Die Wirtschaftsgeographie setzt sich zusammen aus den Teilgebieten der Verkehrs-, Handels-, Industrie- sowie Agrargeographie und versucht mit Theorien deren Interaktionen zu erklären (Bathelt, 2002, 19). Diese finden im Vernetzen Feld der Problemforschung der Geographie statt und werden im folgenden Schaubild visualisiert.
Abb. 4: Verknüpfung der Wirtschaftsgeographie
Quelle: Veränderte Darstellung nach Bathelt, 2002, 21.
Hier sieht man deutlich die Verbindung der Wirtschaftsgeographie mit den Nachbarwissenschaften und somit auch die Einflüsse derer in ihre Entwicklung.
Bevor aber auf die einzelnen Theorien eingegangen werden kann, die in dieser Arbeit untersucht wurden, muss zuerst der Begriff Wirtschaftsgeographie erklärt werden. Verschiedene Autoren haben unterschiedliche Definitionen verfasst, die sich im Wesentlichen aber nicht voneinander unterscheiden. Für diese Arbeit wurde die Definition von Bathelt gewählt, aufgrund der Tatsache, dass sie die Zusammenhänge am verständlichsten erläutert.
Nach Bathelt ist die Wirtschaftsgeographie „die Wissenschaft von der räumlichen Ordnung und der räumlichen Organisation der Wirtschaft. Sie stellt sich in dem raumwirtschaftlichen Ansatz die Aufgabe, räumliche Strukturen und ihre Veränderung – aufgrund interner Entwicklungsdeterminanten und räumlichen Interaktionen zu erklären, zu beschreiben und zu bewerten. Dabei sind die Verteilung ökonomischer Aktivitäten im Raum (Struktur), die räumlichen Bewegungen von Produktionsfaktoren, Gütern und Dienstleistungen (Interaktionen) sowie deren Entwicklungsdynamik (Prozeß) als interdependentes Raumsystem zu verstehet“ (Bathelt, 2002, 27).
Leser hat diese Definition noch durch das Einbringen der menschlichen Konstante erweitert und folgert daraus, dass „die Wirtschaftsgeographie das räumliche Verbreitungs- und Verknüpfungsmuster, das sich aus wirtschaftlichen Handlungen des Menschen bzw. sozialer Gruppen ergibt, erfasst und erklärt“. Zusätzlich fügt er die Bedeutung natürlicher Raumfaktoren auf das wirtschaftliche Handeln mit ein (Leser, 1997, 1002).
Wie man aus der obigen Grafik erschließen kann, sind zahllose Theorien in die Wirtschaftsgeographie eingeflossen. Am Beispiel der Schweizer Uhrenindustrie werden nur einige markante Aspekte aufgezeigt, die von besonderer Bedeutung sind. So spielen die Standorttheorie sowie die Clusterungsprozesse eine sehr zentrale Rolle. Mit diesen beiden Gebieten wird sich dieses Kapitel ausführlich befassen und ihre Bedeutend für die Uhrenindustrie erläutern.
In den vorherigen Kapiteln wurde der Weg der Uhrenherstellung in den Schweizer Jura deutlich beschrieben. Zur Zeit der Entstehung dieser Branche existierten die meisten nun vorliegenden Theorien noch nicht. Nichts desto trotz sollen sie versuchen zu erklären, wieso sich ausgerechnet in dieser Region dieser Industriezweig niedergelassen hat. Die Erklärung soll unabhängig von der historischen und damaligen wirtschaftlichen Entwicklung formuliert werden.
Die Standorttheorie ist deswegen so interessant, da sie so umfassend ist, dass fast alle wichtigen Aspekte berücksichtigt werden. Doch was sind eigentlich Standorte und was sagen sie aus? Es sind Orte, die punktuell das Zentrum des Interesses bilden, sei es in der Industrie als Produktionsstätte größerer Betriebe (z.B. ThyssenKrupp in Essen) oder gar ganze Länder wie in der aktuellen Debatte um den „Standort Deutschland“. Leser erklärt den Standort als „Ort, an welchem ein Wirtschaftsbetrieb aktiv tätig ist“ (Leser, 1997, 820). Jedoch reicht diese Definition im vorliegenden Fall nicht aus, da man weiter nach räumlichen Maßstabsebenen unterscheiden muss. So findet man Standorte auf lokaler-, regionaler-, nationaler-, supranationaler und globaler Ebene. Dadurch bleiben sie vergleichbar. Und genau darum geht es auch – um die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Standorte auf der ganzen Welt.
In der heutigen Zeit werden Produktionsstandorte dann verlegt, wenn die am neuen Ort vorliegenden Standortfaktoren sich als günstig für den Betrieb erweisen. Nach Weber hat ein Standortfaktor einen scharf abgegrenzten Vorteil. Dieser besteht darin, dass am vorliegenden Ort eine Kostenersparnis stattfindet, die es der Industrie dort ermöglicht ein bestimmtes Produkt mit geringerem Kostenaufwand herzustellen, als an einem anderen Platz. Diese Ersparnis wird durch das Vorhandensein mehrerer positiver Standortfaktoren auf die Produktionskosten ausgelegt. Das bedeutet, je mehr positive Standortfaktoren vorhanden sind, desto günstiger fällt die Herstellung der Produkte an. Daraus entwickelte Weber die Theorie zur optimalen Standortwahl, die sich aus mehreren Punkten zusammensetzt. Darunter befinden sich die Produktionsprozesse, die Arbeitskosten und die Agglomerationskosten (Bathelt, 2002, 124).
Der wichtigste Faktor der Produktionsprozesse ist das Auffinden des transportkostenminimalen Standorts. Beim Produktionsprozess werden die Rohstoffe, Zwischenprodukte und der Input (Arbeit und Kapital) zum Endprodukt (Output) transformiert (Bathelt, 2002, 52, 124). Dabei muss beachtet werden, dass die Transportkosten nicht zu hoch ausfallen, die von Industriebranche zu Industriebranche variieren. So spielen die Transportkosten z.B. bei der Automobilherstellung eine größere Rolle, aufgrund der Schwere und der Sperrigkeit der Teile, als in der Uhrenindustrie. Abhängig vom Wechselkurs machen die Rohstoffimporte hier ca. 10% der Gesamtentstehungskosten aus (Retornaz, 1970, 5).
Webers Theorie besagt, dass „high-tech Produkte im Unterschied zu den Produkten traditioneller Industriebranchen durch ein geringeres Gewicht bei gleichzeitig hohem Wert pro Volumeneinheit gekennzeichnet sind“. Demnach „haben Transportkosten nur einen geringen Anteil am Umsatz. Dadurch wirkt sich selbst eine ineffiziente Organisation der Produkt- und Materialtransporte kaum nachteilig auf die Kostenstruktur aus“ (Bathelt, 2002, 138). Laut seiner Theorie sind die Transportkosten die zentrale Größe der Standortbestimmung. Erst danach kommen die Arbeitskosten und die Agglomerationsvorteile (Bathelt, 2002, 124).
Da die Uhrenindustrie eine Hightech-Industrie ist, muss die Wirtschaftstheorie dementsprechend angewandt werden. Spielen bei der Schwerindustrie Transportkosten die herausragende Rolle, so übernehmen die Arbeitskosten und die Agglomerationsvorteile den deutlich wichtigeren Part bei der Bestimmung neuer Standorte innerhalb der Uhrenindustrie.
Wie in Kapitel 5.2 (Ausbreitung im Juragebirge) deutlich ausgeführt wird, waren zur damaligen Zeit die vorhandenen und gut ausgebildeten Fachkräfte der Antriebsmotor zur Ausdehnung der Uhrenindustrie in den Schweizer Jura. Ergänzend kann festgehalten werden, dass das vorhandene Humankapital einen weiteren Vorteil hatte, den des „Stillen Wissens“. Dieser Begriff wurde von Polanyi geprägt und bedeutet „that we know more that we can tell“ (Bathelt, 2002, 57). Hier findet eine Wissensweitergabe von Generation zu Generation statt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Standorttheorie sind Agglomerationsvorteile. Eine kurze Erklärung von Leser besagt, dass Agglomerationsvorteile, aus Kostenvorteilen für die Produktion und die Vermarktung der Produkte, die durch die besondere Raumqualität bedingt sind, bestehen. Merkmale bilden unter anderem geringe Transportkosten, bessere Absatzchancen, ein differenziertes Arbeitskräfteangebot sowie Fühlungsvorteile (Leser, 1997, 17). Dazu zählen die Nähe zu anderen Unternehmen der gleichen Branche sowie die Nähe zu Zulieferern, Kunden und Universitäten oder Hochschulen. Auch hohe Ansprüche an den vorhandenen Arbeitsmarkt sind von Bedeutung. (Bathelt, 2002, 146).
Jedoch wird die Theorie der „Spilllovereffekte“ nicht mehr zu den Agglomerationsvorteilen, sondern zu den Clusterungsprozessen gezählt. Im Fall der Uhrenindustrie würde dieser aber sehr gut in die Reihe der Standortvorteile passen. Beim „Spilllovereffekt“ kommt es durch Konzentration einer spezialisierten Industrieballung zu einem Informationsaustausch auf lokaler Ebene. Dieses Austauschen von Informationen, das häufig in persönlichen Treffen stattfindet, hat zur Folge, dass die Wahrscheinlichkeit höher sein wird, dass neue Ideen aufgegriffen und verbessert werden können. Laut Krugmann finden „Spilllovereffekte“ primär in Hightech-Industrien Verwendung (Bathelt, 2002, 82). Deswegen zählen sie in der Uhrenindustrie noch zu den Agglomerationsvorteilen.
Bei den Clusterungsprozessen handelt es sich um Industrieballungen in einem Raum. Diese sind in ein bestimmtes regionales sozio-institutionelles Umfeld eingebettet, ohne das deren Entstehungsprozess nicht denkbar wäre (Bathelt, 2002, 63). Als Folge der Ballung kommt es zur...