„Es gibt zwei Weltmächte: Die USA und die Rating-Agentur Moody's. Und glauben Sie mir, es ist nicht immer klar, wer mehr Macht besitzt.“[4] Diesen Satz prägte der „New York Times“ - Kolumnist Thomas Friedman im Jahr 1996. Natürlich kann die Macht dieser beiden so unterschiedlichen Akteure nicht direkt miteinander verglichen werden. Die Aussage veranschaulicht lediglich, dass der Einfluss der Agenturen auf die globale Finanzwirtschaft inzwischen sehr groß geworden ist. Es spricht vieles dafür, dass er sich in den letzten 17 Jahren weiter deutlich verstärkt hat.
Dieses Kapitel soll aufzeigen, wie die Rating-Agenturen zu ihrem heutigen Einfluss auf die internationale politische Ökonomie gekommen sind. Die Anfänge lassen sich auf die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts datieren, doch erst in den 1930er Jahren weiteten die bis dahin etablierten Agenturen ihren Einfluss merklich aus und Übernahmen erste Staatsfunktionen. Kapitel 2.1 beschreibt den ersten Zeitraum bis in die 1930er Jahre, der auf den US-amerikanischen Markt beschränkt war. Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs bis hin in die späten 1960er Jahre festigten die Agenturen ihre bis dahin erhaltenen Privilegien und bauten somit ihre Position im US-amerikanischen Wirtschaftssystem weiter aus.
Im darauf folgenden Unterkapitel 2.2 werden weitere wichtige Entwicklungen und neue Befugnisse für die Agenturen seit den späten 1960er Jahren aufgezeigt.
Die Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Rating-Agenturen kann man ab 1868 beginnen lassen, als Henry William Poor „ein jährliches Eisenbahn-Handbuch [...], das Manual of the Railroads"[5], herausgab. In diesem Handbuch wurde den potentiellen Käufern von Aktien der verschiedenen Eisenbahnunternehmen in den USA eine Bewertung der Unternehmen vorgestellt, um eine Risikoabschätzung des möglichen Anleihenkaufs vornehmen zu können. Gut 40 Jahre später begannen andere in das inzwischen lukrative Geschäft der Unternehmensbewertung einzusteigen. In relativ kurzer Folge wurden die Firmen Standard Statistics Bureau (1906), Moody’s Investor Service (1909) und Fitch Publishing Company (1913) gegründet.
Diese neuen Agenturen verdienten ihr Geld zunächst mit dem Verkauf von Informationen über die wirtschaftliche Beschaffenheit der US-amerikanischen Eisenbahngesellschaften an interessierte Aktionäre.[6] Es handelte sich bei den Agenturen im Grunde um kleine Verlage die in noch kleinerer Auflage Zeitschriften heraus brachten, um eine neu entdeckte Nische zu nutzen. Diese neu entstandene Branche war die Unternehmensbewertung.
Das Interesse an der Teilhabe der US-amerikanischen Bevölkerung an den großen Unternehmen stieg zu dieser Zeit rasant an. Da immer mehr US-amerikanische Unternehmen an die wachsende New Yorker Börse Wall Street drängten, fingen die Agenturen an auch diese Unternehmen zu bewerten, um den Anlegern einen Überblick zu verschaffen, in welche der zahlreichen Firmen am besten zu investieren sei.
1923 veröffentlichte Standard Statistics seinen ersten Aktienmarktindex, der insgesamt 233 bewertete US-amerikanische Unternehmen umfasste.[7] Moody's konzentrierte sich in dieser Zeit auf den öffentlichen US-amerikanischen Anleihenmarkt und hatte nach eigener Aussage bereits 1924 nahezu 100% des Anleihenmarkts mit ihren Ratings abgedeckt.[8] Moody’s begann also schon früh mit der Bewertung der Kreditwürdigkeit staatlicher Einrichtungen und verdiente sein Geld damit.
Anders als heute war es zu dieser Zeit allerdings noch üblich, dass die Anleger, also die Käufer der Anleihen und Wertpapiere, die Rating-Agenturen für ihre Bewertung bezahlten, um das Anlagerisiko einschätzen und somit minimieren zu können. Dass es heute andersherum abläuft, also die Kreditnehmer die Agenturen für die Bewertung ihrer Kreditwürdigkeit bezahlen (siehe Kapitel 2.2), ist nur ein kleines Puzzlestück, das letztlich dazu beiträgt, die Macht der Big Three zu manifestieren. Auf die aktuell gültigen Regeln und Praktiken der Rating-Agenturen komme ich im späteren Verlauf der Arbeit noch ausführlicher zu sprechen. (Vgl. Kapitel 3.1)
Die Weltwirtschaftskrise der späten 1920er Jahre ging auch an den Agenturen nicht spurlos vorbei. So war Poor’s Publishing 1930 insolvent, wurde allerdings schnell rekapitalisiert und fusionierte dann gut 10 Jahre später, 1941, mit Standard Statistics zu Standard & Poor’s Corp.[9]. Moody’s gibt in einer Eigenbeschreibung der Geschichte der Agentur kleinlaut zu, dass ihnen im Vorlauf der Weltwirtschaftskrise Fehler bei der Bewertung von („wenigen“) Anleihen unterlaufen waren („few bonds highly-rated by Moody's missed payments“[10]). Schon damals spielten die Rating-Agenturen eine entscheidende Rolle im Vorfeld einer großen Finanzmarktkrise, indem sie den Akteuren an den Märkten relative Sicherheit suggerierten. Dass damals wie heute eine an dieser stelle nicht weiter quantifizierte Anzahl der Bewertungen unzutreffend waren und sind, legt den Blick frei auf eine mögliche Schwachstelle des “Systems“:
Die den Agenturen zugemutete Schlüsselrolle der Finanzmarktregulierung können oder wollen sie aufgrund verschiedener Bedingungen nicht zuverlässig ausfüllen. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird an verschiedenen stellen sichtbar, dass die RatingAgenturen zwar hoheitliche Aufgaben der Regulierung übernommen haben, aber Z.T. andere Interessen vertreten als die Staaten in deren Auftrag sie handeln. Eine Beschreibung des intentionalen Handelns der privatwirtschaftlichen Agenturen als eigenständige Finanzmarktakteure mit ganz eigenen Interessen findet sich in Kapitel 3.2.1.
Zu den entscheidenden Teilen der Geschichte der Rating-Agenturen zählt auch und vor allem die Etablierung neuer finanzpolitischer Gesetze und Verordnungen, die den Agenturen im Laufe der Zeit immer weitere Befugnisse und mehr Verantwortung übertrugen. Hier kann als erstes der New Deal der demokratischen Regierung von Franklin D. Roosevelt ab 1933 aufgezählt werden. Die sehr umfangreichen Reformen zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise umfassten auch finanzpolitische Maßnahmen. Schließlich war die Finanzbranche mit ihren spekulativen Exzessen maßgeblich mitverantwortlich für den Zusammenbruch der Börsen und infolgedessen der Wirtschaft im Allgemeinen.
Auch um zukünftige Finanzkrisen zu vermeiden (bzw. unwahrscheinlicher zu machen), wurde im Rahmen des New Deal der Security and Exchange Act verabschiedet, mit dem unter anderem die erste Börsenaufsicht der Welt, die Security Exchange Commission (SEC) etabliert wurde.[11] Die SEC hatte die Aufgabe verschiedene Informationen über die börslich notierten Unternehmen zu sammeln, um Anlegerbetrug, Insidergeschäfte und andere illegale und wettbewerbsverzerrende Machenschaften zu erkennen und zu unterbinden. So konnte sie auch Strafen aussprechen, wenn sich Unternehmen nicht an die Regeln (z.B. Bilanzierungsregeln, etc.) der New Yorker Börse hielten. Dieser Aufgabe geht die SEC unter anderen auch heute noch nach. Die neu geschaffene Aufsichtsbehörde der Wall Street bediente sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben wiederum verschiedener Unternehmen. Neben Wirtschaftsprüfern, wurden vor allem die Agenturen damit beauftragt, die Kreditwürdigkeit der großen Firmen an der Börse, also
"die Sicherheit von Geldanlagen [zu] bewerten. Investoren sollten somit zwischen sicheren (»Investment grade«) und spekulativen (»non investment grade«) Investitionen unterscheiden können"[12].
Darüber hinaus etablierten die meisten US-Bundesstaaten in den 1930ern neue Regeln darüber, in welche Finanzprodukte ihre großen Pensionsfonds investieren durften. Eine zentrale Rolle spielten hierbei die Bewertungen der Agenturen. Diesen damals eingeführten Restriktionen der Investitionsmöglichkeiten unterliegen die บร- Pensionsfonds auch heute noch, sodass sie neben Investmentbanken und anderen großen Finanzinstitutionen zu den Hauptkonsumenten der von den Agenturen herausgegebenen Informationen sind.[13]
Die neuen Investitionsstandards führten auch dazu, dass Anleihen anderer Länder weitestgehend vom US-Markt ausgeschlossen waren, da sie keine Bewertung der amerikanischen Rating-Agenturen aufweisen konnten.[14]
Auch die amerikanischen Banken sind seit den dreißiger Jahren diesen Auflagen unterworfen. Das บ.ร. Office of the Comptroller of the Currency (OCC) beschloss damals, dass die Banken nur Anleihen als Sicherheiten in ihren Bilanzen halten durften, die von mindestens zwei Agenturen mit „BBB“[15] oder besser bewertet wurden.[16] Dass Banken, Finanzinstitute und andere private Anleger sich zunehmend auch untereinander an den Bewertungen orientierten, erklärt sich aus der dadurch entstehenden Flexibilisierung der Geschäftsbeziehungen.
"So konnten etwa in längerlaufenden Kredit- und Handelsverträgen die Zinsen und Zahlungen dem jährlich erneuerten...