1. Einleitung
Coachingforscher (gut gelaunt): Guten Tag, mein Name ist Schermuly, Sie hatten mir erlaubt, mit Ihnen Kontakt wegen einer Coachingstudie aufzunehmen.
Führungskraft: »Ja, ja, das stimmt. Mein Coach hat mir Ihre Anfrage weitergeleitet. Netter Kerl, dem kann man wirklich keine Bitte abschlagen. Aber was bringt mir das eigentlich, wenn ich meine Arbeit wegen Ihnen mehrmals unterbreche und Ihre Fragen beantworte?«
Coachingforscher (noch mit Selbstbewusstsein): »Tja, das hilft der Coachingforschung sehr. Wir wissen dann viel exakter, wie und warum Coachings wirken, und können, wenn alles klappt, sogar Kausalaussagen machen.«
Führungskraft: »Hhm, Kausalaussagen, das ist ja gut und schön, aber ich will eigentlich nur gecoacht werden. Mit der Coachingforschung habe ich nicht viel am Hut, auch wenn ich es toll finde, dass so etwas auch als Forschung gilt.«
Coachingforscher (leise seufzend und darüber reflektierend, ob er letzteres als Provokation werten soll): »Aber wir können dadurch auch die Coachings in Ihrem Unternehmen langfristig verbessern.«
Führungskraft: »Auch das ist schön, aber mir reicht es erst einmal, wenn mein Coaching gut läuft. Verbessert sich mein Coaching, wenn ich an Ihrer Studie teilnehme?«
Coachingforscher (lauter seufzend): »Na ja, Ihr Coaching nicht direkt. Wir erforschen generelle Wirkungen. Die Psychologie ist schon eher eine Mittelwertswissenschaft. Auch können wir erst nach Abschluss der Studie…«
Führungskraft: »Oh, ein Anruf auf meinem Handy. Ich muss jetzt leider los. Setzen sich doch noch mal mit meiner Sekretärin in Verbindung. Vielleicht fülle ich Ihnen mal einen Fragebogen aus, wenn er kurz ist. Tschööö und viel Erfolg mit Ihrer Studie.«
Coachingforscher (verzweifelt): »Aber wir brauchen leider verschiedene Messzeitpunkte und…«
Guten Tag, lieber Leser1, meinen Namen kennen Sie vom Buchcover und ich habe eine Leidenschaft. Diese nennt sich Coachingforschung, und wie Sie in dem Dialog erkennen können, gehört eine Portion Leidensfähigkeit dazu, dieser Leidenschaft nachzugehen. Doch mit dieser Leidenschaft bin ich nicht allein. Überall auf der Welt gibt es Wissenschaftler, die sich von den Schwierigkeiten der Coachingforschung nicht abhalten lassen und Coachings erforschen (ich könnte mittlerweile eine große Selbsthilfegruppe starten). Und dass ich nicht alleine bin, bringt einen großen Vorteil. Wir haben zusammen in den letzten Jahren viel Wissen über Coaching und seine Wirksamkeit gesammelt. Doch von dieser Forschung weiß man in der Praxis häufig wenig. Das liegt auch daran, in welchem Stil viele Artikel geschrieben sind und wo sie veröffentlicht wurden. Deshalb wird, meiner Meinung nach, ein Buch notwendig, das die Wirkungsforschung praxisnah zusammenfasst und für die Praxis nutzbar macht. Denn alle anwendungsbezogene Forschung ist umsonst, wenn die Anwender von der Forschung nichts wissen. Dieses Buch beschäftigt sich deshalb aus einer wissenschaftlichen Perspektive mit den Wirkungen von Coachings im Arbeitskontext und widmet sich unter anderen folgenden Fragen:
Was bewirkt Business-Coaching?
Was bewirkt die Wirkungen von Business-Coaching?
Wer bewirkt das, was in Business-Coachings die Wirkungen bewirkt?
Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie wissen, welche positiven Wirkungen Coaching hat und wie man diese Wirkungen herstellen kann. Doch ich werde Ihnen in diesem Buch nicht nur positive Wirkungen von Coaching vorstellen. Seit 2011 beschäftigen meine Arbeitsgruppe und ich uns mit negativen Nebenwirkungen von Coaching. Darunter verstehen wir unerwünschte Effekte, die schädlich und unerwünscht und auf das Coaching zurückführbar sind. Nebenwirkungen sind nicht dasselbe wie Misserfolg, was Sie in Kapitel 8.3 ausführlich vorgestellt bekommen. Andere Arbeitsgebiete wie die Psychotherapie oder das Mentoring beschäftigen sich schon länger damit, welche unerwünschten Effekte durch ihre Profession entstehen können. Richard Kilburg von der Harvard University schlussfolgerte im Jahr 2002 (S. 288) mit Blick auf das Thema »Negative Effekte im Coaching«: »Despite the importance of knowing how to manage these issues, there is virtually nothing available in the literature to help executive coaches face these problems.«
Mittlerweile haben wir in unserer Arbeitsgruppe zehn qualitative und quantitative Studien durchgeführt (siehe z. B. Tabelle 9). Aus dem von Kilburg beschriebenen »nothing« ist etwas geworden. Die Erkenntnisse dieser Studien möchte ich Ihnen im zweiten Teil des Buchs vorstellen. Immer wieder werde ich dabei auch Coaches und Klienten zu Wort kommen lassen, die mit uns über diese Themen gesprochen und ihre Erfahrungen mit uns geteilt haben. An dieser Stelle möchte ich mich bei den vielen hundert Studienteilnehmern bedanken, die uns so engagiert bei unserer Forschung unterstützt haben.
Mein Ziel ist, dass sich das Buch in drei Bereichen auszeichnet: die Wissenschaftsnähe, die Praxisnähe und die Lesernähe.
Kommen wir zunächst zur Wissenschaftsnähe. In der letzten Zeit sind viele neue Coachingbücher veröffentlicht worden. In verschiedenen Ratgebern für Coaches liest man, dass es wichtig sei, als Coach eine Marke zu entwickeln und für die Markenkommunikation zu veröffentlichen. Diesen guten Tipp nehmen sich viele Coaches zu Herzen und schreiben ein eigenes Buch. Manche Bücher sind echt gut und manche sind wirklich schlecht. In der Regel schreibt aber ein Coach über seine persönlichen Coachingerfahrungen und gibt diese an die zukünftige Generation von Coaches weiter. Die Stichprobe (in der Wissenschaft mit N abgekürzt), auf der die Erkenntnisse beruhen, liegt bei diesen Büchern bei N = 1. Und dadurch ist die Objektivität, die Zuverlässigkeit, aber auch die Gültigkeit vieler Bücher eingeschränkt. Das vorliegende Buch ist anders ausgerichtet. Ich schreibe Ihnen nicht auf, was ich persönlich glaube, welche Faktoren ein Coaching wirksam machen. Ich fasse Ihnen die Wirkfaktoren zusammen, von denen ich aus wissenschaftlichen Studien weiß, dass sie wirken. Ich habe durch meine eigenen Studien Daten und Einsichten von Hunderten von Coaches und Klienten einholen können. Die Erkenntnisse daraus fließen in dieses Buch ein sowie die Stichproben von vielen anderen Kollegen. Dadurch beruht das Buch auf den Erkenntnissen von Tausenden von Coachingprozessen und Sie bekommen mehr Sicherheit bei der Interpretation der Ergebnisse. Diese Wissenschaftsnähe ist ein ständiger Begleiter dieses Buchs. Deswegen stelle ich Ihnen in Kapitel 2 auch erst einmal vor, wie Coachingforscher arbeiten und denken.
Mein zweites Ziel für dieses Buch ist die Praxisnähe. Für manche meiner akademisch geprägten Kollegen mag das erste Ziel das zweite ausschließen. Ich bin aber kein Grundlagenforscher. An meiner Hochschule ist die Tätigkeit als Wissenschaftler praktisch orientiert. Wir haben den Auftrag, für die Praxis wissenschaftliche Erkenntnisse zu erarbeiten. Und deswegen kenne ich mich mit dem Spannungsfeld Wissenschaft und Praxis gut aus. Mir ist aber auch klar, dass es alleine schwierig ist, beiden Zielen gerecht zu werden. Deswegen habe ich mir für einige Themen Unterstützung geholt. Ich habe mit erfahrenen und bekannten Praktikern Interviews geführt, z. B. Beate Fietze, Christian Geissler, Elke Berninger-Schäfer, Rainer Arlt und Uwe Böning. Sie sind in den jeweiligen Anwendungsbereichen Pioniere und können sehr viel besser als ich selbst die praktischen Facetten eines Themas ergründen und vorstellen. Weiterhin versuche ich vor allem beim Thema Nebenwirkungen direkt Coaches und Klienten zu Wort kommen zu lassen. In unserer Arbeitsgruppe haben wir in den letzten Jahren viele hundert Seiten Interviewmaterial gesammelt und die Stimmen dieser Praktiker lasse ich an verschiedenen Stellen in das Buch einfließen.
Kommen wir zum letzten Ziel: die Lesernähe. Wenn ich mit der Arbeit an einem Buch beginne, versuche ich zunächst herauszufinden, für wen ich dieses Buch schreiben will. Wenn ich das nicht früh genug getan habe, fragt mich meine Frau danach: »Sag mal, für wen setzt du dich da abends eigentlich an den Schreibtisch?« Diese Personengruppe habe ich dann vor Augen, wenn ich das Buch schreibe. Ich versuche mich in die Personen hineinzuversetzen und frage mich immer wieder, welches Wissen sie schon besitzen, welches sie erwerben möchten und...