1.4 Gedankliche Analyse – Instrumente des Verhandelns
Um im Rahmen der weiteren Ausführungen dieses Buches auf die gleiche Sprache und Begrifflichkeiten zurückgreifen zu können, sind nachfolgend die wichtigsten Begriffe definiert, mit denen wir Verhandlungssituationen analysieren können.
1.4.1 BATNA – Best Alternative to Negotiated Agreement
Der Begriff des BATNA wurde geprägt durch die Autoren des Harvard-Modells, die als Grundlage des rationalen, kooperativen Verhandelns das Denken in Alternativen sehen. Das Akronym BATNA steht dabei für den Begriff der „Best Alternative to the Negotiated Agreement“. Es beschreibt neben den vielen Alternativen, die es im Verlauf von Verhandlungen und der Einigung mit dem Verhandlungspartner gibt, die beste Alternative für den Fall, in dem man sich tatsächlich nicht einigen kann. So könnte beispielsweise die BATNA eines Unternehmers im Hinblick auf die Nicht-Einigung beim Verkauf seines Unternehmens in
• der Weiterführung des Unternehmens mit dem bestehenden Management und dem Rückzug des Unternehmers auf die Gesellschafterebene,
• einem Börsengang des Unternehmens,
• der Liquidation des Unternehmens oder
• dem Einbringen des Unternehmens in eine Stiftung
bestehen.
Vor bedeutenden Verhandlungen ist es sehr wichtig, darüber nachzudenken, was aller Wahrscheinlichkeit nach geschieht, wenn es eben nicht zu einer Einigung kommt – und welche Optionen man bei einem Scheitern hat? Hier kommt es vor allem darauf an, die Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen und – sofern möglich – den Wert der Alternativen zu beziffern.5
Neben dem Einschätzen der eigenen BATNA ist auch das Antizipieren der BATNA des Verhandlungspartners ein wichtiger Baustein in der Vorbereitung einer Verhandlung. Dabei sei kurz erwähnt, dass es bei diesem Vorgang von immenser Bedeutung ist, die Situation des Verhandlungspartners anhand von Fakten einzuschätzen und in der Analyse zu akzeptieren, dass man gewisse Sachverhalte nicht sicher einordnen kann. Vermutungen und Unterstellungen, nach dem Motto: „Der Interessent A kann gar nicht anders“ sind hoch gefährlich, denn sie führen zu Fehlannahmen, die sich auch kontraproduktiv auf die eigene Einstellung zum Verhandlungsziel auswirken und die eingenommene Verhandlungsposition fehlleiten können. Das Motto lautet hier: „Stop guessing!“
Das im nächsten Kapitel dargestellte Fallbeispiel zeigt die Suche nach Alternativen (BATNA) im Rahmen eines Verkaufsmandates aus Gründen der nicht gelösten Nachfolge im Unternehmen.
Es gilt: Das konkrete Wissen um die beste Alternative führt zu einer Unabhängigkeit in den Verhandlungen. Die BATNA-Analyse gehört zu jeder guten Verhandlungsvorbereitung (siehe Checkliste).
Fassen wir BATNA also noch einmal zusammen:
• BATNA soll für den Fall eines möglichen Scheiterns von Verhandlungen vorab Klarheit schaffen, welche anderen Möglichkeiten grundsätzlich vorhanden sind und welche alternativen Vorgehensweisen eingegangen werden können.
• BATNA steht für die Suche nach möglichen Alternativen und das Ermitteln der besten Alternative als wichtiger Punkt in der Verhandlungsvorbereitung.
• BATNA stellt den Orientierungspunkt dar, ob ein Verhandlungsausstieg günstiger erscheint als ein Verhandlungsabschluss.
• BATNA ist erfolgversprechender als das Setzen eines starren Limits („So viel will ich maximal erreichen oder mindestens erhalten, sonst ist die Verhandlung gescheitert“), weil die wichtigere Frage der bestehenden Alternativen im Fall des Scheiterns der Verhandlung geklärt wird.
• BATNA stellt einen wesentlicher Faktor für erfolgreiche Verhandlungen dar: Die konkrete Kenntnis von Alternativen stärkt grundsätzlich die eigene Verhandlungsposition.
1.4.2 Reservation Price
Der sog. Reservation Price bezeichnet den Grenzpreis des jeweiligen Transaktionspartners und ist somit der höchste Preis, den ein Käufer bereit ist zu bezahlen bzw. der geringste Preis, den ein Verkäufer noch bereit ist zu akzeptieren. In Verhandlungen bezeichnet der Reservation Price den Punkt, an dem ein Verhandler bereit ist, den Verhandlungstisch zu verlassen („Walk-away Point“), weil er aufgrund des Erreichens seiner „Schmerzgrenze“ keinen Sinn mehr in der Verhandlung sieht oder sehen will.
Bei der Betrachtung des Reservation Price sind nicht nur die eigene Preisvorstellung, sondern auch die Kosten zu berücksichtigen, die bspw. dadurch entstehen könnten, dass beim „Walk-away Point“ ein anderer Käufer – vielleicht ein Wettbewerber – die Transaktion abschließt und damit in Zukunft Auswirkungen auf das eigene Unternehmen zu erwarten sind (z.B. Erlangung von Skalenvorteilen durch den anderen Käufer, der damit den Marktpreis für bestimmte Produkte nach unten bewegt und hierdurch ein Margenverfall beginnt, der sich über kurz oder lang auch auf die Ertragslage des eigenen Unternehmens auswirkt).
Guhan Subrahmanian, Professor an der Harvard Law School, schreibt in seinem Buch „Dealmaking“ über den Reservation Price:
„Die Höhe des Reservationspunktes (Reservation Price) hängt in der Regel davon ab, wie gut oder schlecht die BATNA ist. Der Reservationspunkt hat nichts damit zu tun, welchen Preis man sich als günstig, akzeptabel oder fair vorstellt. Er markiert einfach nur den Punkt, der darüber entscheidet, ob die Wertschöpfung innerhalb eines zur Verhandlung stehenden Deals oder abseits des Verhandlungstisches über die BATNA stattfindet. Der Reservationspunkt ist eine wichtige Größe, die bei den Verhandlungen stets vor Augen sein sollte.“6
Fallbeispiel:7
Heinrich Meier ist 60 Jahre alt und seit 22 Jahren geschäftsführender Gesellschafter der HMM Gesellschaft für Maschinenbau mbH. Die Unternehmensentwicklung der letzten zehn Jahre war durch ein stetiges Umsatzwachstum geprägt. Auch für die Zukunft geht man von einer weiteren Ausweitung des Geschäftsvolumens aus. Das Unternehmen hat Standorte in sechs Ländern und ist Inhaber mehrerer in der Branche stark beachteter Patente. HMM gilt als Marke in der relevanten Branche.
Herr Meier hat entschieden, dass er sich in naher Zukunft aus dem Geschäftsleben zurückziehen und für sein Lebenswerk ein angemessenes Entgelt erhalten will. Dem Thema der nicht durch die Familie gelösten Nachfolge im Unternehmen hat er sich frühzeitig gewidmet und einen M&A-Berater mit dem diskreten Verkauf des Unternehmens beauftragt. Den Unternehmenswert, so gibt er dem Berater mit auf den Weg, sieht er bei einem EV/EBITDA-Multiplikator in Höhe von 6,4. Er würde also beim Verkauf gerne das 6,4-fache des Gewinns vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen als Gesamt-Unternehmenswert (Enterprise Value) erzielen.
Die nachfolgende Tabelle zeigt die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens.
Abbildung 5
Beispielhafte Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung eines Unternehmens
Auf dieser Basis bietet der Berater das Unternehmen einer begrenzten Anzahl von möglichen Käufern an. Weil der Markt zu diesem Zeitpunkt eher schwierig ist, haben die bisherigen Bemühungen der beiden nicht zu dem Idealergebnis geführt, das man sich natürlich wünschen würde: Die Nachfrage war nicht groß genug, um einen preistreibenden Wettbewerb unter Kaufinteressenten anzufachen. Dennoch gibt es einen Interessenten, die MARA AG, die einen Kaufpreis auf Basis Enterprise Value (auf schuldenfreier Basis oder neudeutsch „cash and debt free“) in Höhe von 5,3 x EBITDA geboten hat. Der Kaufvertrag ist verhandelt. Einem Abschluss steht nichts mehr im Weg. Der Enterprise Value beläuft sich auf € 42,1 Mio.
Trotz der Möglichkeit, mit dem Verkauf des Unternehmens einerseits ein Entgelt für die unternehmerische Lebensleistung zu erhalten und andererseits die Nachfolgeproblematik zu lösen, ist Herr Meier mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Schließlich hatte er sich im Vorfeld ja einen Preis in der Größenordnung von 6,4 x EBITDA vorgestellt. Er sieht sich in einem Dilemma, denn einerseits ist er fest entschlossen, den Kaufpreis noch einmal zu verhandeln, andererseits fühlt er sich – mangels Wettbewerb unter den Kaufinteressenten – dem Bieter MARA ausgeliefert. Wegen dieses Gefühls fürchtet er auch, mit einem höheren Preis den Bogen zu überspannen und womöglich die Transaktion zu gefährden.
Nun analysiert Herr Meier gemeinsam mit dem M&A-Berater genau das, was dem BATNA-Konzept entspricht: Sie bereiten sich gezielt auf die Preisverhandlungen vor, indem sie die möglichen Alternativen zum Verkauf betrachten und bewerten:
1. Einbringung in eine Stiftung, Einstellen eines Managers und Weiterführung des Unternehmens und Ausschüttung der Gewinne
Abbildung 6
Modellrechnung bei Fortführung (Einbringung in eine Stiftung)
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