2 Leichtathletische Sprünge: Vom Sprinten zum Weitsprung
Volker Jennemann
In diesem Unterrichtsvorschlag geht es in einem ersten Block um die erfahrungsorientierte Erarbeitung der leichtathletischen Sprinttechnik und in einem zweiten Block um die darauf aufbauende Thematisierung des leichathletischen Weitsprungs. Der zeitliche Umfang beträgt zwischen 6-8 Doppelstunden. Alternativ kann das Sprinten in einer eigenständigen Unterrichtseinheit entwickelt werden. Die vorgestellten Aufgaben eignen sich für Schüler ab der Klassenstufe 5, können aber auch in der Sek. II gewinnbringend eingesetzt werden. In der Oberstufe bietet es sich an, Aspekte der Bewegungslehre ergänzend zu den praktischen Inhalten im Rahmen der Theoriestunden von Prüfungs- oder Leistungskursen zu erarbeiten.
1 Von der pädagogischen Bedeutung und dem sportfachlichen Nutzen
Die Ausrichtung der Schulleichtathletik auf wenige, streng normierte Techniken wurde in der Vergangenheit innerhalb der fachdidaktischen Diskussion vielfach kritisch reflektiert (vgl. Brodtmann, 1998, S. 3; Hägele, 2003, S. 27). So wurde u. a. bemängelt, dass sich Sportunterricht gerade mit Blick auf die Bundesjugendspiele auf die leichtathletischen Kerndisziplinen beschränkt. Diese Kritik hat zu einer Umorientierung geführt, sodass spezifische Techniken nun in Themenfeldern strukturverwandter Bewegungen erarbeitet werden sollen. Dabei soll den Schülern ermöglicht werden, durch vielseitige Bewegungshandlungen eine breite Basis an Bewegungserfahrungen zu sammeln, die sie in ihrer Gesamtheit dazu befähigen, den eigenen Körper variabel und der konkreten Bewegungsaufgabe angemessen bewegen zu können. Ebenso wurde in der fachdidaktischen Diskussion deutlich, dass das Training physischer Grundeigenschaften vor dem Hintergrund trainingswissenschaftlicher Erkenntnisse im Sportunterricht nur eingeschränkt möglich und eine Leistungssteigerung vor allem über die Ausbildung koordinativer Fähigkeiten zu erreichen ist.
Der in der Arbeit in Themen- und Bewegungsfeldern enthaltene Anspruch, den Körper optimal und situationsadäquat zur Lösung konkreter Bewegungsaufgaben einzusetzen, kann allerdings nur eingelöst werden, wenn nicht einseitig genormte Bewegungsvorgaben den Unterricht bestimmen, sondern dieser variabel und mehrperspektivisch angelegt ist. D. h.: kognitive Bewusstmachung, Wissen um den Gesamtzusammenhang und Reflexion von sportlichem Tun müssen feste Bestandteile des Unterrichtens sein (vgl. Giese, i. d. B., Kap. 5).
Vor diesem Hintergrund entsteht mit der Zielstellung des vorliegenden Unterrichtsvorschlags, zwei konkrete leichtathletische Techniken zu erarbeiten, zunächst ein Widerspruch. Bedenkt man jedoch, dass Bewegungstechniken lediglich Mittel für das bestmögliche Lösen von Bewegungsproblemen sind, lässt sich die Unvereinbarkeit von Lernziel und didaktischem Anspruch auflösen (vgl. Loibl, 2001, S. 41). I. d. S. ist der vorliegende Unterrichtsvorschlag von einer erfahrungsorientierten Vorgehensweise geprägt, die es den Schülern ermöglicht, Bewegungstechniken für sich als (am besten) geeignete Möglichkeit zur Bewältigung einer Bewegungsaufgabe zu entdecken (vgl. Giese & Hasper, i. d. B.). Insofern kann es gelingen, dass weder „disziplinäre Fähigkeits- und Fertigkeitsaspekte auf Dauer zu kurz kommen, noch der schulische Erziehungs- und Bildungsauftrag unverhältnismäßig vernachlässigt werden“ (Hägele, 2003, S. 31).
2 Methodisch-didaktische Vorüberlegungen
Um zu gewährleisten, dass die Schüler die anvisierten Fertigkeiten mit einem hohen Maß an Eigentätigkeit entwickeln, ist es sinnvoll, die nachfolgenden Bewegungsaufgaben auf Arbeitsblättern zusammenzufassen und in Partner- bzw. Kleingruppenarbeit erarbeiten zu lassen. Dabei ist klassische Stationsarbeit ebenso möglich wie eine interessenorientierte Bearbeitung der einzelnen Aspekte durch die Schüler. Die Ergebnisse der Arbeitsphasen sollten abschnittsweise im Lerngruppenplenum gesammelt, diskutiert und auf einem Lernplakat fixiert werden. Die gemeinsame Verschriftlichung der Aufgabenlösung erleichtert es den Schülern, die erarbeiteten Bewegungsfertigkeiten mit einer höchstmöglichen Genauigkeit bei der individuellen Bewegungsausführung umzusetzen.
Der Maßstab für eine gelungene bzw. funktionale Lösung der Bewegungsaufgabe ist dabei immer, ob die Bewegungsaufgabe (Sprinten oder Springen) effektiv, d. h. schneller bzw. weiter, realisiert werden konnte. Um dies herauszufinden, ist sicherzustellen, dass die Schüler nicht bereits nach einem Versuch eine Bewegungsausführung zur Aufgabenlösung als geeignet oder ungeeignet bewerten, sondern sich mehrere Durchführungen lang Zeit nehmen, um sich in die Bewegung hineinzufühlen.
Biomechanische, koordinativ-technische und konditionelle Einflussgrößen bestimmen als leistungslimitierende Faktoren die Sprungweite beim Weitsprung. Die beiden erstgenannten Aspekte bilden den Kern der nachfolgenden Unterrichtseinheit Weitsprung. Da die erzielte Sprungweite allerdings wesentlich von der erreichten Anlaufgeschwindigkeit am Absprungbalken abhängt, sollte die Anlaufgeschwindigkeit zunächst den individuellen Fähigkeiten entsprechend ausgebaut werden. Die Laufschnelligkeit hängt neben der verfügbaren Kraft wesentlich von koordinativen Fähigkeiten ab, die sich im Gegensatz zu konditionellen Fähigkeiten im schulsportlichen Alltag wesentlich besser fördern lassen, sodass sich eine positive Leistungsentwicklung vor allem über eine Verbesserung der Laufkoordination erreichen lässt. In Abhängigkeit von der kognitiven Leistungsfähigkeit der Lerngruppe sollte der Zusammenhang zwischen Sprungweite und Anlaufgeschwindigkeit im Absprung selbstständig – ausgehend von folgender Frage – erarbeitet werden:
Was musst du tun, um weit zu springen?
Die Unterrichtserfahrung zeigt, dass die beiden Aspekte schnelles (An-)Laufen und kräftiges Abspringen von den Schülern meist selbstständig genannt werden. Aufgrund obiger Überlegungen wird der Unterrichtsfokus im weiteren Unterrichtsverlauf zunächst auf das schnelle Laufen gelegt, was zu einer zweiten Frage führt:
Was musst du tun, um schnell zu laufen?
Die Schüler sollen aufgrund ihres Vorwissens überprüfbare Hypothesen formulieren. Auch eine kleine Erprobungsphase wäre denkbar. Insgesamt kommen die Schüler aufgrund der Alltagsferne der spezifischen Sprinttechnik allerdings kaum auf alle relevanten Aspekte, die eine funktionale Sprinttechnik definieren. Methodisch ist es für eine zielführende und zeiteffiziente Erarbeitung der Bewegungstechniken deshalb nötig, den Such- und Erfahrungsraum – in Abhängigkeit von den vorhandenen Vorerfahrungen der Schüler – unterschiedlich stark vorzustrukturieren (vgl. Giese, i. d. B., Kap. 5.5). Dazu dient in diesem Unterrichtsvorschlag eine Tabelle (vgl. Tab. 1), in der zentrale Elemente einer funktionalen Sprinttechnik mit Stichpunkten benannt sind. Diese Stichpunkte sollen die Schüler in einer offenen Auseinandersetzung mit der Sache mit Leben bzw. Erfahrung füllen.1
3 Der Auftakt zum Weitsprung: Das Sprinten lernen
Zum Auftakt bietet es sich an, sich den Themen Sprinten und Weitsprung anhand selbst gewählter Bewegungsaufgaben zu nähern. Da viele Schüler erfahrungsgemäß Schwierigkeiten damit haben, vielfältige Bewegungsformen selbstständig und kreativ zu erproben, kann diese Fähigkeit mithilfe Kleiner Spiele angebahnt werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Schüler dazu angehalten werden, sich auch ungewöhnliche Bewegungsformen zu überlegen. Folgende Spiele haben sich in diesem Zusammenhang im Unterricht bewährt:
Spiel – König und Diener
Zwei Schüler (Diener) haben die Aufgabe, sich immer auf derselben Seite (links oder rechts) eines dritten Schülers (König) aufzuhalten. Dabei müssen sie alle (Fort-)Bewegungsformen nachmachen, die der König vorgibt. Nach einigen Minuten werden König und Diener getauscht, sodass sich jeder Schüler Bewegungen überlegen muss, mit denen er seine Diener auf Trab hält.
Spiel – Handicap-Fangen
Ein Fänger muss in einem begrenzten Raum versuchen, einen Gejagten abzuschlagen, woraufhin das Amt des Fängers auf den Abgeschlagenen wechselt. Um die Schwierigkeit zu erhöhen, darf sich der Fänger ein Handicap (z. B. rechte Hand an linkem Fuß, Scherenlauf, Hopser mit geschlossenen Füßen etc.) überlegen, das die Fortbewegung aller am Spiel beteiligten Personen behindert.
Im Anschluss an die Spiele sollte diskutiert werden, welche Bewegungselemente von den Schülern eigentlich variiert wurden, um damit zu der Tabelle überzuleiten, die einen Eindruck über die Vielzahl der Variationsaspekte beim Laufen verschafft (vgl. Tab. 1). Die Tabelle sollte auf das Unterrichtsgespräch und die Zielgruppe abgestimmt und als Protokoll der Bewegungsexperimente verwendet werden. In gemeinsamen Plenumsphasen werden die Ergebnisse von den Schülern vorgemacht, erläutert sowie ggf. von der gesamten Klasse ausprobiert.2
Zentraler Aspekt, unter dem die Analysen stattfinden müssen, ist einerseits die Optimierung der Laufzeit und andererseits die Frage nach dem individuellen Wohlbefinden bei der jeweiligen Aufgabenlösung, da es den Schülern häufig auch unbewusst bzw. vorsprachlich gelingt (vgl. Giese, i. d. B., Kap. 5.2), gelungene von weniger gelungenen Bewegungen zu unterscheiden.
In Abhängigkeit davon, welche Aspekte des Laufens oder Sprintens von den Schülern als besonders bedeutsam erachtet...