Fantastische Mythen über den Anfang der Welt
Von Anbeginn haben die Menschen Versuche gemacht, anders kann man es nicht bezeichnen, sich die Entstehung der Welt zu erklären und hinter dem Ganzen einen Sinn zu suchen. Warum sind wir da? Wie sind wir entstanden? Was sollen wir hier? Warum müssen wir sterben? Wo gehen wir nach dem Tod hin? Warum ist die Welt so, wie sie ist und nicht anders und besser? Warum gibt es sie und uns überhaupt? Ist alles nur Zufall oder steckt ein Sinn dahinter? Gibt es Gott und was ist das? Sind wir frei in dem, was wir tun oder ist alles vorherbestimmt? Was ist der Mensch und wer bin ich?
Das waren zentrale Fragen, die sie mit ihren Mythen beantworten wollten. Diese reichten von ziemlich abwegigen Erklärungsversuchen, bis zu erstaunlich anmutenden Annahmen, die der wissenschaftlichen Wahrheit schon sehr nahe kamen. Denken wir an die Erkenntnisse über den Sternenhimmel im Mesopotamien des - 3. Jahrtausends, die schon auf exakte Beobachtungen gründeten. Durch Beobachtung der Sterne und der Himmelskörper, die wie von „Geisterhand“ bewegt, mechanisch abliefen, konnten bald exakte Vorhersagen über die Wiederkehr bestimmter Jahresereignisse gemacht werden. So muss man wohl annehmen, dass Bauten wie Stonehenge in England oder die Himmelsscheibe von Nebra erste Versuche waren, die Himmelsmechanik auf Erden abzubilden und festzuhalten.
Viel später, um -500, machten griechische Philosophen, wie Anaxagoras erste Versuche, die Welt jenseits der Mythen zu erklären. Man verehrte Götter und klagte die an, die es wagten, die Welt ohne sie zu erklären. Während der griechische Geschichtsschreiber Herodot immer noch glaubt, dass die Sonne eine Gottheit sei, die auf ihrem Weg Durst verspürt und das Wasser von Seen und Bächen trinkt, wussten einige Philosophen schon, dass das Wasser verdunstet. Leukippos, geboren um -500, und sein Schüler Demokrit, geboren um -460, erklärten die Welt mit dem Atommodell. Sie erkannten, dass sich alles aus kleinsten Bausteinen zusammensetzt.
Viele dieser Mythen waren zwar harmlos, aber auch nutzlos, weil sich die Natur damit nicht wirklich erklären ließ. Es waren einfach fantastische Vermutungen, die wenig mit der realen Welt zu tun hatten. Hinter jeder Bewegung, ob nun am Sternenhimmel oder hinter dem nächsten Blätterrauschen im Busch, suchten sie einen Beweger, eine Person, einen Geist, einen Gott. Sie personifizierten die Natur und entwickelten so eine reiche Götter- und Geisterwelt.
„Die Schöpfungsgeschichte des Zarathustrismus [persische Religion] besagt, dass Ahura Mazda (Gott) in den ersten 3000 Jahren durch einen langherrschenden Windhauch zuerst den eiförmigen Himmel und daraufhin die Erde und die Pflanzen erschuf. Im zweiten Zyklus von 3000 Jahren entstanden die Urstiere und danach der Urmensch. Es erfolgte der Einbruch des Anramainyu (der „Teufel“), welcher den Urmenschen und den Urstier tötete und eine Periode des Kampfes eröffnete, die ihr Ende erst mit der Geburt des Zarathustra erreichte. Dieses Ereignis fiel in das 31. Jahr der Regierung des Königs Vistaspa. Und von da an werden wieder 3000 Jahre vergehen, bis der Heiland Saoschjant geboren wird, welcher die bösen Geister vernichten und eine neue, unvergängliche Welt herbeiführen wird; auch die Toten sollen dann auferstehen.
Statt des einen Messias werden an anderen Stellen drei genannt, wodurch sich also diese Lehre von der entsprechenden des Alten Testaments unterscheidet. Dagegen stimmt die Lehre von der Auferstehung sogar in Details mit der christlichen überein, so dass die Annahme einer Entlehnung der letzteren aus der Religion der den Hebräern benachbarten Zarathustrier eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Speziell die Begriffe Himmel und Hölle waren im alten Judentum nicht bekannt.2
Kommentar: Wer die Natur beherrschen will, muss wissen, wie sie wirklich funktioniert. Dazu muss er die Natur beobachten und erforschen.
Weltentstehungsmodelle hatten natürlich ihre Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen. Jedes Denken wirkt sich auf das Verhalten aus. Oft erklärten Kulturen die Welt so, dass sie und ihre Kultur im Mittelpunkt des Weltgeschehens einen besonderen Platz einnahmen; sie dachten ethnozentrisch, weil sie nicht viel von anderen Völkern wussten. Sie dachten, dass sie besonders wichtig seien, dass ihre Götter nur ihnen helfen. Dazu mussten sie sich ihren Göttern aber auch entsprechend dankbar erweisen und den Gesetzen dieser Götter treu gehorchen, seien sie noch so absurd. Über die Natur der Götter, ihre Gesetze und Wünsche wurden sie von ihren Priestern, Propheten und Schamanen unterrichtet, die einen besonderen Draht zum Himmel hatten, oder ihn vorgaukelten, denn dadurch erhielten sie enorme Macht über das Volk, sogar über die Führer des Volkes, die Könige und Pharaonen.
Ethnozentrisches Denken, eine gemeinsame Religion und gemeinsame Vorstellungen vom Anfang und Ende der Welt, verband eine Volksgruppe, erzeugte einerseits die Selbstüberschätzung der eigenen „Gruppe“ und führte andererseits zur Abwertung der „Anderen“. Daraus entstand der Zusammenhalt der Gruppe, aber auch sehr viel Unheil, weil auf die „anderen“ nicht die gleichen moralischen Maßstäbe angewendet wurden wie auf die „eigenen“.
Dass die Menschen sich Götter als Schöpfer der Welt ausdachten ist naheliegend. Das hängt wohl mit einem angeborenen Denkmechanismus zusammen. Hinter allem, was geschieht, suchen wir einen Verursacher. Selbst wenn wir ihn nicht sehen können, suchen wir ihn zur Erklärung der Welt. So sahen die Menschen „wirkende Wesen“ hinter all den Kräften, die sich in der Natur offenbarten, hinter dem „Erwachen“ der Pflanzen im Frühling, hinter der Hitze des Sommers, hinter Blitz und Donner.
Blitz und Donner
Die Entstehung von Blitz und Donner wollten sich die frühen Menschen so erklären, wie die Entstehung der Welt: Wenn etwas geschieht, dann muss „jemand“ dahinter stecken, der dies „bewirkt“. Die Naturkräfte wurden personalisiert. Es blitzt ja nicht „einfach“ und es donnert nicht „einfach“. Da muss jemand da sein, der es blitzen und donnern lässt. Da dies aber die Fähigkeiten eines Menschen übersteigen würde, verwundert es nicht, dass schon die alten Germanen und die Griechen zu der Überzeugung gelangten: Es muss Donar oder Zeus sein, der es donnern lässt und die Blitze schleudert. Er ist wütend. Wir müssen ihn besänftigen mit dem wertvollsten Opfer, das wir bringen können. So kam es, dass gläubige Menschen selbst ihre Kinder opferten, weil sie glaubten, dass Donar bzw. Zeus zornig sei über seine ungehorsamen Geschöpfe. Scheinbar hat er ganz gezielt das Haus eines Ungläubigen abgefackelt. Jedenfalls müssen seine Blitzattacken einen Grund gehabt haben, zumindest wurden sie als Demonstration seiner Macht empfunden. Und seine verängstigten Geschöpfe blickten wieder furchtsam und demütig zum Himmel. Mit der Erklärung dieser Naturphänomene war für sie auch die Existenz dieser Götter hinreichend bewiesen.
Erst Benjamin Franklin konnte schließlich zeigen, wie Blitz und Donner entstehen, ohne dass da „jemand“ blitzt und donnert. Es sind die dumpfen unbewussten, aber dennoch sehr wirksam arbeitenden Kräfte der Natur, die dieses Phänomen bewerkstelligen. Trotzdem behaupten immer noch viele Menschen, dass die Welt nicht entstanden sein kann, ohne dass sie „jemand“ geschaffen hat. Warum sollte sie sich nicht selbst geschaffen haben – mit der ihr innewohnenden Intelligenz und ihren Wirkmechanismen? Jedenfalls scheint es mir naheliegender, dass eine blinde Schöpfungskraft, die einfach den Naturgesetzen folgt, von unten wirkte und unzählige Versuche gemacht hat, die Welt und das Leben zu entwerfen, als dass ein weiser Gott dies alles von oben geschaffen hat; denn dann dürfte es nicht so viele fehlgeschlagene Versuche der Natur geben. 99 % aller Lebewesen sind entstanden und wieder ausgestorben. Kann das der Weisheit letzter Schluss sein? Warum Dinosaurier und einen Neandertaler schaffen und sie wieder aussterben lassen? Vielfalt in jeder Hinsicht ist eine markante Eigenschaft allen Lebens. Aus der unglaublichen Verschwendung, mit der die Natur arbeitet, aus der Vielfalt der Lebensformen und letztlich durch die Auswahl lebensfähiger Arten und Individuen, lässt sich das vorhandene Leben schlüssig erklären.
Menschenopfer
Man machte unsichtbare Wesen verantwortlich für den segensreichen Regen, der die Natur aufblühen ließ, man erwies sich dankbar für die Früchte des Feldes und für das Jagdglück, das nötig war zum Überleben, aber man fühlte sich bestraft durch diese Wesen, wenn eine Dürre oder die Kälte des Winters das Leben erschwerten. Man glaubte sich durch sie bestraft durch Hunger, Krankheiten und Tod. Unheil, Krankheiten und Naturkatastrophen, vor allem aber den Tod versuchte man von sich und der Gemeinschaft abzuwenden. Für Kriegszüge bemühte man sich, die...