Friedrich Christiansen – der erste deutsche Seeflieger
Die Luftfahrtgeschichte wurde zunächst auf zivilem Sektor geschrieben. Wie bei so vielen Erfindungen und Entdeckungen erkannte jedoch auch bei der noch jungen Luftfahrt bald das Militär dessen Potential für seine Zwecke.
Die Bedeutung von Luftfahrtzeugen zur Seekriegsführung wurde zuerst von Frankreich erkannt. Bereits 1888 begann die französische Marine einen Luftschiffpark aufzubauen. Ein sehr brisantes Unternehmen, denn den leichten und großen Luftschiffen wurde bei dem rauen Wetter auf hoher See besonders viel abverlangt. Dennoch folgte schon kurze Zeit später eine erste Luftschiffschule der französischen Marine in Lagoubran (bei Toulon). Die Intension der Franzosen bestand jedoch damals noch nicht im Luftkampf, sondern in der Aufklärung. Im Jahr 1890 fand das erste umfangreiche Manöver mit bemannten Luftschiffen statt, die von Torpedobooten geführt wurden. Zielstellung des Manövers war die Erprobung der Luftaufklärung auf See, also die Beobachtung von Schiffsbewegungen, die Ortung von Minenfeldern sowie die Feuerleitung. Ähnlich agierten zwischen 1903 und 1908 Schweden, Russland, Italien Großbritannien und die USA. Zuvor jedoch hatten die französische Marine diese Luftfahrtabteilung 1902 aufgelöst: Grund war ein Luftschiff-Unfall auf See, bei dem Soldaten ums Leben kamen. Doch erneut wurden die Franzosen zum Vorreiter in der Seekriegsführung. Im Jahr 1912 wurde die 1896 als Versorgungsschiff gebaute Foudre als Flugzeugmutterschiff eingesetzt, nachdem sie zuvor vom Minenschiff umgerüstet worden war. Die französische Foudre (franz. für Blitz) war das welterste Schiff, das für den Einsatz von Flugzeugen verwendet wurde – sie gilt als Urahn der modernen Flugzeugträger.
Deutschland war zwar, was die Luftschiffentwicklung und deren militärischen Einsatz betraf, vor dem 1. Weltkrieg technisch/technologisch ganz weit vorn, bei den Flugzeugen jedoch hatte es etwas den Anschluss verpasst.
Nach diesem kurzen geschichtlichen Vorspann kommen wir nun zu einem der Pioniere der deutschen und internationalen Marinefliegerei: Friedrich Christiansen.
General der Flieger Friedrich Christiansen (Krischan), 1940 12.12.1879 - 3.12. 1972 Abb.: Rolf Italiaander, Wegbreiter Deutscher Luftgeltung, 1941
Christiansen „Krischan“ war ein waschechter Nordfriese. Geboren wurde er am 12. Dezember 1879 im nordfriesischen Wyk auf der Insel Föhr, und wie es in seiner Familie üblich war, sammelte er von Kindheit an Erfahrungen mit der Seefahrt. Sein Vater, wie auch alle anderen Vorfahren, waren Seeleute. Im damaligen Fischerdorf Wyk besuchte der junge Friedrich zunächst die Bürger- und Privatschule, später dann die Navigationsschule in Hamburg. Mit 21 Jahren legte er 1900 die Schiffsoffiziersprüfung ab. Danach diente er von 1901 bis 1902 in der 11. Torpedoabteilung der Kaiserlichen Marine in Kiel. Nach seiner Entlassung aus der Marine ging er erneut zur Handelsschifffahrt. Bald legte er das seemännische Patent als Kapitän für Große Fahrt ab. In jener Zeit entwickelte sich sein Interesse an moderner Technik, insbesondere an Motoren- und Flugzeugtechnik, wie ein überlieferter Brief an seinen Bruder Carl dokumentiert: „Lieber Carlbruder! Mit meinem Dank für Deinen Glückwunsch zur Übernahme meines neuen Schiffes möchte ich Dir gleichzeitig sagen, wie es mir in letzter Zeit ergangen ist. Als Kapitän eines ganz neuen und verhältnismäßig großen Dampfers bin ich schon zufrieden; aber ich finde zunächst nicht genug seemännischer Befriedigung. Das kommt wohl daher, lieber Bruder, dass wir alle besonders eng mit der Überlieferung aus der alten glorreichen Segelschifffahrt verwachsen sind und dass es uns vergönnt war, auf dem herrlichsten dieser Schiffe Dienst zu tun. Ich beschäftige mich neuerdings trotzdem viel mit technischen Fragen. Mein Interesse für die Entwicklung von Motoren ist Dir bekannt; ich bin auch der Überzeugung, dass der Motorenantrieb für große Schiffe bald kommen wird. Dann muss man mit Kenntnissen gerüstet sein. Die meisten Seeleute kümmern sich zu wenig um technische Fragen! ...“
Und als wollte Christiansen den Seeleuten mit gutem Beispiel vorrangehen, wechselte er im Herbst 1913 von der alten Seefahrt zu jungen Luftfahrt über. In Hamburg wurde er Flugschüler bei Karl Caspar, dem späteren Inhaber des Caspar-Flugzeugbaus in Travemünde. Mit dem Flugzeugführerpatent Nr. 707 zählte er zu den sogenannten „Alten Adlern“ – so wurden alle Flieger bezeichnet, die vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges ihr Patent erlangt hatten.
Die 1911/12 gegründete Marinefliegerabteilung wurde am 1. Juni 1913 zur Seefliegerabteilung und zum 1. Juli 1914 von Putzig nach Kiel-Holtenau verlegt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Christiansen dorthin einberufen und diente zunächst als Ausbilder. Am 5. Januar 1915 versetzte man ihn als Seeflieger nach Zeebrügge an die belgische Küste und beförderte ihn am 18. Februar 1916 zum Leutnant; 1917 dann zum Oberleutnant. Christiansen erkannte als erster die Möglichkeiten des Luftkampfes bei Seefliegern und führte diese Taktik in seiner Einheit ein.
Ein Militärhistoriker schrieb dazu: „Der taktischen Entwicklung des Verbandsfliegens über See, die zur Bildung der C-Staffel führte, der beispielhaft durch Leutnant Christiansen immer wieder zu neuen Taten angefeuerten Angriffsgeist der Besatzung und dem ausgezeichneten Flugzeugmaterial war es zu verdanken, dass die deutschen Seeflieger im Flandrischen Seegebiet die unbestrittene Luftherrschaft bis zum Kriegsende innehatten.“
Nun kann sich sicherlich jeder, auch wenn er kein Pilot ist, vorstellen, dass es um ein vielfaches schwieriger war, eines dieser simpel konstruierten Flugzeuge in den widrigen Bedingungen auf See zu fliegen, als an Land.
Um ihnen, liebe Leser, einen kleinen Einblick in die Besonderheiten der Kämpfe der Seeflieger im 1. Weltkrieg zu vermitteln, möchte ich im Folgenden einige Berichte von Christiansen zur Kenntnis geben: „Ich muss noch heute oft an ein geradezu erschütterndes Erlebnis zurückdenken, das ich kurz nach meiner Ernennung zum Oberleutnant als Führer einer Marine-Flugzeugstaffel der Seeflugstation Zeebrügge in Flandern hatte. Am 5. Juni 1917 war das deutsche Torpedoboot S 20 nach schwerem Kampf mit englischen Zerstörern zwischen Ostende und Themsemündung zusammengeschossen und schließlich zum Sinken gebracht worden. Ich kam an jedem Tag mit meinem Beobachter, dem Vizeflugmeister Mauskisch, von einem Englandflug zurück und sichtete plötzlich unter mir zahlreich Schiffstrümmer, zwischen denen etwa 60 Überlebende des Torpedobootes im Wasser trieben. Sofort ging ich mit meiner Maschine auf das Wasser nieder und versuchte zunächst, drei völlig erschöpfte Kameraden, die außerdem noch verwundet waren, zu bergen. Es gelang uns, die drei teils auf den Schwimmern meines Flugzeuges, teils im Beobachtungsstand, zu verstauen. Dieses Manöver ging inmitten der vielen anderen zum Teil auch verwundeten Schiffbrüchigen vor sich, die bereits über acht Stunden lang hoffnungslos, den Tod vor Augen, auf den Trümmerteilen in der Nordsee trieben. Das Flugzeug kam in eine bedenkliche Lage. Kaum hatten wir die ersten beiden Kameraden auf den Schwimmern festgebunden, als mehr als zwanzig Mann heranschwammen, um sich an das in der Dünung schwankende kleine Flugzeug zu klammern. Ich befand mich in einer kritischen Lage. Es war völlig ausgeschlossen, mit dem kleinen Flugzeug auch nur einen Teil der Schiffbrüchigen zu retten, die sich nunmehr alle hilferufend um die Maschine versammelt hatten und sich anklammerten. Die einzige Rettung lag nur in meinem schnellen Rückflug zur Station, von wo aus ich Hilfe zu den Verunglückten entsenden konnte. Die Maschine war sowieso schon überlastet, und so entschloss ich mich, zunächst alles Überflüssige über Bord zu werfen: Maschinengewehre, Munition, überflüssiges Benzin und die übrigen Ausrüstungen klatschten ins Wasser. Als ich versuchte den Motor anzulassen, sprang er zu allem Unglück nicht an, und es gelang einer Anzahl der mit dem Wasser kämpfenden Kameraden, sich an die Schwimmer zu hängen. Es ging nicht anders: Mit Gewalt mussten wir die armen Menschen von den Schwimmern abschütteln; nur dieser harte Entschluss konnte vielleicht noch einigen von ihnen die Rettung bringen. Endlich sprang der Motor an. Beim Herausrollen aus dem Bereich der im Wasser treibenden Kameraden gelang es noch einem von ihnen, sich am Untergestell der Schwimmer festzuklammern – er wurde im Beobachtersitz verstaut. Trotzdem glückte der Start. Hinter uns gellte das Schreien der vielen heiseren Männerkehlen. Die armen Kameraden konnten es einfach nicht begreifen, dass ich sie in Stich lassen musste. „Du Fliegerhund lässt uns hier alle elend versaufen“, das war das letzte, was ich noch hörte.
Mit der waffenlosen und völlig überladenen Maschine gelangte ich dann glücklich nach einstündigem Flug zur Station. In fieberhafter Eile führte ich danach zwölf Flugzeuge und vier Torpedoboote zur nächtlichen Unglücksstätte. Nach zweieinhalb...