1 Wann sind Komplikationen Behandlungsfehler?
J. Neu
1.1 Einführung
Die Bedeutung des Begriffs Komplikation ist je nach Sichtweise des Patienten oder des Arztes oftmals sehr unterschiedlich. Der Patient, geprägt durch Medienberichte über die Fortschritte der modernen Medizin, wertet die Komplikation eher als Ausdruck eines Behandlungsfehlers. Dem Arzt ist bewusst, dass das Behandlungsziel auch bei einer lege artis durchgeführten Behandlung nicht immer ohne gleichzeitige vorübergehende oder dauernde negative Veränderung erreicht werden kann und sieht die Komplikation daher eher als behandlungsimmanent an. Diese differenten Ausgangspositionen treten spätestens in einer Arzthaftungsauseinandersetzung zutage. Es erscheint daher geboten, dass sich alle Beteiligten um klare Definitionen der haftungsrechtlich relevanten Begriffe bemühen ▶ [16].
Komplikation und Behandlungsfehler sind keine Begriffe, die sich gegenseitig ausschließen. Zu unterscheiden sind:
vermeidbare Komplikationen, die auf unsorgfältigem Handeln beruhen, also Folge eines Behandlungsfehlers sind
bedingt vermeidbare Komplikationen, die auch bei sorgfältigem Handeln nicht immer vermeidbar sind (aber der Arzt muss es zumindest versucht haben)
unvermeidbare Komplikationen, die zwangsläufig mit der Grunderkrankung des Patienten einhergehen
Wenn die Rechtsprechung schon seit Jahrzehnten den zuvor gebräuchlichen Begriff des Kunstfehlers nicht mehr verwendet, ist dies auch Ausdruck des gewandelten Charakters des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Die ärztliche Tätigkeit wird in der Öffentlichkeit nicht mehr als Heilkunst gesehen, sondern als Dienstleistung, bei welcher der Arzt – bei aller nach wie vor geltenden Kurierfreiheit – nicht in einem rechtsfreien Raum agiert, sondern in einem bestimmten Rechtsrahmen, der über viele Jahrzehnte hinweg allein durch die Rechtsprechung vorgegeben war und der jetzt durch das Patientenrechtegesetz zusätzlich in Eckpunkten umrissen wird. Auch wenn man durchaus von einer zunehmenden Verrechtlichung in der Medizin sprechen kann, bedeutet dies aber längst noch nicht, dass der Arzt stets mit einem Bein im Gefängnis steht, sobald er den Patienten begrüßt. Strafverfahren gegen Ärzte sind äußerst selten und sind mit ca. 40000 Behandlungsfehlerklagen pro Jahr in Deutschland angesichts von ca. 800 Millionen Arzt-Patienten-Kontakten im niedergelassenen Bereich und ca. 18 Millionen stationären Behandlungsfällen jeweils mit einer Vielzahl von einzelnen Behandlungsmaßnahmen für sich genommen auch keine hohe Zahl.
Der sorgfältig handelnde Arzt wird im Falle eines Haftungsprozesses erkennen, dass das Haftungsrecht durchaus der Tatsache Rechnung trägt, dass der Heilerfolg auch von der besonderen, vom Arzt nur beschränkt beeinflussbaren physischen und psychischen Konstitution des Patienten abhängt (so schon Bundesgerichtshof (BGH) NJW 1975, 305).
1.2 Informationen über bedingt vermeidbare und unvermeidbare Komplikationen
Das Patientenrechtegesetz schreibt in § 630 c Absatz 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unmissverständlich vor, dass der Arzt u.a. verpflichtet ist, dem Patienten in verständlicher Weise die für den Behandlungsverlauf wesentlichen Umstände zu erläutern. Diese Formulierung schließt ohne Zweifel unvermeidbar eingetretene Komplikationen, die Konsequenzen für den weiteren Behandlungsverlauf und die daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen ein.
1.3 Empfehlungen für den Fall bedingt vermeidbarer und unvermeidbarer Komplikationen
Viele Arzthaftungsverfahren beruhen auf der diskrepanten Wahrnehmung der „Komplikation“ durch Arzt und Patient. Ein Großteil dieser Auseinandersetzungen könnte vermutlich schon im Ansatz vermieden werden, wenn eine professionelle Kommunikation nach Eintreten einer Komplikation stattfinden würde ▶ [19].
Dabei geht es nicht um die Fälle, bei denen es sich um ein justiziables Kommunikationsdefizit (wie z.B. bei fehlender therapeutischer oder mangelhafter präoperativer Risikoaufklärung) handelt. Es sind die nicht justiziablen Kommunikationsprobleme zwischen Arzt und Patient, die in vielen Fällen zur Unzufriedenheit führen und Anlass für eine Auseinandersetzung werden. Der Anteil dieser auf Kommunikationsproblemen bestehenden Unzufriedenheit liegt bei etwa 30 %: Eine Auswertung von 1000 aufeinanderfolgend eingegangenen und damit nicht selektierten Schlichtungsanträgen an die Norddeutsche Schlichtungsstelle zeigt, dass in 332 Fällen mit unbefriedigendem Heilverlauf Kommunikationsdefizite von Patientenseite moniert wurden ▶ [21].
Die Initiative für ein Gespräch sollte stets von der Arztseite ausgehen, weil der Patient als medizinischer Laie möglicherweise das Eintreten einer Komplikation gar nicht erkannt hat, sondern sich lediglich über einen unerwartet langen Behandlungsverlauf oder über ein unerwartet schlechtes Heilungsergebnis wundert. Versteht ein Patient durch die Erläuterung des Arztes die medizinischen Zusammenhänge und kann er deshalb mit der Situation besser umgehen, bleibt das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient in der Regel erhalten und Auseinandersetzungen kann damit der Nährboden für gewöhnlich entzogen werden.
Die Frage, ob eine Komplikation trotz lege artis erfolgter Behandlung nicht zu vermeiden war oder ob ein Behandlungsfehler zu einer vermeidbaren Komplikation geführt hat, ist bei kontroversen Standpunkten oftmals nur sehr schwer und selten ohne Einschaltung eines medizinischen Sachverständigen zu beantworten. In dieser Situation sollte die Empfehlung des Arztes stets lauten, diese Frage möglichst neutral und sachverständig klären zu lassen, am besten durch eine für den Patienten kostenlose Einschaltung einer ärztlichen Gutachterkommission oder Schlichtungsstelle.
1.4 Informationen über vermeidbare Komplikationen
Das seit dem 26.02.2013 geltende Patientenrechtegesetz soll durch die in das BGB aufgenommenen Regelungen in § 630 c Absatz 2 sowohl Ärzten als auch Patienten Klarheit darüber verschaffen, unter welchen Voraussetzungen ein Arzt verpflichtet ist, über Behandlungsfehler zu informieren. Schon seit jeher bestimmte die Rechtsprechung, dass ein Arzt über eigene Behandlungsfehler informieren musste, wenn gesundheitliche Gefahren für den Patienten daraus zu resultieren drohten (eine entsprechende Regelung ist jetzt in § 630 c Absatz 2 Satz 2 BGB enthalten).
Zusätzlich zu dieser Rechtsprechung sieht das Gesetz jetzt entsprechende Informationspflichten auch dann vor, wenn der Patient gesundheitlich nicht gefährdet ist. Zwar ist der Arzt nicht verpflichtet, den Patienten unaufgefordert über eigene Behandlungsfehler zu unterrichten, soweit keine gesundheitlichen Gefahren für den Patienten bestehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers trifft den Arzt lediglich die Pflicht zur gesundheitlichen Betreuung des Patienten, nicht aber eine umfassende Fürsorgepflicht. Fragt aber der Patient ausdrücklich nach etwaigen Behandlungsfehlern, ist der Arzt verpflichtet, in dieser Situation wahrheitsgemäß zu antworten, wenn er Umstände erkennt, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen.
Der Gesetzgeber hat bei dieser Regelung bewusst die Formulierung „Umstände, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen“ gewählt. Dadurch wird dem Rechnung getragen, dass die Frage, ob ein Behandlungsfehler tatsächlich vorliegt, oftmals in verschiedenen Gerichtsinstanzen durch mehrere Gutachter völlig kontrovers beurteilt wird. Dem Arzt ist also nicht auferlegt, eine gutachterliche Würdigung abzugeben, sondern ausschließlich die Umstände darzulegen, die ihn veranlassen, das Vorliegen eines Behandlungsfehlers anzunehmen.
Diese Informationspflicht gilt nicht nur in Bezug auf die eigenen Behandlungsmaßnahmen des Arztes, sondern auch für diejenigen von vor- oder mitbehandelnden Ärzten. Gehört der Vor- oder Mitbehandler einer anderen Fachrichtung an, als der Arzt, der nach einem Behandlungsfehler gefragt wird, dürfte es angesichts der fremden Fachkompetenz oftmals problematisch sein, diese Frage des Patienten mit der gebotenen Sicherheit zu beantworten. Die Gefahr falsch positiver oder falsch negativer Informationen ist hier nicht zu unterschätzen. Es empfiehlt sich in solchen Fällen, auf die Grenzen des eigenen Fachgebiets hinzuweisen.
Soweit die Information durch den Behandelnden erfolgt, dem ein eigener Behandlungsfehler unterlaufen ist, darf sie nach § 630 c Absatz 2 Satz 3 BGB zu Beweiszwecken in einem gegen ihn geführten Straf- oder Bußgeldverfahren nur mit seiner Zustimmung verwendet werden. Dies gewährleistet, dass dem Behandelnden aus der Offenbarung eigener Fehler, die gegebenenfalls strafrechtlich oder auch aus der Sicht des Ordnungswidrigkeitenrechts relevant sein können, keine unmittelbaren strafrechtlichen oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Nachteile erwachsen.
1.5 Praxistipps für den Fall einer vermeidbaren Komplikation
Im Fall einer vermeidbaren Komplikation (Behandlungsfehler) kann folgende Vorgehensweise Kommunikationsdefizite vermeiden: