilt immer solange, wie es der Polizei mit eigenen Mitteln möglich ist, die erforderliche Maßnahme auszuführen.[112]
Sind die polizeilichen Möglichkeiten erschöpft oder stehen solche nicht zur Verfügung, kann die Polizei einen anderen mit der „unmittelbaren Ausführung“ beauftragen.
Diese Auswahl ob die Polizei selbst handelt oder ob ein anderer beauftragt wird darf nicht willkürlich erfolgen. Die beauftragende Polizei hat vor der Beauftragung zu prüfen, ob es ihr selbst ohne besondere Mühe, ohne einen unhinnehmbaren Zeitverlust oder ohne dass andere wichtige Aufgaben entgegenstehen möglich ist, die „unmittelbare Ausführung“ durchzuführen. Erst wenn diese Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass die Polizei nicht selbst tätig werden kann, ist sie befugt, einen anderen mit der Durchführung zu beauftragen.[113]
Regelmäßig wird die Beauftragung eines anderen durch ein vertragliches Verhältnis zwischen der Polizei und dem Beauftragten zustande kommen. Dies bedeutet, dass zwischen Polizei und Beauftragtem ein zivilrechtliches Verhältnis mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten besteht.[114]
Eine weitere Möglichkeit der Beauftragung eines anderen besteht darin, eine Organisation oder Einrichtung, wie z.B. Technisches Hilfswerk, Feuerwehr oder Rettungsdienst, zu beauftragen. Hier entsteht kein zivilrechtliches Vertragsverhältnis, da diese Organisationen und Einrichtungen ihrerseits selbst verpflichtet sind zu handeln. Die Beauftragung erfolgt in diesen Fällen durch eine „hoheitliche Beauftragung“.[115]
Die Ausführungskompetenz obliegt also immer der Polizei. Diese kann unter bestimmten Voraussetzungen einen anderen mit der Durchführung beauftragen.
Welche Anwendungsfälle der „unmittelbaren Ausführung“ sind denkbar?
Die „unmittelbare Ausführung“ eröffnet der Polizei die Möglichkeit, auch in Fällen, in denen eine Anordnung (Verwaltungsakt) an den Verantwortlichen nicht ergeht, an dessen Stelle zu handeln. Der Polizei wird also die Möglichkeit eingeräumt außerhalb des Verwaltungszwangsverfahrens gefahrenabwehrend einzuschreiten.
Die amtliche Begründung führt zur Anwendung aus:
„Absatz 1 eröffnet der Polizei die Möglichkeit, durch unmittelbare Tatmaßnahmen selbst oder durch Beauftragte Gefahren abzuwehren, wenn diese aus Sicht des Polizeibeamten durch den Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig beseitigt werden würden.
In Betracht kommt dies z.B. dann, wenn der Verantwortliche nicht erreichbar ist oder nicht in der Lage bzw. nicht willens ist, die Gefahr rechtzeitig abzuwehren.“[116]
Wichtigstes Kennzeichen der „unmittelbaren Ausführung“ ist es, dass vor ihrer Durchführung keine Anordnung ergeht.
Ist eine solche Anordnung (Verwaltungsakt), egal in welcher Form, ergangen und soll diese umgesetzt werden, ist für die „unmittelbare Ausführung“ kein Raum mehr gegeben.
Diese Anordnung muss dann mit den Mitteln des gestreckten Zwangsverfahrens durchgesetzt werden.[117]
Geht man von dieser Erkenntnis aus, ist für die „unmittelbare Ausführung“ dann Raum, wenn kein Verwaltungsakt voraus gehen kann.
Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Verantwortliche nicht bekannt ist oder aber bekannt aber nicht erreichbar ist.
Von unbekannten wurden mehrere Behälter mit einer öligen Flüssigkeit in einen Waldsee geworfen. Die eigentlichen Täter lassen sich nicht ermitteln. Der Eigentümer des Sees kann zwar ermittelt werden, dieser hält sich gegenwärtig aber auf einer Geschäftsreise im Ausland auf. Gegen die Täter kann kein Verwaltungsakt erlassen werden, da diese unbekannt sind. Gegen den Eigentümer des Sees kann kein Verwaltungsakt erlassen werden, da dieser nicht erreicht werden kann.
Weiterhin sind Fälle denkbar, in denen ein Verwaltungsakt an den Verantwortlichen nicht zulässig ist, weil etwas tatsächlich für den Verantwortlichen unmögliches verlangt wird. Würde in solchen Fällen ein Verwaltungsakt erlassen, wäre dieser von Anfang an nichtig. Dies ergibt sich aus § 44 Abs. 2 Nr. 4 ThürVwVfG[118]. Eine Nichtigkeit würde dazu führen, dass der Verwaltungsakt unwirksam wäre. Dies ergibt sich aus § 43 Abs. 3 ThürVwVfG. Die Unwirksamkeit bedeutet, dass die beabsichtigte Rechtswirkung weder für die Behörde noch für den Adressaten oder Dritte eintreten würde. Ein solcher unwirksamer Verwaltungsakt bräuchte von niemandem befolgt oder beachtet und dürfte auch nicht vollzogen werden.[119]
Als Beispiel für einen solchen Fall wäre zu nennen, dass von einem alten gebrechlichen Verantwortlichen eine mit hohem Kraftaufwand verbundene Handlung verlangt würde.
Ein Baum ist in Folge von Naturgewalten auf die Straße gestürzt. Der Eigentümer dieses Baumes ist ein alter Mann, welcher durch sein hohes Alter an Kraftlosigkeit leidet. Würde die Polizei jetzt von diesem verlangen, dass er selbst den Baum wegschafft, würde sie einen nichtigen Verwaltungsakt erlassen, da von dem alten Mann aus tatsächlichen Gründen, er ist ja auf Grund seiner Schwäche tatsächlich gar nicht in der Lage den Baum wegzuschaffen, nicht verlangt werden darf den Baum wegzuschaffen. Ein solcher nichtiger Verwaltungsakt wäre dann unwirksam und dürfte nicht vollstreckt werden.
Denkbar ist auch ein Fall, in dem ein Verwaltungsakt an den Verantwortlichen ausgeschlossen ist, nämlich dann, wenn von dem...