1 Rehabilitation in Deutschland: Die neue Marktdynamik im Rehabilitationssektor
Kontext
Das Ende der Beschaulichkeit – so könnte man am besten die Veränderungen in der Rehabilitation in den letzten Jahren auf den Punkt bringen. Bis vor wenigen Jahren führte der Versorgungssektor Rehabilitation ein eher ruhiges und beschauliches Dasein: Ein stabiles Marktvolumen mit 9,5 Mrd. Euro pro Jahr, ca. 2 Mio. Reha-Fälle und ca. 1.076 Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen. Konstante, aber eher bescheidene Wachstumsraten.
Aber nun bewegt sich etwas: Wie viele Branchen der deutschen und europäischen Gesundheitswirtschaft ist die Rehabilitation in den Fokus von in- und ausländischen Investoren geraten. Der Markt wird in einer rasenden Geschwindigkeit konsolidiert, große Kliniken werden größer, kleinere Einrichtungen gehen zuhauf aus dem Markt. Das wirft die Fragen für das Management in der Rehabilitation auf: Haben Einzeleinrichtungen noch eine Zukunft, wie sollen sich mittelgroße Ketten strategisch positionieren?
Um Handlungsstrategien entwickeln und hier Antworten geben zu können, muss man zu allererst den Markt und seine aktuelle Dynamik verstehen. Kapitel 1.1 gibt einen umfassenden Überblick über die Besonderheiten des Reha-Marktes und den Stand der Konsolidierung.
Nicht nur der Markt verändert sich, auch die Anforderungen an die Rehabilitation. Bisher war es eher ein vages Versprechen, dass der Patient die Rehabilitationseinrichtung frei wählen könne. Jetzt gewinnt das Wunsch- und Wahlrecht massiv an Bedeutung. Der Patient als Kunde rückt in den Mittelpunkt der Gesundheitsbranche und wird zum Entscheider, der die zunehmende Leistungs- und Qualitätstransparenz nutzt. Das stellt Unternehmen in der Rehabilitation vor große Aufgaben – sie müssen die Rehabilitation aus Sicht des Kunden neu denken. Provokante Thesen dazu formuliert Kapitel 1.2.
Auch die Kostenträger nehmen die Rehabilitation neu in die Pflicht. »Raus aus dem Elfenbeinturm« – das bringt das Kapitel 1.3 auf den Punkt. Aus Sicht einer innovativen Krankenkasse werden klare Erwartungen an eine moderne Rehabilitation formuliert: Das Leistungsangebot müsse besser vernetzt, ambulanter, individueller, digitaler werden, mit transparenter Qualität und Finanzierung.
Die Deutsche Rentenversicherung als zweiter großer Kostenträger in der Rehabilitation skizziert neue Wege im Kapitel 1.4. – und zwar konsequent aus der Perspektive, den Arbeitnehmer möglichst lange gesund im Berufsleben zu halten. Aufgezeigt werden neue Ansätze, um möglichst frühzeitig die richtigen Leistungen der Prävention und Rehabilitation an den richtigen Adressaten zu bringen. Das bedeutet nicht weniger als einen Paradigmenwechsel im Grundverständnis der DRV: von der Gewährung einer Leistung zum aktiven Gestalter im Gesundheitswesen.
1.1 Der Reha-Markt
Peter Borges und Agnes Zimolong
1.1.1 Zweck und Funktion der Rehabilitation
Die Rehabilitation dient der Wiederherstellung der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten und soll Menschen mit (drohender) Behinderung dabei helfen, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Rehabilitation (lat. »Wiederherstellung, Wiedereinsetzen«) umfasst dabei die Gesamtheit aller erforderlichen Maßnahmen, um Menschen mit körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung bzw. drohender Behinderung und Menschen, die die Behinderung oder deren Folgen selbst überwinden können, zu helfen, ihre Fähigkeiten und Kräfte zu entfalten und einen entsprechenden Platz in der Gemeinschaft zu finden. Dazu gehört auch die Teilnahme am Arbeitsleben. (Gutachten Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2014, S. 256)
Der Zweck und die Funktion der Rehabilitation ist in Deutschland in der Sozialgesetzgebung definiert. Das neunte Gesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – das im Jahr 2001 eingeführt wurde, soll die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Leistungsansprüche, die in unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern geregelt sind, zusammenfassen sowie vereinfachte Verfahrensvorschriften schaffen.
In Deutschland sind sieben verschiedene Sozialleistungsträger – als Rehabilitationsträger – für die Rehabilitation zuständig (§§ 6 und 6a SGB IX). Die wichtigsten in Bezug auf Ausgabenvolumina für die Rehabilitation sind dabei die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die deutsche Rentenversicherung (DRV). Nach dem Prinzip der einheitlichen Risikozuordnung hat der Gesetzgeber die Aufgabe der Rehabilitation demjenigen Sozialleistungsträger zugeordnet, der das finanzielle Risiko ihres Scheiterns tragen würde, beispielweise:
• die gesetzliche Rentenversicherung bei drohender Berentung und/oder Arbeitsunfähigkeit
• die gesetzliche Unfallversicherung bei drohender Behinderung in Folge eines Arbeitsunfalls
• die gesetzliche Krankenversicherung bei drohender Pflegebedürftigkeit. Die gesetzlichen Pflegekassen sind bis dato nicht als Rehabilitationsträger zugelassen, was vielerorts kritisch bewertet wird.
Die Zuständigkeit der Rehabilitationsträger ist jedoch nicht immer klar abgrenzbar, was zu Nachteilen für die Betroffenen führen kann. Hier sind der Gesetzgeber und die Rehabilitationsträger weiterhin gefordert, eindeutige und unbürokratische Zugangswege zur Rehabilitation zu schaffen bzw. durch Anreize zu fördern. (Detailliertere Ausführungen zur Problematik der Zuständigkeit und Finanzierung durch die Rehabilitationsträger siehe Gutachten Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2014, S. 271 ff.)
Grundsätzlich werden drei Leistungsbereiche der Rehabilitation unterschieden: die medizinische, die soziale und die schulische/berufliche Rehabilitation. Die folgenden Ausführungen zum Reha-Markt konzentrieren sich auf die medizinische Rehabilitation, ohne die Bedeutung der anderen Rehabilitationsformen zu verkennen.
Innerhalb der medizinischen Rehabilitation werden folgende Leistungsformen unterschieden:
• Antragsrehabilitation/Heilverfahren
– Die allg. Heilverfahren werden i. d. R. mit Hilfe des Haus- oder Facharztes beantragt
– Nach der Antragstellung erfolgt eine Prüfung durch den Rehabilitationsträger im Hinblick auf den Rehabilitationsanspruch und die Rehabilitationsfähigkeit des Antragstellers
– Der Antragsteller hat Widerspruchsrecht sowie Wunsch- und Wahlrecht.
• Anschlussheilbehandlung/-rehabilitation (AHB/AR)
– Reha-Leistungen, die in spezialisierten Reha-Kliniken unmittelbar (bis 14 Tage) nach einem akutstationären Aufenthalt durchgeführt werden mit dem Ziel einen möglichst nahtlosen Übergang zwischen der Akutbehandlung und der Rehabilitation zu schaffen
– Es erfolgt keine umfassende Antragstellung an den Rehabilitationsträger, sondern ein verkürztes Verfahren zu Übernahme der Reha-Kosten durch das Krankenhaus (Antrag auf Kostenzusage)
– Bei der AHB wird ein erhöhter medizinischer Schweregrad und Rehabilitationsbedarf der Patienten erwartet. Auch hier gilt prinzipiell das Wunsch- und Wahlrecht des Patienten hinsichtlich der Einrichtung.
• Frührehabilitation
– Rehabilitative Maßnahmen, die schon während der akutstationären Versorgung entweder in Akutkrankenhäusern oder je nach Bundesland auch in speziell dafür zugelassenen Rehakliniken durchgeführt werden
– Leistungserbringer müssen spezifische Struktur- und Prozessanforderungen erfüllen und in den meisten Bundesländern auch als Krankenhäuser zugelassen sein
– Finanzierung erfolgt größtenteils über DRG-Fallpauschalen soweit es sich um Krankenhausbehandlung handelt
Der Zugang zur Rehabilitation soll insgesamt den folgenden gesetzlichen Grundsätzen folgen:
• Reha vor Rente
• Reha vor Pflege
• Ambulant vor stationär
• Einleitung frühestmöglich
• Ganzheitlicher Ansatz
1.1.2 Grundsätze der Finanzierung der Rehabilitation
Die Rehabilitation ist monistisch finanziert. Eine monistische Finanzierung bedeutet, dass sämtliche Betriebskosten, d. h. die medizinische, therapeutische und pflegerische Leistungserbringung, Verpflegung, Unterbringung sowie die Investitionskosten über die Vergütungssätze...