Einleitung zur deutschen Ausgabe
Theoretisch sollten alle Länder vom globalen Finanzsystem profitieren. In der Darstellung der Mainstream-Ökonomie sind die internationalen Finanzen, der Handel und die »Auslandshilfe« (definiert als jeglicher staatliche Kredit) ein beinahe utopisches System, das allen Ländern zugutekommt, sie ihres Vermögens nicht beraubt und ihnen keine Austerität aufzwingt. In Wahrheit spielen die Vereinigten Staaten seit dem Ersten Weltkrieg eine führende Rolle bei der Gestaltung eines internationalen Finanzsystems, das ihren eigenen Banken, landwirtschaftlichen Exporteuren, ihrem Erdöl- und Erdgassektor und den Käufern ausländischer Ressourcen Gewinne sichert und die Schulden eintreibt, die andere bei ihnen haben.
Jedes Mal, wenn dieses globale System im vergangenen Jahrhundert zusammengebrochen ist, wurde es vor allem durch die amerikanische Dominanz und das Streben der amerikanischen Banken und Anleihebesitzer nach schnellen Gewinnen destabilisiert. Das rund um den Dollar errichtete Finanzsystem halst immer mehr Industrie- und Entwicklungsländern erdrückende Schulden auf. Seine drei institutionellen Säulen – der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Welthandelsorganisation – haben andere Länder, darunter zuletzt die postsowjetischen baltischen Staaten, Griechenland und das übrige Südeuropa, in monetäre, fiskalische und finanzielle Abhängigkeit gezwungen. Die Belastung ist mittlerweile derart erdrückend, dass sie das nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete System zerstört.
Die destruktivste Fiktion in den internationalen Finanzbeziehungen lautet, alle Schulden könnten – und müssten tatsächlich – bezahlt werden, selbst wenn das ganze Volkswirtschaften zerstört, die zum Sparen gezwungen werden. Auf diese Art sollen nicht die Arbeitsplätze und die Industrie, sondern die Anleihebesitzer gerettet werden. Aber einige europäische Länder, allen voran Deutschland, schrecken davor zurück, sich für eine ausgewogenere Weltwirtschaft einzusetzen, die allen Ländern Wachstum ermöglichen und eine wirtschaftliche Kontraktion und Schuldendeflation wie in der Gegenwart vermeiden würde.
Die erzwungene Austeritätspolitik in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg
Nach dem Ersten Weltkrieg wich die US-Regierung von der in Europa üblichen Praxis ab, ihren Verbündeten die Schulden zu erlassen, die sie zur Finanzierung des Kriegs angehäuft hatten. Amerikanische Regierungsvertreter verlangten von den Alliierten die Bezahlung der Waffen, die sie vor dem Kriegseintritt der USA im Jahr 1917 aus Amerika bezogen hatten. Um ihre Schulden bei den Vereinigten Staaten begleichen zu können, erlegten die amerikanischen Verbündeten ihrerseits Deutschland Reparationen auf. Eine von John Maynard Keynes geführte Gruppe britischer Diplomaten wollte die Verantwortung für etwaige katastrophale Folgen der Belastung durch die Reparationsleistungen nicht übernehmen und versprach, das gesamte aus Deutschland erhaltene Geld direkt einfach an das amerikanische Finanzministerium weiterzuleiten.
Die unerträglich hohen Reparationszahlungen trieben Deutschland in die Austerität. Die Folge war der wirtschaftliche Zusammenbruch. Die Reichsbank begann, Geld zu drucken, was zu Hyperinflation und einer Finanzkrise führte. Die Schuldendeflation hatte große Ähnlichkeit mit jener, die vor einer Generation die Schuldnerländer der Dritten Welt heimsuchte, sowie mit der gegenwärtigen Krise in den europäischen PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien).
Um die deutschen Reparationen und die Schulden der Alliierten finanzierbar zu machen, ermöglichten die USA durch eine komplizierte Politik des leichten Geldes Zahlungsströme über drei Banden: Amerikanische Investoren kauften hochverzinste deutsche Anleihen, die deutschen Gemeinden tauschten die mit diesen Anleihen eingenommenen Dollar bei der Reichsbank in Reichsmark um, und die Zentralbank verwendete die Devisen zur Bezahlung der Reparationsschulden bei Großbritannien, Frankreich und anderen Alliierten, die mit dem Geld ihrerseits ihre Schulden bei den Vereinigten Staaten begleichen konnten.
Aber die Lösung, derart hohe Schulden aufrechtzuerhalten, indem man den Schuldnern das für die Tilgung benötigte Geld leiht, kann nur zeitweilig funktionieren. Die amerikanische Federal Reserve ermöglichte diesen Geldfluss über drei Banden, indem sie die Zinsen in den USA niedrig hielt. So hatten amerikanische Investoren einen Anreiz, deutsche Kommunalobligationen und andere hochverzinste Anleihen zu kaufen. Die Niedrigzinspolitik hielt auch die Wall Street davon ab, Geld aus Großbritannien abzuziehen und dadurch eine weitere Verschärfung des Sparkurses und eine Vertiefung der Wirtschaftskrise nach dem Generalstreik im Jahr 1926 zu verursachen. Aber in den Vereinigten Staaten führten die niedrigen Zinsen und der leichte Zugang zu Krediten zum Anschwellen einer Immobilienblase und in der Folge eines Börsenbooms, der im Jahr 1929 mit einem Crash endete. Im Jahr 1931 brach der Dreiecksfluss der Zahlungen zusammen. Die USA und Europa schlitterten in eine Schuldendeflation. Die Weltwirtschaftskrise dauerte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939.
Als sich der Krieg seinem Ende zuneigte, nahmen die Pläne für die Nachkriegszeit Gestalt an. Die amerikanischen Diplomaten hatten eine wichtige Lektion gelernt: Diesmal würde es keine Schulden für Waffenlieferungen und keine Reparationen geben. Um das globale Finanzsystem zu stabilisieren, würde man eine Goldpreisbindung sowie auf die Bedürfnisse der Kreditgeber zugeschnittene Regeln einführen. Ende der Vierzigerjahre hielten die USA rund 75 Prozent der globalen Goldreserven. Gestützt darauf fungierte der US-Dollar als Reservewährung der Welt und konnte zum 1933 festgelegten Kurs von 35 Dollar pro Unze in Gold eingelöst werden.
Das bedeutete auch, dass die Vereinigten Staaten einmal mehr die Zahlungsbilanzdefizite der europäischen Staaten finanzieren mussten. Das Recycling der offiziellen staatlichen Kreditaufnahme wurde vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank übernommen. In beiden Einrichtungen hatten nur die amerikanischen Vertreter das Recht, ein Veto gegen Maßnahmen einzulegen, die nicht in ihrem nationalen Interesse waren. So verwandelte sich die »Stabilität« des internationalen Finanzsystems in einen globalen Kontrollmechanismus, der dazu diente, die Interessen der Kreditgeber in den Vereinigten Staaten zu schützen.
Um sich Gold oder an das Gold gekoppelte Dollar beschaffen und damit ihre heimische Währung stabilisieren zu können, mussten andere Länder die von den USA vorgegebenen Regeln für Handelsbeziehungen und Investitionen befolgen: Sie mussten auf Kapitalverkehrskontrollen verzichten und Beschränkungen für ausländische Unternehmen aufheben, die ihre Bodenschätze ausbeuten oder öffentliche Dienstleistungen, heimische Industriebetriebe und Banken übernehmen wollten.
Im Jahr 1950 war das auf dem Dollar beruhende globale Wirtschaftssystem nicht mehr aufrechtzuerhalten. Es strömte immer mehr Geld in die Vereinigten Staaten, was den Dollar weiter stärkte. Der Koreakrieg führte zu einer Trendwende. Zwischen 1951 und 1971 stieg das Zahlungsbilanzdefizit der USA aufgrund der Militärausgaben im Ausland unablässig. (Die Handels- und Investitionsbilanzen des Privatsektors blieben ausgeglichen.)